Seelöwe (Otaria Stelleri)

[596] Die Ohrenrobbe, welche uns Finsch geschildert hat, ist der Seelöwe der Matrosen (Otaria Stelleri, Phoca und Eumetopias Stelleri, E. californiana, Arctocephalus monteriensis), Vertreter der Untersippe der Löwenrobben (Eumetopias), eine uns schon seit Stellers Zeiten wohlbekannte Art der Familie, welche von den Schildkröteninseln an nach Norden hin bis zur Behringsstraße die amerikanische und von der Behringsstraße an bis zu den japanischen Gewässern die asiatische Küste des Stillen Weltmeeres und seiner Theile bevölkert und bis zu einem gewissen Grade mit dem geschäftigen Treiben des Europäers sich ausgesöhnt hat. An Größe hinter keinem seiner nächsten Verwandten zurückstehend, erreicht der männliche Seelöwe von der Nasenspitze bis zum Ende der hinteren Finne eine Länge von reichlich fünf Meter, bei einem Gewichte von fünfhundert Kilogramm und darüber, bleibt jedoch durchschnittlich hinter den angegebenen Maßen und diesem Gewichte merklich zurück. In seinem Leibesbau weicht er weniger von den Seehunden ab als andere Arten seiner Familie, läßt sich jedoch ebensowenig wie diese mit jenen verwechseln; denn auch abgesehen von der bezeichnenden Gestaltung der Beine und Füße, unterscheidet er sich sofort durch den gestreckten Kopf und Hals. Das Auge erscheint groß und ausdrucksvoll, aber nur, [596] wenn das Thier erregt wurde; das Ohr ist hohlwalzig, an der Wurzel in eine scharfe Spitze ausgezogen und mit kurzen, feinen Haaren bedeckt. Auf der Oberlippe stehen zwischen dreißig bis vierzig biegsame, weiße oder gelblichweiße Schnurrborsten, von denen einzelne bis fünfundvierzig Centimeter an Länge erreichen. Die Gliedmaßen, welche die dreifache Thätigkeit der Beine, Füße und Flossen vertreten müssen, aber trotz ihrer Entwickelung noch immer weit mehr für Bewegung im Wasser als für eine solche auf dem Lande sich eignen, sind größtentheils mit einer rauhkörnigen Haut bedeckt, während der Leib in ein nirgends sich verlängerndes, kurzes, hartes und glänzendes Haarkleid gehüllt ist. Die Färbung des alten Männchens ändert vielfach ab, da man auf demselben Felsen schwarze, nur hier und da, infolge weißer Haarspitzen, licht gesprenkelte, oder röthlichbraune, düstergraue und lichtgraue Stücke findet, auch wohl in einer und derselben Herde helle mit dunklen Füßen, dunkelgefleckte, graue mit dunklem Halse und hellem Kopfe bemerkt. Das alte Weibchen erreicht höchstens die Hälfte der Länge und kaum mehr als ein Fünftel des Gewichtes eines vollkommen erwachsenen Männchens, ist jedoch in der Regel gleichmäßiger und zwar gewöhnlich lichtbraun gefärbt. Die Jungen endlich tragen ein schieferfarbenes oder grauschwarzes Gewand, welches bei den Jährlingen in Nußbraun übergeht.

