Gartenschläfer (Eliomys Nitela)

[309] Der Gartenschläfer, Gartenbilch oder die große Haselmaus (Eliomys Nitela, Mus, Sciurus und Myoxus quercinus, Myoxus Nitela) – vergleiche die Abbildung auf Seite 307 – erreicht eine Körperlänge von höchstens 14 Centim., bei einer Schwanzlänge von 9,5 Centim. Der Kopf ist wie die Oberseite röthlichgraubraun, die Unterseite weiß. Um das Auge läuft ein glänzend schwarzer Ring, welcher sich unter dem Ohre bis an die Halsseiten fortsetzt; vor und hinter dem Ohre befindet sich ein weißlicher, über demselben ein schwärzlicher Fleck. Der Schwanz ist in der [309] Wurzelhälfte graubraun, in der Endhälfte zweifarbig, oben schwarz und unten weiß. Die Haare der Unterseite sind zweifarbig, ihre Wurzeln grau, ihre Spitzen weiß, bisweilen schwachgelblich oder graulich angeflogen. Beide Hauptfarben trennen sich scharf von einander. Die Ohren sind fleischfarbig, die Schnurren schwarz, weißspitzig, die Krallen lichthornfarben, die oberen Vorderzähne lichtbraun, die unteren lichtgelb. Schön dunkelschwarzbraune Augen verleihen dem Gartenschläfer ein kluges, gewecktes Ansehen.

Der Gartenschläfer, welcher schon den alten Römern unter dem Namen »Nitela« bekannt war, gehört hauptsächlich den gemäßigten Gegenden des mittleren und westlichen Europa an: Frankreich, Belgien, die Schweiz, Italien, Deutschland, Ungarn, Galizien, Siebenbürgen und die russischen Ostseeprovinzen sind seine Heimat. In Deutschland ist er in manchen Gegenden, z.B. am Harze, recht häufig. Er bewohnt die Ebene wie das Hügelland, lieber aber doch Berggegenden, und hier vorzugsweise Laubwaldungen, obgleich er auch im Schwarzwalde vorkommt und nicht allzuselten in niederen Gebüschen oder in Gärten sich einstellt. In der Schweiz steigt er im Gebirge bis in die Nähe der Gletscher empor.

Seine Nahrung ist die des Siebenschläfers; doch holt er sich aus den Häusern der Bergbewohner Fett und Butter, Speck und Schinken und frißt junge Vögel und Eier vielleicht noch lieber und mehr als sein langsamerer Verwandter, den er im Klettern und Springen unbedingt überbietet. Sein Nest unterscheidet sich von dem des Siebenschläfers dadurch, daß es frei steht; doch bezieht er unter Umständen auch Schlupfwinkel im Gemäuer, alte Rattenlöcher, Maulwurfgänge und andere Höhlungen im Gestein und in der Erde, bettet sie sich mit weichem Moose aus und macht sie sich so behaglich als möglich. Alte Eichhornhorste werden von ihm sehr gern als Wohnung benutzt; im Nothfalle baut er sich auch selbst ein Nest und hängt dieses frei zwischen Baumzweige.

