Dächsel (Canis familiaris vertagus)

[613] Eine von den Doggen sehr verschiedene Gruppe ist die der Dächsel (Canis familiaris vertagus). Sie zählen jedenfalls zu den eigenthümlichsten und merkwürdigsten aller Hunde. Der lange, walzenförmige, nach unten gekrümmte Leib mit dem eingebogenen Rücken, welcher auf kurzen, verdrehten Ständern ruht, der große Kopf und die große Schnauze mit dem tüchtigen Gebisse, die hängenden Ohren, die großen Pranken mit den scharfen Krallen und das kurze, glatte, straffe Haar kennzeichnen sie. Die Beine sind sehr kurz, plump und stark; die Handgelenke der vorderen nach einwärts gebogen, so daß sich beide fast berühren, von da an aber plötzlich wieder nach auswärts gekrümmt; an den Hinterpfoten bemerkt man eine etwas höher gestellte, gekrallte Afterzehe.


Dächsel (Canis familiaris vertagus). 1/8 natürl. Größe.
Dächsel (Canis familiaris vertagus). 1/8 natürl. Größe.

Der Schwanz ist an der Wurzel dick, gegen das Ende zu verschmälert, reicht ziemlich bis an das Fersengelenk hinab und wird hoch nach aufwärts gerichtet und stark nach einwärts gebeugt, selten gerade ausgestreckt getragen. Die kurze Behaarung ist grob, aber glatt und von ziemlich wechselnder Färbung, oben gewöhnlich schwarz oder braun, unten rostroth, nicht selten auch einfarbig braun oder gelblich, ja selbst grau oder gefleckt. In der Regel finden sich ein Paar hellrostrothe Flecken über beiden Augen; doch kom men solche auch bei anderen Hunden vielfach vor.

Man ist darüber vollkommen im Unklaren, woher der Dachshund stammt, obgleich man ziemlich allgemein annimmt, daß seine ursprüngliche Heimat in Spanien gesucht werden müsse. Hiermit stimmt freilich die Thatsache, daß man gegenwärtig in Spanien keine Dachshunde mehr findet, schlecht überein. »Die von einem meiner Bekannten hier eingeführten Dächsel«, schreibt mir mein Bruder, »gingen bei bester Pflege binnen zwei oder drei Jahren zu Grunde, trotzdem sie anfänglich sich sehr wohl zu befinden schienen und auch sich fortpflanzten. Einen ersichtlichen Grund für solche Hinfälligkeit vermochte man bisher nicht zu finden.« Im Verhältnisse zu seiner geringen Größe ist der Dachshund ein außerordentlich starkes Thier, und hiermit steht sein großer Muth im besten Einklange. Aufs Jagen erpicht, wie kaum ein anderer Hund, würde er zur Verfolgung jedes Wildes verwendet werden können, besäße er nicht die Unarten, auf seinen Herrn wenig oder nicht zu achten und das Erjagte gewöhnlich anzuschneiden. Alle Dächsel haben eine sehr feine Spürnase und ein außerordentlich feines Gehör, Muth und Verstand im hohen Grade, Tapferkeit und Ausdauer und können daher zu jeder Jagd gebraucht werden, gehen selbst auf Schweine tolldreist los und [613] wissen sich auch prächtig vor dem wüthenden Eber zu schützen, welcher sie ihres niederen Baues halber ohnehin nicht so leicht fassen kann wie einen größeren Hund. Sie sind klug, gelehrig, treu, munter und angenehm, wachsam und von Fremden schwer zu Freunden zu gewinnen, leider aber auch listig und diebisch, im Alter ernst, mürrisch, bissig und oft tückisch: sie knurren und fletschen die Zähne sogar gegen ihren eigenen Herrn. Gegen andere Hunde äußerst zänkisch und kampflustig, streiten sie fast mit jedem, welcher sich ihnen naht, selbst mit den größten Hunden, welche ihnen eine offenbare Niederlage in Aussicht stellen. Bei solchen Beißereien mit großen Hunden bekunden sie eine wahrhaft niederträchtige List; denn sobald der Gegner es versucht, sich zu vertheidigen, werfen sie sich auf den Rücken und versuchen ihn in die empfindlichsten Theile des Unterleibes zu beißen, um ihn hierdurch zu verscheuchen oder zu zwingen, von fernerem Kampfe abzustehen.

