Gemeine Wollkrabbe (Dromia vulgaris)

[14] Wir sind mit dieser Gruppe bei den Rückenfüßern angelangt, welche durch die höhere Einlenkung des fünften oder des vierten und fünften Fußpaares nach dem Rücken zu den Uebergang zur nächsten größeren Unterabtheilung der Zehnfüßer vermitteln. Unsere Abbildung (S. 15) zeigt die im Mittelmeere verbreitete Dromia vulgaris, deren Körper mit Ausnahme der röthlichen Scherenspitzen dicht behaart und deshalb gewöhnlich so mit Schmutz, allerlei Pflanzen und Thieren überzogen ist, daß man sie vor der Einstellung in die Sammlung in der Regel erst einer sehr gründlichen [14] Wäsche unterwerfen muß. Das Eigenthümlichste ist aber die Gewohnheit der Wollkrabbe, ein Schutzdach mit sich herumzutragen, woraus erst der Nutzen und die Verwendung der Rückenfüße ersichtlich wird. Dazu sind fast ausschließlich Schwämme verwendet, am häufigsten Sarcotragus spinosulus oder eine Varietät von Suberites domuncula. Mit dem letzten haben wir sie abgebildet (S. 16), wie sie, auf einem anderen Schwamme, einem großen Exemplare von Spongelia pallescens sitzend, einen Fischkopf mit der Schere bearbeitet. Der Schwamm schmiegt sich mit seiner Unterfläche eng an das Rückenschild an und erreicht oft eine solche Größe, daß er den Krebs vollständig bedeckt, ohne daß derselbe in seinen nicht lebhaften Bewegungen gehindert wird. Es ist mir noch unklar, ob der Schwamm sich zufällig auf dem Rücken unseres Thieres ansiedelt, wie das bei Suberites domuncula auf den von Pagurus bewohnten Schneckenhäusern der Fall ist, oder ob der Krebs sich ein schon größeres Schwammstück zurecht macht und auf den Rücken legt.


Wollkrabbe (Dromia). Natürliche Größe.
Wollkrabbe (Dromia). Natürliche Größe.

Der zweite Fall ist nicht so unwahrscheinlich und ungereimt, als er aussehen möchte, indem der Schwamm nur von den Klauen der Rückenfüße gehalten wird, und die Krabbe ihn, wie ich oft gesehen, bei der Flucht oder unsanft gestört, fallen lassen kann. Wie stark aber das Bedürfnis nach einer solchen Decke oder Mantel ist, geht daraus hervor, daß die im Aquarium gehaltenen Wollkrabben, wenn sie ihres Schwammes beraubt sind, sich ein Stück Tang über den Rücken hängen. Ein sehr komischer Anblick!

Zur Ergänzung des bisher über die Krabben Gesagten lassen wir eine in der bekannten englischen Zeitschrift »Chambers-Journal« enthaltene und im »Ausland« mitgetheilte Sittenschilderung folgen. Die Naturfreunde haben an einer Stelle der englischen Küste dem Treiben der ebenfalls der Klasse der Krebse angehörigen Sandhüpfer zugesehen: »Fast ganz mit Beobachtungen über diese merkwürdigen kleinen Geschöpfe beschäftigt, hatten wir verschiedene schattenhafte Formen nicht bemerkt, welche gerade unterhalb der hereinbrechenden winzigen Wellen sichtbar waren; unser Freund lenkte jedoch durch einige Bemerkungen unsere Aufmerksamkeit auf dieselben. ›Jetzt können Sie‹, sagte er, ›schwatzen so viel Sie wollen, aber rühren Sie sich nicht von der Stelle; die Bewegung eines Armes oder Beines oder selbst das Drehen des Kopfes brächte uns um ein interessantes Schauspiel.‹ Während er dies sprach, sahen wir eine grüne Krabbe, eines jener wenig beachteten Meeresküstenthiere, die wir wohl zwanzigmal gesehen, aber nicht näher ins Auge gefaßt hatten. Die Krabbe war wenig über 3 Centimeter breit und in der That ein sehr unbedeutendes, in seinem Aeußeren alles Anziehenden ermangelndes Geschöpf. Sie kam langsam auf dem Sande heran, der nur stellenweise von den Wellen bespült wurde, und schien sorgfältig sich umzuschauen. Ein großes Weichthier ward ab und zu gespült, und auf dieses stürzte die Krabbe los. Ihre Klauen, die sie beim Gehen nur als Krücken zu gebrauchen schien, dienten nun zu einem anderen Zwecke: Stückchen um Stückchen wurden mit denselben aus dem Weichthiere herausgenommen und mit einer höchst handartigen Bewegung zum Maule geführt. Nachdem die Krabbe einige Klauen voll genommen, schien das Weichthier ihr keine hinlänglich solide Nahrung mehr zu sein, und sie bewegte sich langsam dem trockenen Sande zu. Längs den feuchten Stellen hinkriechend, suchte ein schöner Sandhüpfer seinen Weg nach einigen Büscheln Seegras einzuschlagen; er bewegte sich langsam, nicht wissend, daß ein Feind auf ihn lauere, und fing bald an, auf dem Grase seine Mahlzeit zu halten. Die Bewegungen der Krabbe waren jetzt wundervoll; sie beobachtete den Sandhüpfer und näherte sich ihm langsam; ein Klumpen Seegras lag zwischen ihnen, und von diesem machte die Krabbe mit der Geschicklichkeit eines vollendeten Schützen Gebrauch als Deckung. Ungefähr acht Zoll Raum trennte sie von ihrer Beute, und die Abkürzung des Zwischenraumes war [15] ihr Zweck. Allein der Sandhüpfer war auf seiner Hut und schien, früherer Erfahrung zufolge, es für möglich zu halten, daß ein Feind in der Nähe sei. In kurzem verließ die Krabbe ihren Schlupfort, duckte sich und kroch kunstvoll auf die Beute los: als sie etwa 10 Centimeter von derselben war, hörte der Sandhüpfer zu fressen auf und wandte sich gegen die Krabbe. Einen Moment hatten wir auf einen anderen, uns störenden Gegenstand die Augen gewendet; als wir sie wieder auf die Kämpfenden richteten, war die Krabbe verschwunden. Was aus ihr geworden, ließ sich unmöglich sagen. Der Sand war ringsum platt und ohne alle andere Bedeckung, als einiges winziges Seegras.