Da wir Steller die erste eingehende Lebensbeschreibung des Seelöwen verdanken, ist es recht und billig, seine Schilderungen den Mittheilungen neuerer Beobachter vorangehen zu lassen. »Obschon das löwenartige Thier gräßlich aussieht und bös und hitzig scheint, auch an Kräften den Meerbären weit übertrifft, dabei schwer zu überwinden ist und, wenn es in Noth kommt, aufs grausamste kämpft, endlich durch seine Löwengestalt die Augen und das Gemüth erschreckt, so fürchtet es sich doch dermaßen vor dem Menschen, daß es beim Anblick desselben sich schleunigst auf die Flucht macht und vom Lande ins Wasser eilt. Wenn es mit einem Stocke oder mit Geschrei aufgeschreckt wird, so entsetzt es sich so sehr, daß es mit tiefem Seufzen entläuft und auf der Flucht beständig fällt, weil es vor Zittern und allzu großer Angst seiner Glieder nicht mächtig ist. Treibt man es aber so sehr in die Enge, daß es nicht mehr entfliehen kann, so geht es gerade auf den Verfolger los, wirft vor Zorn den Kopf hin und her, brummt, brüllt und jagt auch den herzhaftesten Menschen in die Flucht. Die Probe hätte mich beinahe selbst ins Verderben gebracht. Daher wird es von dem Kamtschadalen nie im Meere verfolgt, weil es die Kähne umstößt und die Schiffer aufs grausamste umbringt. Auch wagt man nicht, es auf dem festen Lande anzugreifen, sondern überfällt es hinterlistigerweise. Wenn es schläft, kriecht einer, der sich auf seine Kräfte und Füße verlassen kann, stillschweigend unter dem Winde mit einem eisernen oder knöchernen Spieße heran, welcher von der Stange abgeht, und stößt diesen durch einen Vorderfuß. Seine Kameraden halten den Riemen, welcher aus dem Felle eines solchen Thieres gemacht ist, fest und wickeln ihn um einen Stein oder Pfahl. Will das verwundete und erwachte Thier entfliehen, so schießen andere mit Pfeilen oder Spießen darauf los und schlagen es zuletzt mit Keulen todt. Treffen sie es auf einem einsamen Flosse, so schießen sie es mit giftigen Pfeilen. Es kommt sodann aus dem Meerwasser, welches seinen Schmerz vermehrt, ans Land und wird nun getödtet oder stirbt von selbst innerhalb vierundzwanzig Stunden. Wer es wagt, dieses Thier zu tödten, steht bei den anderen in großem Ansehen, und viele gehen nicht bloß wegen des schmackhaften Fleisches, sondern aus Ruhmsucht auf diese gefährliche Jagd. Sie wagen sich oft mit ihren elenden Kähnen von Baumrinde oder Thierhäuten auf vier bis fünf Meilen entfernte Inseln und laden zwei bis drei Thiere hinein, daß der Rand oft kaum über das Wasser hervorsteht; sie würden sich aber schämen, aus Angst vor dem Tode es zurückzulassen. Fett und Fleisch sind überaus schmackhaft, besonders von den Jungen. Die aus den Füßen gewonnene Gallerte ist ein Leckerbissen.

Einem Männchen folgen drei bis vier Weibchen. In den Monaten August, September und Juli werfen sie. Die Männchen begegnen den Weibchen viel sanfter als bei den Bärenrobben und erwiedern deren Schmeicheleien; beide aber sorgen nicht sehr für ihre Jungen, und ich habe oft gesehen, daß Mütter dieselben im Schlafe todtgedrückt haben; auch machten sie sich nichts daraus, [597] wenn ich die Jungen vor den Augen der Eltern schlachtete und ihnen die Eingeweide vorwarf. Diese Jungen sind nicht so lebhaft und munter wie die jungen Bärenrobben, sondern schlafen fast beständig und treiben auch ihr Spiel nur schläferig. Gegen Abend begeben sich die Mütter mit ihnen ins Meer und schwimmen ruhig am Strande. Werden sie müde, so setzen sie sich der Mutter auf den Rücken und ruhen aus; diese wälzt sich aber wie ein Rad und wirft die trägen Jungen ab, um sie an das Schwimmen zu gewöhnen. Ich habe ganz jung geborene ins Meer geworfen, sie konnten aber nichts weniger als schwimmen, sondern schlugen das Wasser unordentlich mit den Finnen und suchten das Land zu gewinnen.

