Wüstenspringmaus (Dipus aegyptius)

[331] Als Vertreter der Gruppe erwähle ich die Wüsten springmaus, Djerboa der Araber (Dipus aegyptius, Mus und Haltomys aegyptius), ein allerliebstes Thierchen von 17 Centim. Leibes- und (ohne die Quaste) 21 Centim. Schwanzlänge, oberseits graulich sandfarben mit schwarzer Sprenkelung, unterseits weiß gefärbt, mit einem breiten weißen Schenkelstreifen, welcher von rückwärts über die Schenkel sich zieht, und oben blaßgelbem, unten weißlichem Schwanze, dessen Quaste weiß und pfeilartig schwarz gezeichnet ist.

Die Wüstenspringmäuse, und wahrscheinlich gerade die egyptischen, waren schon den Alten wohlbekannt. Wir finden sie häufig bei griechischen und römischen Schriftstellern erwähnt, immer unter dem Namen der zweibeinigen Mäuse, welche Benennung deshalb auch jetzt noch zur Bezeichnung der Sippe angewandt wird. Plinius sagt, daß es in Egypten Mäuse gibt, welche auf zwei Beinen gehen; Theophrast und Aelian erwähnen, daß diese großen zweibeinigen Mäuse ihre kürzeren Vorderfüße wie Hände gebrauchen, auf den Hinterfüßen aber aufrecht gehen und hüpfen, wenn sie verfolgt werden. Einen noch höhern Werth als diese Angaben haben die bildlichen Darstellungen auf Münzen und Tempelverzierungen, obwohl sie nicht treu genug sind. Auch in der Bibel werden die Thiere erwähnt: Jesaias droht denen, welche sie genießen, Strafe an. Die Araber sind natürlich vernünftiger als die Hebräer und betrachten sie nicht nur als reine Thiere, sondern beschreiben sie ihrem Werthe nach und erzählen viele hübsche Dinge von ihrer Lebensweise.

Die Wüstenspringmaus verbreitet sich über den größten Theil Nordostafrikas sowie das angrenzende westliche Asien und kommt nach Süden hin bis Mittelnubien vor, woselbst der Verbreitungskreis einer andern ähnlichen Art beginnt. Offene, trockene Ebenen, Steppen und Sandwüsten sind ihre Wohnplätze: sie bevölkert die dürrsten und ödesten Landschaften und bewohnt Orte, welche kaum die Möglichkeit zum Leben zu bieten scheinen. Auf jenen traurigen Flächen, welche mit dem scharfschneidigen Riedgrase, der Halfa (Poa cynosuroides) bedeckt sind, findet man sie zuweilen in größeren Gesellschaften. Sie theilt diese Orte mit dem Wüstenhuhne, der kleinen Wüstenlerche und dem isabellfarbenen Läufer, und man begreift kaum, daß auch sie dort Nahrung findet, wo jene, welche neben dem Gesäme doch auch viele Kerbthiere fressen, sich nur dürftig ernähren. In dem harten Kiesboden gräbt sie sich vielverzweigte, aber ziemlich seichte Gänge, in welche sie sich bei der geringsten Gefahr zurückzieht. Nach den Versicherungen der Araber arbeitet der ganze Trupp an diesen unterirdischen Wohnungen. Die Thiere graben mit den scharfen Nägeln ihrer Vorderfüße und benutzen wohl auch die Nagezähne, wenn es gilt, den harten Kiesboden zu durchbrechen.

