Erdferkel (Orycteropus capensis)

[516] Man hat drei Arten dieser Gruppe unterschieden, neuerdings aber vielfach Zweifel an deren Selbständigkeit erhoben und in der That auch durchgreifende Unterschiede nicht festzustellen vermocht. Das Erdferkel (Orycteropus capensis, beziehentlich O. aethiopicus und senegalensis) erreicht eine Gesammtlänge von 1,9 Meter, wovon der Schwanz etwa 85 Centim. wegnimmt, bei einem Gewichte von 50 bis 60 Kilogramm. Die Haut ist sehr dick, mit glatt anliegenden und ziemlich spärlich vertheilten, steifen und borstenartigen Haaren bekleidet, das Haar auf der Oberseite des Körpers etwas kürzer als auf der Unterseite, wo es namentlich an den Zehenwurzeln büschelartig hervortritt, die Färbung eine sehr gleichmäßige. Rücken und Seiten sind gelblichbraun mit röthlichem Anfluge, Unterseite und Kopf licht-röthlichgelb, Hintertheil, Schwanzwurzel und Gliedmaßen braun, neugeborene Junge fleischfarben.

Die holländischen Ansiedler am Vorgebirge der guten Hoffnung haben dem Thiere, weil dessen Fleisch im Geschmack dem des wilden Schweines nahe kommt, den Namen Erdferkel (Ardvarkens) beigelegt, auch von jeher eifrig Jagd auf dasselbe gemacht und es daher gut kennen gelernt. Noch zu Buffons Zeit galt es für ein durchaus fabelhaftes Geschöpf; der große Naturforscher bestritt Kolbe's erste Beschreibung, welche aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts herrührt, ganz entschieden, obgleich diese Beschreibung heute noch für uns mehr oder weniger die maßgebende ist.

