Mähnenhirsch (Cervus Hippelaphus)

[152] Der Mähnenhirsch (Cervus Hippelaphus, C. Russa, bengalensis, maximus, unicolor, Russa Hippelaphus etc.) steht dem Edelhirsche kaum an Größe nach und wird in seiner Heimat wohl nur von dem Samburhirsche oder von dem auf den südwestasiatischen Gebirgen lebenden Wallichshirsche übertroffen. Die Leibeslänge des erwachsenen Hirsches beträgt reichlich 2 Meter, wovon 30 Centim. auf den Schwanz zu rechnen sind, die Höhe am Widerrist 1 Meter. Das Thier ist beträchtlich kleiner. Im allgemeinen besitzt der Mähnenhirsch die angegebenen Kennzeichen der Gruppe. Sein Leib ist gedrungen, kräftig und niedrig gestellt, weshalb die Läufe stämmiger erscheinen als bei dem Edelhirsche, der Hals stark und der Kopf verhältnismäßig sehr kurz, aber breit, das Gehör klein, außen dicht, innen nur spärlich mit Haaren bekleidet, das Auge groß, die Thränengrube unter ihm auffallend entwickelt. Das Geweih zeichnet sich durch seine sehr starken und deshalb kurz erscheinenden Stangen aus, sitzt dicht auf dem niedern Rosenstocke, biegt sich von der Wurzel an in einem sanften Bogen nach rückwärts und auswärts, steigt von der Mitte an gerade in die Höhe und wendet sich dann wieder etwas nach einwärts. Der Augensproß, welcher unmittelbar über dem Rosenstocke entspringt, ist stark und lang, vor-, auf- und mit der Spitze nach einwärts gekrümmt, der Gabelsproß zweigt sich ungefähr 30 Centim. über der Wurzel des Geweihes ab und richtet sich etwas nach vor-, auf- und auswärts. Stangen und Enden sind auf der Oberfläche gefurcht und geperlt. Die Behaarung ist verschieden, je nach der Jahreszeit. Bei ausgebildetem Geweih trägt der Hirsch ein Kleid aus groben, brüchigen und ziemlich dünn stehenden Haaren von einer schwer zu beschreibenden graulichbraunfahlen Färbung. Ueber den Rücken verläuft ein bald deutlich, bald undeutlich begrenzter dunklerer, d.h. bräunlicherer Streifen. Die Läufe sind an ihrer Vorderseite ungefähr von der Farbe des Rückens, seitlich und innen jedoch nicht unbedeutend lichter. Bezeichnend scheint mir nach meinen Beobachtungen ein schmales [152] lichtgraues oder weißes Band zu sein, welches sich hart an der Muffel zu beiden Seiten des Obergeäses herabzieht. Beide Geschlechter sind vollkommen gleich gefärbt und auch das Junge, welches geboren wird, während seine Eltern das beschriebene Kleid tragen, unterscheidet sich nicht durch die Färbung. Dies glaube ich umsomehr hervorheben zu müssen, als alle übrigen mir bekannten, nicht zu der in Rede stehenden Gruppe gehörigen echten Hirsche im Jugendkleide gefleckt sind, wogegen die gedachten Indier in einem Kleide zur Welt kommen, welches dem ihrer Eltern genau entspricht. Sehr bezeichnend für den Hirsch ist die ziemlich starke Mähne, welche am Unterhalse und Kinne sich entwickelt und deren Haare sich durch ihre Beschaffenheit kaum von den übrigen unterscheiden. Bald nach Abwerfen des Geweihes färbt sich der Hirsch und zu gleicher Zeit das Thier. Beide erscheinen dann dunkelgrau mit einem mehr oder weniger hervortretenden Anfluge ins Fahlbräunliche.