[331] Trotz ihrer Häufigkeit gewahrt man die schmucken Geschöpfe ziemlich selten. Man kann nicht gerade sagen, das sie sehr scheu wären; aber sie sind unruhig und furchtsam und eilen bei dem geringstem Geräusche und beim Sichtbarwerden eines fremden Gegenstandes schleunigst nach ihren Löchern. Auch fallen sie nur in geringer Entfernung ins Auge, weil ihre Färbung der des Sandes vollständig gleicht, und man ziemlich nahe herankommen muß, ehe man sie bemerkt, während ihre scharfen Sinne ihnen die Ankunft des Menschen schon auf große Entfernungen hin wahrnehmen lassen. Wohl darf man sagen, daß es schwerlich ein anmuthigeres Geschöpf geben kann als diese Springmäuse. So sonderbar und scheinbar mißgestaltet sie aussehen, wenn man sie todt in der Hand hat oder regungslos sitzen sieht, so zierlich nehmen sie sich aus, wenn sie in Bewegung kommen. Erst dann zeigen sie sich als echte Kinder der Wüste, lassen sie ihre herrlichen Fähigkeiten erkennen. Ihre Bewegungen erfolgen mit einer Schnelligkeit, welche geradezu ans unglaubliche grenzt: sie scheinen zu Vögeln zu werden. Bei ruhigem Gange setzen sie ein Bein vor das andere und laufen sehr rasch dahin, bei großer Eile jagen sie in Sprungschritten davon, welche sie so schnell fördern, daß ihre Bewegung dann dem Fluge eines Vogels gleicht; denn ein Sprung folgt so rasch auf den anderen, daß man kaum den neuen Ansatz wahrnimmt.


Wüstenspringmaus (Dipus aegyptius). 1/2 natürl. Größe.
Wüstenspringmaus (Dipus aegyptius). 1/2 natürl. Größe.

Dabei tragen die Springmäuse ihren Leib weniger nach vorn übergebeugt als sonst, die Hände mit den Krallen gegeneinander gelegt und nach vorn gestreckt, den Schwanz aber zur Erhaltung des Gleichgewichts gerade nach hinten gerichtet. Wenn man das Thier aus einiger Entfernung laufen sieht, glaubt man einen pfeilartig [332] durch die Luft schießenden Gegenstand zu gewahren. Kein Mensch ist im Stande, einer im vollen Laufe begriffenen Springmaus nachzukommen, und der sicherste Schütze muß sich zusammennehmen, will er sie im Laufe erlegen. Sogar in einem eingeschlossenen Raume bewegt sich das zierliche Thierchen noch so schnell, daß ein Jagdhund es kaum einholen kann. Bruce erzählt, daß sein Windhund sich eine Viertelstunde abhetzen mußte, ehe er Herr über sein gewandtes und schnelles Opfer wurde.

Fühlt sich die Springmaus ungestört und sicher, so sitzt sie aufrecht auf dem Hintertheile wie ein Känguru, oft auf den Schwanz gestützt, die Vorderpfoten an die Brust gelegt, ganz wie Springbeutelthiere es auch zu thun pflegen. Sie weidet in ähnlicher Weise wie Kängurus; doch gräbt sie mehr als diese nach Knollen und Wurzeln, welche wohl ihre Hauptnahrung zu bilden scheinen. Außerdem verzehrt sie mancherlei Blätter, Früchte und Samen, ja sie soll selbst Aas angehen oder wenigstens den Kerbthieren gierig nachstellen. Dies behauptet neuerdings wieder Heuglin, welcher als trefflicher Beobachter bekannt ist.

Obgleich die Wüstenmaus ein echtes Nachtthier ist und ihre Wanderungen erst nach Sonnenuntergang beginnt, sieht man sie doch auch zuweilen im hellsten Sonnenscheine, selbst während der größten Hitze vor ihrem Baue sitzen und spielen. Sie zeigt dann eine Gleichgiltigkeit gegen die Mittagsglut der afrikanischen Sonne, welche wahrhaft bewunderungswürdig ist; denn man muß wissen, daß kaum ein einziges anderes Thier um diese Zeit in der Wüste sich bewegt, weil die brennende Hitze selbst den eingeborenen Kindern jener erhabenen Landschaft geradezu unerträglich wird. Gegen Kälte und Nässe dagegen ist sie im höchsten Grade empfindlich, bleibt daher bei schlechtem Wetter stets in ihrem Baue verborgen und verfällt wohl auch zeitweilig in eine Erstarrung, welche an den Winterschlaf der nördlichen Thiere erinnert.

