Brasilianischer Rehhund

[603] »Ein Wild gibt es, das Lieblingswild des Brasilianers, welches auch mit den besten seiner gewöhnlichen Hunde nicht zu jagen wäre, das Reh. Hierdurch war die Veranlassung gegeben, eine neue Rasse zu bilden, und in der That konnte sie nicht vorzüglicher erzeugt werden. Der brasilianische Rehhund gehört zu den besten, welche wir kennen, obgleich der Brasilianer aus angeborener Trägheit nichts für Verbesserung der Rasse thut und diese daher öfters noch der Gleichmäßigkeit entbehrt.

Der Rehhund ist von mittlerer Größe, eher klein als groß, etwa wie ein Schäferhund, aber mit höheren Beinen, sein Kopf spitz, das Ohr sehr groß, zugespitzt und aufrechtstehend, das Genick stark, die Brust sehr tief, der Leib hoch hinaufgezogen, der Schenkel kräftig und muskelig, der Schwanz lang und dünn, die Farbe verschieden, gewöhnlich rehfarben. Das ganze Gepräge ist entschieden windhundartig, und ich hörte, wie ein deutscher Ansiedler seinen in Brasilien geborenen Kindern einen meiner Hunde als einen Windhund zeigte. Trotz dieser Aehnlichkeit ist doch der Geruch des Rehhundes ein außerordentlich feiner, und ich habe Thiere gesehen, welche noch nach einer vollen Stunde, nachdem das Reh einen Weg vorsichtig überschritten hatte, die Fährte desselben aufnahmen. Hierin unterscheidet er sich wesentlich vom Windhunde, von dem er nur die knappe Form, die Bissigkeit und die Ausdauer im Laufen hat.

Zu den vorzüglichen Eigenschaften des Rehhundes gehört die Schnelligkeit, doch macht sie sich nur als Ausdauer geltend; denn er jagt langsam, wie es die Natur des Urwaldes mit sich bringt. Man gebraucht gewöhnlich zwei Hunde zur Jagd, welche einander kennen, unterstützen und anfeuern. Mehrere Hunde stören einander, ein einzelner gibt eher die Jagd auf. Die Rehhunde haben vor allen brasilianischen Hunden die Gewohnheit, auf eigene Faust zu jagen. Sie verlassen, sobald sie losgekoppelt sind, den Jäger, und er sieht sie nicht eher wieder als nach Beendigung der Jagd, oft erst in seiner Wohnung, zuweilen wohl am nächsten Tage. Sobald die Hunde losgelassen sind, eilen sie die Berganhöhen hinauf und bringen bald ein Reh getrieben, welches stets im Thale nach dem Wasser flüchtet. Hier haben sich die Schützen aufgestellt, denen das Reh nicht selten zum Schusse kommt. Ist dies nicht der Fall, so geht die Jagd weiter und dauert bei guten Hunden so lange, bis sie das Reh ermüdet und niedergerissen haben. Dann sättigen sie sich daran und treten [603] den Heimweg an, ohne weiter nach dem Jäger zu fragen.Zuweilen dauert bei ungünstigem Boden, vielen Schluchten und undurchdringlichen Dickichten die Jagd stundenlang, weil das Reh stets Zeit findet, sich wieder zu erholen.


Dänischer Hund (Canis familiaris danicus). 1/10 natürl. Größe.
Dänischer Hund (Canis familiaris danicus). 1/10 natürl. Größe.

Kommt es nicht zum Schuß, so ist es für den Jäger immer verloren, auch wenn es die Hunde endlich niederreißen. Dies betrachtet der wahre Jäger nicht als Unglück, die Hauptsache bleibt ihm immer das Jagen der Hunde. Mit verhaltenem Athem, etwas vorgebeugt, lauscht er ihrem Bellen, wenn es wie Glockenton rein und hell in das Thal niederschallt. Langsam, aber stetig nähert sich die Jagd. Ein guter Hund darf nicht hitzig sein, er würde in den zahllosen Dornen der Dickungen sich verwunden und leicht die Fährte verlieren. Ein europäischer Hund würde hier nicht genügen, vielmehr durch Hitze erschöpft und durch die Dornen verwundet, bald unbrauchbar werden. Hier helfen dem Rehhunde seine Leichtigkeit und Gewandtheit; doch vermeidet er wie die Windhunde das Wasser.

So gern der Rehhund jagt, so wenig gern stellt er das Wild. Kann er es nicht niederreißen, so verläßt er es bald. Nachher ist er auch für die Jagd auf Bisamschweine oder den Tapir nicht so brauchbar; denn die ersteren flüchten unter Felsen oder in hohle Bäume und die Ante oder der Tapir stellt sich den Hunden im Wasser. Dagegen liefert die Kreuzung zwischen dem Rehhunde und gewöhnlichem Jagdhunde oft sehr werthvolle Erzeugnisse für die Jagd auf die größeren Wildarten.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCIII603-DCIV604.
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