Mähnenrobbe (Otaria jubata)

[611] Der südliche Vertreter des Seelöwen ist die Mähnenrobbe (Otaria jubata, Phoca jubata, Otaria leonina), Vertreter einer gleichnamigen Unter sippe (Otaria), welche sich durch die kurzen Ohren und das bei den alten Männchen auf dem Rücken gemähnte Fell ohne Unterwolle kennzeichnet. Das erwachsene Männchen erreicht in gleicher Weise wie die Verwandten, also von der Nasenspitze bis zum Ende der hinteren Flosse gemessen, eine Länge von 2,7 Meter oder, von der Nasen- bis zur Schwanzspitze gemessen, von 2 Meter; sein Fell liegt im ganzen glatt an, verlängert sich jedoch vom Oberkopfe bis zur Rückenmitte zu einer ziemlich breiten, aber verhältnismäßig kurzen Mähne und hinter den Kiefern zu einer Art von Bart, während es auf der Brust am kürzesten ist. Die Oberseite des Kopfes, namentlich die Nasengegend, hat lichte oder gelbbraune, die Wangenseite dunkelbraune, die Schnauze schwarze, der Rücken gelblichgraue, die Bauchseite braungelbe Färbung; die nackten Flossen sehen schwarz aus. Das Weibchen unterscheidet sich durch dunklere Färbung, da die Rückenmitte und die Leibesseiten bis zum Schwanze herab schwarz und grau gemischt erscheinen, weil die Spitzen der Haare grau, die Wurzeln schwarz sind; von der Nase zum Vorderkopfe verläuft ein dunkler Streifen, neben dem jederseits unter dem Auge ein lichtgrauer Flecken bemerklich wird; der einigermaßen entwickelte Bart ist dunkler als die übrigen Kopfseiten; hinter ihm bemerkt man einen mäßig großen dunkleren Flecken, um das Auge herum einen schmalen braunen Kreis; Brust und Bauch endlich sind gelblichgrau. Nach den Untersuchungen Murie's verändert sich die Färbung im Laufe der Jahre etwa folgendermaßen: Junge beiderlei Geschlechts sind gleich und zwar dunkel- oder tief chokoladenbraun gefärbt. Die Männchen im ersten Jahre sehen bereits merklich blasser aus, wogegen die Weibchen gleichen Alters auf dem Rücken dunkelgraue, auf der Bauchseite lichtgelbliche Färbung zeigen. Im zweiten oder dritten Jahre ändert sich bei den Männchen die Färbung des Rückens und der Seiten in ein schönes Braun um, und die Unterseite nimmt lichtgelbliche Färbung an. Bei jungen Stücken bemerkt man eine dünne Unterwolle. Abgesehen von der verschiedenen Färbung, unterscheiden sich die Weibchen wie bei allen übrigen Ohrenrobben auch durch die bedeutend geringere Größe, welche in den meisten Fällen kaum mehr als die Hälfte von der des Männchens beträgt, die verhältnismäßig viel kleineren Gliedmaßen und das unverhältnismäßig leichte Gewicht.