Bei der Jagd hat man seine liebe Noth mit ihnen. Der Dächsel nimmt die Verfolgung des Wildes mit einer unglaublichen Gier auf und begibt sich mit Hast in die ärgsten Dickichte, sie mögen aus einer Baumart bestehen, aus welcher sie wollen; er findet, Dank seiner vortrefflichen Sinne, auch bald ein Wild auf: nun aber vergißt er alles. Er mag früher wegen seines Ungehorsams soviel Prügel bekommen haben, als er nur will, – ganz gleichviel; der Jäger mag pfeifen, rufen, nach ihm suchen, – hilft alles nichts: solange er das Wild vor Augen hat oder dessen Fährte verfolgt, geht er seinen eigenen Weg mit einer Willkür, welche bei Hunden geradezu beispiellos ist. Stundenlang folgt er dem aufgescheuchten Hasen, stundenlang scharrt und gräbt er an einem Bau, in welchen sich ein Kaninchen geflüchtet hat; unermüdlich jagt er hinter dem Reh drein und vergißt dabei vollständig Raum und Zeit. Ermüdet er, so legt er sich hin, ruht aus und setzt dann seine Jagd fort. Erwischt er ein Wild, z.B. ein Kaninchen, so schneidet er es an und frißt im günstigsten Falle die Eingeweide, wenn er aber sehr hungerig ist, das ganze Thier auf. Er weiß, daß er dafür bestraft werden wird, er versteht genau, daß er Unrecht thut; doch das ist ihm gleichgültig: die Jagdbegierde überwindet alle Furcht vor Strafe, alle besseren Gefühle.

Aus diesen Gründen ist der Dachshund gewöhnlich nur zu einer Jagdweise zu gebrauchen: unterirdisch wohnende Thiere aus ihren Wohnungen zu treiben. Schon sein niederer Bau, die krummgebogenen Beine und die kräftigen Pranken mit den scharfen Zehen deuten darauf hin, daß er zum Graben und zum Befahren von Bauen unter Grund außerordentlich geeignet ist, und sein Muth, seine Stärke und seine Ausdauer sichern ihm bei solchen Jagden den besten Erfolg. Dächsel mit sehr gekrümmten Beinen haben geringeren Werth als solche mit mehr geraden Läufen. Sie sind unfähig, sehr zu laufen, oder ermüden wenigstens eher; die Jäger haben sie aber doch gern, wahrscheinlich, weil sie das Gepräge des Dachshundes am besten ausdrücken.

Einer Abrichtung bedarf der Dachshund nicht. Man sucht sich Junge von einer recht guten Alten zu verschaffen und hält sie im Sommer in einem freien Zwinger, im Winter in einem warmen Stalle, vermeidet auch alles, was sie einschüchtern könnte; denn der ihnen angeborene Muth muß unter allen Umständen gestählt oder wenigstens erhalten werden. »Für den Hauptzweck«, sagt Lenz, »zum Eindringen in Dachs- und Fuchsbaue, verwendet man den Dachshund nicht eher, als bis er ein Jahr alt ist. Das erste Mal führt man ihn an der Leine oder trägt ihn in einem Korbe im Mai an einen Fuchsbau, worin Junge sind, läßt einen guten alten Hund vorweg hinein und einen Jungen unter dem Zurufe: ›faß das Füchschen‹ hinterdrein. Weigert er sich, darf man ihn nicht zwingen wollen; man nimmt ihn auf, macht einen Einschlag über dem Fuchsbau bis zu den jungen Füchsen und läßt ihn hinab, um sie zu erwürgen. Dies wiederholt man einige Male und braucht ihn erst dann allein. So oft er dabei aus dem Baue kommt, um nach seinem Herrn zu sehen, wird er schnell ein wenig aufgenommen. Dies macht ihn um so begieriger, wieder hineinzukriechen. Erst nach langer Zeit bringt man ihn an den alten Fuchs. In dem Baue muß der gute Dachshund den Fuchs in den Kessel treiben und dann in geringer Entfernung solange vor ihm liegen und laut sein, bis vor ihm eingeschlagen ist. Kann er den Fuchs nicht aus dem Kessel treiben, so muß er ihn aus dem Baue herausbeißen.