Soviel bis jetzt bekannt, findet sich der Mähnenhirsch vorzugsweise auf Java, Sumatra, Borneo und dem indischen Festlande. Diese Angabe soll jedoch keineswegs etwaige Irrthümer der Reisenden ausschließen, da es durchaus nicht unmöglich ist, daß der auf dem Festlande lebende Mähnenhirsch sich von dem die Inseln bewohnenden unterscheidet. Einige Forscher haben den Mähnenhirsch der Inseln, welcher kleiner als der vom Festlande sein soll, unter dem Namen Russa moluccensis getrennt; ihre Angaben sind aber so ungenügend, daß ich mit Bestimmtheit nicht zu sagen vermag, ob ich soeben die eine oder die andere Art beschrieb. Es wird gesagt, daß Borneo durch Vermittelung des Menschen mit dem Mähnenhirsche bevölkert worden sein soll: ein Sultan Soërianse habe ein Paar in den Graswildnissen bei Bulu Lampej freigelassen, und diese seien als Stammeltern aller jetzt vorkommenden anzusehen. Die Reisenden erwähnen, daß sich dieses Wild in sehr starke Trupps zusammenschlägt, welche mehr als Waldungen die offenen steppenartigen Ebenen bevorzugen. Auf Java bewohnt der Mähnenhirsch, hier Mendjangan oder Minjángan genannt, vornehmlich die Allangalang-Bestände, welche meilenweite ebene Flächen oder sanft geneigte Berggehänge überziehen, steigt jedoch immerhin bis zu 2000 Meter unbedingter Höhe im Gebirge empor und wählt dann die Vorwälder zu seinem Aufenthalte. Das Allangallanggras (Saccharum Koenigii) bildet, laut Junghuhn, auf allen Eilanden des indischen Inselmeeres trockene, einförmige Wildnisse, welche sich, ohne jede Abwechselung, trostlos nach allen Seiten ausbreiten. Von fern gesehen erscheinen sie als ein silberweißes, im Winde wogendes Grasmeer, in der Nähe betrachtet, als ein Dickicht, welches dem Wanderer bis an die Schultern oder bis an das Kinn reicht. Die scharfen Ränder und Spitzen der Grasblätter wehren dem Eindringlinge den Durchgang und überwölben selbst die schmalen Pfade, welche Thiere und Menschen getreten haben; das helle Licht blendet das Auge, die drückende Hitze macht die Luft über den Spitzen erzittern und flimmern und belästigt das Gefühl. Nur spärlich eingestreute Inseln anderer Pflanzen und kleine, hainartige Wäldchen gewähren Abwechselung. Dies ist das Reich der Streifenschweine (Sus vittatus) und unserer Hirsche sowie des Tigers, welcher beiden Thierarten als schlimmster Feind entgegentritt, nicht immer zum Schaden, meist sogar zum Nutzen des Menschen, in dessen Besitzthum sie von hier aus verwüstend einfallen; dies auch ist das ergiebigste Jagdgebiet der Großen des Landes. Die Schweine trifft man hier in unschätzbarer Menge, die Mähnenhirsche meist zwar nur in kleinen Rudeln, aber ebenfalls ungemein zahlreich an.

Ueber Lebensweise und Betragen der letztgenannten sind die Nachrichten überaus dürftig. Die alten Hirsche trennen sich nach der Brunst von den Trupps der Thiere und schweifen bis zur nächsten Brunstzeit einsiedlerisch umher, halten jedoch gewisse Beziehungen zu den Trupps fest, wandern mit diesen bei Beginn der trockenen Jahreszeit den stehenden Gewässern zu und ziehen, wenn die Regenzeit oder der Frühling eintritt, mit ihnen wieder in höher gelegene Gegenden. Während der größten Hitze des Tages liegen Hirsche und Thiere zwischen dem Grase und Schilfe oder im Dickichte der Gebüsche verborgen, vor Sonnenuntergang ziehen sie zur Suhle, und mit Einbruch des Abends auf Aesung aus. Das Wasser lieben sie ganz ungemein: dies kann [153] man auch an den Gefangenen beobachten, welche nach einem Schlammbade wahrhaft begierig sind. Ueber die Aesung mangeln mir bestimmte Angaben, wir dürfen aber von den Gefangenen schließen, daß die Nahrung im wesentlichen der Aesung unseres Edelwildes entspricht.

Die Bewegungen des Mähnenhirsches verdienen eine kurze Besprechung. Ueber den flüchtigen Hirsch vermag ich leider nicht zu urtheilen und muß also den Reisenden glauben, welche sagen, daß der Lauf sehr schnell und ausdauernd sei, und daß der gestreckte Galopp, welchen der flüchtige Hirsch annimmt, häufig durch kurze Sätze unterbrochen werde; dagegen kann ich über den ruhigen Schritt des Mähnenhirsches aus eigener Erfahrung sprechen. Die Gefangenen unserer Thiergärten zeichnen sich durch ihre Bewegungen vor sämmtlichen übrigen Hirschen aus. Kein mir bekannter Hirsch schreitet so würdevoll, so stolz dahin wie der Mähnenhirsch. Sein Gang gleicht durchaus dem angelernten Schritte, dem sogenannten spanischen Tritte, eines wohlunterrichteten Schulpferdes. Jede Bewegung von ihm ist dieselbe, welche ein Pferd unter gedachten Umständen ausführt. Man meint, der Hirsch wäre durchdrungen von dem Gefühle des Stolzes, welches er an den Tag zu legen scheint. Er hebt den Lauf bedächtig auf, streckt ihn ganz in der Weise des Schulpferdes vor und setzt ihn zierlich wieder auf den Boden, begleitet auch jeden Schritt mit einer entsprechenden Kopfbewegung. Demungeachtet bleibt man im Zweifel, ob dieses Gebaren Stolz oder Zorn ausdrücken soll; denn der würdevolle Gang wird regelmäßig mit einem verdächtigen Aufwerfen der Oberlippe begleitet, welches bei allen Hirschen ein Zeichen ihrer Wuth oder mindestens großer Erregtheit ist. Bemerken will ich noch, daß man namentlich bei dieser Art des Gehens auch von den Mähnenhirschen ein starkes Knistern vernimmt, ganz wie von dem Renthiere. Der Hirsch bewegt sich viel in der beschriebenen Weise und trabt nur selten schneller in seinem Gehege umher, das Thier hingegen führt scherzend oft Sprünge aus und zeigt sich dabei äußerst behend und gewandt. Ihm eigenthümlich ist, daß es bei dem Ansatze zu schnellerem Laufe den Kopf tief nach unten biegt und den Hals lang vorstreckt, auch wohl sonderbar schlängelnde Bewegungen mit dem Kopfe ausführt, bevor es flüchtig wird.

Im übrigen stimmen meine Beobachtungen an den gefangenen Thieren mit den Angaben der Reisenden überein. Die Sinne des Mähnenhirsches sind sehr ausgebildet, namentlich Gehör und Witterung vorzüglich scharf und das Geäuge ebenfalls wohl entwickelt. Zudem ist dieses Wild wachsam und vorsichtig. Es lernt seinen Pfleger bald kennen, ohne sich jedoch eigentlich mit ihm zu befreunden. Möglich ist, daß Mähnenhirsche, welche sehr früh in die Gefangenschaft geriethen, ebenso zahm werden als andere Hirsche; von denen, welche ich pflegte, kann ich dies jedoch nicht sagen, obgleich ich mir viele Mühe mit ihrer Zähmung gegeben habe.

Wenn wir von den gefangenen auf die freilebenden Mähnenhirsche schließen dürfen, haben wir unsere Wintermonate als die Brunstzeit zu bezeichnen. Die Mähnenhirsche in den Thiergärten werfen im Mai ihr Geweih ab und fegen im September. Am 20. November ließ einer meiner Gefangenen zum erstenmal seine Stimme vernehmen: ein sehr kurzes, dumpfes und leises Blöken. Von dieser Zeit an zeigte er sich sehr erregt, kampf- und zerstörungslustig wie die übrigen brünstigen Hirsche, namentlich aber erzürnt gegen den Wärter, mit dem er sonst auf bestem Fuße stand. Während der ganzen Zeit verbreitete er einen unausstehlichen bockartigen Geruch, welcher zuweilen so heftig wurde, daß er den Stall förmlich verpestete. Ausgang December bekundete auch das Thier durch ein leises Mahnen Sehnsucht nach dem Hirsche, und am 7. Januar erfolgte der Beschlag. Dasselbe Thier hatte am 18. Oktober ein Kalb geboren, und somit darf die Zeit, welche es hoch beschlagen geht, zu 81/2 Monaten angenommen werden. Das Kalb war vom ersten Tage an sehr munter und gedieh zu meiner besondern Freude zusehends. Seine Mutter bewachte und beschützte es mit ebensoviel Sorgfalt als Muth, bedrohte selbst den ihr wohlbekannten Wärter, dem sie sonst scheu aus dem Wege ging. Mit gesenktem Kopfe, erhobenem Wedel und weit auseinanderklaffenden Thränengruben, ging sie jedem Eindringlinge kühn zu Leibe und versuchte, ihn durch kräftige Schläge mit den Vorderläufen abzutreiben, wobei sie sich bemühte, das Kalb durch [154] ihren eigenen Leib zu decken. Dieses hatte nach etwa vier Monaten ungefähr die Hälfte der Größe seiner Mutter erreicht, besäugte sie aber bis in den sechsten Monat seines Lebens. An das Futter, welches dem Thiere gereicht wurde, ging es bereits in der dritten Woche.

Auf den großartigen Treibjagden der indischen Fürsten erlegt man oft viele hunderte von Mähnenhirschen, obgleich man nicht das Feuergewehr, sondern bloß Schwert und Speer anwendet, um sie zu fällen, oder die Schlinge gebraucht, um sie lebendig zu erbeuten. »Die Hirschjagden«, so schreibt mir Haßkarl, »werden auf Java zu Pferde betrieben. Reitertruppen stehen auf verschiedenen Stellen des Allangallangfeldes bereit, die im Waldesdunkel aufgejagten und durch eine geschlossene Reihe von oft mehr als hundert Büffeln nebst dazu gehöriger inländischer Mannschaft ins Freie getriebenen Hirsche und sonstiges Gewild zu empfangen, d.h. ihnen den Weg zu verlegen, sie, nachjagend, einzuholen und ihnen dann mittels des Seitengewehres das Rückgrat zu durchschlagen. In neuerer Zeit hat man anstatt dieser Metzelei das Fangen mit Hülfe einer an der Spitze der Lanze befindlichen Schlinge eingeführt. Rührend ist es anzusehen, wenn ein Altthier mit seinem Kalbe verfolgt wird. Fort und fort sucht es dieses zu decken und zu schützen und führt deshalb die wunderlichsten Kreuz- und Quersprünge aus, bis es endlich von ihm durch die Reiter abgeschnitten worden ist und nun mehr, allerdings oft zu spät, sein Heil in der Flucht suchen muß. Das Junge wird dann leichter gefangen«. Laut Junghuhn jagt man unsern Hirsch ausschließlich seines Wildprets halber, welches in dünnen Scheiben geschnitten, mit Salz eingerieben, an der Sonne getrocknet, dann Djendeng genannt und als die am meisten beliebte Zuspeise zu den auf der Tafel alter javanischen Häuptlinge niemals fehlenden Reisgerichten angesehen wird, aber auch auf der Tafel der Europäer als eine vorzügliche Speise gilt. Decke und Haut werden nicht benutzt.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 152-155.
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