Brandmaus (Mus agrarius)

[360] Die Brandmaus (Mus agrarius, M. rubeus) wird 18 Centim. lang, der Schwanz mißt 8 Centim. Sie ist dreifarbig: die Oberseite des Körpers braunroth mit schwarzen Längsstreifen über den Rücken, die Unterseite nebst den Füßen scharf abgesetzt weiß. Der Schwanz hat ungefähr 120 Schuppenringe.

Alle diese Mäuse ähneln sich in ihrem Aufenthalte, ihrem Wesen und Betragen ungemein, obgleich die eine oder die andere ihr Eigenthümliches hat. In einem stimmen alle vier überein: sie zeigen, wenigstens zeitweilig, große Vorliebe für den Menschen.


Hausmaus (Mus Musculus). 3/4 natürl. Größe.
Hausmaus (Mus Musculus). 3/4 natürl. Größe.

Alle Arten, wenn auch die Hausmaus regelmäßiger als die übrigen, finden sich, zumal im Winter, häufig in den Häusern, vom Keller an bis zum Boden hinauf. Keine einzige ist ausschließlich an die Orte gebunden, auf welche ihr Name hindeutet: die Waldmaus lebt ebensowohl zeitweilig in der Scheuer oder im Hause wie auf dem Felde, und die Feldmaus ist ebensowenig allein aufs Feld beschränkt wie die Hausmaus auf die Wohnung des Menschen.

Die Hausmaus soll schon seit den ältesten Zeiten der treueste Genosse des Menschen gewesen sein. Bereits Aristoteles und Plinius thun ihrer Erwähnung, Albertus Magnus kennt sie genau. Gegenwärtig ist sie über die ganze Erde verbreitet. Sie wanderte mit dem Menschen und folgte ihm bis in den höchsten Norden und bis in die höchstgelegenen Alphütten. Wahrscheinlich gibt es gegenwärtig nur wenige Orte, wo sie fehlt, und jedenfalls hat man sie da bloß noch nicht beobachtet. Auf den Sundainseln z.B. soll sie nicht vorkommen. Ihre Aufenthaltsorte sind alle Theile der menschlichen Wohnungen. Auf dem Lande haust sie zeitweilig auch im Freien, d.h. im Garten oder in den nächsten Feldern und Wäldchen, in der Stadt beschränkt sie sich auf das Wohnhaus [360] und seine Nebengebäude. Hier bietet ihr jede Ritze, jede Höhle, mit einem Worte jeder Winkel, wo sie sich verstecken kann, genügendes Obdach, und von hier aus unternimmt sie ihre Streifzüge.

Mit größter Schnelligkeit rennt sie auf dem Boden dahin, klettert vortrefflich, springt ziemlich weit und hüpft oft längere Zeit nacheinander in kurzen Sätzen fort. An zahmen kann man beobachten, wie geschickt sie alle Bewegungen unternimmt. Läßt man sie auf einem schief aufwärts gespannten Bindfaden oder auf einem Stöckchen gehen, so schlingt sie, sobald sie zu fallen fürchtet, ihren Schwanz schnell um das Seil, nach Art der echten Wickelschwänzler, bringt sich wieder in das Gleichgewicht und läuft weiter; setzt man sie auf einen sehr biegsamen Halm, so klettert sie auf demselben bis zur Spitze empor, und wenn der Halm sich dann niederbiegt, hängt sie sich auf der unteren Seite an und steigt hier langsam herunter, ohne jemals in Verlegenheit zu kommen. Beim Klettern leistet ihr der Schwanz wesentliche Dienste: zahme Mäuse, denen man, um ihnen ein drolliges Aussehen zu geben, die Schwänze kurz geschnitten hatte, waren nicht mehr im Stande, es ihren beschwänzten Mitschwestern gleich zu thun. Ganz allerliebst sind auch die verschiedenen Stellungen, welche sie einnehmen kann. Schon wenn sie ruhig sitzt, macht sie einen ganz hübschen Eindruck; erhebt sie sich aber, nach Nagerart auf das Hintertheil sich stützend, und putzt und wäscht sie sich, dann ist sie geradezu ein bezauberndes Thierchen. Sie kann sich auf den Hinterbeinen aufrichten, wie ein Mensch, und sogar einige Schritte gehen. Dabei stützt sie sich nur dann und wann ein klein wenig mit dem Schwanze.


Brandmaus (Mus agrarius) und Waldmaus (Mus sylvaticus). 5/6 natürl. Größe.
Brandmaus (Mus agrarius) und Waldmaus (Mus sylvaticus). 5/6 natürl. Größe.

Das Schwimmen versteht sie auch, obwohl sie nur im höchsten Nothfalle in das Wasser geht. Wirft man sie in einen Teich oder Bach, so sieht man, daß sie fast mit der Schnelligkeit der Zwergmaus oder der Wasserratte, welche beide wir später kennen lernen werden, die Wellen durchschneidet und dem ersten trockenen Orte zustrebt, um an ihm empor zu klettern und das Land wieder zu gewinnen. Ihre Sinne sind vortrefflich: sie hört das feinste Geräusch, riecht scharf und auf weite Entfernungen, sieht auch gut, vielleicht noch besser bei Tage als bei Nacht. Ihr geistiges Wesen macht sie dem, welcher das Leben des Thieres zu [361] erkennen trachtet, zum wahren Lieblinge. Sie ist gutmüthig und harmlos und ähnelt nicht im geringsten ihren boshaften, tückischen und bissigen Verwandten, den Ratten; sie ist neugierig und untersucht alles mit der größten Sorgfalt; sie ist lustig und klug, merkt bald, wo sie geschont wird, und gewöhnt sich hier mit der Zeit so an den Menschen, daß sie vor seinen Augen hin- und herläuft und ihre Hausgeschäfte betreibt, als gäbe es gar keine Störung für sie. Im Käfige benimmt sie sich schon nach wenigen Tagen liebenswürdig; selbst alte Mäuse werden noch leidlich zahm, und jung eingefangene übertreffen wegen ihrer Gutmüthigkeit und Harmlosigkeit die meisten anderen Nager, welche man gefangen halten kann. Wohllautende Töne locken sie aus ihrem Verstecke hervor und lassen sie alle Furchtsamkeit vergessen. Sie erscheint bei hellem Tage in den Zimmern, in denen gespielt wird, und Räume, in denen regelmäßig Musik ertönt, werden zuletzt ihre Lieblingsaufenthaltsorte. In neuerer Zeit ist in verschiedenen Zeitschriften über sogenannte »Singmäuse« berichtet worden, und auch ich habe mehrere Zuschriften über denselben Gegenstand erhalten. Alle Berichte stimmen darin überein, daß hier und da und dann und wann Hausmäuse beobachtet werden, welche ihr natürliches Piepen und Zwitschern in einer an Vogelgesang erinnernden Weise vernehmen lassen. Das Ungewöhnliche der Beobachtung scheint die meisten Berichterstatter zu Vergleichen verleitet zu haben, welche schwerlich richtig sind. Einzelne sprechen mit Begeisterung von dem Gesange der Maus und stellen ihn dem Schlag des Kanarienvogels und selbst dem des Sprossers zur Seite; andere urtheilen nüchterner und wahrscheinlich richtiger. Lehrer Schacht, ein ebenso verläßlicher als kenntnisreicher Beobachter, pflegte längere Zeit eine solche Singmaus, welche ihren Gesang meist in der Dämmerung, oft auch erst in der Nacht ertönen ließ. Mit dem hellen Schlage eines Kanarienvogels oder mit dem tiefen Rollen eines Sprossers hatte derselbe nicht die geringste Aehnlichkeit. Es war nur »ein Gezwitscher, ein Mischmasch von ziehenden, surrenden und quietschenden Tönen«, welche man in der Stille der Nacht noch auf zwanzig Schritte vernehmen konnte. »Um einen Vergleich zwischen dem Gesange des Vierfüßlers und dem eines Vogels zu ziehen«, meint Schacht, »läßt sich sagen, daß das Gepräge der Weise die größte Aehnlichkeit mit den leisen Tönen einer jungen Klappergrasmücke hatte, welche im Nachsommer, tief im Gebüsch versteckt, ihr Liedchen einübt«. Der »Gesang« einer anderen vom Oberlehrer Dr. Müller beobachteten Singmaus bestand »aus auf einander folgenden weichen, pfeifenden Tönen, welche bald langsamer, bald lebhafter ausgestoßen wurden und in letzterem Falle deutlich an den Gesang eines Vogels erinnerten, nur daß sie wesentlich schwächer waren.« Letztere Singmaus wurde durch Musik angeregt und fing zuweilen auch am Tage an zu pfeifen, wenn sie Klänge eines im gegenüberliegenden Hause befindlichen Klaviers vernahm. Beide von mir erwähnten Singmäuse waren Männchen, und es scheint somit wenigstens nicht undenkbar, daß des Gesanges süße Gabe auch in diesem Falle vorzugsweise dem männlichen Geschlechte verliehen ist.

Alle angenehmen Eigenschaften unserer Hausgenossin werden leider durch ihre Lüsternheit und Genäschigkeit sehr beeinträchtigt. Man kann sich schwerlich ein naschhafteres Geschöpf denken als eine Hausmaus, welche über eine gut gespickte Speisekammer verfügen kann. Sie sucht sich sicher immer die besten Bissen aus und beweist dadurch auf das schlagendste, daß der Sinn des Geschmackes bei ihr vortrefflich entwickelt ist. Süßigkeiten aller Art, Milch, Fleischspeisen, Käse, Fette, Früchte, und Körner werden von ihr unbedingt bevorzugt, und wo sie die Wahl hat, kürt sie sich unter dem Guten immer das Beste. Die spitzen Nagezähne kommen hinzu, um sie verhaßt zu machen. Wo sie etwas Genießbares wittert, weiß sie sich einen Zugang zu verschaffen, und es kommt ihr eben nicht darauf an, eine oder mehrere Nächte angestrengt zu arbeiten und selbst feste, starke Thüren zu durchnagen. Findet sie viele Nahrung, welche ihr besonders mundet, so trägt sie sich auch noch einen Vorrath davon in ihre Schlupfwinkel und sammmelt mit der Hast eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze. »An Orten, wo sie wenig Störung erleidet«, sagt Fitzinger, »findet man zuweilen ganze Haufen von Wall- oder Haselnüssen bis zu einer halben Elle hoch in Winkeln aufgethürmt und so regelmäßig und zierlich fest aneinander geschlossen und [362] mit allerlei Abfällen von Papier oder Kleiderstoffen überdeckt, daß man hierin kaum ein Werk der Hausmaus vermuthen möchte.« Wasser trinkt sie, wenn sie andere saftige Stoffe haben kann, gar nicht und auch bei trockenem Futter nur selten, schlürft dagegen süße Getränke aller Art mit Wollust aus. Daß sie sich, wie die Waldmaus es zuweilen thut, auch über geistige Getränke hermacht, beweist eine Beobachtung, welche mir erst vor kurzem mitgetheilt wurde. »Etwa im Jahre 1843«, schreibt mir Förster Block, »wurde ich einmal beim Schreiben durch ein Geräusch gestört und erblickte eine Maus, welche an den glatten Füßen eines Tischchens emporkletterte. Bald war sie oben und suchte emsig nach den Brosamen, welche auf dem Frühstücksteller lagen. In der Mitte des Tellers stand ein ganz leichtes, glockenförmiges Schnapsgläschen, zur Hälfte mit Kümmel gefüllt. Mit einem Sprunge saß das Mäuschen oben auf dem Glase, bog sich vorn über, leckte eifrig und sprang sodann herunter, nahm aber noch eine Gabe von dem süßen Gifte zu sich. Durch ein Geräusch meinerseits gestört, sprang sie mit einem Satze vom Tische herab und verschwand hinter einem Glasschranke. Jetzt mochte der Geist über sie kommen; denn gleich darauf war sie wieder da und führte die spaßhaftesten Bewegungen aus, versuchte auch, obwohl vergeblich, den Tisch nochmals zu ersteigen. Ich stand auf und ging auf sie zu, behelligte sie aber nicht; ich holte eine Katze herbei, die Maus lief auf einen Augenblick davon, war aber gleich wieder da. Von meinem Arme herab sprang die Katze zu, und das trunkene Mäuschen hing an den Krallen ihrer Tatze.«

Der Schaden, welchen die Hausmaus durch Wegfressen verschiedener Speisevorräthe anrichtet, ist im ganzen gering; ihre hauptsächliche Schädlichkeit beruht in dem abscheulichen Zernagen werthvoller Gegenstände. In Bücher- und Naturaliensammlungen hausen die Mäuse auf die verderblichste Weise und können, wenn ihrer Zerstörungslust nicht mit allen Kräften Einhalt gethan wird, unschätzbaren Schaden anrichten. Es scheint, daß sie manchmal aus bloßem Uebermuthe etwas benagen, und soviel ist sicher, daß dies öfter geschieht, wenn sie durstig sind, als wenn sie immer zu trinken bekommen. Deshalb pflegt man ihr in Bibliotheken außer Körnern, welche man für sie aufspeichert, auch Gefäße mit Wasser hinzustellen, sie also geradezu zu speisen und zu tränken.