Ueber die Fortpflanzung der Wüstenspringmaus ist nichts sicheres bekannt. Die Araber erzählten mir, sie baue sich in einem tieferen Kessel ihrer Höhle ein Nest, kleide dasselbe wie Kaninchen mit Haaren ihres Unterleibes aus, und darin finde man zwei bis vier Junge: – ob dies richtig ist, wage ich nicht zu behaupten, obwohl ich anerkennen muß, daß jedenfalls die Araber diejenigen Leute sind, welche das Thier am besten kennen. Sie stellen ihm, weil sie das Fleisch genießen und ziemlich hochschätzen, eifrig nach und fangen es ohne sonderliche Mühe lebendig oder erschlagen es beim Herauskommen aus den Bauen. Ihre Jagdweise ist sehr einfach. Sie begeben sich mit einem langen und starken Stocke nach einer Ansiedelung der Springmäuse, verstopfen den größten Theil der Röhren und graben nun einen Gang nach dem andern auf, indem sie ihren starken Stock in den Gangstecken und dessen Decke aufbrechen. Die geängstigten Wüstenmäuse drängen sich nach dem innersten Kessel zurück oder fahren durch eine Fluchtröhre nach außen und dann in ein vorgestelltes Netz oder selbst einfach in den Aermel des Obergewandes, welches der Araber vorgelegt hat. So können zuweilen zehn bis zwanzig Stück auf ein Mal gefangen werden; wenigstens macht es gar keine Mühe, eine solche Anzahl lebend zu erhalten: jagdkundige Araber bringen auf Verlangen so viele Springmäuse, als man haben will.

Außer dem Menschen haben diese Thiere wenig andere Feinde. Fenek und Karakal, vielleicht auch eine oder die andere Eule sind die schlimmsten Räuber, welche ihnen auflauern; gefährlicher dürfte ihnen die egyptische Brillenschlange werden, jene bekannte Giftschlange Afrikas, welche auf allen egyptischen Tempeln sich zeigt, welche schon Moses zu seinen Gaukeleien gebrauchte, wie sie die heutigen egyptischen Gaukler noch zu allerlei Kunststückchen benutzen. Sie lebt an ähnlichen Orten wie die Springmäuse, dringt mit Leichtigkeit in die Gänge ein, welche letztere sich graben und tödtet viele von ihnen.

Die naturkundigen Europäer, welche in Egypten und Algerien wohnen, halten die Springmaus oft in der Gefangenschaft. Ich kann aus eigener Erfahrung versichern, daß das Thier im Käfige oder im Zimmer viele Freude mache. Während meines Aufenthalts in Afrika brachte man mir oft zehn bis zwölf Springmäuse zugleich. Ich räumte solchen Gesellschaften dann eine große [333] Kammer ein, um ihre Bewegungen beobachten zu können. Vom ersten Augenblicke an zeigten sich die Gefangenen harmlos und zutraulich. Ohne Umstände ließen sie sich berühren, machten auch nicht Miene, dem Menschen auszuweichen. Beim Umhergehen in ihren Zimmer mußte man sich in acht nehmen, sie nicht zu treten, so ruhig blieben sie sitzen, wenn man auf sie zukam.

Unter sich sind die Springmäuse auch in der Gefangenschaft bewunderungswürdig friedlich und gesellig. Sie schmiegen sich dicht aneinander und verschlingen sich zuweilen förmlich ineinander, namentlich wenn es am Morgen kühl ist; denn schon die geringste Abnahme der Wärme wird ihnen auffallend und lästig. Trockene Körner, Reis, Möhren, Rüben, andere Wurzeln und manche Früchte scheinen ihnen besonders zu behagen; auch Kohl und Kraut, selbst Blumen-, z.B. Rosenblätter, fressen sie gern: allein man kann sie mit ausschließlich saftigen Pflanzen nicht erhalten. Sie sind an dürftige und dürre Kost gewöhnt. Wenn ihnen trockene Nahrung gänzlich fehlt, werden sie traurig, verkümmern sichtlich und sterben endlich dahin. Gibt man ihnen Weizen, Reis, etwas Milch und dann und wann eine Weinbeere, ein Stückchen Apfel, eine Möhre oder sonst eine andere Frucht, so befinden sie sich wohl und halten sich sehr lange. Nach Europa kommen sie neuerdings nicht allzuselten. Ich habe auch in Deutschland viele erhalten und will versuchen, das Betragen dieser höchst liebenswürdigen und anmuthigen Geschöpfe so genau als möglich zu schildern, weil in den meisten Werken Bewegungen und Wesen der Springmäuse falsch beschrieben sind.