[614] Ich jagte sonst öfters mit zwei Dachshündchen, welche so klein waren, daß sie bequem neben einander in die Röhre des Fuchsbaues gingen. Sie waren aber so scharf, daß sie jeden Fuchs unbarmherzig austrieben. Einst brachten sie aus einem Loche, welches von dichtem Gebüsche umgeben war, einen hervor. Der Fuchs kam so vor mich zu stehen, daß die Mündung meiner Flinte nahe über seinem Kopfe war, konnte aber, von hinten durch die wüthenden Zwerge bedrängt, nicht rückwärts. Er hielt inne und sah mich starr an. Ich konnte mich nicht gleich entschließen, abzudrücken, sondern beobachtete ihn erst ungefähr anderthalb Minuten lang, wobei seine Blicke jeden Biß verriethen, den ihm die Hunde von hinten gaben. Endlich drückte ich ab und zerschmetterte ihm den Kopf. Ein andermal trieben dieselben Hündchen einen Fuchs heraus; der eine hatte sich so fest in den Schenkel gebissen, daß ihn der Fuchs eine Strecke und zwar so weit mit sich fortschleppte, bis er geschossen wurde.«

Vom Dachse oder Fuchse wird unser Hund oft sehr heftig gebissen; dies behelligt ihn aber gar nicht: er ist viel zu muthig, als daß er dergleichen ruhmvolle, im Kampfe erworbene Wunden beachten sollte, und brennt nachher nur um so eifriger auf die Verfolgung der ihm unausstehlichen Geschöpfe. Man muß es selbst mit angesehen haben, mit welcher Begierde er solche unterirdische Jagd betreibt, um den, trotz mancher ärgerlichen Eigenschaften liebenswürdigen Gesellen vom Herzen zugethan zu werden. Welche Ungeduld, wenn er nicht sogleich einschlüpfen darf, welcher Jammer, wenn er sehen muß, daß ein anderer seinesgleichen ihm bevorzugt und in den Bau gelassen wird! Am ganzen Leibe zitternd vor Jagdbegier, winzelt er kläglich aber leise, verhalten, verschwendet er an jeden ihm sich nähernden Jäger bittende Blicke und Zärtlichkeiten, um den gestrengen Gebieter zu erweichen, daß er ihm gestatte, wenigstens nachzusehen, ob der gehaßte Feind in seinem Daheim anwesend ist oder nicht. Wie will er ihn zwicken und beißen, wie unwiderstehlich auf den Leib rücken, wie fest ihn belagern, wie sicher ihn austreiben! Endlich am Ziele seiner heißen Wünsche, leckt er noch im Fluge dankbar die Hand des ihm Gewährenden, kriecht eilig in den Bau, und arbeitet mit Bellen und Kratzen, daß ihm der Athem zu vergehen droht. Das glatte schöne Fell bestäubt und eingesandet, Augen, Nasenlöcher und Lippen mit Schmutzrändern umgeben, die Zunge dürr und schlaff, erscheint er vor dem Baue, um frische Luft zu schöpfen: aber nur auf Augenblicke; denn flugs geht es von neuem in die Röhre, und dumpfer und dumpfer dringt sein lebendiges »Hau, Hau« bis zum Eingange herauf. Hat er sich endlich bis zu dem zu Bau gefahrenen Dachse oder Fuchse durchgearbeitet, so gibt es für beide kaum noch Vertheidigung. Ob auch der erste mit Gebiß und Pranke drohe, ob er sich zu verklüften suche, ob der letztere zum Kampfe sich stelle: solch ungestümen Anprall, solcher zähen Beharrlichkeit, solchem Kampfesmuthe widersteht auf die Länge weder Grimbart noch Reineke. Heraus an das Tageslicht müssen sie beide.