In der ersten Hälfte des Mai paaren sich die Geschlechter. Mehrere Männchen streiten oft lebhaft um ein Weibchen, verfolgen sich gegenseitig unter fortwährendem Zischen und Schnauben und rasen förmlich auf den Bäumen umher. So friedlich sie sonst sind, so zänkisch, boshaft, bissig, mit einem Worte streitlustig, zeigen sie sich jetzt, und die ernsthaftesten Gefechte werden mit einer Wuth ausgefochten, welche man kaum von ihnen erwarten sollte: häufig genug kommt es vor, daß einer der Gegner von dem andern todtgebissen und dann sofort aufgefressen wird. Nach vierundzwanzigtägiger bis monatlicher Tragzeit wirft das Weibchen vier bis sechs nackte, blinde Junge, meistens in einem hübsch zubereiteten, freistehenden Neste, gern in einem alten Eichhörnchen- oder Raben-, sonst auch in einem Amsel- oder Drosselneste, welche letzteren unter Umständen gewaltsam in Besitz genommen und sodann mit Moos und Haaren ausgepolstert, auch bis auf eine kleine Oeffnung ringsum geschlossen werden. Die Mutter säugt die Jungen längere Zeit, trägt ihnen auch, wenn sie schon fressen können, eine hinreichende Menge von Nahrungsmitteln zu. Kommt man zufällig an das Nest und will versuchen, die Jungen auszunehmen, so schnaubt die sorgende Alte den Feind mit funkelnden Augen an, fletscht die Zähne, springt nach Gesicht und Händen und macht von ihrem Gebisse den allerausgedehntesten Gebrauch. Merkwürdig ist, daß der sonst so reinliche Gartenschläfer sein Nest im höchsten Grade schmutzig hält. Der stinkende Unrath, welcher sich in demselben anhäuft, bleibt liegen und verbreitet mit der Zeit einen so heftigen Geruch, daß nicht bloß die Hunde, sondern auch geübte Menschen aus ziemlicher Entfernung eine solche Kinderwiege wahrzunehmen im Stande sind. Nach wenigen Wochen haben die Jungen bereits die Größe der Mutter erreicht und streifen noch eine Zeit lang in der Nähe ihres Lagers umher, um unter der Obhut und Leitung der Alten ihrer Nahrung nachzugehen. Später beziehen sie ihre eigene Wohnung, und im nächsten Jahre sind sie fortpflanzungsfähig. Bei besonders günstigem Wetter wirft das Weibchen auch wohl zum zweiten Male in demselben Jahre.

Zum Abhalten des Winterschlafes sucht sich der Gartenschläfer trockene und geschützte Baum- und Mauerlöcher, auch Maulwurfshöhlen auf oder kommt an die im Walde stehenden Gehöfte, [310] in Gartenhäuser, Scheuern, Heuböden, Köhlerhütten und andere Wohngebäude, um dort sich zu verbergen. Gewöhnlich findet man ihrer mehrere schlafend in einem Neste, die ganze Gesellschaft dicht zusammengerollt, fast in einem Knäuel verschlungen. Sie schlafen ununterbrochen, doch nicht so fest als andere Winterschläfer; denn so oft milde Witterung eintritt, erwachen sie, zehren etwas von ihren Nahrungsvorräthen und verfallen erst bei erneuter Kälte wieder in Schlaf. Abweichend von den übrigen Winterschläfern zeigen sie während ihres bewußtlosen Zustandes Empfindlichkeit gegen äußere Reize und geben dies, wenn man sie berührt oder mit einer Nadel sticht, durch schwache Zuckungen und dumpfe Laute zu erkennen. Selten erscheinen sie vor Ende Aprils wieder im Freien, fressen nun zunächst ihre Nahrungsvorräthe auf, und beginnen sodann ihr eigentliches Sommerleben.

Der Gartenschläfer ist ein verhaßter Gast in Gärten, in denen feinere Obstsorten gezogen werden. Ein einziger reicht hin, eine ganze Pfirsich- oder Aprikosenernte zu vernichten. Bei seinen Näschereien zeigt er einen Geschmack, welcher ihm alle Ehre macht. Nur die besten und saftigsten Früchte sucht er sich aus, benagt aber oft auch andere, um sie zu erproben, und vernichtet so weit mehr, als er eigentlich frißt. Es gibt kein Schutzmittel, ihn abzuhalten; denn er weiß jedes Hindernis zu überwinden, klettert an den Spalieren und Bäumen hinan, schlüpft durch die Maschen der Netze, welche über sie gespannt sind, oder durchnagt sie, wenn sie zu eng gemacht wurden, stiehlt sich selbst durch Drahtgeflechte. Bloß dasjenige Obst, welches spät reift, ist vor ihm gesichert; denn um diese Zeit liegt er bereits schafend in seinem Lager. Da er nun den Menschen nur Schaden zufügt und weder durch sein Fleisch noch durch sein Fell den geringsten Nutzen bringt, wird er von Gartenbesitzern, welche am empfindlichsten von ihm gebrandschatzt werden, eifrig verfolgt und vernichtet. Die besten Fallen, welche man ihm stellen kann, sind wohl Drahtschlingen, die man vor den Spalieren aufhängt, oder kleine Tellereisen, welche man passend aufstellt. Besser als alle solche Fallen schützt den Garten eine gute Katze vor diesem zudringlichen Gaudiebe. Marder, Wiesel, Uhu und Eulen stellen ihm ebenfalls eifrig nach; Gutsbesitzer also, welche dem Walde nahe wohnen, thuen entschieden wohl, wenn sie diese natürlichen Feinde nach Möglichkeit schonen.