Die Springmäuse, welche Sonini in Egypten hielt, waren am muntersten, wenn die Sonne durchs Fenster schien, und sprangen dann oft an allen Wänden in die Höhe, »als wenn sie Gummi elasticum im Leibe hätten;« diejenigen, welche ich zahm hielt, waren allerdings auch zuweilen bei Tage in Bewegung, bewiesen aber schlagend genug, daß die Nacht die wahre Zeit ihres munteren Treibens ist. Jede Springmaus schläft den ganzen Tag, vom frühen Morgen an bis zum späten Abend, kommt, wenn man sie nicht stört, auch nicht einen Augenblick aus ihrem Neste hervor, sondern schläft gute zwölf Stunden in einem Zuge fort. Aber auch während der Nacht ruht sie noch mehrere Male halbe Stündchen aus. Wenn man sie bei Tage aus dem Neste nimmt, zeigt sie sich schläfrig, fällt in der Hand hin und kann sich längere Zeit nicht ermuntern. Ihre Stellung beim Schlafen ist eigenthümlich. Gewöhnlich sitzt sie im Neste auf den ziemlich eng zusammengestellten Fersen so, daß die weiter auseinander stehende Fußspitzen in der Luft schweben. Den Kopf biegt sie ganz herab, sodaß die Stirn unten auf dem Boden ruht und die Schnauze an den Unterleib angedrückt wird. Der Schwanz liegt in großem Bogen über die Fußspitzen weg. So gleicht das Thier einem Balle, über dessen Oberfläche bloß die übermäßig langen Beine hervorragen. Manchmal legt sich die Springmaus aber auch auf die Seite oder selbst auf den Rücken und streckt dann die Beine sonderbar nach oben; immer aber bleibt sie in dieser zusammengerollten Stellung. Die Ohren werden beim Schlafen dicht an den Kopf gedrückt und an ihrer Spitze theilweise eingerollt, sodaß sie faltig, gleichsam wie zerknittert aussehen. Bewegungslos liegt das Thier in dem warmen Nestchen, bis der Abend ordentlich hereingebrochen. Nunmehr macht sich ein leises Rascheln und Rühren im Neste bemerklich. Die Langschläferin putzt sich, glättet die Ohren, läßt einen leisen, wie schwacher Husten klingenden Ton vernehmen, springt plötzlich mit einem einzigen Satze durch die Nestöffnung hervor und beginnt nun ihr eigenthümliches Nachtleben. Das erste Geschäft, welches sie jetzt besorgt, ist das Putzen. In der Reinlichkeit übertrifft die Springmaus kein anderer Nager. Fast alle ihre freie Zeit wird verwandt, um das seidenweiche Fell in Ordnung zu halten. Härchen für Härchen wird durchgekämmt und durchgeleckt, jeder Theil des Körpers, selbst der Schwanz, gehörig besorgt. Einen wesentlichen Dienst leistet ihr dabei feiner Sand. Dieser ist ihr überhaupt ganz unentbehrlich; sie wälzt sich mit förmlicher Wollust in ihm herum, kratzt und wühlt in ihm und kann sich gar nicht von ihm trennen. Beim Putzen nimmt sie die verschiedensten Stellungen an. Gewöhnlich sitzt sie nur auf den Zehenspitzen und gewissermaßen auf dem Schwanze. Sie hebt die Fersen etwa 4 Centim. vom Boden auf, bildet [334] mit dem Schwanze einen großen Bogen und stemmt ihn, mit dem letzten Viertel etwa, auf den Boden auf, trägt den Leib vorn nur ein wenig erhöht und legt die Hände mit den Handflächen gegeneinander, daß die Fingerspitzen oder besser die Krallen sich berühren. Dabei hält sie diese kurzen, stummelartigen Glieder gerade nach vorn gestreckt, so daß sie auf den ersten Blick hin als Zubehör zu ihrem Maule erscheinen. Wenn sie sich aber putzt, weiß sie die zierlichen Gliedmaßen vortrefflich zu gebrauchen. Ehe sie an das Glätten des Felles geht, scharrt und wühlt sie sich eine passende Vertiefung im Sande aus. Zu diesem Ende biegt sie sich vorn hernieder und schiebt nun mit vorgestreckten, auseinander gehaltenen Händen und der rüsselartigen Schnauze den Sand, oft große Mengen auf einmal, nach vorn, und scharrt ihn da, wo er sich nicht schieben läßt, durch rasche Bewegungen der Hände los. So geht es fort, bis sie endlich ihr Lager sich zurecht gemacht hat. Jetzt legt sie zuerst den Kopf in die entstandene Vertiefung und schiebt ihn, vorwärts sich streckend, auf dem Sande dahin, dem obern Theil sowohl als den untern, die rechte wie die linke Seite, jedenfalls in der Absicht, das Fell zu glätten. Nachdem dies besorgt ist, wirft sie sich plötzlich der ganzen Länge nach in die Mulde und streckt und dehnt sich äußerst behaglich, die langen Springbeine bald gerade nach hinten, bald senkrecht vom Leibe ab oder endlich gerade nach vorne und zuletzt so ausstreckend, daß die Läufe hart an die Schnauze zu liegen kommen. Wenn sie sich in dieser Lage ordentlich eingewühlt hat, bleibt sie oft mehrere Minuten lang ruhig und zufrieden liegen, schließt die Augen halb, legt die Ohren an und streicht sich nur dann und wann einmal, als wolle sie sich dehnen, mit einem der kleinen Pfötchen über das Gesicht.