Obschon diese Thiere sich sehr vor dem Menschen fürchten, habe ich doch bemerkt, daß sie ihn gewohnt werden, wenn man oft und friedlich mit ihnen umgeht, besonders zu der Zeit, wo ihre Jungen noch nicht fertig schwimmen können. Ich habe mich einmal sechs Tage lang mitten unter einer Herde, jedoch auf einem erhöhten Orte in einer Hütte aufgehalten und ihre Lebensart sehr genau beobachtet. Sie lagen rings um mich her, sahen das Feuer an und gaben auf alles Acht, was ich machte. Sie entflohen auch nicht, obschon ich unter ihnen herumging, die Jungen ergriff, tödtete und die Beschreibung davon aufsetzte. Sie streiten auch heftig unter einander um den Ort und die Weibchen, ebenso hitzig wie die Bärenrobben und mit denselben Geberden. Eins, dem das Weibchen genommen war, stritt mit allen übrigen drei Tage lang und war durch mehr als hundert Wunden überall zerfleischt. Die Bärenrobben mengen sich nie in den Streit und sehen sich sogleich nach der Flucht um, wenn ein solcher entsteht; auch mit ihren Weibchen und Jungen lassen sie die Löwenrobben spielen, ohne sich zu mucksen. Sie vermeiden überhaupt ihre Gesellschaft so viel, als sie können.

Die Löwenrobben plärren wie die Ochsen, die Jungen blöken wie die Schafe. Es kam mir oft vor, als wäre ich der Hirt unter einer Viehherde, nach welchem sie sich richten müßte. Es gibt ihrer im Sommer und Winter auf diesen Inseln. Nichtsdestoweniger kommen im Frühlinge andere mit der Bärenrobbe zugleich an. Sie fressen Fische und gemeine Robben, wahrscheinlich auch Meerottern. Im Juni und Juli, wo sie auf der Insel ihre Jungen aufziehen, fressen sie fast gar nichts, werden sehr mager und schlafen beständig. Sie scheinen recht alt zu werden, denn sie bekommen endlich einen grauen Kopf.«

Anderweitige Mittheilungen haben wir durch Kotzebue und Wrangel, namentlich aber durch Scammon erhalten, welcher in seinem vortrefflichen Werke über die nordamerikanische Walfischerei den Seelöwen eingehend schildert. Unter den zahlreichen Seethierarten der nordamerikanischen Küste des Stillen Weltmeeres verdient, nach Scammons Ansicht, keines mehr unsere Theilnahme, als der Seelöwe; selbst der für einzelne Völkerschaften so werthvolle Seebär steht hinter ihm zurück. Während dieser nur zeitweilig auf einsamen Inseln sich zeigt, bewohnt der Seelöwe alle Theile der Küste, auch diejenigen, welche bereits dicht bevölkert sind, tritt in tiefe Buchten und selbst in Flüsse ein, treibt sich manchmal zwischen den Schiffen umher und schlägt gar nicht selten auf einem vorspringenden Felseneilande in unmittelbarer Nähe der belebten Küste seinen ständigen Wohnsitz auf. Seine Sitten und Gewohnheiten sind in vieler Hinsicht eigenthümlich und überraschend, wie schon daraus hervorgeht, daß er nicht allein in hohen Breiten, sondern auch in den Gleicherländern lebt.