Das Verbreitungsgebiet der Mähnenrobbe umfaßt die Südspitze von Südamerika, einschließlich aller in der Nähe derselben gelegenen Inselgruppen und Eilande, und dehnt sich nach Süden hin bis zum Grahamslande aus. In besonderer Häufigkeit begegnet man ihr, wie wir schon durch Forster wissen, im Feuerlande; nicht minder zahlreich tritt sie auf den Falklandsinseln auf. Ihre Lebensweise, ihre Sitten und Gewohnheiten scheinen im wesentlichen denen ihrer nördlichen Verwandten zu entsprechen. Wie diese unternimmt sie alljährlich weite Wanderungen, um zu dem einmal erwählten Landungs- und Fortpflanzungsplatze zu gelangen; wie diese verweilt sie auf den betreffenden Inseln monatelang, in der Absicht, ihre Jungen zur Welt zu bringen und es denselben zu ermöglichen, die ersten Wochen ihres Lebens auf dem Lande zu verbringen, um sich selbst [611] zu paaren und wahrscheinlich auch zu hären, worauf sie von neuem das weite Meer durchschwimmt. Forster fand die felsigen Klippen in der Nähe des Neujahrshafens bedeckt mit Scharen dieser von den Schiffern ebenfalls Seelöwe genannten Ohrenrobbe, beobachtete deren Kämpfe um die Weibchen, wie die Zärtlichkeit, mit welcher sich die Glieder einer Familie behandeln, die Liebkosungen, welche sie gegenseitig einander erweisen, trat ihnen feindlich entgegen und lernte sie als mindestens ebenso harmlose Gegner kennen, wie die nächsten Verwandten es sind; Abbott traf mit ihnen auf den Falklandsinseln zusammen und berichtet ebenfalls einiges über ihr Leben; Murie endlich fragte den zweifellos besten Kenner ihrer Lebensweise, Lecomte, einen alten französischen Matrosen, welcher jahrelang mit von ihm selbstgefangenen Mähnenrobben den innigsten Verkehr gepflogen hat, soviel als möglich des von ihm erkundeten über die Sitten und Gewohnheiten der Thiere ab und übertrug diese mühselig gewonnenen Nachrichten in lesbare Form: wir sind also gegenwärtig auch über diese Art der Familie ziemlich genau unterrichtet.

Um welche Zeit die Mähnenrobben auf ihren Fortpflanzungsinseln ankommen und wie lange sie hier verweilen, scheint bis jetzt noch nicht genügend festgestellt zu sein; aus den mir bekannten Nachrichten geht nur hervor, daß sie ebenso wie ihre Verwandten herdenweise eintreffen, auf dem Lande in Familien von sechs bis zwanzig, regelmäßiger zehn bis funfzehn, sich sondern, oft zwar mit ihresgleichen auf einem und demselben Eilande oder felsigem Landungsplatze überhaupt sich vereinigen, demungeachtet aber nicht mit anderen Familien sich vermischen. Zahlreichere Trupps als oben angegeben, werden selten bemerkt, scharen sich auch wohl nur dann, wenn das alte überwachende Männchen getödtet und noch nicht durch ein anderes ersetzt worden ist. So lange sie auf dem Lande verweilen, bekunden sie die größte Abneigung, ohne dringende Veranlassung das Meer wieder aufzusuchen: Abbott vermochte nicht einmal durch Steine, welche er von der Höhe einer der Falklandsinseln herabrollte, sie zum Verlassen ihrer Plätze zu bewegen. Wurde ein Männchen aus der Herde von einem solchen Steine getroffen, so brüllte es zwar laut auf, begann auch wohl Streit mit einem Gefährten, in der Meinung, daß dieser die Störung verursacht habe, oder verschlang, wenn es möglich war, einfach den betreffenden Stein, rührte sich im übrigen aber nicht von der Stelle. Nach Lecomte's Beobachtungen wählen sie sich zu ihren bevorzugten Landungsplätzen in das Meer hinausragende Vorgebirge oder noch lieber Landengen zwischen größeren Inseltheilen. Eins der alten Männchen erwirbt sich auch unter ihnen die unbedingte Herrschaft und übernimmt dann die Sorge um die Sicherheit der unterjochten Herde. Anscheinend ebenso unbehülflich, in That und Wahrheit aber ebenso geschickt wie die Verwandten, erklimmt es mit Leichtigkeit steile und hohe Felsen, welche ihm weite Umschau gewähren, erhebt bei dem geringsten Geräusche sein Haupt, sichert, wittert und läßt, sowie es etwas verdächtiges wahrnimmt, ein grunzendes Gebrüll vernehmen, welches alle übrigen augenblicklich aus ihrer träumerischen Ruhe aufschreckt und erforderlichen Falles ins Wasser scheucht.

Das tägliche Leben verläuft sehr gleichförmig; denn es theilt sich zwischen Schlafen und Nahrungsuchen. Möglichst bequem hingelagert, geben sich alle Mähnenrobben einem träumerischen Halbschlummer hin, und zwar ebensowohl während des Tages als während der Nacht, da sie nur die Flutzeit zum Fischen zu verwenden scheinen. Von größeren Inseln aus schwimmen sie zu diesem Zwecke mit Vorliebe in die Nähe der Flußmündungen und verweilen hier oft stundenlang, eifrig tauchend und jagend. Ihre Nahrung besteht aus Fischen und Krebsthieren, welche sie, wenn sie im Fange glücklich waren, entweder über oder unter dem Wasser verschlingen. Lecomte glaubt, daß sie niemals trinken, und begründet diese Meinung auf die von ihm gemachte Erfahrung, nach welcher eine von ihm gefangen gehaltene Mähnenrobbe während eines ganzen Jahres keine andere als die ihr gereichten Fischen anhängende Flüssigkeit erhielt. Seehunde schlürfen nach den Beobachtungen dieses erfahrenen Mannes in langen Zügen Wasser ein, Ohrenrobben aber thun dies nie. Wie die Verwandten verschlingen auch die Mähnenrobben stets größere oder kleinere Steine, und zwar in verschiedener Menge; denn man hat bei einzelnen im Magen nur wenige, bei [612] anderen deren mehrere Kilogramm gefunden. Nach der allgemein verbreiteten Meinung der Schiffer benutzen die Thiere die Steine einzig und allein als Ballast.

Die Stimme der alten und jungen Mähnenrobben ist sehr verschieden. Alte Männchen lassen gewöhnlich nur ein eben nicht lautes Gebrumm vernehmen, steigern ihre Stimme aber bei Erregung, zumal während der Fortpflanzungszeit, zu einem kräftigen, abgebrochenen Gebrüll; die Jungen blöken wie Schafe.

Nach Lecomte's Wahrnehmungen währt die Fortpflanzungszeit kaum länger als einen Monat; denn sie beginnt nicht vor Ende Februar und dauert nur bis zu Ende des März. Nach Art anderer Robben kämpfen die Männchen mit heftiger Wuth um die Weibchen, und die tapfersten von ihnen sehen infolge dessen ebenso zersetzt aus wie ihre nördlichen Verwandten. Während der Kampfzeit verlieren sie ihr furchtsames Wesen oft gänzlich und stellen sich unter Umständen auch dem Menschen zur Wehre, wogegen sie vor diesem sonst regelmäßig die Flucht ergreifen. Wird ein Männchen von einem anderen entschieden besiegt, so lebt es eine Zeitlang als Einsiedler und sucht sich oft tief im Lande einen Lagerplatz. Die Weibchen sehen dem Streite zwischen zwei alten Recken anscheinend gleichgültig zu, ohne ihrerseits jemals in denselben einzugreifen, bleiben auch immer ängstlich und scheu. Nachdem ein Männchen die unbedingte Oberherrschaft über eine Anzahl von Weibchen erworben, läßt es sich unter Umständen herbei, mit letzteren im Wasser zu spielen und zu kosen, soll sich jedoch nur auf dem Lande paaren. Nach etwa zehnmonatlicher Tragzeit, auf den Falklandsinseln etwa um Weihnachten, also im Hochsommer der südlichen Breiten, bringt das Weibchen sein einziges Junges zur Welt. Zum Wochenbette wählt es sich eine passende Stelle des Strandes, von welcher aus es die See leicht erreichen kann; doch geht das Junge in den ersten Tagen seines Lebens niemals in das Wasser. Neugeborene Mähnenrobben sind ebenso formlose, fette und plumpe Geschöpfe wie junge Hunde, auch nicht minder spiellustig als diese; denn wenn sie erst einmal ihre Scheu vor dem Wasser überwunden haben, suchen sie in Gemeinschaft mit anderen ihres Alters gern die von der Flut gefüllten Lachen am Strande auf und tummeln sich in ihnen nach Herzenslust umher. Nachdem sie ungefähr drei Monate lang gesaugt haben, werden sie von der Mutter entwöhnt und gezwungen, für sich selbst zu sorgen, und führen nunmehr genau dieselbe Lebensweise wie ihre Erzeuger.

Auf den Falklandsinseln werden die Mähnenrobben zwar ebenfalls gejagt, aber doch nicht in so schonungsloser Weise verfolgt wie ihre Verwandten. Dies begründet sich einzig und allein darauf, daß sie einen weit geringeren Nutzen abwerfen als jene. Sie liefern ein ziemlich werthloseres Fell und nur eine unbedeutende Menge von Speck, bezahlen daher kaum die Kosten, welche die von Europäern oder Weißen überhaupt betriebene Robbenschlägerei nothwendigerweise verursacht. Die Feuerländer dagegen betrachten auch sie als nützliche Jagdthiere und stellen ihnen daher wenigstens dann und wann mit einem gewissen Eifer nach.

Lecomte war überhaupt der erste, welcher eine lebende Mähnen- oder Ohrenrobbe nach Europa brachte. Der alte Seemann hatte als Robbenschläger die Thiere kennen und dabei so lieben gelernt, daß er wenigstens versuchen wollte, sie an die Gefangenschaft zu gewöhnen und womöglich zu zähmen. Zu seiner eigenen Ueberraschung gelang ihm beides weit besser, als er selbst geglaubt hatte. Anfänglich verlor er allerdings mehrere von den eingefangenen Stücken; einzelne aber blieben am Leben und wurden so außerordentlich zahm, daß sich bald ein wirkliches Freundschaftsverhältnis zwischen dem Pfleger und seinen Schutzbefohlenen herausbildete. Die Thiere lernten ihren Gebieter verstehen, erwiesen ihm eine außerordentliche Anhänglichkeit, gehorchten schließlich auf das Wort, und ließen sich daher leicht zu verschiedenen Kunststückchen abrichten, welche um so größere Bewunderung erregen mußten, je weniger man dem anscheinend so plumpen Geschöpfe die von ihm dabei entfaltete Beweglichkeit und Gelenkigkeit zutrauen mochte. Infolge der Theilnahme, welche unser Schiffer mit seiner gezähmten Mähnenrobbe überall erweckte, beschloß er, dieselbe in verschiedenen Städten zur Schau zu stellen, wurde aber leicht bewogen, sie an den Thiergarten in London [613] abzutreten und hier fernerhin zu pflegen. Man errichtete ein weites und tiefes Becken mit einem inselähnlichen Gemäuer in der Mitte, verband beides mit einem Stalle und gestattete Lecomte zur Unterhaltung der Besucher, nach Art der Thierbudenbesitzer, Schaustellungen zu geben. Mähnenrobbe und Pfleger gewannen bald die verdiente Anerkennung und zogen tausende von Besuchern in den Garten zu Regentpark. Ich selbst, obwohl eingenommen gegen alle derartigen Schaustellungen in Anstalten, welche in erster Reihe der Wissenschaft dienen sollen, wurde durch Lecomte, wenn auch nicht bekehrt, so doch im höchsten Grade gefesselt; denn ein ähnliches Verhältnis zwischen Mensch und Robbe hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. Welcher von beiden als das anziehendere Schaustück des Thiergartens gelten durfte, blieb zunächst für mich fraglich; jedenfalls aber erkannte ich sofort, daß die Mähnenrobbe ohne Lecomte nicht halb soviel Anziehungskraft ausüben könnte und würde, als sie im Verein mit dem Pfleger ausübte. Beide verstanden sich vollkommen; beide schienen die gleiche Zuneigung zu einander zu hegen; denn wenn man auch annehmen mußte, daß die Freundesliebe seitens der Robbe ernster gemeint war als von Seiten Lecomte's, erhielt dieser den Zuschauer doch stets in anmuthender Täuschung, und die Umarmungen, welche er seinem Pfleglinge zu theil werden ließ, schienen ebenso innig, die Küsse, welche er auf die rauhen Lippen des Seethieres drückte, ebenso heiß zu sein, als hätten sie einem geliebten Menschen gegolten. Die Mähnenrobbe that, was Lecomte mit kluger Berücksichtigung der Eigenthümlichkeiten und des Wesens des Thieres befahl. Es handelte sich bei der von beiden gegebenen Darstellung für das Thier einzig und allein darum, einen Bissen Futters zu gewinnen; seine Kunstleistung beschränkte sich also darauf, aus dem Wasser herauszugehen, das Land, beziehentlich den inselähnlichen Ruheplatz in der Mitte zu erreichen, über ein verhältnismäßig schmales Bret wegzurutschen, den Schoß des Pflegers zu erklimmen, von den Lippen des letzteren einen wirklich vorhandenen oder vorgespiegelten Bissen zu nehmen und schließlich mit jähem Satze in das Wasser zu springen, um ein in das Becken geworfenes Fischchen herauszuholen; die Art und Weise aber, wie dies geschah, fiel nicht allein dem Laien, sondern auch dem geschulten oder erfahrenen Naturforscher auf. Jede Bewegung des Thieres ist gänzlich verschieden von der eines Seehundes; denn die Mähnenrobbe oder, wie ich annehmen darf, jede Ohrenrobbe überhaupt, kriecht nicht in der weiter unten zu beschreibenden Weise der Seehunde mühselig auf dem Boden fort, sondern geht, auf ihre breiten Flossen sich stützend, in höchst absonderlicher Weise dahin. Während sie im Liegen und im Schwimmen fast genau dieselbe Haltung annimmt wie der Seehund, diesen auch in der Fertigkeit, das Wasser zu beherrschen, in ihm blitzschnell fortzuschießen, sich zu drehen und zu wenden, kopfoberst oder kopfunterst auf- und niederzusteigen, über die Oberfläche sich zu erheben oder unter ihr zu versinken, kaum oder nicht überbietet, übertrifft sie ihn doch im Klettern wie im Gehen in außerordentlicher und höchst überraschender Weise. Um vom Wasser auf das erhöhte Land zu kommen, wirft sie sich, alle vier breiten Finnenfüße zu einem kräftigen Vorstoße gleichzeitig bewegend, förmlich springend über den Rand ihres Beckens weg, fällt aber nicht wie der Seehund auf den vorderen Theil der Brust, sondern auf die im Handtheile umgeknickten Flossen, wie ein Mensch auf die beiden inneren Handflächen sich stützend, schreitet, eine Flosse um die andere langsam ein wenig vorwärts setzend, hierauf aus, zieht den hinteren Theil ihres Leibes nach, hebt sich auch auf die in gleicher Weise wie die vorderen gestellten Hinterbeine und watschelt nun, diese wie jene kreuzweise bewegend, schneller, als man erwarten könnte, vorwärts, hält sich auf schmalen Kanten mit vollster Sicherheit fest, schmiegt ihre Flossen jeder Unebenheit des Bodens an und klettert so, ohne ersichtliche Anstrengung, an sehr steilen Flächen empor, gelangt sonach auch mit Leichtigkeit in den Schoß des auf einem Stuhle sitzenden Pflegers und ist im Stande, ihren ganzen Leib derart auf die Hinterfüße zu stützen, daß der vordere Theil eine viel größere Freiheit erlangt, als der Seehund jemals sie ausüben kann. Nur wenn sie auf ebenem Boden läuft, sieht sie des bei dieser Bewegung stark gekrümmten Rückens halber unschön, mindestens absonderlich aus; bei allen übrigen Bewegungen bilden die Umrisse ihres Leibes reich bewegte, angenehm ins Auge [614] fallende Linien. Sie vermag sich mit größter Leichtigkeit nach oben oder unten, nach der einen oder anderen Seite zu biegen und bethätigt dabei eine Gelenkigkeit der Wirbelsäule, wie man sie sonst bei keiner mir bekannten Robbe bemerkt. Ob ihre höheren Begabungen dem eben geschilderten entsprechen, ob sie auch in geistiger Beziehung andere Robben ebenso weit übertrifft wie in leiblicher, lasse ich unentschieden, muß aber sagen, daß sie in dieser Beziehung ebenfalls einen sehr günstigen Eindruck bei mir hinterlassen hat. Der Ausdruck des Gesichtes ist ein ebenso ansprechender wie der des Seehundes; das große, äußerlich wie innerlich sehr bewegliche Auge, dessen Stern nach den Beobachtungen Murie's einer außerordentlichen Erweiterung und Verengerung fähig ist, deutet, wenn man es als Spiegel der Seele anzusehen wagen darf, auf einen wohlentwickelten Verstand, und das Betragen des Thieres straft diesen Eindruck nicht Lügen. Ich habe sehr viele Seehunde und unter ihnen auch solche beobachtet, welche von Schaustellern ihrer großen Zahmheit wegen umhergeführt und gezeigt wurden, unter ihnen aller aber meines Erinnerns keinen einzigen kennen gelernt, welcher mit Lecomte's Mähnenrobbe hätte verglichen werden können. Diese war so zahm, wie es ein ursprünglich freigeborenes Säugethier überhaupt werden kann; ihr Wärter durfte mit ihr beginnen, was er wollte: sie ließ sich alles gefallen, nicht allein ohne den geringsten Widerstand entgegenzusetzen, sondern indem sie dabei ein in Erstaunen setzendes Verständnis für die Vornahmen ihres Gebieters an den Tag legte. In der Willigkeit, auf alle Wünsche ihres Freundes einzugehen, erinnerte sie viel mehr an einen wohlgezogenen Hund als an eine Robbe. Man konnte nicht in Zweifel bleiben, daß sie einzelne Worte oder Befehle ihres Pflegers vollkommen verstand und ihnen entsprechend handelte: sie antwortete auf eine Ansprache, näherte sich ihrem Gebieter, wenn sie gerufen wurde, und führte auch verschiedene andere Befehle vollkommen entsprechend aus, kletterte auf Anfordern dem Manne auf den Schoß, näherte ihre Lippen den seinigen, warf sich auf den Rücken, zeigte ihr Gebiß, ihre Vorder- und Hinterflossen usw., anscheinend ohne ihren Gebieter jemals mißzuverstehen. Alle diese »Arbeiten« führte sie unverdrossen zu jeder Tageszeit aus, obgleich es zuweilen vorkommen mochte, daß sie zehn- und mehrmals im Laufe des Tages genau dasselbe thun, also ihre behäbige Ruhe aufgeben mußte. Irgend ein leckerer Bissen, in den meisten Fällen ein Stückchen Fisch, stand ihr allerdings jedesmal in Aussicht; sie zeigte sich jedoch wohlgenährt und keineswegs hungerig, schien vielmehr das ihr gereichte Fischchen nur als eine Belohnung anzusehen, welche sich für geleistete Arbeit von selbst verstand. Lecomte's Begabung, mit dem Thiere umzugehen, war freilich ebenso überraschend wie die Leistung der Mähnenrobbe selbst. Er kannte seinen Pflegling genau, sah ihm etwaige Wünsche sozusagen an den Augen ab, behandelte ihn mit absichtlicher Zärtlichkeit, täuschte ihn nie und war ebenso bedacht, ihn niemals zu übermüden. So gewährten beide jedermann ein fesselndes Schauspiel, und die Mähnenrobbe wurde zu einem Zugstücke wie wenig andere Thiere des so reichen Gartens. Als das werthvolle Thier nach einer Reihe von Jahren starb, hatte es sich die Gunst der Besucher in so hohem Grade erworben, daß die Gesellschaft es für nöthig fand, Lecomte nach den Falklandsinseln zu senden, einzig und allein zu dem Zwecke, um andere Ohrenrobben derselben Art zu erwerben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 611-615.
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