Nach dieser Streckung und Dehnung beginnt das eigentliche Putzen. Viele Mühe, Arbeit und Zeit kostet ihr das Reinigen des Mundes und der Wangen, namentlich des Theiles, wo die langen Schnurrenhaare sitzen, und erst nachdem sie hierauf zu Stande gekommen, setzt sie sich vollends auf und nimmt nun auch das übrige Fell ihres Leibes vor. Sie packt ein Stückchen Fell mit beiden Händen, kämmt es mit den Zähnen des Unterkiefers durch und leckt es dann mit der Zunge gehörig glatt. Recht nett sieht es aus, wenn sie den Unterleib putzt; denn sie muß dann die Fußwurzeln sehr breit voneinander biegen und den Leib kugelrund zusammenrollen. Die sonderbarste Stellung aber nimmt sie an, wenn sie sich in der Beugung zwischen Mittelfußknochen und Unterschenkel lecken oder überhaupt das lange Unterbein putzen will. Sie läßt dann das eine Bein wie gewöhnlich beim Sitzen auf den Fußwurzeln stehen und schiebt das andere um die ganze Länge des Mittelfußknochens vor. Der Schwanz wird immer gebraucht, um der Stellung Sicherheit zu geben. Das Kratzen besorgt sie mit den Hinterfüßen und bewegt dabei die langen Beine so außerordentlich schnell, daß man bloß einen Schatten des Fußes wahrnimmt. Weil sie sich aber dabei sehr auf die Seite biegen muß, stemmt sie sich, um das Gleichgewicht zu erhalten, auch vorn mit einer ihrer Hände auf. Am Vorderkopfe kratzt sie sich auch mit den Händen, bewegt diese aber weit langsamer als die Hinterbeine.

Der ruhige Gang des Thieres ist ein schneller Schritt. Die Beine werden beim Gehen am Fersengelenk gerade ausgestreckt und so gestellt, daß sie unter das dritte Fünftel oder unter die Hälfte des vorn etwas erhobenen Leibes, welcher durch den Schwanz im Gleichgewichte gehalten wird, zu stehen kommen. Nun setzt die Springmaus in rascher Folge ein Bein um das andere vor. Die Vorderhände werden, in der gewöhnlichen Weise zusammengelegt, unter dem Kinne getragen. Da sich die gefangene Springmaus an den Menschen gewöhnt, macht sie nur höchst selten einen größern Sprung, hauptsächlich dann, wenn es gilt, ein Hindernis zu überwinden, z.B. über ein großes ihr vorgehaltenes Buch zu springen. Dabei schwingt sie sich ohne den geringsten Ansatz durch bloßes Aufschnellen ihrer Hinterbeine fußhoch und noch mehr empor. Als ich eine bei ihren Nachtwandelungen durch eine plötzliche Bewegung erschreckte, sprang sie senkrecht über einen Meter in die Höhe. Wenn man sie auf den Tisch setzt, läuft sie rastlos umher und sieht sorgsam prüfend in die Tiefe hinab, um sich die beste Stelle zum Herunterspringen auszuwählen. Kommt sie an die Kante, so stemmt sie sich mit ihren beiden Vorderarmen auf, sonst aber nie. Die Angabe, daß [335] sie bei jedem Sprunge einen Augenblick auf die Vorderfüße niederfalle und sich dann schnell wieder aufrichte, ist falsch. Sie kommt, selbst wenn sie aus Höhen von einen Meter und mehr zu Boden springt, immer auf die Hinterfüße zu stehen, und läuft dann, ohne sich nur nach vorne zu bücken, so ruhig weiter, als habe sie bloß einen gewöhnlichen Schritt gemacht. Stehend kann sie, dank der starken Hinterläufe und des stützenden Schwanzes, ihren Leib eben sowohl wagerecht wie senkrecht halten, vermag sich auch vorn bis auf die Erde niederzubeugen. Wie wichtig ihr der Schwanz zur Erhaltung des Gleichgewichts ist, sieht man deutlich, wenn man sie in der Hand hält und rasch herumdreht, sodaß sie mit dem Rücken nach unten zu liegen kommt. Dann beschreibt sie sofort Kreise mit dem Schwanze, sicher in der Absicht, ihren Leib wieder herumzuwerfen.