Bei Annäherung an eine Insel oder eine Felsenklippe, welche eine zahlreiche Herde von Seelöwen in Besitz genommen hat, tönt einem zuerst ein langes klägliches Geheul entgegen, welches den Eindruck macht, als ob die Thiere ein Zeichen der Noth geben wollten; erst wenn man in unmittelbare Nähe gelangt ist, vernimmt man, daß die jetzt betäubenden Laute sehr verschiedener Art sind. Das dröhnende Gebrüll der Männchen übertönt das Tosen der schwersten Brandung; das heisere Krächzen der Jungen beiderlei Geschlechtes klingt bellend und blökend dazwischen, und der gemeinschaftlich hervorgerufene Lärm läßt jede Beschreibung hinter sich. Anscheinend voller Wuth und Trotz blickt dem Ankommenden eine Rotte dieser Thiere entgegen; bald aber werden sie [598] unruhig, und wenn man sich nicht widersetzt, rollt, gleitet und taumelt die ganze Menge durch einander, unter Umständen von überragenden Felsen aus lebensgefährliche Sprünge wagend, um ihre Flucht zu beschleunigen. Gesellig, wie alle übrigen Robben, vereinigen sich die Seelöwen in größter Anzahl doch nur während der Paarungszeit, welche je nach den verschiedenen Breitengraden früher oder später, an der kalifornischen Küste beispielsweise zwischen die Monate Mai und August, an der Küste von Alaska dagegen zwischen den Juni und Oktober fällt. In dieser Zeit bringen die Weibchen ihre Jungen zur Welt und erziehen sie gemeinschaftlich mit den Männchen, welche letztere in der Sorge um die Kleinen mit jenen sich vereinigen, sie bewachen und durch ihr Vorbild sie belehren, wie sie sich auf dem so verschieden gestalteten, bald zerklüfteten und felsenstarrenden, bald schlammigen, bald sandigen Küstensaume zu benehmen, oder wie sie tauchend und schwimmend den brandenden Wogen zu widerstehen haben. Anfänglich bekunden die Jungen entschiedene Abneigung gegen das Wasser; bald aber tummeln sie sich spielend in diesem Elemente, und wenn die Landzeit vorüber ist, sind sie so vollkommen eingewöhnt, daß sie mit den Alten verschwinden und den übrigen Theil des Jahres auf hohem Meere zubringen können. Höchstens einige wenige von der zahlreichen Herde bleiben auf dem beliebten Platze zurück und behaupten denselben beständig. Während der Fortpflanzungszeit nehmen, wie auch Scammon bestätigt, die Seelöwen, insbesondere die Männchen, wenig oder gar keine Nahrung zu sich; nur die Weibchen verlassen zuweilen ihre Lagerstätte und ziehen zur Jagd aus, wagen jedoch nicht, weit von ihren Jungen sich zu entfernen. Daß der Seelöwe lange Zeit ohne jegliche Nahrung leben kann, ist unzweifelhaft; denn an Gefangenen hat man beobachtet, daß sie während eines ganzen Monats nicht einen Bissen zu sich nahmen und trotzdem nicht die geringste Unbehaglichkeit zu erkennen gaben.

