Hyrare (Galera barbara)

[109] Die Hyrare der Brasilianer oder Tayra der Bewohner Paraguays (Galera barbara, Gulo Mustela und Galictis barbara, Gulo barbatus, Mustela galera, gulina und tayra, Viverra [109] poliocephala und Vulpecula, Eira ilya, Galea subfusca usw.) erreicht eine Länge von 1,1 Meter, wovon etwa 45 Centim. auf den Schwanz kommen. Der dichte Pelz ist am Rumpfe, an den vier Beinen und am Schwanze bräunlichschwarz, das Gesicht blaßbraungrau, die übrigen Theile des Kopfes, der Nacken und die Seiten des Halses sind bald aschgrau, bald gelblichgrau; die Färbung des Ohres zieht sich etwas ins Röthlichgelbe. An der Unterseite des Halses steht ein großer, gelber Flecken. Beide Geschlechter unterscheiden sich nicht; wohl aber kommen Abänderungen in der Färbung vor, und namentlich ist die Färbung des Kopfes und des Nackens bald heller, bald dunkler, und der Fleck am Halse zuweilen gelblichweiß. Auch Weißlinge oder Albinos sind nicht gerade selten.

Der Hyrare verbreitet sich über einen großen Theil von Südamerika, von Britisch-Guiana und Brasilien bis Paraguay und noch weiter südlich. Sie ist keineswegs selten, an manchen Orten sogar häufig.


Hyrare (Galera barbara). 1/6 natürl. Größe.
Hyrare (Galera barbara). 1/6 natürl. Größe.

In den vom Prinzen von Wied bereisten Waldungen Brasiliens fehlt sie nirgends, ist auch allen Ansiedlern wohl bekannt. Moore behauptet, daß sie in Trupps von funfzehn bis zwanzig Stücken zusammen auf die Jagd ausgehe; diese Angabe ist aber jedenfalls nicht richtig, weil kein einziger der übrigen Beobachter solches erwähnt. Laut Rengger lebt sie theils in Feldern, welche mit hohem Grase bewachsen sind, theils in den dichten Waldungen. Dort dient ihr der verlassene Bau eines Gürtelthieres, hier ein hohler Baumstamm zum Lager. Sie ist nichts weniger als ein bloß nächtliches Thier, geht vielmehr erst, wenn der Morgen bald anbricht, auf Raub aus und verweilt besonders bei bedecktem Himmel bis gegen Mittag auf ihren Streifereien. Während der Mittagshitze zieht sie sich in ihr Lager zurück und verläßt dasselbe erst wieder gegen Abend, dann bis in die Nacht hinein jagend. Sie wird als ein sehr schädliches Thier angesehen, welches sich kühn selbst bis in die Nähe der Wohnungen drängt.

Die Nahrung der Hyrare besteht aus allen kleinen, wehrlosen Säugethieren, deren sie habhaft werden kann. Junge Feldhirsche, Agutis, Kaninchen, Apereas und Mäuse bilden wohl den Hauptbestandtheil ihrer Mahlzeiten; auf dem Felde geht sie den Hühnern und jungen Straußen nach, in den Wäldern besteigt sie die Bäume und bemächtigt sich der Brut der Vögel. In die Hühnerställe bricht sie nach Marderart ein, beißt dem Federvieh den Kopf ab und trinkt das Blut mit derselben Gier, wie Baummarder oder Iltis; denn auch sie ist blutdürstig und erwürgt, wenn [110] es in ihrer Gewalt liegt, mehr Thiere, als sie zur Sättigung bedarf. Als ausgezeichneter Kletterer besteigt sie selbst die höchsten Bäume, um die Nester der Vögel zu plündern oder den Honig der Bienen aufzusuchen. Abwärts klettert sie stets mit dem Kopfe voran und zeigt dabei eine Fertigkeit, welche nur wenig andere kletternde Säugethiere besitzen. »Sie läuft«, sagt der Prinz von Wied, »zwar nicht besonders schnell, hält aber sehr lange die Spur des angejagten Thieres ein und soll dadurch dasselbe oft ermüden und fangen. Man will gesehen haben, daß sie ein Reh jagte, bis dieses aus Ermüdung sich niederlegte und dann noch lebend von ihr angefressen wurde.«

Ihre Lager oder Nester legt sie, laut Hensel, wohl immer in unterirdischen Bauen an; wenigstens fanden Hensels Hunde einst ein solches unter Felsen. »Es gelang nach vieler Mühe, durch abgehauene schwere Stämme, welche als Hebebäume benutzt wurden, die Felstrümmer auf die Seite zu schaffen und die Alten nebst zwei Jungen zu erhalten. Diese waren noch blind und vielleicht erst wenige Tage alt; sie glichen in Ansehen und Stimme ganz täuschend jungen Füchsen, und man mußte ziemlich genau zusehen, um an den etwas kürzeren Beinen und den längeren Krallen an allen fünf Zehen die Unterschiede herauszufinden.«

