Fünfte Familie: Schweine (Setigera)

[542] Die Borstenthiere oder Schweine (Setigera oder Suina) erscheinen, verglichen mit den schweren, massigen Gestalten ihrer Ordnung, als zierlich gebaute Dickhäuter. Ihr Rumpf ist seitlich zusammengedrückt, der Kopf fast kegelförmig mit vorn abgestumpfter Spitze, der Schwanz dünn, lang und geringelt, die lang gestreckte Schnauze vorn in eine Rüsselscheibe verbreitert, in welcher die Nasenlöcher liegen; die Ohren sind mäßig groß, gewöhnlich aufrechtstehend, die Augen schief geschlitzt und verhältnismäßig klein; die Beine schlank und dünn, ihre Zehen paarig gestellt, die mittleren, welche den Körper tragen, wesentlich größer als die äußeren. Ein mehr oder minder dichtes Borstenkleid umhüllt den Leib. Beim Weibchen liegen in zwei Reihen zahlreiche Zitzen am Bauche. Das Geripp zeigt zierliche und leichte Formen. Dreizehn bis vierzehn Wirbel tragen Rippen, fünf bis sechs sind rippenlos, vier bis sechs bilden das Kreuzbein, neun bis zwanzig den Schwanz. Am elften Wirbel sitzt das Zwerchfell. Die Rippen sind schmal und abgerundet. Bei sämmtlichen Schweinen sind alle drei Zahnarten in der oberen und unteren Reihe vorhanden. Die Anzahl der Schneidezähne schwankt zwischen zwei und drei in jeder Kieferhälfte; doch fallen im Alter nicht selten diese Zähne aus. Immer sind Eckzähne vorhanden und zwar von sehr bezeichnender Gestalt: dreikantig, stark, gekrümmt und nach oben gebogen. Die übrigen Zähne, deren Anzahl wechselt, sind einfach zusammengedrückt, die Mahlzähne breit und mit vielen Höckern besetzt. Unter den Muskeln fallen die auf, welche die Lippen bewegen; namentlich die der Oberlippe sind sehr stark und verleihen dem Rüssel Kraft zum Wühlen. Außerdem besitzen die Schweine bedeutend entwickelte Speicheldrüsen, einen rundlichen Magen mit großem Blindsack und einen Darmschlauch, welcher etwa zehnmal länger ist als der Leib des Thieres. Unter der Haut bildet sich bei reichlicher Nahrung eine Specklage, deren Dicke bis zu mehreren Centimetern ansteigen kann.

Mit Ausnahme von Neuholland bewohnen die Borstenthiere fast alle Länder der übrigen Erdtheile. Große feuchte, sumpfige Wälder in bergigen oder ebenen Gegenden, Dickichte, Gestrüppe, mit hohem Grase bedeckte, feuchte Flächen und Felder bilden ihren Aufenthalt. Alle lieben die Nähe des Wassers oder mit anderen Worten Sümpfe, Lachen und die Ufer der Flüsse und Seen, wühlen sich hier im Schlamme oder Moraste ein Lager aus und liegen in diesen, oft halb im Wasser, während der Zeit ihrer Ruhe; einzelne Arten suchen auch in großen Löchern unter Baumwurzeln Schutz. Die meisten sind gesellige Thiere; doch erreichen die Rudel, welche sie bilden, selten eine bedeutende Stärke. Ihre Lebensweise ist eine nächtliche; denn auch an Orten, wo sie keine Gefahr zu befürchten brauchen, beginnen sie erst mit Anbruch der Dämmerung ihr Treiben. Sie sind keineswegs so plump und unbeholfen als sie erscheinen, ihre Bewegungen vielmehr verhältnismäßig leicht. Ihr Gang ist ziemlich rasch, ihr Lauf schnell, ihr Galopp eine Reihe eigenthümlicher Sätze, von denen jeder mit einem ausdrucksvollen Grunzen begleitet wird. Alle schwimmen vortrefflich, setzen sogar über Meeresarme, um von einer Insel zu der anderen zu gelangen. Auch die Sinne der Schweine, namentlich Geruch und Gehör, sind gut ausgebildet: sie wittern und vernehmen ausgezeichnet. Das kleine und blöde Auge dagegen scheint nicht besonders scharf zu sehen, und Geschmack und Gefühl ebensowenig entwickelt zu sein. Vorsichtig und scheu, fliehen sie zwar in [542] der Regel vor jeder Gefahr, stellen sich aber, sobald sie bedrängt werden, tapfer zur Wehre, greifen sogar oft ohne alle Umstände ihre Gegner an.


Geripp des Wildschweins. ( Aus dem Berliner anatomischen Museum).
Geripp des Wildschweins. ( Aus dem Berliner anatomischen Museum).