Im Anfange ihrer alljährlichen Versammlungen zeigen sich die zu den bestimmten Lagerplätzen zurückkehrenden oder neu ankommenden Seelöwen wild und scheu; wenn sich aber auch die Weibchen am Strande, auf den Klippen und Felsen eingefunden haben, geberden sie sich anders: denn nunmehr beginnen die Kämpfe der Männchen um die Herrschaft über die Weibchen. Diese Kämpfe dauern oft tagelang und werden nicht früher beendigt, als bis einer von beiden Recken vollkommen erschöpft ist, entbrennen auch sofort wieder, sobald er sich neue Kräfte gesammelt hat. Erst wenn beide gleichmäßig geschwächt sind, wenn der eine von dem Kampfplatze flüchten mußte, oder wenn beide durch einen dritten, mit frischen Kräften über sie herfallenden vertrieben wurden, endet der Streit und Hader; denn der endgültig besiegte schleicht sich bekümmert nach einem entlegenen Platze. In der Regel führt nur ein Männchen die Herrschaft über eine Herde; gleichwohl kann es vorkommen, daß man auch deren zwei auf einem und demselben Felsen findet, wobei es dann freilich ohne herausforderndes Gebrüll und kleine Kämpfe nicht abgeht. Als Scammon Ende Mai 1852 die Insel Santa Barbara besuchte, hatte er Gelegenheit, die Seelöwen während ihrer Landzeit sehr genau zu beobachten. Kurz nach seiner Ankunft füllten sich allmählich alle passenden Stellen der Klippen. Eine große Anzahl gewaltiger Männchen, von den Matrosen »Bullen« genannt, erschien und kündigte sich durch ein scharfes, häßliches Heulen an, trieb im Meere allerlei Künste, bethätigte hier die überraschendsten Fertigkeiten, tauchte oft in der stürmischsten Brandung, um einen Augenblick später auf den Kämmen der schäumenden Wellen zu erscheinen, watschelte dann mit ausgestrecktem Halse und erhobenem Kopfe auf das Land, erkletterte einzelne mit Seekräutern bedeckte Felsen, um in den sengenden Sonnenstrahlen sich zu recken, oder legte sich schlafend zwischen den Tangen nieder, so daß Haupt und Hals eben über den Wasserspiegel hervorragten. Mehrere Tage lang ging es ruhig zu; dann aber begannen die alten Bullen ihre Kämpfe um die Herrschaft der verschiedenen Herden, und bald darauf sah man überall die Opfer dieser blutigen Zusammenstöße: einzelne Männchen mit zerspaltenen Lippen, verstümmelten Gliedern, zerfetzten Seiten, andere mit ausgeflossenen, einzelne mit herausgerissenen Augen, welche mehr noch als jene einen gräßlichen Anblick boten. Je weiter die Landzeit vorrückte, um so mehr belebte sich die Insel. Der flache Strand, jeder Felsen, jede Klippe, wo nur eine Robbe Fuß fassen konnte, wurde als Schlafplatz erwählt. [599] Eine zahllose Herde alter Bullen erklomm die Gipfel, und ihr vereinigtes Geschrei wurde an ruhigen Tagen meilenweit in See vernommen. Auf der südlichen Seite der Insel springt zwischen den hohen und abschüssigen Felsen eine für Menschen kaum ersteigbare Klippe vor: sie hatte sich ein riesiger Seelöwe erwählt und behauptete sie wochenlang, bis die Landzeit vorüber war. In welcher Weise er aufstieg und wie er wieder in das Wasser zurückkehrte, blieb für die zahlreiche Schiffsgesellschaft ein geheimnisvolles Räthsel, obgleich »Altgrau«, wie die Matrosen ihn nannten, fortwährend sorgfältig beobachtet wurde. Freilich sind die Seelöwen fähig, unter Umständen Sprünge auszuführen, welche niemand für möglich halten möchte. So hatten sich auf einem mindestens achtzehn Meter senkrecht über die abschüssigen Strandklippen hervorragenden Felsen der Insel ungefähr zwanzig dieser auf dem Lande anscheinend so unbehülflichen Thiere ihren Lagerplatz erwählt und verlockten die Schiffsgesellschaft zu der Meinung, daß es leicht sein müsse, alle zu erbeuten, wenn man sie erschrecke und zwinge, in den Abgrund zu springen. Der bald festgestellte Jagdplan wurde ausgeführt und schien auch vollständig zu gelingen, da sich alle Seelöwen in die Tiefe stürzten. Als die Mannschaft aber hier anlangte, sah sie anstatt verstümmelter Leichname nur noch eins der Thiere, welches sich eben in das Meer warf.

So weit Scammon beobachten konnte, besteht zwischen den verschiedenen Geschlechtern geringe Neigung. Nur die Weibchen bekunden ihren Sprößlingen gegenüber eine gewisse Zärtlichkeit, obwohl sie niemals anstehen, dieselben flüchtig zu verlassen und sich in das Wasser zu retten, wenn sie auf dem Lande überrascht werden. Die Jungen ihrerseits sind die widerspenstigsten und unartigsten kleinen Geschöpfe, welche man sich denken kann, und bethätigen ihre Untugenden namentlich kurz nach dem Erwachen aus ihrem fast ununterbrochenen Schlafe. Oft sieht man, daß, wenn eine Mutter sich weigert, ihr Junges zu säugen, ein Schwarm von anderen um die Gunst sich streitet, dies thun zu dürfen. Nach bestimmter Versicherung der Eingeborenen der St. Paulsinsel säugt die Seelöwin ein männliches, niemals aber ein weibliches Junge noch im zweiten Jahre seines Lebens, was wohl nur in der so verschiedenen Größe der beiden Geschlechter seine Erklärung findet.