Beim Fressen setzt sie sich auf die ganzen Fußsohlen nieder, biegt aber den Leib vorn weit herab und nimmt nun die Nahrung mit einem raschen Griffe vom Boden auf. Aus einem Näpfchen mit Weizenkörner holt sie sich in jeder Minute mehrere Körner. Sie verzehrt die erhobenen aber nicht ganz, sondern beißt bloß ein kleines Stückchen von ihnen ab und läßt sie dann wieder fallen. In einer Nacht nagt sie manchmal funfzig bis hundert Körner an. Allerliebst sieht es aus, wenn man ihr eine Weinbeere oder ein Stückchen fein geschnittene Möhre, Apfel und dergleichen Früchte hingibt. Sie packt solche Nahrung sehr zierlich mit den Händen, dreht sie beständig hin und her und frißt sie auf, ohne sie fallen zu lassen. Bei weichen, saftigen Früchten, wie z.B. bei Weinbeeren, braucht sie sehr lange Zeit, ehe sie mit ihrer Mahlzeit zu Ende kommt. An einer Weinbeere fraß eine Gefangene von mir sieben Minuten lang. Sie öffnet die Beere bloß mit einem einzigen Bisse und taucht in diese Oeffnung fort und fort ihre unteren Nagezähne ein, um sie sodann wieder abzulecken. So fährt sie fort, bis der größte Theil des Inhalts entleert ist. Ein Kohlblatt nimmt sie mit beiden Händen, dreht es hin und her und schneidet dann am Rande in zierlicher Weise Stückchen nach Stückchen ab. Besonders hübsch ist auch ihre Weise, Milch zu trinken. Sie bedarf nur höchst wenig Getränk, und kann solches, falls man ihr nebenbei saftige Wurzeln reicht, monatelang entbehren; täglich ein halber Theelöffel voll Milch genügt ihr. Auch Flüssigkeiten muß sie mit den Händen zu sich nehmen, taucht daher in rascher Folge ihre Hände ein und leckt die Milch dann ab.

Sie ist mäßig, braucht aber viele Nahrung, weil sie von jedem Nährstoffe nur wenig frißt. Ihre Losung ähnelt der mancher Mäuse. Ihr Harn hinterläßt keinen üblen Geruch; seine Menge ist dazu auch viel zu gering. Im Sande bemerkt man überhaupt nichts von den natürlichen Ausleerungen des Thieres.