Die Hausmaus vermehrt sich außerordentlich stark. Sie wirft 22 bis 24 Tage nach der Paarung vier bis sechs, nicht selten aber auch acht Junge und in Jahresfrist sicherlich fünf bis sechsmal, so daß die unmittelbare Nachkommenschaft eines Jahres mindestens dreißig Köpfe beträgt. Eine weiße Maus, welche Struve in der Gefangenschaft hielt, warf am 17. Mai sechs, den 6. Juni sechs, den 3. Juli acht Junge. Sie wurde am 3. Juli vom Männchen getrennt und am 28. Juli wieder mit ihm zusammen gethan. Nun warf sie am 21. August wieder sechs Junge, am 1. Oktober ebenfalls sechs und am 24. Oktober fünf. Während des Winters ging sie gelte. Am 17. März kamen wieder zwei Junge zur Welt. Eins von den am 6. Juni geborenen Weibchen bekam die ersten Jungen, und zwar gleich vier, am 18. Juli. Die Mutter schlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht selten findet man das Nest in ausgehöhltem Brode, in Kohlrüben, Taschen, Todtenköpfen, ja selbst in Mausefallen. Gewöhnlich ist es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen sorgfältig zusammengeschleppt; doch kommt es auch vor, daß bloß Holzspäne oder selbst Nußschalen die Unterlage abgeben müssen. Die Jungen sind, wenn sie zur Welt kommen, außerordentlich klein und förmlich durchsichtig, wachsen aber rasch heran, bekommen zwischen dem siebenten und achten Tag Haare, öffnen aber erst am dreizehnten Tage die Augen. Nun bleiben sie nur noch ein paar Tage im Neste; dann gehen sie selbständig auf Nahrungserwerb aus. Die Alte behandelt sie mit großer Zärtlichkeit und gibt sich ihrethalben selbst Gefahren preis. Weinland erzählt ein rührendes Beispiel ihrer Mutterliebe. »In dem weichen Bette, welches eine Hausmaus ihren Jungen bereitet hatte, entdeckte man sie und ihre neun Kinder. Die Alte konnte entrinnen, aber sie macht keine Bewegung zur Flucht! Man schiebt die Jungen auf eine Schaufel [363] und die Alte mit ihnen, sie rührt sich nicht. Man trägt sie frei auf der Schaufel fort, mehrere Treppen hinunter, bis in den Hof, und sie harrt zu ihrem Verderben bei ihren Kindern aus.«

Der schlimmste aller Feinde der Hausmaus ist und bleibt die Katze. In alten Gebäuden hilft die Eule dem Vierfüßler treulich mit, und auf dem Lande leisten Iltis und Wiesel, Igel und Spitzmaus gute Dienste, bessere jedenfalls als Fallen aller Art.

Wald- und Feldmaus theilen die meisten Eigenschaften der Hausmaus. Erstgenannte ist, etwa mit Ausnahme der hochnordischen Gegenden, durch ganz Europa und Mittelasien verbreitet und steigt im Gebirge bis zu 2000 Meter über das Meer empor. Sie lebt in Wäldern, an Waldrändern, in Gärten, seltener auch in weiten, baumleeren Feldern und kommt im Winter gern in Häuser, Keller und Speisekammern, steigt aber bald möglichst nach oben hinauf und treibt sich in Bodenkammern und unter den Dächern umher. In ihren Bewegungen ist sie mindestens ebenso gewandt wie die Hausmaus, unterscheidet sich jedoch dadurch von ihr, daß sie meist in Bogensprüngen dahinhüpft, nach Art der Springmäuse mehrere Sätze nacheinander macht und erst dann ein wenig ruht. Nach Radde's Beobachtungen scheint der Gesichtssinn nicht besonders entwickelt zu sein; denn man kann sich ihr, vorsichtig vorwärts schreitend, bis auf etwa 60 Centim. nahen und sie ohne besondere Mühe tödten. Im Freien frißt sie Kerbthiere und Würmer, selbst kleine Vögel, oder Obst, Kirschkerne, Nüsse, Eicheln, Bucheckern und in der Noth wohl auch die Rinde junger Bäume. Sie trägt sich ebenfalls einen Wintervorrath ein, hält aber keinen Winterschlaf und nascht bloß an trüben Tagen von ihren aufgespeicherten Schätzen. »Als wir unsere Wohnung im Bureja-Gebirge vollendet hatten«, erzählt Radde, »stellte sich die Waldmaus für den Winter in großer Anzahl bei uns ein und spielte uns manchen Streich, indem sie selbst die Tische besuchte und Unfug auf ihnen trieb. Sie vermied die gelegten, vergifteten Talgpillen und hielt sich am meisten zu den Buchweizenvorräthen in unserem Speicher; auch war sie es, welche die Erbsen verschleppte und sich davon starke Vorräthe anlegte. Am Tage wurde sie nie angetroffen, in der Dämmerungsstunde aber war sie sehr lebhaft und ungemein dreist.« Auch bei uns zu Lande bringt sie im Hause oft empfindlichen Schaden und hat ganz eigene Gelüste: so dringt sie nachts in Käfige, tödtet Kanarienvögel, Lerchen, Finken. Häufchen von Leckerbissen, welche sie nicht gut wegschleppen kann, bedeckt sie mit Halmen, Papierstückchen und dergl. Von ihrem guten Geschmacke erzählt Lenz ein hübsches Beispiel. Eine seiner Schwestern hörte abends im Keller ein eigenes, singendes Piepen, suchte mit der Laterne und fand eine Waldmaus, welche neben einer Flasche Malaga saß, der hereinkommenden Dame freundlich und ohne Scheu ins Gesicht sah und sich in ihrem Gesange dabei gar nicht stören ließ. Die junge Dame ging fort, holte Hülfe, und es wurde mit Heeresmacht in den Keller gezogen; die Maus war mit ihrem Liedchen noch nicht fertig, blieb ruhig sitzen und war sehr verwundert, als sie mit einer eisernen Zange beim Schopfe gefaßt wurde. Bei weiterer Untersuchung fand sich nun, daß die Flasche etwas aus lief, und daß um den Fleck, wo die Tropfen herausliefen, ein ganzer Kranz von Mäusemist lag, woraus der Schluß gezogen wurde, daß die hier als Trunkenbold verhaftete Maus schon länger ihre Gelage gefeiert haben mochte.

Die Waldmaus wirft jährlich zwei oder dreimal vier bis sechs, seltener auch acht nackte Junge, welche ziemlich langsam wachsen und den schönen, rein rothgelben Anflug des Pelzes erst im zweiten Jahre erhalten.

Die Brandmaus ist auf einen geringeren Verbreitungskreis beschränkt als die verwandten Arten: sie lebt zwischen dem Rheine und Westsibirien, Nord-Holstein und der Lombardei. In Mitteldeutschland ist sie überall gemein, im Hochgebirge fehlt sie. Ihre Aufenthaltsorte sind Ackerfelder, Waldränder, lichte Gebüsche und im Winter die Getreidefeimen oder die Scheuern und Ställe. Beim Mähen des Getreides sieht man sie im Herbste scharenweise über die Stoppeln [364] flüchten. Pallas erzählt, daß sie in Sibirien zuweilen regellose Wanderungen anstellt. In ihren Bewegungen ist sie ungeschickter, in ihrem Wesen weit gutmüthiger oder dümmer als ihre Verwandten. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Getreide, Sämereien, Pflanzen, Knollen, Kerbthieren und Würmern. Sie trägt sich ebenfalls Vorräthe ein. Im Sommer wirft sie drei bis viermal zwischen vier und acht Junge, welche, wie die der Waldmaus, erst im folgenden Jahre vollständig ausgefärbt sind. Ueber ihre Fortpflanzung erzählt Lenz folgendes: »Vor nicht langer Zeit nahm ich ein Brandmausweibchen nebst seinen Jungen, welche eben zu sehen begannen, in die Stube, that die Familie ganz allein in ein wohl verwahrtes Behältnis und fütterte sie gut. Die Alte machte sich ein Nestchen und säugte darin ihre Jungen sehr eifrig. Funfzehn Tage nach dem, an welchem die Familie eingefangen und eingesperrt worden war, als eben die Jungen selbständig zu werden begannen, warf die Alte unvermuthet wieder sieben Junge, mußte sich also schon im Freien, nachdem sie die vorigen geheckt, wieder gepaart haben. Lustig war es mit anzusehen, wenn ich die alte Brandmaus, während sie die Jungen säugte, so störte, daß sie weglief. Die Jungen, welche gerade an ihren Zitzen hingen, blieben dann daran, sie mochte so schnell laufen, wie sie wollte, und sie kam mit der bedeutenden Last doch immer schnell vom Flecke. Ich habe auch im Freien Mäuse gesehen, welche ihre Jungen, wenn ich sie störte, so wegschafften.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 360-365.
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