Mit dem Ende der Landungszeit, welche an der kalifornischen Küste etwa vier Monate währt, kehrt, wie erwähnt, die Mehrzahl der zahlreichen Herde, Männchen sowohl wie Weibchen, nach dem Meere zurück und durchschwimmt dasselbe jetzt jagend und fischend nach allen Richtungen, da immer nur wenige im Stande sind, in der Nähe der Küste genügend sich zu ernähren. Fische, Weich- und Krebsthiere sowie Wasservögel verschiedener Art bilden das tägliche Brod unserer Robben, welche jedoch niemals versäumen, einige Kiesel oder kleine Steine, einzelne bis zu fünfhundert Gramm an Gewicht, zu verschlingen. Unter den Seevögeln fallen ihnen im Süden die Pinguine, im Norden die Möven am häufigsten zur Beute, und sie gebrauchen eine besondere List, um sich der letzteren zu bemächtigen. Nach Scammons Beobachtungen tauchen sie angesichts einer Möve tief in das Wasser, schwimmen auf ein gut Stück unter den Wellen fort, erscheinen vorsichtig an einer anderen Stelle wieder an der Oberfläche, strecken jedoch nur die Nasenspitze aus dem Wasser heraus und bringen nun, wahrscheinlich mit Hülfe ihrer Schnurrhaare, das Wasser hier in eine drehende Bewegung, in der Absicht, die Aufmerksamkeit der fliegenden Möve auf sich zu lenken. Diese glaubt irgend ein Wasserthier zu sehen, stürzt sich herunter, um dasselbe zu fangen, und ist einen Augenblick später von dem Seelöwen gepackt und unter das Wasser gezogen, bald darauf auch zerrissen und verschlungen. Entsprechend seiner bedeutenden Größe, bedarf jedes einzelne dieser gewaltigen Thiere eine beträchtliche Menge von Nahrung, halbwegs erwachsene schon etwa zwanzig Kilogramm Fische täglich; es lassen sich also schon aus diesem außerordentlichen Nahrungsverbrauche die regelmäßigen Wanderungen der Seelöwen genügend erklären.

