Hakengimpel (Pinicola enucleator)

[348] Vertreter der letzten Sippe der Unterfamilie, welche wir in Betracht ziehen können, ist der Hakengimpel, Finscher, Hakenkreuzschnabel, Hakenkernbeißer oder Hakenfink, Fichtenhacker, Hartschnabel, Finscherpapagei, Parisvogel und Krabbenfresser (Pinicola enucleator, rubra und americana, Loxia enucleator, flamingo und psittacea, Corythus enucleator, canadensis, angustirostris, splendens und minor, Enucleator angustirostris und minor, Fringilla, Strobilophaga, Pyrrhula und Coccothraustes enucleator). Der Leib ist kräftig, der Schnabel allseitig gewölbt, der Oberschnabel jedoch stark hakig übergebogen, an den Schneiden etwas geschweift; [348] die Füße sind verhältnismäßig kurz, aber stark, die Zehen kräftig, die Krallen groß; die Flügel, unter deren Schwingen die zweite und dritte die Spitze bilden, reichen in der Ruhe bis zum dritten Theile des Schwanzes herab; dieser ist ziemlich lang und in der Mitte ausgeschnitten; das Gefieder endlich zeichnet sich durch seine Dichtigkeit und eigenartige Farbenschönheit aus. Bei den alten Männchen ist ein schönes Johannisbeerroth die vorherrschende Färbung, bei den einjährigen Männchen und Weibchen spielt die Farbe mehr in das Gilbliche; die Kehle ist lichter gefärbt, und der Flügel wird durch zwei weiße Querbinden geziert. Die einzelnen Federn sind am Grunde aschgrau, längs des Schaftes schwärzlich, an der Spitze johannisbeerroth oder bezüglich rothgelb und in der Mitte hier und da dunkler gefleckt, an den Rändern dagegen gewöhnlich etwas lichter gesäumt, wodurch eine wolkige Zeichnung entsteht, die Schwingen und Steuerfedern schwärzlich, heller gerandet. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schmutzigbraun, an der Spitze schwärzlich, der Unterschnabel lichter als der obere, der Fuß graubraun. Die Länge beträgt zweiundzwanzig, die Breite fünfunddreißig, die Fittiglänge zwölf, die Schwanzlänge acht Centimeter.

Alle hochnordischen Länder der Erde sind als die Heimat des schönen und auffallenden Vogels zu bezeichnen. Soweit man weiß, kommt der Hakengimpel nirgends häufig vor, lebt vielmehr während des Sommers paarweise und einzeln in einem ausgedehnten Gebiete und schart sich erst im Herbste. Die dann gebildeten Flüge schweifen während des ganzen Winters in den nordischen Waldungen umher, nähern sich auch wohl einsam stehenden Gehöften und kehren mit Beginn des Frühjahres wieder auf ihre Brutplätze zurück. Einzelne Hakengimpel erscheinen als Wandervögel, wenn auch nicht alljährlich, so doch fast in jedem strengen Winter im nordöstlichen Deutschland und ebenso in den Ostseeprovinzen, Nordrußland und den entsprechenden Landstrichen Nordasiens und Amerikas; zahlreiche Schwärme dagegen kommen unregelmäßig bis zu uns herab: denn nur dann, wenn besondere Ereignisse eintreten, namentlich bedeutender Schneefall, sie zum Wandern in südlichere Gegenden veranlassen, geschieht es, daß die Flüge mit anderen sich zusammenschlagen und demgemäß sehr zahlreiche Schwärme auftreten. In den Jahren 1790, 1795, 1798 und 1803 erschienen die Hakengimpel in so großer Anzahl in den Ostseeländern, daß in der Gegend von Riga allein längere Zeit allwöchentlich etwa tausend Paare gefangen werden konnten; in den Jahren 1821, 1822, 1832, 1844 und 1878 fanden sie sich in Preußen in unschätzbarer Menge ein; in den Jahren 1845, 1856, 1863, 1870 und 1871 traten sie hier wie in Pommern in geringerer Anzahl auf. Weiter nach Norden hin beobachtet man sie allwinterlich in solchen Gegenden, welche sie im Sommer nicht beherbergen; in Mittel- und Süddeutschland dagegen zählen sie ebenso wie in Holland, Belgien, Frankreich und England zu den seltensten Erscheinungen.