Es scheint, daß alle Sinne des Thieres hoch entwickelt sind. Welchen unter den drei edleren ich als den höchsten ansehen soll, weiß ich nicht. Die Springmaus sieht und hört, wie die großen Augen und Ohren bekunden, sehr gut, riecht und fühlt aber auch fein. Denn wenn sie ein Korn oder ein Stückchen Möhre oder andere Nahrung zu Boden fallen läßt, sucht sie es immer vermittels des Geruchs, vielleicht auch der tastenden Schnurrhaare, und nimmt es dann mit größter Sicherheit wieder auf. Süße Früchte verzehrt sie mit so viel Vergnügen, daß man gar nicht in Zweifel bleiben kann, wie angenehm ihr Geschmacksinn gekitzelt wird. Das Gefühl offenbart sich als Empfindung und Tastsinn in jeder Weise. Die Springmaus tastet sehr fein mit den Schnurren auf den Lippen und dann noch mit ihren Vorderhänden, hauptsächlich wohl mit Hülfe der Fingerkrallen. Ihre geistigen Fähigkeiten will ich nicht eben hoch stellen; so viel aber ist zweifellos, daß sie sehr bald sich an einem bestimmten Orte eingewöhnt, Leute, welche sich mit ihr abgeben, gut kennen lernt und eine gewisse berechnende Kunstfertigkeit an den Tag legt. Der Bau ihres Nestes beschäftigt sie an jedem Morgen längere Zeit. Wenn man ihr Heu, Baumwolle und Haare gibt und den Grundbau des Nestes vorzeichnet, arbeitet sie verständig weiter, holt sich die Baumwollenklumpen herbei, zieht sie mit den Vorderhänden auseinander und legt sie sich zurecht, schiebt die Haare an den betreffenden Stellen ein und putzt und glättet die runde Nesthöhle, bis sie den erforderlichen Grad von Ordnung und Sauberkeit zu haben scheint. Hervorspringende [336] Halme werden dann auch wohl noch ausgezogen oder abgebissen, bis das Ganze in einen möglichst behaglichen Zustand versetzt worden ist.

Unter allen Nagern, welche ich bis jetzt in der Gefangenschaft hielt, hat mir die Springmaus das meiste Vergnügen gewährt. Ihrer Eigenschaften wegen muß sich jedermann mit ihr befreunden. Sie ist so außerordentlich harmlos, so freundlich, zahm, reinlich und, wenn einmal vom Schlafe erwacht, so munter und so lustig, jede ihrer Stellungen so eigenthümlich, und sie weiß so viel Abwechselung in dieselben zu bringen, daß man sich stundenlang mit ihr beschäftigen kann. Sonini beobachtete, daß seine gefangenen Springmäuse eifrig nagten, um sich aus ihrem Käfige zu befreien; ich habe dies nur dann bemerkt, wenn ich meine Gefangenen frei im Zimmer herumlaufen ließ. Hier versuchten sie wohl auch, ein Loch durch die Dielen zu schneiden; im Käfige aber dachten sie nie daran, ihre scharfen Nagezähne zu etwas anderem als zum Fressen zu gebrauchen.

Gegen ihren Pfleger benimmt sich die Springmaus sehr liebenswürdig. Niemals fällt es ihr ein, den zu beißen, welcher sie aufhebt. Man darf sie berühren, streicheln, umhertragen: sie läßt sich alles gefallen. Nur wenn man ihr abends den Finger durch das Gitter hält, faßt sie denselben zuweilen und schabt mit den Zähnen ein wenig an der Spitze, wahrscheinlich weil sie glaubt, daß man ihr irgend etwas zum Fressen reichen wolle; zu einem ernstlichen Beißen aber kommt es auch dann nicht. Man könnte, glaube ich, die Springmaus in jedem Putzzimmer halten, so groß ist ihre Gutmüthigkeit, Harmlosigkeit und Reinlichkeit. Ob sie ihren Pfleger von anderen Leuten unterscheiden lernt, steht dahin; eins aber ist sicher: gegen Liebkosungen zeigt sie sich sehr empfänglich. Nichts ist ihr unangenehmer, als wenn man sie in der Lust ihrer abendlichen Lustwandlungen außerhalb des Käfigs stört, und nur höchst ungern bleibt sie dann in der Hand. Setzt man sie aber auf die eine Hand und streichelt sie sanft mit dem Finger, so schließt sie wie verzückt die Augen zur Hälfte, rührt minutenlang kein Glied und vergißt Freiheit und alles andere.

Der Nutzen, welchen die Wüstenspringmäuse bringen, ist nicht unbedeutend. Die Araber essen ihr ziemlich schmackloses Fleisch sehr gern und bereiten sich wohl auch aus den glänzenden Fellen kleine Pelze für Kinder und Frauen oder verwenden sie sonst zur Verzierung von Sätteln, zum Besatz von Decken usw. Schaden bringen die Springmäuse natürlich nicht, sie nutzen höchstens diejenige Stelle der Wüste aus, welches sonst von keinem andern Geschöpfe besucht wird.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 331-337.
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