Noch vor wenigen Jahren wurden alljährlich allein an der Küste von Ober- und Unterkalifornien so viele Seelöwen erlegt, daß man tausende von Fässern mit dem aus ihrem Fette geschmolzenen Thrane füllen konnte. Die Anzahl der vernichteten Thiere steigt ins fabelhafte; denn man muß bedenken, daß es zu den Seltenheiten gehört, wenn während einer Jagd so große Seelöwen [600] erlegt werden, daß das Fett von dreien oder vieren genügt, um ein Faß mit Thran zu füllen. Infolge der sehr merklichen Abnahme des gewinnbringenden Geschöpfes erlegt man gegenwärtig hauptsächlich Männchen, und zwar meist mit dem Feuergewehre, seltener mit Keule und Lanze. Da eine auf den plumpen Leib gerichtete Kugel in den meisten Fällen nur geringe Wirkung übt, schießt man stets nach dem Kopfe und nimmt das Ohr zum Zielpunkte. Mit Keule und Lanze betreibt man die Jagd da, wo die Beschaffenheit des Strandes gestattet, die Thiere landeinwärts zu treiben, was bei der Aengstlichkeit derselben in der Regel keinen Anstand hat. Im Süden von Santa Barbara befindet sich eine etwa dreißig Meter über dem Spiegel der See erhöhte Hochebene, welche nach dem Meere zu in eine überhängende Klippe ausläuft, durch eine enge Kehle aber verhältnismäßig leicht bestiegen werden kann und deshalb den Seelöwen als bevorzugter Schlafplatz dient. Mit Sonnenuntergang versammelten sich, während Scammons Aufenthalte, gewöhnlich funfzig bis hundert Männchen an dieser Stelle und verweilten hier bis zum Morgen. Sobald die Boote vom Schiffe herabgelassen wurden, glitten sie ohne Verzug in die Tiefe herab, warfen sich in das Meer und verweilten hier, bis sie sahen, daß die gefürchtete Mannschaft wieder auf dem Schiffe versammelt war. Wiederholt schon hatte man vergeblich versucht, sich ihrer zu bemächtigen; als aber eines Tages ein frischer Wind von der Klippe her gegen das Schiff wehte und ihnen die Witterung unmöglich machte, landete die Mannschaft in einer gewissen Entfernung von der Herde, schlich sich vorsichtig unter dem Winde an dieselbe heran und stürzte sich plötzlich lärmend und schreiend, Gewehre, Keulen und Lanzen schwingend, auf die überraschten Thiere. Starrenden Auges und mit heraushängender Zunge, überwältigt von Bangigkeit, verweilten dieselben lange Zeit bewegungslos, bis endlich die ältesten Männchen die Reihe ihrer Todfeinde zu durchbrechen versuchten. Sie bezahlten ihre Kühnheit mit dem Leben, noch ehe sie das Wasser erreichten, und die Mannschaft rückte hierauf langsam gegen die Herde vor, welche ebenso langsam sich zurückzog. Ein derartiger Angriff, welcher in der Sprache der Matrosen »Robbenwenden« genannt wird, führt gemeiniglich zum Ziele, weil die entmuthigten Thiere fast immer alle Hoffnung auf Entkommen zu verlieren und sich in ihr Schicksal zu ergeben scheinen. Die in Rede stehende Herde zählte fünfundsiebzig Stück, welche, nachdem man die größten niedergeschossen und die übrigen mit Lanzen und Keulen erlegt hatte, bald bis auf einen einzigen abgethan waren. An letzterem wollte man erproben, ob er sich widerstandslos weiter treiben ließe. Genöthigt von seinen grausamen Verfolgern, bewegte sich das arme Geschöpf, so gut es vermochte, über den dicht mit dornigem Gestrüpp bedeckten Grund, verletzte sich dabei vielfach an den Stacheln und hielt endlich Stand, die mit Dornen bespickten Finnen wie in Verzweiflung den Matrosen entgegenstreckend, als wolle es sie um Gnade und Barmherzigkeit bitten. Ein Keulenschlag auf das Haupt machte seinen Qualen ein Ende.

Unmittelbar nach einer solchen Schlächterei beraubt man die erlegten Seelöwen ihrer Schnurrborsten, häutet sie sodann ab und schält die dicke Fettlage, welche sich zwischen Fell und Muskel befindet, ab, um sie später auf dem Schiffe in viereckige kleine Stückchen zu zerschneiden und auszukochen. Das Fell wurde in früheren Zeiten einfach weggeworfen, bis man fand, daß es zur Leimbereitung tauglich ist und verhältnismäßig ebenso großen Gewinn abwirft wie das Fett.