Nicht minder eifrig betreibt der Dachshund seine Jagd im Freien. Mit Weidmannslust gedenke ich wiederholter Jagden in den hessischen Bergen, welche nicht allein durch liebe und kundige Freunde verschönt und durchgeistigt, sondern auch durch diese Hunde zu besonders reizvollen wurden. Wie prachtvoll sind die Buchenwaldungen mit ihrem herbstlich gefärbten Gelaube an stillen Oktobertagen, wie fesselnd die Jagden trotz aller Wildarmuth der Gegend! Um eines elenden Lampe willen – wie laut werden die Wälder! Klangvoll ertönt das Geläut der jagenden Dachsmeute, bald sich nähernd, bald wieder entfernend, bald verstummend, bald von neuem aufjauchzend, je nachdem der bedrohte Hase, der schlaue Fuchs, das unwillig vor den kleinen Quälgeistern flüchtende Reh sich wendet und kehrt. Mit gespanntester Aufmerksamkeit lauscht man auf den Gang des Treibens, auf den ersten Schuß; mit wahrem Vergnügen folgt man mit Ohr und Auge den wackeren krummbeinigen Gehülfen, welche jeden Busch, jede Hecke durchstöbern und zehnmal eine Strecke durchsuchen, um ja nichts zu übersehen. Und wenn die Dächsel vollends, wie hier die Regel, nach beendetem Treiben zu ihren Führern zurückkehren und sich fesseln lassen, vergibt man ihnen gern alle Unarten, das Anschneiden des von ihnen abgefangenen, verwundeten oder aufgefundenen verendeten Wildes, das wüthende Zerzausen des werthvollen Fuchspelzes, das streckenweise Ueberjagen, ihre Streitlust, [615] Zanksucht, ihre Misgunst und ihren Neid auf andere Hunde und sonstige unliebsame Eigenschaften mehr. Beruhen diese ja doch zum größten Theile auf unbändigem Jagdeifer, kaum oder nicht zu zügelnder Weidlust.

Wie neidisch Dachshunde sein können, erfuhr ich an einem, welchen mein Vater besaß. Der Hund war ein abgesagter Feind aller übrigen Geschöpfe, welche sich auf unserem Hofe befanden. Er lebte mit keinem Thiere in Frieden, und am meisten stritt er sich mit einem Pintscher herum, dessen erbärmliche Feigheit ihm freilich regelmäßig den Sieg sicherte. Nur wenn sich beide Hunde in einander verbissen hatten, hielt auch der Pintscher ihm Stand, und dann kam es vor, daß sie, förmlich zu einem Knäuel geballt, nicht bloß über die Treppen, sondern auch von da über eine Mauer hinabrollten, sich über die Gartenbeete fortwälzten und nun in Burzelbäumen den ganzen Berg hinunterkollerten, aber doch ihren Kampf nicht eher einstellten, als bis sie im günstigeren Falle von dem Zaune aufgehalten, im ungünstigeren Falle aber durch das Wasser des Baches, in welchen sie oft mit einander fielen, abgekühlt wurden. Dieser Todfeind sollte einmal die Arznei für den erkrankten Dächsel werden. Letzterer lag elend da und hatte schon seit Tagen jede Nahrung verschmäht. Vergeblich waren die bisher angewandten Hausmittel geblieben: der Hund näherte sich, so schien es, schnell seinem Ende. Im Hause herrschte, trotz des Gedenkens an seine vielen unliebenswürdigen Eigenschaften, tiefe Betrübnis, und namentlich meine Mutter sah seinem Hinscheiden mit Kummer entgegen. Endlich kam sie auf den Gedanken, noch einen Versuch zu machen. Sie brachte einen Teller voll des leckersten Fressens vor das Lager des Kranken. Er erhob sich, sah mit Wehmuth auf die saftigen Hühnerknochen, auf die Fleischstückchen: aber er war zu schwach, zu krank, als daß er sie hätte fressen können. Da brachte meine Mutter den anderen Hund herbei und gebot diesem, den Teller zu leeren. Augenblicklich erhob sich der Kranke, wankte taumelnd hin und her, richtete sich fester und gerader auf, bekam gleichsam neues Leben und – stürzte sich wie unsinnig auf den Pintscher los, knurrte, bellte, schäumte vor Wuth, biß sich in seinem Feinde fest, wurde von dem tüchtig abgeschüttelt, blutig gebissen und jedenfalls so erregt, erzürnt und erschüttert, daß er anfangs zwar wie todt zusammenbrach, allein von Stunde an sich besserte, und nach kurzer Zeit von seinem Fieber genas.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXIII613-DCXVI616.
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