Wollkrabbe, mit einem Korkschwamme bedeckt. Natürliche Größe.
Wollkrabbe, mit einem Korkschwamme bedeckt. Natürliche Größe.

Näher zuschauend sahen wir einen Klumpen in dem Sande nahe bei dem Hüpfer, dieser Klumpen erhob sich langsam, wie durch einen unterirdischen Vorgang, und die Krabbe tauchte aus dem Sande hervor, in welchen sie sich eingegraben hatte, um sich der Beobachtung des Hüpfers zu entziehen. Nachdem sie sich vom Sande befreit, ging sie verstohlen einen oder zwei Schritte vorwärts und stürzte dann plötzlich, wie die Katze auf die Maus, auf den ruhig beschäftigten Sandhüpfer. Die wundervoll handartigen Klauen wurden nun unter den Leib gestoßen, der Sandhüpfer gepackt und entzwei gerissen und mit den Klauen ins Maul gesteckt. Während wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf diese einzige Krabbe gerichtet hielten, hatten wir einige Dutzend andere, in gleicher Weise beschäftigte nicht gesehen, die nur wenige Schritte von uns sich emsig mit der gleichen Jagd abgaben. Große und kleine, rührige und träge, flinke und langsame Krabben waren alle geschäftig. Eine darunter gewährte uns besondere Unterhaltung, und zwar eine der größeren, welche mit ungemeiner Vorsicht aus dem Meere hervorkam. Nachdem ich zufälligerweise einen Arm bewegt hatte, als das Thier sich unserer Stellung näherte, zog diese Handlung die Aufmerksamkeit der Krabbe auf sich und erweckte ihren Verdacht. Sie stellte einen Augenblick Beobachtungen an, sank dann in den Sand und verschwand vor unseren Augen; fast unmittelbar [16] darauf indeß erhoben sich zwei kleine schwarze Punkte aus dem Sande und blieben fest: die gestielten, beweglichen Augen der Krabbe, welche mit verborgenem Körper beobachtete, was um sie her vorging.

Erst nachdem wir mehrere Minuten lang bewegungslos geblieben, war die Krabbe endlich befriedigt, erhob sich aus dem Sande und setzte ihre Jagd fort, und zwar in einer Weise, daß man hätte glauben können, sie habe mittlerweile nachgedacht, wie sie am besten zum Ziele komme. Sie fing den Sandhüpfer auf folgende Weise. Rasch unter eine Anzahl derselben laufend, zerstreute sie die Thierchen in alle Richtungen. Anfangs zwar gelang es ihr nicht, irgend eins zu fangen, sie versank daher sogleich in den Sand und verhielt sich regungslos, aber lauernd. In kurzer Frist sammelten sich die Sandhüpfer, da sie keine Ursache zur Beunruhigung mehr sahen, wieder an der Stelle, wo sie gestört worden, und sprangen emsig auf der Krabbe herum, welche sich allmählich aus dem Sande erhob, um sich zur Aktion bereit zu machen. Nun sind die Sandhüpfer nach ihren phantastischen Sprüngen keineswegs gewiß, ob sie sich auf ihren Rücken, ihre Füße oder Seiten niederlassen, und so müssen sie häufig sich ein wenig abmühen, um wieder auf ihre Füße zu kommen. Die Krabbe wartete achtsam auf eine solche Gelegenheit, um ihre in unvortheilhafter Lage befindliche Beute zu fassen. Wenn sie daher einen Hüpfer in dieser Klemme sah, stürzte sie heraus und packte ihn.

Hin und wieder nähern sich zwei Krabben von gleicher Größe einander, strecken ihre Klauen aus, wie ein Preiskämpfer seine Fäuste, und kämpfen dann eine Zeitlang; allein gewöhnlich zieht eine sich zurück, als wenn sie von der erprobten Entfaltung ihrer Kräfte befriedigt wäre. Glaubt sich eine Krabbe von einem gegen sie gerichteten Stocke bedroht, so weckt dies allen Kampfesmuth dieser Geschöpfe. Sich auf die Hinterbeine setzend, streckt sie die Scheren gegen den Feind und klappt sie mit solcher Kraft zusammen, daß man das Zusammenschlagen genau hören kann. Hat sie den Stock gepackt, so kann man sie mit demselben vom Boden in die Höhe heben.« Ich kann die meisten Züge dieser Schilderung aus eigener Beobachtung bestätigen und allen Besuchern der sandigen Seeküsten dieses Treiben zur Unterhaltung empfehlen. An den felsigen und steinigen Küsten des Mittelmeeres kann man sich dagegen mit dem eben so schlauen Grapsus varius erlustigen, einer mittelgroßen bunten Viereckkrabbe, welche am Ufer Jagd macht und mit der Behendigkeit einer Maus die Löcher und Felsritzen zu benutzen weiß.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Zweiter Band: Die Niederen Thiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1887., S. 14-17.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon