Erste Familie: Ohrenrobben (Arctocephalina)

[594] »Eine äußerst breite und nicht minder staubige Straße«, so schreibt mir Finsch, »führt durch öde, spärlich bewachsene Dünen, deren Sand in fortwährender Bewegung ist und die Luft zuweilen nebelartig verhüllt, in etwa dreiviertel Stunden nach dem ›Klip penhause‹, einer hart am Felsgestade [594] des Stillen Weltmeeres belegenen Gastwirtschaft, welche einer der bevorzugten Ausflugsorte der Bewohner San Franciscos ist. Schon von fernher dröhnt das Rauschen der gewaltigen Brandung in das Ohr des dem Klippenhause sich nahenden Besuchers, zugleich aber auch ein absonderliches Gebell, welches sich verstärkt und vervielfältigt, je näher man kommt. Durch dieses Gebell geleitet, bemerkt man auf drei hohen kegelförmigen, kaum mehr als anderthalbhundert Schritte vom Ufer entfernten Klippen, deren unterer Theil hier und da senkrecht aus dem Meere aufsteigt und an denen die Brandung sich tosend bricht, reges Leben. Einige sechzig ungeheure Seethiere lagern auf den größeren abschüssigen Felsen der Klippe in Gruppen bis zu funfzehn Stück oder einzeln, in Spalten oder auf den schmalen Felsengesimsen behaglich hingestreckt, gleichsam beherrscht von einem oben auf der Spitze thronenden, unter dem Namen ›Ben Butler‹ allen Friscoern wohl bekannten mächtigen Bullen. Zuweilen erhebt dieser sein Haupt, bläht den dicken Hals gewaltig auf und läßt sein tiefes Bellen erschallen, in welches nicht allein die schwächeren, feineren und höheren Stimmen aller übrigen Genossen, sondern auch das heisere Kreischen der zahlreichen Möven oder das Krächzen der in langen Reihen auf den Felsgesimsen und einzelnen Klippen und Spitzen sitzen den Scharben sowie der dumpfe Baßton brauner Pelekane sich einmischt, deren Kothablagerungen gleich weiß getünchten langen Streifen von der dunkeln Felsenwand abstechen. Gefesselt durch das überraschende Schauspiel, beobachtet selbst der gleichgültigste Besucher längere Zeit die so verschiedenen Thiere und lernt dann zu seiner Verwunderung erkennen, wie die anscheinend so plumpen und ungelenken Riesen die höchsten Spitzen der Klippe erklimmen. Freilich geht dies langsam; doch wissen sie ihren langgestreckten Leib in eigenthümlich schlangenartiger Weise fort- und aufwärts zu winden, und das Hinaufklettern durch die seitlich ausgestreckten und ausgebreiteten Hinterbeine so zu unterstützen, daß sie ihr Ziel dennoch erreichen. Im Zustande der Ruhe ähneln die Thiere riesigen dunkeln Nacktschnecken, liegen jedoch im Schlafe zuweilen auch hundeartig zusammengerollt, die Schnauze dicht an den Bauch gelegt. Ist schon die Beweglichkeit der schweren Körpermasse auf dem Lande überraschend, so entfalten diese Robben dieselbe doch erst im Wasser vollständig. Oft sieht man sie in das Meer stürzen, indem sie sich einfach an der sanft absteigenden Felswand herabgleiten lassen, oder von einer höheren Zinne springend herabwerfen. Delfinartig treiben sie dann ihr Spiel in den Wellen, werfen sich blitzschnell herum, so daß der Bauch nach oben kommt, springen zuweilen förmlich aus dem Wasser heraus, spielen mit einander, verfolgen sich, tauchen unter, beugen sich in die Tiefe oder über den Wasserspiegel und geben sich den Anschein, als kämpften sie wüthend mit einander, obgleich in Wahrheit solche Kämpfe nichts anderes sein dürften als eitel Schein und Spielerei, ebenso wie die Beißereien auf dem Lande auch nicht viel auf sich haben. Erbost sperren zwei von ihnen den gewaltigen Rachen auf, brüllen sich furchtbar an, als ob der ernsteste Kampf eingeleitet werden sollte, legen sich aber bald darauf friedlich wieder neben einander nieder und beginnen vielleicht sogar gegenseitig sich zu lecken. Stundenlang kann man dem ewig wechselnden Schauspiele zusehen und immer wird man etwas neues beobachten und entdecken.

Ganz anders verhielten sich dieselben Thiere auf den Farrallonesinseln, den mächtigen Marksteinen an der Einfahrtstraße nach San Francisco, welche ich mit Kapitän Scammon an Bord des amerikanischen Kriegsschiffes Wyanda durchfuhr. An den südlichen, seltsam aufgebauten Felsgestaden gedachter Inseln sahen wir Herden von funfzig und mehr dieser Robben, welche sich indeß vorsorglich dahin zurückzogen, wo die Brandung am ärgsten toste. Hier lagen sie dicht gedrängt, vom weißen Schaume der Wellen überspritzt, unerreichbar als Jagdbeute, aber nicht für die Kugeln aus unserer Standbüchse. Trotz der bedeutenden Entfernung wurde ein Schuß unter die brüllende Schar gesandt, und eine zauberhafte Wirkung übte derselbe aus: denn fast gleichzeitig stürzte sich die gesammte Masse in das Meer, und in den nächsten Stunden war die ganze untere Fläche des Felsens wie abgekehrt. Erst viel später sahen wir mit Hülfe des Glases, wie die gestörten Robben ihre Ruheplätze wieder aufsuchten.

[595] Der auffallende Unterschied in dem Betragen dieser Thiere erklärt sich, wenn man weiß, daß sie hier, im Eingange der Bucht von San Francisco, vogelfrei sind, während sie an den Klippen des gedachten Wirtshauses unter dem Schutze des Staates stehen und weder geschossen noch gefangen werden dürfen. Sie erkennen diese Vorsorge wohl an und lassen es sich gern gefallen, ungestört von ihrem furchtbarsten Feinde und in behaglicher Ruhe ihr Treiben kundgebend, Neu- und Wißbegierigen zur Augenweide zu dienen.«

Die von meinem Freunde so malerisch geschilderten Robben sind Seelöwen, Angehörige einer besonderen Familie unserer Ordnung, der Ohrenrobben (Arctocephalina), welche von den übrigen Verwandten durch folgende Merkmale abweichen: das Gebiß besteht aus einem sehr großen reißzahnähnlichen und zwei kleineren inneren Schneidezähnen, einem Eckzahne und sechs oder fünf Backenzähnen in jedem Ober-, zwei Schneidezähnen, einem Eckzahne und fünf Backenzähnen in jedem Unterkiefer. Am Schädel ist der hintere Augenhöhlenfortsatz deutlich ausgebildet. Das äußere Ohr hat eine zwar kleine, aber wohl entwickelte Muschel. Die Glieder treten aus dem Leibe hervor und sind deutlich angesetzt, die Flossen groß, lappenartig über die Zehen verlängert, die Sohlen kahl und längsgefurcht, die Hinterzehen ziemlich gleichlang, die vorderen von innen nach außen an Größe abnehmend. Beide Geschlechter unterscheiden sich auffallend durch die Größe, indem die Männchen in der Regel mindestens die doppelte Länge und das drei- oder vierfache Gewicht der Weibchen erreichen.

Alle bis jetzt bekannten Arten dieser Familie ähneln sich in so hohem Grade, daß man sie, streng genommen, in einer einzigen Sippe vereinigen muß und diese höchstens in Untersippen zertrennen darf; alle führen auch im wesentlichen dieselbe Lebensweise. Vorwaltend dem Stillen oder Großen Weltmeere angehörig, leben sie ebensowohl an der eisumstarrten Küste der Behringsstraße wie auf der um den Südpol gelagerten Landfeste und ihren Inseln, in den gemäßigten Gürteln wie unter der scheitelrecht herabstrahlenden Sonne der Gleicherländer, dort mehr oder minder ausgedehnte Wanderungen unternehmend, hier jahraus jahrein dasselbe Gebiet bewohnend, an den meisten Orten unablässig und unerbittlich verfolgt, an einzelnen Stellen bereits vertrieben von dem habgierigen und grausamen Menschen, welcher sie, ihres Felles, Fleisches und Fettes halber, schon seit Jahrhunderten befehdet und zu tausenden schlachtet und vernichtet. Ihr Wesen und Gebaren, ihre Sitten und Gewohnheiten, ihr geselliges Leben, ihre Kämpfe während der Fortpflanzungszeit, die Gefahren und das Elend, welches der Mensch über sie verhängt, lehren uns die nachstehend beschriebenen Arten zur Genüge kennen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 594-596.
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