Das Erdferkel bewohnt Süd- und Mittelafrika, hier von der Ost- bis zur Westküste reichend, nach Art der Gürtelthiere vorzugsweise das flache Land, Wüsten und Steppen bevölkernd, wo Ameisen und Termiten das große Wort führen. Es ist ein einsames Geschöpf, kaum geselliger als die Gürtelthiere, obgleich man zuweilen ihrer mehrere beisammen findet; denn streng genommen lebt jedes einzelne Erdschwein für sich, bei Tage in großen, selbstgegrabenen Höhlen sich verbergend, bei Nacht umherschweifend. In den Steppen Kordofâns, und zwar ebensowohl in den mit dünnem Walde bestandenen Niederungen wie in den weiten, mit hohem Grase bewachsenen Ebenen, wo nur wenige Büsche sich finden, habe ich seine Höhlen oft gesehen und viel von seiner Lebensweise vernommen, das Thier selbst jedoch niemals zu Gesicht bekommen. Die Nomaden nennen es Abu-Delâf oder Vater, Besitzer der Nägel, und jagen ihm eifrig nach. Erst Heuglin war so glücklich, eines dieser Thiere lebendig zu erhalten, und konnte auch über die Lebensweise genauere Nachrichten geben. Von ihm erfuhr ich ungefähr folgendes: Das Erdschwein schläft den Tag über in zusammengerollter Stellung in tiefen, selbstgegrabenen Erdlöchern, welche es gewöhnlich hinter sich zuscharrt. Gegen Abend begibt es sich ins Freie, um seiner Nahrung nachzugehen. Sein Lauf ist keineswegs besonders rasch, aber es führt während desselben ganz eigenthümliche und ziemlich weite Sprünge aus. Dabei berührt es mit der ganzen Sohle den Boden, trägt den Kopf mit am Nacken zurückgelegten Ohren senkrecht gegen die Erde gerichtet, den Rücken gekrümmt, und schleppt den Schwanz zur Erhaltung des Gleichgewichts mehr oder weniger auf dem Boden fort. Die Schnauzenspitze geht so dicht über letzterem hin, daß der Haarkranz, welcher die Nasenlöcher umgibt, ihn förmlich fegt. Von Zeit zu Zeit steht es still, um zu horchen, ob kein Feind in der Nähe ist, dann geht es weiter. Dabei wird augenscheinlich, daß Geruch und Gehör die ausgebildetsten Sinne sind; denn ebensoviel, wie es mit den Ohren arbeitet, gebraucht es die Nase. Den Nasenkranz schnellt es durch eine rasche Bewegung der Nasenhaut beständig hin und her, und hier und dort richtet es prüfend die lange Schnauze empor, um schnoppernd seiner Beute nachzuspüren. So geht es fort, bis es die Spur einer Ameisenheerstraße findet. Diese wird verfolgt bis zum Baue der Ameisen, und dort beginnt nun die Jagd, ganz nach Art der Gürtelthiere oder noch mehr der eigentlichen Ameisenfresser. Es besitzt eine unglaubliche Fertigkeit im Graben. Wenige Augenblicke [516] genügen ihm vollkommen, um sich gänzlich in die Erde einzuwühlen, der Boden mag so hart sein, wie er will. Beim Graben arbeitet es mit den starken Krallen der Vorderfüße und wirft große Erdklumpen mit gewaltiger Kraft rückwärts; mit den Hinterfüßen schleudert es dann die losgeworfene Erde soweit hinter sich, daß es in einen förmlichen Staubregen eingehüllt wird. Wenn es an einen Ameisen- oder Termitenbau kommt, beschnoppert es ihn zuerst sorgfältig von allen Seiten; dann geht das Graben los, und das Thier wühlt sich in die Erde, bis es auf das Hauptnest oder wenigstens einen Hauptgang der Kerfe geräth. In solche Hauptgänge, welche bei den Termitenhügeln meist 2 Centim. im Durchmesser haben, steckt nun das Erdferkel seine lange, klebrige Zunge, läßt sie voll werden, zieht sie dann mit den Ameisen zurück, und wiederholt dies so lange, bis es sich vollkommen gesättigt hat. Manchmal schlürft es auch geradezu mit den Lippen hunderte von Ameisen auf einmal ein; in dem eigentlichen Neste der Termiten aber, in welchem Millionen dieser Kerfe durch einander wimmeln, frißt es fast, wie ein Hund, mit jedem Bissen hunderte zugleich verschlingend. So geht es von einem Baue zum andern und richtet unter den alles verwüstenden Termiten nun seinerseits die größte Verheerung an. Mit dem Grauen des Morgens zieht es sich in die Erde zurück, und da gilt es ihm nun ganz gleich, ob es seine Höhle findet oder nicht; denn in wenig Minuten hat es sich so tief eingegraben, als es für nöthig findet, um den Tag in vollster Sicherheit zu verpassen. Erscheint die Höhle noch nicht tief genug, so gräbt es bei herannahender Gefahr weiter. Es ist keinem Feinde möglich, ihm nach in die Höhle einzudringen, weil es die ausgescharrte Erde mit so großer Kraft nach hinten wirft, daß jedes andere Thier sich bestürzt zurückzieht. Selbst für den Menschen hält es schwer, ihm nachzugraben, und jeder Jäger wird nach wenigen Minuten vollständig von Erde und Sand bedeckt.

Das Erdferkel ist außerordentlich vorsichtig und scheu und vergräbt sich auch nachts bei dem geringsten Geräusche unverzüglich in die Erde. Sein Gehör läßt ihm die Ankunft eines größeren Thieres oder eines Menschen von weitem vernehmen, und so ist es fast regelmäßig in Sicherheit, ehe die Gefahr sich naht. Seine große Stärke befähigt es übrigens auch, mancherlei Gefahren abzuwehren. Der Jäger, welcher ein Erdferkel wirklich überrascht und festhält, setzt sich damit noch keineswegs in den Besitz der erwünschten Beute. Wie das Gürtelthier stemmt es sich, selbst wenn es nur halb in seiner Höhle ist, mit aller Kraft gegen die Wandungen derselben, gräbt die scharfen Klauen fest ein, krümmt den Rücken und drückt ihn mit solcher Gewalt nach oben, daß es kaum möglich wird, auch nur ein einziges Bein auszulösen und das Thier herauszuziehen. Ein einzelner Mann vermag dies nie; selbst mehrere Männer haben genug mit ihm zu thun. Man verfährt daher ganz ähnlich wie in Amerika mit den Gürtelthieren. Die Eingeborenen Ostsudâns nähern sich vorsichtig dem Bau, sehen an der in der Mündung liegenden Erde, ob ein Erdferkel darin ist oder nicht, und stoßen nun plötzlich mit aller Kraft ihre Lanze in die Tiefe der Höhle. Ist diese gerade, so wird auch regelmäßig das Schwein getroffen, ist sie krumm, so ist die Jagd umsonst. Im entgegengesetzten Falle aber haben die Leute ein ziemlich leichtes Spiel; denn wenn auch das Erdschwein nicht gleich getödtet werden sollte, verliert es doch sehr bald die nöthige Kraft zum Weiterscharren, und neue Lanzenstiche enden sein Leben. Gelingt es, das Thier lebend aus seinem Gange herauszureißen, so genügen ein paar Schläge mit dem Stocke auf den Kopf, um es zu tödten. Am Kongo fängt man es in eisernen Schlagfallen und jagt es nachts mit Hunden. Diese sind selbstverständlich nicht im Stande, das Thier festzuhalten, denn das Erdferkel vergräbt sich vor ihren Augen in die Erde, sie bezeichnen aber den Ort, wo man es aufzusuchen hat.

Ueber die Paarung und Fortpflanzung fehlen noch genauere Nachrichten. Im Mai und Juni wirft das Weibchen ein einziges Junges, welches nackt zur Welt kommt und sehr lange von der Alten gesäugt wird. Nach Jahresfrist ist dasselbe am stärksten behaart; später reiben sich die Haare durch das Arbeiten unter der Erde mehr und mehr ab.

Heuglin fütterte ein von ihm gefangen gehaltenes Erdferkel mit Milch, Honig, Ameisen, Datteln und anderen Früchten. Das Thier wurde bald zahm, gewöhnte sich an den Pfleger und [517] folgte ihm nach, wenn dieser im Hofe umherging. Durch seine sehr komischen Sprünge gewährte es Vergnügen, war jedoch im ganzen ein stumpfer und langweiliger Gesell, welcher, sobald er konnte, sich vergrub und fast den ganzen Tag über schlief. Für seine Losung, welche einen sehr durchdringenden Geruch besitzt, scharrte er stets, bevor er derselben sich entledigte, mit den Hinterfüßen eine kleine Grube aus, welche mittels der Vorderfüße wieder mit Erde überdeckt wurde.

Neuerdings ist das Erdferkel wiederholt nach Europa gebracht worden, hat sich hier auch bei entsprechender Pflege über Jahresfrist gehalten. Ich habe es in den Thiergärten von London und Berlin sowie in der kaiserlichen Menagerie zu Schönbrunn gesehen. Ungeachtet seiner Schlaftrunkenheit bei Tage verfehlt es nicht, die Aufmerksamkeit eines jeden Thierfreundes auf sich zu lenken. Zu Heuglins Angabe habe ich hinzuzufügen, daß es auch sitzend zu schlafen pflegt, indem es sich auf die langen Hinterfüße und den Schwanz wie auf einen Dreifuß stützt und den Kopf mit der langen Schnauze zwischen den Schenkeln und Vorderbeinen zu verbergen sucht. Störungen berühren es in empfindlicher Weise, und es sucht sich auch jeder Behelligung seitens Unbekannter möglichst zu erwehren. Hat es Erde zu seiner Verfügung, so wirft es in solchem Falle diese scharrend hinter sich, um damit den sich Nähernden abzutreiben; läßt man sich trotzdem nicht abschrecken, so gebraucht es seinen Schwanz als Vertheidigungswaffe, indem es mit demselben nach rechts und links Schläge austheilt, welche kräftig und wegen der harten, fast spitzigen Borsten ziemlich fühlbar sind. Nach Versicherung eines Wärters soll es im Nothfalle auch die Hinterfüße zur Abwehr benutzen. Man füttert das Thier mit feingehacktem Fleische, rohem Ei, Ameisenpuppen und Mehlbrei, ersetzt ihm damit seine natürliche Nahrung jedoch nur sehr unzureichend. Auch unter dem Mangel an Bewegung scheint es zu leiden, bekommt leicht Geschwüre und wunde Stellen und geht infolge dessen früher zu Grunde, als dem Pfleger lieb ist.

Nur in Gegenden, welche oft Karawanen durchziehen, wird das Erdschwein dem Menschen durch sein Graben schädlich, sonst verursacht es eher Nutzen als Schaden. Nach seinem Tode findet es vielfache Verwendung. Das Fleisch ist dem des Schweines ähnlich und geschätzt; die dicke, starke Haut wird zu Leder verarbeitet.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 516-518.
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