Die Hyrare wird in ganz Südamerika ziemlich oft gezähmt. Schomburgk fand sie oft in den Hütten der Indianer, welche sie »Maikong« oder » Hava« nennen, und besaß, wie auch Rengger, selbst längere Zeit ein Stück lebendig. Beide Forscher berichten uns darüber etwa folgendes: Man ernährt die Hyrare mit Milch, Fleisch Fischen, gekochtem Yams, reifen Bananen, Kassavabrode, kurz mit allem möglichen, und kann sie somit sehr leicht erhalten. Wenn man ihr Speise zeigt, springt sie heftig danach, ergreift sie sogleich mit den Vorderpfoten und den Zähnen und entfernt sich damit soweit als thunlich von ihrem Wärter. Dann legt sie sich auf den Bauch nieder und frißt das Fleisch, es mit beiden Vorderpfoten festhaltend, ohne Stücke davon abzureißen, nach Katzenart, indem sie mit den Backenzähnen der einen Seite daran kaut. Wirft man ihr lebendes Geflügel vor, so drückt sie dasselbe in einem Sprunge zu Boden und reißt ihm den Hals nahe am Kopfe auf. Ein gleiches thut sie mit kleinen Säugethieren, ja, wenn sie nicht sorgsam genug gezogen worden ist, selbst mit jungen Hunden und Katzen. Sie liebt das Blut sehr, und man sieht sie gewöhnlich dasselbe, wenn sie ein Thier erlegt hat, auflecken, bevor sie von dem Fleische genießt. Stört man sie beim Fressen, so beißt sie wüthend um sich. Flüssigkeiten nimmt sie lappend zu sich. Sie ist sehr reinlich und leckt und putzt ihr glänzend schwarzes Fell fortwährend. Im Zorn gibt sie einen eigenen Bisamgeruch von sich, welcher von einer Absonderung der in der Hautfalte unter dem After liegender Drüsen herrührt. Behandelt man sie mit Sorgfalt, so wird sie gegen den Menschen sehr zahm, spielt mit ihm, gehorcht seinem Rufe und folgt ihm, wenn sie losgebunden wird, gleich einer Katze durch das ganze Haus nach. Dabei zeigt sie sich sehr spiellustig und leckt und kaut besonders gern an den Händen herum, beißt aber oft auch recht herzhaft zu. Im Spielen stößt sie, wie es die jungen Hunde zu thun pflegen, knurrende Töne aus; wird sie aber ungeduldig, so läßt sie ein kurzes Geheul hören. Ungeachtet ihrer Liebenswürdigkeit bleibt sie doch gegen alle kleineren Hausthiere, namentlich gegen das Geflügel, ein gefährlicher Feind und springt, so lange sie etwas lebendes um sich sieht, mit einer Art von Wuth auf dasselbe zu, um es abzuwürgen, alle früher erhaltenen Züchtigungen vergessend. Ihre Lebensart ändert sie in der Gefangenschaft, wenn sie immer angebunden bleibt oder in einem Käfige gehalten wird, insoweit, daß sie die ganze Nacht schlafend zubringt; läßt man sie aber in der Wohnung frei umherlaufen, so bringt sie dieselbe Ordnung wie im Freien zu Stande. Sie schläft dann bloß während der Mitternacht und in den Mittagsstunden und jagt vom frühen Morgen bis Abend den jungen Mäusen und Ratten nach, von denen sie besser als eine Katze das Haus zu reinigen versteht.

Bloß die wilden Indianer, für deren Gaumen keine Art von Fleisch zu schlecht zu sein scheint, essen den Maikong; die Europäer finden sein Fleisch abscheulich. Jene benutzen auch sein Fell, um kleine Säcke daraus zu verfertigen oder dasselbe in Riemen zu zerschneiden welche sie dann als Zierrath gebrauchen; gleichwohl jagen sie das Thier nicht besonders häufig. Wenn sich die Hyrare [111] verfolgt sieht, versteckt sie sich, falls sie Gelegenheit dazu findet, in einem Erdloche oder in einem hohlen Stamme oder klettert auf einen hohen Baum. Fehlt ihr aber ein solcher Zufluchtsort, so erreichen die Hunde sie sehr bald, da sie kein Schnelläufer ist, und überwältigen sie nach einer kurzen, aber muthigen Gegenwehr. »Die Hyrare«, sagt Hensel, »ist schwierig zu jagen und wird darum nicht häufig erlegt. Vor Hunden läuft sie nicht sogleich, sondern läßt sich erst lange treiben; doch erkennt man bald an dem eifrigen Bellen und an der Schnelligkeit der Jagd, wenn jene auf ihrer Fährte sind. Rücken sie ihr zu nahe auf den Leib, so bäumt sie pfeilschnell und setzt ihre Flucht durch die Kronen der hohen Bäume fort, um nach einiger Entfernung wieder den Boden zu gewinnen. Dadurch entgeht sie in den meisten Fällen dem Jäger; denn die Hunde bleiben an dem Baume, welchen sie zuerst erkletterte, stehen und bellen fortwährend hinauf, und wenn sie auch den Baum umkreisen, finden sie doch nicht die frische Fährte, da die Hyrare erst in größerer Entfernung wieder auf den Boden herabkommt. Alte sehr erfahrene Hunde kennen zwar ihre Gewohnheiten und suchen sie auf ihrer Flucht durch die Baumkronen im Auge zu behalten, allein deren Dichtigkeit verhindert in der Regel den Erfolg.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 109-112.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon