Rosenbrustknacker (Hedymeles ludovicianus)

[328] Der Vogel, von welchem der dichterische Forscher so begeistert spricht, ist der Rosenbrustknacker (Hedymeles ludovicianus, Loxia ludoviciana, rosea und obscura, Coccothraustes ludovicianus und rubricollis, Coccoborus ludovicianus, Fringilla, Guiraca und Goniaphaea ludoviciana), Vertreter der Sippe der Singknacker (Hedymeles), deren Merkmale in dem kurzen, mehr oder minder dicken, ausnahmsweise auch ungewöhnlich starken Kegelschnabel, dessen oberer Scheidenrand am Mundwinkel eckig herabgebogen ist, den verhältnismäßig kleinen und schwachen Füßen, den langen Flügeln, unter deren Schwingen die zweite, dritte und vierte die Spitze bilden, dem kurzen, gerade abgeschnittenen Schwanze und dem reichen, derben Gefieder zu suchen sind. Die Länge beträgt achtzehn, die Breite neunundzwanzig, die Fittiglänge neun, die Schwanzlänge sieben Centimeter. Oberseite, Flügel, Schwanz, Kinn und Oberkehle sind schwarz, die übrigen Untertheile, mit Ausnahme eines breiten, winkelig bis zur Brustmitte herabgezogenen scharlachrothen Kropfschildes, weiß, Bauch und Schenkelseiten mit einzelnen schwarzen Strichen gezeichnet, die Handschwingen in der Wurzelhälfte auf beiden Fahnen, die Armschwingen, deren Deckfedern sowie die größten oberen Flügeldecken am Ende weiß, die Achseln und unteren Flügeldecken scharlachroth, die äußeren Schwanzfedern innen in der Endhälfte weiß. Der Augenring ist nußbraun, der Schnabel blaßgelb, der Fuß graulichbraun. Beim Weibchen sind die Obertheile erdbraun, durch dunklere Schaftstriche, Kopf und Brust gelbbräunlich, durch dunklere Längsstriche gezeichnet, ein Längsstreifen auf dem Scheitel, ein breiter Augenbrauenstreifen und der Zügel weiß, die Kopfseiten, Schwingen und Steuerfedern braun, die Armschwingen, deren Deckfedern und die größten Oberflügeldecken am Ende weiß, die Unterflügeldeckfedern orangefarben.

Das Verbreitungsgebiet umfaßt den Osten der Vereinigten Staaten, nördlich bis zum Saskatchewan, westlich bis Nebraska, das Wandergebiet auch Mittelamerika, bis Neugranada herab. Innerhalb der angegebenen Länder tritt der Vogel jedoch nicht regelmäßig und immer nur einzeln auf. Häufig ist er im südlichen Indiana, im nördlichen Illinois und im westlichen Jowa; in Massachusetts scheint er allmählich zuzunehmen.

»Ich habe«, fährt Audubon fort, »diesen prachtvollen Vogel in den unteren Theilen von Louisiana, Kentucky und Cincinnati im März, wenn er ostwärts zog, oft beobachtet. Er flog dann in bedeutender Höhe und setzte sich nur zuweilen auf die Spitze des höchsten Baumes im Walde, als ob er ein wenig ruhen wolle. Ich habe ihn auf seiner Wanderschaft verfolgt, in Pennsylvanien, New York und anderen östlichen Staaten, durch die britischen Provinzen von Neubraunschweig und Neuschottland bis Neufundland, wo er häufig Brutvogel ist; aber niemals sah ich ihn in Labrador und ebensowenig an der Küste von Georgia oder Karolina, obgleich er hier in den Gebirgen vorkommt. [328] Längs der Ufer des Schuylkillflusses, zwanzig oder dreißig Meilen von Philadelphia, traf ich ihn zu Ende des Mai in zahlreicher Menge, ebenso in den großen Fichtenwäldern desselben Staates, noch häufiger aber in New York und vorzugsweise längs des prächtigen Flusses, dessen ich oben gedachte, oder am Ontario und Eriesee. Sein Flug ist hart, geradeaus, aber gefällig. Wandernd streicht er hoch über die Wälder dahin und stößt ab und zu einen hellen Ton aus, während er zu schweigen pflegt, wenn er sich niedergelassen hat. Dies geschieht gegen Sonnenuntergang, und zwar wählt er sich immer den höchsten Baumwipfel, auf welchem er sich aufrecht und steif hält, so lange er hier verweilt. Nach wenigen Minuten senkt er sich gewöhnlich in ein Dickicht hernieder, um in ihm die Nacht zu verbringen.« Die Nahrung besteht in Grassämereien und Beeren, im Frühlinge auch in Knospen und zarten Blüten.


Kardinal (Cardinalis virginianus) und Rosenbrustknacker (Hedymeles ludovicianus). 5/8 natürl. Größe.
Kardinal (Cardinalis virginianus) und Rosenbrustknacker (Hedymeles ludovicianus). 5/8 natürl. Größe.

Nebenbei jagt er Kerbthiere, nicht selten im Fluge.

Das Nest fand Audubon vom Ende des Mai an bis zum Juli in den obersten Zweiggabeln niederer Büsche oder höherer Bäume, am liebsten auf solchen, welche ein Gewässer beschatten. Es besteht aus trockenen Baumzweigen mit dazwischen verwobenen Blättern und Rindenstücken der wilden Rebe und ist innen mit zarten Würzelchen und Roßhaaren ausgekleidet. Vier bis fünf [329] Eier von ungefähr sechsundzwanzig Millimeter Längs- und achtzehn Millimeter Querdurchmesser, blaugrüner Grundfärbung und röthlichbrauner und graublauer über das ganze Ei vertheilter, gegen das stumpfe Ende einen Kranz bildender Fleckung bilden das Gelege. Beide Geschlechter brüten, wie es scheint, nur einmal im Jahre. Die Jungen werden zuerst mit Kerbthieren, später mit im Kropfe aufgequellten Sämereien gefüttert. Erst im dritten Lebensjahre legen sie das Kleid ihrer Eltern an.

Unter den Amerikanern gilt der Rosenbrustknacker für einen der besten und unermüdlichsten Sänger. Sein Lied ist reich an Weisen und höchst wohllautend; die einzelnen Töne sind voll und klar. Bei guter Witterung singt er während der Nacht, wie Nuttall sagt: »mit all den verschiedenen, ergreifenden Tönen der Nachtigall, bald schmetternd, laut, klar und voll, bald klagend und hierauf wieder lebhaft und endlich zart, süß und gehalten«. Besagter Berichterstatter glaubt, daß er von keinem anderen amerikanischen Singvogel, mit alleiniger Ausnahme der Spottdrossel, übertroffen werde, geht hierin aber offenbar zu weit. Das Gepräge des Gesanges ist das der Klage, gleichsam der Ausdruck der Wehmuth, und ein solches Lied kann zuletzt geradezu zur Verzweiflung bringen. Demungeachtet zählt der Rosenbrustknacker zu den guten Sängern und außerdem zu den dauerhaftesten Käfigvögeln.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 328-330.
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