Kragenbär (Ursus torquatus)

[178] Als asiatischen Vertreter des Baribal darf man den Kragenbären oder Kuma der Japanesen, Wiógene der Birar-Tungusen (Ursus torquatus, U. tibetanus und japonicus?) betrachten. Er kommt zwar jenem in der Größe nicht ganz gleich, ähnelt ihm aber sehr in der Färbung. Seine Gestalt ist verhältnismäßig schlank, der Kopf spitzschnäuzig, auf Stirn und Nasenrücken fast geradlinig, die Ohren sind rund und verhältnismäßig groß, die Beine mittellang, die Füße kurz, die Zehen mit kurzen, aber kräftigen Nägeln bewehrt. Behaarung und Färbung scheinen ziemlich bedeutenden Abänderungen unterworfen zu sein, falls sich die Angaben wirklich auf ein und dasselbe Thier und nicht auf zwei verscheide Arten beziehen. Cuvier, welcher den von Duvaucel in Silhet entdeckten Bär zuerst beschrieb, gibt an, daß der Pelz, mit Ausnahme einer zottigen Mähne am Halse, glatt und bis auf die weißliche Unterlippe und die weiße Brustzeichnung sowie die röthlichen Schnauzenseiten gleichmäßig schwarz sei. Die Brustzeichnung wird mit einem Y verglichen; sie bildet ein Querband in der Schlüsselbeingegend, von welchem sich in der Mitte nach der Brust zu ein Stiel oder Streifen abzweigt. Wagner sah einen anderen Kuma lebend in einer Thierschaubude, welcher von der eben gegebenen Beschreibung insofern abwich, als bei ihm fast die ganze Schnauze bräunlich gefärbt erschien und ein gleichgefärbter Flecken über jedem Auge sich zeigte. Auch fehlte der Brustbinde jener nach dem Bauche zu verlaufende Stiel. Unsere Abbildung stellt ein Paar dieser Bären dar, welche aus Japan stammten, im Thiergarten zu Rotterdam lebten und im ganzen mit der Wagner'schen Beschreibung übereinstimmten.

Es ist immerhin möglich, daß sich die »Mondfleckbären« der Japanesen von jenen des Festlandes unterscheiden, bis jetzt fehlen jedoch genügende Beobachtungen, daß wir ein richtiges Urtheil hierüber fällen könnten. Gefangene aus Japan, welche ich sah, wichen nicht unwesentlich von den festländischen Verwandten ab, keinesfalls aber mehr als die Landbären, über deren Arteinheit oder Artverschiedenheit die Meinungen, wie wir sahen, auch noch getheilt sind. Wenn wir alle Kragenbären als zu einer Art gehörig betrachten, ergibt sich, daß diese Art weit verbreitet ist. Bald nach Duvaucels Entdeckung fand Wallich unseren Bären in Nepal auf, Siebold sagt in seinem Werke über die Thierwelt Japans, daß der Kuma nicht bloß in China und Japan, sonder auch in den meisten Gebirgen des Festlandes und der Inseln Südasiens häufig vorkomme, und Radde endlich lernte ihn als Bewohner Südostsibiriens kennen. In Tibet dagegen scheint er, trotz seiner lateinischen Nebenbenennung, nicht gefunden zu werden.

Ueber Lebensweise und Betragen verdanken wir Adams und Radde Mitheilungen. In Nordindien und Kaschmir bewohnt der Kragenbär am liebsten Walddickichte in der Nähe von Feldern und Weinbergen, in Südostsibirien dagegen die hochstämmigen Waldungen. Als vorzüglicher Kletterer erklimmt er mit Leichtigkeit die höchsten Bäume; die Birar-Tungusen versicherten Radde, daß er überhaupt selten zum Boden herabkomme, im Sommer in den Baumkronen durch Aneinanderbiegen und Verschlingen von Zweigen sich kleine Lauben mache und im Winter in sitzender Stellung in hohlen Bäumen schlafe. Die Lauben selbst hat Radde wiederholt gesehen, von den Eingeborenen jedoch auch erfahren, daß sie nur als Spielereien, nicht aber als Wohnungen zu betrachten seien. Im Himalaya scheint über solche Bauthätigkeit nichts bekannt zu sein, wohl aber stimmt Adams darin mit Radde überein, daß der Kragenbär zu den besten Kletterern innerhalb seiner Familie zählt; denn wenn in Kaschmir die Waldnüsse und Maulbeeren reifen, besteigt er die höchsten Bäume, um diese Früchte zu plündern. Außerdem erscheint er als unliebsamer Besucher in Maisfeldern und Weingärten und thut hier oft so große Schaden, daß die Feldbesitzer sich genöthigt sehen, Wachtgerüste zu errichten und diese mit Leuten zu besetzen, welche durch lautes Schreien die sich einstellenden Bären in die Flucht zu scheuchen versuchen. Wohl nur, wenn der größte Hunger ihn treibt, vergreift sich ein Kragenbär gelegentlich auch an Kleinvieh und bloß im [178] äußersten Nothfalle an einem Menschen. Die Birar-Tungusen erzählten Radde, daß er feige und gefahrlos sei, weil er einen kleinen Rachen habe und nur beißen, nicht aber reißen könne wie der Landbär; Adams aber erfuhr auch das Gegentheil und versichert, daß er, plötzlich überrascht, zuweilen zum Angriffe schreitet. Bei seinen nächtlichen Ausflügen flüchtet er regelmäßig vor dem Menschen. Sobald er einen solchen wittert, und er soll dies auf große Entfernung vermögen, schnüffelt er in die Luft, bekundet sein Erregtsein, geht einige Schritte in der Richtung, aus welcher der Wind kommt, weiter, erhebt sich, bewegt das Haupt von einer Seite zur anderen, bis er von der ihm drohenden Gefahr sich vergewissert zu haben glaubt, macht dann Kehrt und eilt davon mit einer Schnelligkeit, welche demjenigen unglaublich dünkt, der ihn nur im Käfige kennen gelernt hat. Wird er auf einem Felsenpfade plötzlich erschreckt, so rollt er sich zu einem Ballen zusammen und über den Abhang hinab, wie Adams selbst gesehen zu haben versichert, manchmal über dreihundert Yards weit. Bei Begegnungen mit dem Landbären soll übrigens nicht er, sondern dieser zuerst den Rücken kehren, ob gerade aus Furcht, muß dahingestellt bleiben, da die Eingeborenen auch von einem nicht feindschaftlichen Verhältnisse zwischen beiden zu berichten wissen. Wenn beide Bären, so erzählen sie, im Herbste gemeinschaftlich die tieferen Waldungen bewohnen, folgt der Landbär seinem Verwandten und wartet, da er selbst nicht gut klettert, bis dieser einen Fruchtbaum bestiegen hat, um sodann die abfallenden oder von dem Kragenbären abgestreiften Früchte zu verzehren. Die Jungen des letzteren, zwei an der Zahl, werden im Frühjahre geboren und bleiben während des Sommers bei der Alten. Das Fleisch gilt bei den Japanern wie bei den Birar-Tungusen für wohlschmeckender als das des Landbären.

Gefangene Kragenbären, welche gegenwärtig in alle größeren Thiergärten zu sehen sind, ähneln in ihrem Betragen am meisten dem Baribal, haben so ziemlich dessen Eigenheiten und Gewohnheiten, stehen geistig ungefähr auf derselben Stufe mit ihm und zeichnen sich höchstens durch die Zierlichkeit ihrer Bewegungen vor ihm aus.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 178-179.
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