Waldammer (Emberiza rustica)

[281] Dem Zwergammer nahe verwandt ist der Waldammer (Emberiza rustica, borealis, provincialis und lesbia, Hypocenter und Cynchramus rusticus). Bei ihm sind Oberkopf und [281] Kopfseiten schwarz, ein breiter Schläfenstrich, Kinn und Kehle weiß, die Obertheile, ein breites Querband über den Kopf und die unteren Seiten dunkel rothbraun, die übrigen Untertheile und die unteren Flügeldecken weiß, Mantel-und Schulterfedern mit breiten schwarzen Schaftflecken, die rothbraunen Seitenfedern mit weißen Rändern, die dunkelbraunen Schwingen mit fahlbraunen Außensäumen, die braunschwarzen Armschwingen- und größten Oberdeckfedern mit braunen Außen- und weißen Endsäumen, welche zwei weiße Querbinden bilden, geziert, die kleinen oberen Deckfedern rothbraun, die Schwanzfedern schwarz, die beiden mittelsten braun gerandet, die beiden äußeren innen in Gestalt eines Längsfleckes, die äußersten außen fast bis zu Ende weiß. Der Augenring ist braun, der Schnabel röthlichbraun, auf der Firste dunkler, der Fuß horngelb. Beim Weibchen sind Vorder- und Oberkopf rostbraun, dunkel geschaftet, ein Schläfenstrich rostgelb, Kinn und Kehle rostweißlich, Nacken und Kropfquerbinde rostroth, jede Feder am Ende rostgelblich gesäumt, die Seite rothbraun längsgefleckt. Die Länge beträgt einhundertundsiebzig, die Breite zweihundertundsiebzig, die Fittiglänge vierundachtzig, die Schwanzlänge achtundsechzig Millimeter.

Das Verbreitungsgebiet des Waldammers fällt mit dem des verwandten Zwergammers fast zusammen, erstreckt sich aber weiter nach Westen hin und reicht somit von Kamtschatka bis Lappland. Beide Vögel besuchen im Winter südlichere Gegenden; während ersterer aber regelmäßig bis Südchina und Mittelindien herabzieht, entfernt sich der letztere niemals so weit von seiner Heimat. Ebenso wie beide in südlicher Richtung wandern, reisen sie auch in südwestlicher, berühren bei dieser Gelegenheit unser Vaterland und durchziehen dasselbe unerkannt oder unbeachtet viel häufiger, als wir, auf unsere bisherigen Beobachtungen uns stützend, glauben.

Ueber Lebensweise und Betragen der beiden nahe verwandten Arten ist wenig zu berichten. Beide bewohnen die Waldungen ihrer nördlichen Heimat, insbesondere die Weidenbestände an den Ufern und auf den Inseln der nördlichen großen Ströme, erscheinen hier jedoch nur, um zu brüten, und wandern, sobald sie ihre Brut aufgezogen haben, ebenso langsam wieder weg, als sie kamen. Radde hebt hervor, daß der Waldammer in Ostsibirien unter allen Verwandten am frühesten den Südosten Sibiriens durchreist, bereits am sechsundzwanzigsten März am Tarainor, nach der Wanderung durch die öden Steppen aber so todtmüde antrifft, daß er mit der Hand gefangen werden kann, nunmehr weiterzieht, um zu Ende des April oder im Mai seine Heimat zu erreichen. Aehnliches dürfte für den Zwergammer Gültigkeit haben. Ueber sein Sommerleben kann ich nach eigener Anschauung einiges berichten. Entsprechend der Bodenfärbung und versteckten Lebensweise übersieht man den kleinen Vogel leicht und bekommt ihn eigentlich nur dann vor das Auge, wenn das Männchen auf eine Baumspitze fliegt, um von dieser aus seinen sehr kurzen, dürftigen Ammergesang, eigentlich nur drei oder vier Töne, vernehmen zu lassen. Sobald der Schnee in den Waldungen geschmolzen, erst um die Mitte des Juni, schreitet das Paar zur Fortpflanzung. Ein Nest, welches das Lahmheit heuchelnde Männchen mir verrieth, fand ich am elften Juli nach langem Suchen auf. Es stand auf dem Boden in altem, dürrem Grase sehr versteckt, war, der Größe des Vogels entsprechend, klein, flach, füllte eine kleine seichte Vertiefung nothdürftig aus und bestand einzig und allein aus feinen, dünnen, gut ineinander verwobenen Grashalmen, ohne irgend welche Auskleidung. Die Alten geberdeten sich ungemein ängstlich und verstellten sich in üblicher Weise; durch das warnende Männchen bewogen, verließ das Weibchen endlich das Nest, hüpfte beim Abgehen von demselben erst längere Zeit, von mir unbemerkt, im Grase fort und zeigte sich sodann in weiter Entfernung freier. Beide Eltern hielten sich, so lange ich suchte, in unmittelbarer Nähe des Nestes auf, kamen bis auf drei Schritte an mich heran und stießen dabei ihren Lockton, ein scharfes, aber schwaches »Zipp, zipp, zipp«, ununterbrochen aus. Ich ließ die Jungen selbstverständlich liegen und würde vielleicht ebenso mit den Eiern verfahren haben, hätte ich solche gefunden. Baldamus, welcher sie durch Middendorff erhielt, bemerkt, daß dieselben sehr verschieden gestaltet, siebzehn bis zwanzig Millimeter lang, vierzehn Millimeter dick und auf gelblichem Grunde, vorzugsweise um das dicke Ende, mit violettbraunen Punkten, Strichen und verwaschenen[282] Flecken gezeichnet sind, denen des Gartenammers am meisten ähneln und durch ihre geringe Größe von ihnen wie von allen übrigen Ammereiern sich unter scheiden. Seebohm, welcher im Juni an der unteren Petschora mehrere Nester fand, beschreibt die Eier in ähnlicher Weise.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 281-283.
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