Während der Europäer den Seelöwen seines Fettes und seiner Haut halber erlegt, versorgt sich der Bewohner Alaskas und der Aleuten durch die Jagd dieses Seethieres mit den unentbehrlichsten Gegenständen seines Haushaltes. Der hauptsächlichste Landungsplatz der Seelöwen auf der St. Paulsinsel befindet sich auf der nordöstlichsten Spitze derselben; zu diesem Platze ziehen die Eingeborenen während des Aufenthaltes der Thiere, um sie nach ihren Dörfern landeinwärts zu treiben. Letzteres geschieht mit ebensoviel Kunstfertigkeit als Beharrlichkeit. Erprobte Jäger stehlen sich nachts längs der Küste dahin, bis sie an eine Herde sich angeschlichen haben, wählen aus dieser sechs oder acht der größten Stücke aus und treiben sie langsam nach dem Inneren des Eilandes. In früheren Zeiten gebrauchte man hierzu eine an einer langen Stange befestigte leichte Fahne; gegenwärtig bedient man sich eines Regenschirmes, welcher bald ausgespannt, bald wieder zusammengezogen [601] wird und den Seelöwen einen so unüberwindlichen Schrecken einflößt, daß sie sich nach dem Willen der Leute lenken lassen. Nach und nach sondert man in dieser Weise mehr und mehr Schlachtopfer von den übrigen ab, sammelt allmählich eine größere Anzahl derselben an einer passend gelegenen Stelle, fern von der Küste, und treibt hierauf die ganze Herde langsam dem Schlachtplatze zu. Da die Ohrenrobben nur des Nachts sich treiben lassen, macht man über Tages Halt, und während ein Theil der Jäger sich beschäftigt, die Herde zusammenzuhalten und zu bewachen, liegt der andere schlafend unter Regenschirmen oder schnell aufgebauten einfachen Zelten, oder erquickt sich ein dritter an der schnell bereiteten Nahrung. Regenwetter begünstigt den Trieb, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es das Gras näßt und die gleitende Fortbewegung der Robben erleichtert; trockene Witterung hingegen verzögert die Reise ungemein. Aber auch unter den günstigsten Verhältnissen legt man täglich kaum mehr als sechs englische Meilen zurück. Endlich am Schlachtplatze angekommen, gönnt man den unglücklichen Geschöpfen noch einen Tag, damit sie sich, wie man sagt, das Blut kühlen, fällt dann plötzlich über sie her und schießt einem nach dem anderen die erlösende Kugel durch den Kopf. Die Leichname werden nun zuerst abgehäutet, und die Häute schichtenweise übereinander gelegt, damit sie bis zu einem gewissen Grade faulen und später leichter enthaart werden können; das Fett wird aufbewahrt und größtentheils zur Feuerung, der Thran als Brennstoff benutzt, das Fleisch in Stücke geschnitten, an der Luft getrocknet und so für den Winter aufbewahrt, das Eingeweide sorgsam herausgenommen, gereinigt und gegessen, das Gedärm aber entleert, aufgeblasen und getrocknet, hierauf gegerbt und schließlich zu wasserdichten Kleidern verarbeitet, der Magen, nachdem er in derselben Weise behandelt worden ist, zur Aufnahme des geschmolzenen Thranes oder getrockneten Fleisches verwendet, so daß also von dem ganzen Thiere nichts übrig bleibt als das verstümmelte Gerippe.

An der Küste Sibiriens, Kamtschatkas und Sagalins betreibt man den Fang der Ohrenrobben wie den ihrer Verwandten wiederum in anderer Weise. Alle Buchten und Flüsse des nordasiatischen Küstenlandes wimmeln während der Monate Juni bis September von Lachsen, welche in dieser Zeit des Laichens halber aufsteigen, und ihnen folgen jagend die Robbenarten nach. Um letztere zu fangen, sperrt man gewisse Stellen der Ströme und Baien durch weitmaschige Netze, welche wohl den Fischen, nicht aber den Robben Durchgang gestatten. Diese verwickeln sich im Gemasche und ersticken entweder in der Tiefe des Flusses, oder werden von den herbeieilenden Fischern getödtet.

So bilden sich in den verschiedenen Gegenden des Verbreitungsgebietes unseres Thieres mancherlei Jagdweisen aus, um diese nutzvolle Ohrenrobbe zu erbeuten; keine einzige von allen aber würde sie ernstlich gefährden und ihren Bestand mit völliger Vernichtung bedrohen, thäte der habsüchtige Europäer auch in diesem Falle es nicht allen übrigen Völkerschaften zuvor.

Seelöwen halten sich ebenso leicht als andere Mitglieder ihrer Familie oder Seehunde überhaupt in Gefangenschaft, lassen sich in hohem Grade zähmen und bekunden, wenn sie jung erbeutet wurden, schließlich eine außerordentliche Zuneigung zu ihrem Wärter. Neuerdings sind mehrere Stücke selbst in europäische Thiergärten gelangt.


*


Wie den Seelöwen, hat man auch den Seebären zum Vertreter einer besonderen Untersippe (Callorhinus) erhoben, obgleich sich das Thier nur durch die etwas längeren Ohren und das mit reicher Unterwolle ausgestattete Fell, die der Nebenzacken entbehrenden Backenzähne und den hinten flachwinkelig ausgeschnittenen Gaumen von den Verwandten unterscheidet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 596-602.
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