Gewelltes Kinkhorn (Buccinum undatum)

[274] Ein gemeiner Bewohner der Nordsee, das gewellte Kinkhorn oder Wellhorn (Buccinum undatum), wird gewöhnlich der Charakterisirung der Familie der Bucciniden zu Grunde gelegt. Eine Abbildung des Gehäuses im Durchschnitte wurde oben (S. 222) gegeben. Das Gewinde der Schale der Bucciniden ist kegelförmig und im Verhältnisse zum letzten Umgang klein. Die Mündung läuft in einen kurzen, in die Höhe gebogenen Kanal aus. Die bis acht Centimeter hohe Schale ist kegelig-eiförmig, bauchig und auf den konvexen, längsfaltigen Windungen mit erhabenen Querleisten und feinen Längslinien versehen. Das Thier hat einen platten, vorn abgestutzten Kopf, an dessen beiden Ecken die ziemlich langen Fühler stehen. Außen am Grunde derselben befinden sich die Augen. Der große Fuß ist hinten und an den vorderen Ecken abgerundet. Man kann nicht leicht einige Tage am Strande unserer nördlichen Meere sich aufhalten, ohne unter den Auswürflingen des Wassers die traubenartig zusammenhaltenden gelblichen Eibehälter dieses Thieres zu finden. Die einzelnen lederartigen Beutel sind etwa halb so groß wie eine Erbse und von zusammengedrückter Kugelgestalt. Ein starkes Band vereinigt sie zu einer rundlichen Masse, welche von Ellis »Seeseifenkugel« genannt wird, indem die Schiffer sich ihrer bedienen, um die Hände damit zu reinigen. Diese Eibehältermassen werden von den Schnecken an verschiedene untermeerische Körper, Steine, Holzstücke, Austern usw., angeheftet und die Wandungen der Kapseln sind anfangs so dünn und durchsichtig, daß man die darin eingeschlossenen Eier leicht beobachten kann. Eine jede enthält die erstaunliche Anzahl von sechshundert bis achthundert Eiern; noch erstaunlicher ist aber, daß nur eine geringe Menge junger Schnecken, etwa vier bis zwölf, aus der Kapsel hervorgehen. Die bekannten norwegischen Naturforscher Koren und Danielssen verfolgten die Entwicklung der Embryonen und stellten die Behauptung auf, nicht aus einem Eie, wie sonst im Thierreiche, ginge das Junge hervor, sondern vierzig bis einhundertundfunfzig Eier ballten sich zusammen, um nach dieser Vereinigung sich zu Einem Embryo umzugestalten. Es hat sich aber ergeben, daß der Vorgang ein anderer, obwohl nicht minder merkwürdiger ist. Die Anlage des Embryo geschieht aus dem Material eines einzigen Eies. Sobald aber die ersten Organe zum Vorscheine gekommen sind, unter ihnen namentlich das schon Seite 266 bei Vermetus von [274] uns kennen gelernte Segel und der Fuß, versieht sich das werdende Thierchen mit Mund und Darm, und schluckt nun mit wahrhaftem Heißhunger die es umgebenden, nicht zur Entwickelung kommenden Eier ein. Seine Leibeshöhle wird dadurch so ausgefüllt und zu einer dünnen, durchsichtigen Hülle ausgedehnt, daß der Irrthum, das kleine Wesen sei ein Konglomerat vieler Eier, verzeihlich ist. Die verschluckten Eier dienen also einfach als Nahrung und versehen in diesem Falle die Stelle des sogenannten Nahrungsdotters, das heißt derjenigen Portion des zu einem Eie gehörigen Dotters, welcher im Verlaufe der Entwickelung nicht direkt sich in die Gewebe und Körpersubstanz des Embryo umwandelt, sondern als Nahrung im Darmkanale des jungen Thieres verdaut wird. Die in den Kapseln enthaltenen Eier sind anfänglich von durchaus gleicher Beschaffenheit, und die eigentlichen Ursachen, wodurch nur jene wenigen zur Entwickelung auserwählt werden, unbekannt.

Von den übrigen, den wärmeren Meeren angehörigen Buccinum-Arten kennt man die Entwickelung nicht, doch darf angenommen werden, daß sie denselben Verlauf nimmt.

Das Wellhorn hält sich in der Nähe der sandigen Küsten auf, wo es sich häufig mit Hülfe seines Fußes einbohrt. Dies geschieht, um den dort sich aufhaltenden Muscheln (Pecten opercularis, Arten von Mactra, Tellina, Venus und anderen) nachzustellen. Der ersten soll sich das Buccinum nicht selten dadurch bemächtigen, daß es den Fuß zwischen die geöffnete Schale schiebt, wobei es allerdings riskirt, arg gekniffen zu werden. Jedenfalls geschieht der Angriff auf die Muschel in der Regel durch Anbohren, wie dies auch die meisten anderen fleischfressenden Bauchfüßer thun. Theils um es als einen gefährlichen Feind der eßbaren Muscheln zu verfolgen, theils um es als Köder zu benutzen, wird von den Fischern dem Buccinum undatum eifrig nachgestellt. Johnston sagt darüber: »Zu Port-Patrick, wo das Buccinum undatum die Buckiehenne heißt, wird sie zu diesem Ende in Körben gefangen, in welche man Stücke von Fischen legt, und die man eine Viertelmeile vom Hafen oder dem alten Schlosse etwa zehn Faden tief ins Meer hinabläßt, dann aber täglich wieder heraufzieht, um die Schnecken herauszunehmen, welche hineingekrochen sind, um die Fischstücke zu verzehren. Jede Schnecke liefert Köder für zwei Angeln, so daß, wenn man die von allen Booten ausgeworfenen Angeln zusammen auf viertausendfünfhundert anschlägt, so lange als dies geschieht, täglich zweitausendzweihundertundfufzig von diesen großen Schnecken zerstört werden müssen, wozu jährlich nicht weniger als siebzigtausend nöthig sein werden. Und obwohl dieser Bedarf größtentheils nur von einem kleinen Raume gewonnen wird, so scheint davon doch ein größerer Ueberfluß als je dort vorhanden zu sein«.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 274-275.
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