Hüpfmaus (Jaculus hudsonius)

[328] Die Hüpfmaus (Jaculus hudsonius, Jaculus americanus und labradorius, Dipus hudsonius, canadensis und americanus, Mus labradorius und longipes, Gerbillus labradorius, Meriones hudsonius, labradorius, microcephalus, acadicus), aus Nordamerika, Vertreter einer eigenen Sippe oder Unterfamilie, nach Ansicht einzelner Forscher, Familie (Jaculina), mag die Reihe eröffnen. Sie schließt sich durch ihren Leibesbau altweltlichen Verwandten an, erinnert durch Gestaltung und Behaarung ihres Schwanzes aber auch noch an die Mäuse. In ihrer Größe kommt sie ungefähr mit der Waldmaus überein; ihre Leibeslänge beträgt etwa 8 Centim., die Schwanzlänge 13 Centim. Das Gebiß besteht aus achtzehn Zähnen, da im Oberkiefer jederseits vier, im Unterkiefer drei Backenzähne vorhanden sind, die oberen Nagezähne zeigen eine Längsfurche; unter den oberen Backenzähnen ist der vordere einwurzelige sehr klein, und nehmen die übrigen von vorn nach hinten an Länge ab. Der Leib ist gestreckt, nach hinten etwas dicker, der Hals mäßig lang und dick, der Kopf lang und schmal, die Schnauze mittellang [328] und zugespitzt, der Mund klein und zurückgestellt; die mäßiggroßen Ohren sind eiförmig gestaltet, hoch und schmal und an der Spitze abgerundet, die Augen ziemlich klein, die Schnurren mäßig, aber doch nicht von mehr als Kopfeslänge. Die kurzen, dünnen Vorderfüße haben vier Zehen und eine Daumenwarze, die wohl dreimal längeren, verhältnismäßig schmächtigen, nacktsoligen Hinterfüße dagegen fünf Zehen, von denen die beiden äußeren beträchtlich kürzer als die drei mittleren sind. Alle Zehen, mit Ausnahme der Daumenwarze an den Vorderfüßen, welche einen Plattnagel trägt, werden durch kurze, gekrümmte, schmale und zusammengedrückte Krallen bewehrt. Der sehr lange, runde Schwanz ist schon an der Wurzel dünn, verschmächtigt sich immer mehr und endet in eine feine Spitze, ist geringelt und geschuppt und nur spärlich mit kurzen Haaren bedeckt. Die glatte, anliegende und dichte Behaarung ist auf der Oberseite dunkelleberbraun mit braungelber Mischung, an den Seiten braungelb mit schwacher, schwarzer Sprenkelung, an der Unterseite weiß gefärbt. Zuweilen nimmt die bräunlichgelbe Färbung der Seiten einen ebensogroßen Raum ein wie die Rückenfarbe; im Winterkleide dagegen wird sie gänzlich verdrängt, und das Dunkelbraun des Rückens verbreitet sich bis zur Unterseite. Die Ohren sind schwarz und gelb, die Mundränder weiß, die Hinterfüße oben graulich, die Vorderfüße weißlich behaart.

Der höhere Norden von Amerika ist die Heimat der Hüpfmaus. Sie findet sich von Missouri an bis Labrador in allen Pelzgegenden und von der Küste des Atlantischen bis zum Gestade des Stillen Meeres. Hier lebt sie an dicht bebuschten Wiesenrändern und in der Nähe von Wäldern, bei Tage verborgen, bei Nacht gesellig umherschweifend. Ihre Höhlen sind ungefähr 52 Centim. tief, in der kältern Jahreszeit auch noch tiefer. Vor Beginn des Winters baut sie eine Hohlkugel aus Lehm, rollt sich in ihr zusammen, schlingt den Schwanz um den Leib und liegt hier in vollkommener Erstarrung bis zum Eintritte des Frühlings. Es wird erzählt, daß ein Gärtner im März in dem von ihm bearbeiteten Boden einen Klumpen von der Größe eines Spielballes fand, welcher durch seine regelmäßige Form die Verwunderung des Mannes erregte. Als er ihn mit dem Spaten in zwei Stücke zerschlug, fand er ein Thierchen darin zusammengerollt, fast wie ein Küchlein im Ei. Es war unsere Hüpfmaus, welche hier ihre Winterherberge aufgeschlagen hatte. Im Sommer ist diese außerordentlich hurtig und hüpft ungemein gewandt und schnell auf den Hinterbeinen umher. Davis konnte eine Hüpfmaus, welche in der Nachbarschaft von Quebek aus dem Walde in ein weites Feld gerathen war, erst in der Zeit von einer Stunde fangen, obschon ihm noch drei Männer jagen halfen. Sie machte Sprünge von ein bis anderthalb Meter Weite und ließ sich erst ergreifen, nachdem sie vollständig abgehetzt und ermattet war. Im Walde soll die Hüpfmaus gar nicht zu fangen sein. Sie setzt hier mit Leichtigkeit über niedere Büsche weg, über welche ein Mann nicht so leicht springen kann, und weiß dann immer ein sicheres Plätzchen zu finden. Audubon bezweifelt, daß es noch ein Säugethier gäbe, welches ihr an Gewandtheit gleichkomme.

Nach den Berichten desselben Forschers läßt sich das schmucke Thierchen ohne Beschwerde erhalten. »Ich besaß ein Weibchen«, sagt er, »vom Frühling bis zum Herbste. Wenige Tage nach seiner Einkerkerung warf es zwei Junge, welche prächtig gediehen und im Herbste fast ausgewachsen waren. Wir schütteten ihnen einen Fuß hoch Erde in ihren Käfig; hier gruben sie sich einen Bau mit zwei Ausgängen. Gewöhnlich verhielten sie sich schweigsam; brachten wir aber eine andere Maus zu ihnen in den Käfig, so schrieen sie laut auf, wie ein junger Vogel aus Angst, zeigten sich überhaupt sehr furchtsam. Bei Tage ließen sie sich niemals außerhalb ihrer Baue sehen, nachts aber lärmten sie viel im Käfige herum. Alles, was wir in ihr Gefängnis legten, war am nächsten Morgen verschwunden und in die Höhlen geschleppt worden. Sie fraßen Weizen, Mais, am liebsten Buchweizen. Hatten sie mit diesem eine ihrer Kammern gefüllt, so gruben sie sich sofort eine neue. Sie entkamen durch einen unglücklichen Zufall.«

Ueber die Zeit der Paarung und die Fortpflanzung berichtet Audubon, daß er in allen Sommermonaten Junge gefunden habe, gewöhnlich drei, in einem aus feinem Grase erbauten, mit [329] Federn, Haaren und Wolle ausgefütterten Neste. Er wiederholt die wenig glaubhafte Angabe älterer Forscher, daß die Jungen an den Zitzen ihrer Mutter sich fest ansaugen und von dieser allenthalben herumgetragen werden.

Die Hauptfeinde der Hüpfmaus sind die verschiedenen Raubthiere des Nordens, namentlich die Eulen. Die Indianer, welche sie Katse nennen, scheinen weder ihr Fleisch zu essen, noch ihr Fell zu benutzen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 328-330.
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