Dabei suchen sie diese umzurennen und mit ihren scharfen Hauern zu verletzen, und sie verstehen diese furchtbaren Waffen mit so großem Geschick und so bedeutender Kraft zu gebrauchen, daß sie sehr gefährlich werden können. Alle Keuler vertheidigen ihre Bachen und diese ihre Frischlinge mit vieler Aufopferung. Ungelehrig und störrisch, erscheinen sie nicht zu höherer Zähmung geeignet, wie überhaupt ihre Eigenschaften nicht eben ansprechend genannt werden dürfen. Die Stimme ist ein sonderbares Grunzen, welches viel Behäbigkeit und Selbstzufriedenheit oder Gemüthlichkeit ausdrückt. Von alten Keulern vernimmt man auch ein tiefes Brummen.

Die Schweine sind Allesfresser in des Wortes vollster Bedeutung. Was nur irgend genießbar ist, erscheint ihnen recht. Wenige von ihnen ernähren sich ausschließlich von Pflanzenstoffen, Wurzeln, Kräutern, Feld- und Baumfrüchten, Zwiebeln, Pilzen usw., die übrigen verzehren nebenbei auch Kerbthiere und deren Larven, Schnecken, Würmer, Lurche, Mäuse, ja selbst Fische, und mit Vorliebe Aas. Ihre Gefräßigkeit ist so bekannt, daß darüber nichts gesagt zu werden braucht: in ihr gehen eigentlich alle übrigen Eigenschaften unter, mit alleiniger Ausnahme der beispiellosen Unreinlichkeit, welche ihnen die Mißachtung des Menschen eingetragen hat.

Nur bei den wenigsten Arten wirft die Bache ein einziges oder eine kleine Schar von Ferkeln; die übrigen bringen viele Junge zur Welt, zuweilen mehr als irgend ein anderes Säugethier, bis vierundzwanzig nämlich. Die Frischlinge sind allerliebste, luftige, bewegliche Geschöpfe, welche jedermann entzücken würden, wenn sie nicht die Unreinlichkeit der Alten vom ersten Tage ihres Lebens an zeigten. Sie wachsen überraschend schnell und sind bereits nach Jahresfrist fortpflanzungsfähig, weshalb auch alle ihnen besonders zusagenden Länder von ihnen wimmeln, und sie selbst da, wo sie in keiner Weise geschont werden, kaum ausgerottet werden können.

Ihre außerordentliche Vermehrungsfähigkeit und Gleichgültigkeit gegen veränderte Umstände eignen sie in hohem Grade für den Hausstand. Wenige Thiere lassen sich so leicht zähmen, wenige verwildern aber auch so leicht wieder wie sie. Ein junges Wildschwein gewöhnt sich ohne weiteres an die engste Gefangenschaft, an den schmutzigsten Stall, ein in diesem geborenes Hausschwein wird schon nach wenigen Jahren, welche es in der Freiheit verlebte, zu einem wilden und bösartigen Thiere, welches von seinen Ahnen kaum sich unterscheidet und in der Regel schon beim ersten Wurfe Junge bringt, welche echten Wildschweinen vollständig gleichen.

[543] Alle Wildschweine fügen dem gebildeten, ackerbautreibenden Menschen so großen Schaden zu, daß sie sich nicht mit dem Anbau des Bodens vertragen. Sie werden deshalb überall aufs eifrigste verfolgt, wo der Mensch zur Herrschaft gelangt. Ihre Jagd gilt als eins der edelsten Vergnügen und hat auch außerordentlich viel anziehendes, weil er sich hier um Geschöpfe handelt, welche ihr Leben unter Umständen sehr theuer zu verkaufen wissen.

Der Mensch ist übrigens nur in den nördlichen Gegenden der schlimmste Feind der wildlebenden Schweine. In den Ländern unterhalb der Wendekreise stellen die großen Katzen- und Hundearten den dort wohnenden Arten eifrig nach und richten oft arge Verwüstungen unter ihren Herden an. Füchse, kleinere Katzen und Raubvögel wagen sich bloß an Frischlinge und immer nur mit großer Vorsicht, weil, wie bemerkt, die Mutter ihre Kinderschar kräftig zu vertheidigen weiß.

Alle Schweine der Erde ähneln sich in ihrem Leibesbau und Wesen. Die geringen Unterschiede, welche sich feststellen lassen, beruhen auf der größeren Schlankheit oder Plumpheit des Baues, der Anzahl der Zähne und der Bildung der Hauzähne. Gray hat neuerdings eine Uebersicht aller im Britischen Museum vertretenen und ihm sonstwie bekannten Arten gegeben und sich berechtigt geglaubt, drei Familien, die der Schweine, der Nabelschweine und der Warzenschweine, aufstellen zu dürfen, obgleich diese Abtheilungen sich so nahe stehen, daß sie kaum als Unterfamilien anzusehen sind. Die Merkmale der ersten dieser Gruppen (Suina) sind: drei Schneidezähne, eine dreieckiger, nach oben gebogener Eckzahn, vier Lück- und drei Backenzähne in jeder Kieferhälfte, also im ganzen vierundvierzig Zähne, welche jedoch auch bis auf vierzig herabsinken können, längerer, selten fehlender Schwanz, vier Zehen an jedem Fuße und zehn, mindestens acht Zitzen am Bauche des Weibchens.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Dritter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Zweiter Band: Raubthiere, Kerfjäger, Nager, Zahnarme, Beutel- und Gabelthiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 542-544.
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