Für die Gefangenschaft eignet sich der Gartenschläfer ebensowenig als der Bilch. Selten gewöhnt er sich an den Menschen, und bei jeder Ueberraschung bedient er sich sofort seiner scharfen Zähne, oft in recht empfindlicher Weise. Dabei hat er die unangenehmen Eigenschaften des Siebenschläfers, verhält sich still bei Tage und tobt bei Nacht in seinem Käfige umher, versucht Stäbe und Gitter durchzunagen oder durchzubrechen und rast, wenn letzteres ihm gelingt, im Zimmer herum, daß man meint, es wären wohl ihrer zehn, welche einander umherjagten. Was im Wege steht, wird dabei umgeworfen und zertrümmert. Nicht leicht gelingt es, den einmal freigekommenen Gartenschläfer wieder einzufangen. Am besten ist immer noch das alte, bewährte Mittel, ihm allerlei hohle Gegenstände, namentlich Stiefeln und Kasten, welche auf der einen Seite geschlossen sind, an die Wand zu legen, in der Hoffnung, daß er bei seinem eilfertigen Jagen in solche laufen werde. Von dem räuberischen Wesen der Thiere kann man sich an den gefangenen leicht überzeugen. Sie zeigen die Blutgier des Wiesels neben der Gefräßigkeit anderer Bilche, stürzen sich mit wahrer Wuth auf jedes kleinere Wirbelthier, welches man zu ihnen bringt, erwürgen einen Vogel im Nu, eine bissige Maus trotz aller Gegenwehr nach wenigen Minuten, fallen selbst über einander her. »Beim Zusammensperren mehrerer Gartenschläfer«, bemerkt Weber, »hat man stets darauf zu achten, daß sie erstens fortwährend genügendes Futter, Nüsse, Bücheln, Obst, Milchbrod, Hanf, Leinsamen usw., und Trinkwasser haben, und zweitens, daß sie durch mäßige Wärme des Raumes, in welchem sie sich befinden, wach erhalten, d.h. vor dem Winterschlafe bewahrt werden. Hunger führt unabwendbar Kämpfe unter ihnen herbei, deren Ausgang der Tod des einen und das Aufzehren von dessen Leichnam ist, und der Winterschlaf wird dem von ihm Bestrickten ebenso verderblich wie dem Besiegten sein Unterliegen. Verfällt einer von mehreren gemeinsam in einem Käfige [311] hausenden Gartenbilchen in Winterschlaf, während die übrigen noch wach sind, so ist er verloren; die sauberen Genossen machen sich über den Entschlafenen her, beißen ihn todt und zehren ihn auf. Dasselbe ist der Fall, wenn mehrere im Winterschlafe liegende Gartenbilche nacheinander munter werden: der zuerst aufgewachte tödtet dann einen der hülflosen Schläfer nach dem anderen. Der gewöhnliche Tagesschlaf wird aus dem Grunde nicht so gefährlich, weil der Ueberfallene schnell erwacht und seiner Haut sich wehrt.

Am hübschesten nehmen sich gefangene Gartenschläfer aus, wenn man sie in einem weiten, oben und unten vergitterten und dadurch luftig gemachten Rundglase unterbringt und ihnen ein Kletterbäumchen herrichtet, auf welchem sie umherspringen müssen. In gewöhnlichen Käfigen hängen sie, auch wenn sie munter sind, regelmäßig an dem Gitter, nehmen hier ungewöhnliche Stellungen an und verlieren dadurch viel von ihrer Schönheit und Anmuth.«


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 309-312.
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