Diesen unfreiwilligen Wanderungen in die südlich ihres Vaterlandes gelegenen Gegenden verdanken wir den größten Theil der Kunde, welche wir von ihrem Betragen besitzen. Die Scharen, welche bei uns ankommen, zeigen sich als höchst gesellige Vögel, halten sich bei Tage truppweise zusammen, streifen gemeinschaftlich umher, gehen gemeinsam auf Nahrung aus und suchen vereint nachts den Schlafplatz auf. Auch in der Fremde bilden die ihnen vertrauten Nadelwaldungen ihren bevorzugten Aufenthalt, und namentlich diejenigen, in denen das Unterholz aus Wacholder besteht, scheinen von ihnen gern aufgesucht zu werden. In den Laubhölzern finden sie sich weit seltener; baumlose Ebenen durchfliegen sie so eilig als möglich. Anfangs zeigen sie sich in der Fremde als harmlose, zutrauliche Vögel, als Thiere, welche die Tücke des Menschen noch nicht erfahren haben. Sie bleiben ruhig sitzen, wenn der Beobachter oder der Jäger sich dem Baume naht, auf welchem sie sich versammelt haben, schauen dem Schützen dummdreist ins Rohr und lassen es, gleichsam verdutzt, geschehen, wenn dieser einen um den anderen von ihnen wegfängt oder vom Baume herabschießt, ohne an Flucht zu denken. Man hat mit Erfolg versucht, einzelnen, welche sich gerade mit Fressen beschäftigten, an langen Ruthen befestigte Schlingen über den Kopf zu ziehen, überhaupt erfahren, daß auch die plumpesten Fanganstalten gegen sie angewandt werden dürfen. Von ihrer rührenden Anhänglichkeit zu ihren Gefährten erzählen alle, welche sie in der [349] Freiheit beobachten konnten. So fing man auf einem Vogelherde von einer Gesellschaft, welche aus vier Stück bestand, drei auf einen Zug und bemerkte zu nicht geringem Erstaunen, daß auch der Freigebliebene freiwillig unter das Netz kroch, gleichsam in der Absicht, das Geschick der übrigen zu theilen. Doch würde man irren, wenn man dieses Gebaren als einen Beweis geistiger Beschränktheit auffassen wollte; denn Erfahrung witzigt auch sie und macht sie ebenso mißtrauisch, scheu und vorsichtig, als sie, laut Collett, am Brutplatze zu sein pflegen.

In seinem Benehmen erinnert der Hakengimpel vielfach an die Kreuzschnäbel. Er zeigt sich durchaus als Baumvogel, welcher im Gezweige wohl heimisch, auf dem Boden hingegen fremd ist. In den Kronen der Bäume klettert er sehr geschickt von einem Aste zum anderen, hüpft auch mit Leichtigkeit über ziemlich weite Zwischenräume; die Luft durcheilt er fliegend ziemlich schnell, nach Art der meisten Finken weite Bogenlinien beschreibend und nur kurz vor dem Aufsitzen schwebend; auf dem Boden aber hüpft er, falls er überhaupt zu ihm herab kommt, mit plumpen Sprüngen einher. Der Lockton ist flötend und ansprechend, dem des Gimpels ähnlich, der Gesang, welcher auch während des ganzen Winters ertönt, mannigfach abwechselnd und wegen der sanften, reinen Flötentöne in hohem Grade anmuthend. Während der Wintermonate bekommt man von dem reichen Liede selten eine richtige Vorstellung; der Vogel singt dann leise und abgerissen; im Frühlinge aber, wenn die Liebe in ihm sich regt, trägt er sein Lied mit vielem Feuer kräftig und anhaltend vor, so daß er auch den, welcher die Leistungen der edelsten Sänger kennt, zu befriedigen versteht. In den tageshellen Sommernächten seiner eigentlichen Heimat singt er besonders eifrig, und wird deshalb in Norland der – Nachtwächter genannt. Sein Wesen ist sanft und friedfertig, sein Benehmen gegen den Gatten hingebend und zärtlich im allerhöchsten Grade.

In der Freiheit nährt sich der Hakengimpel von den Samen der Nadelbäume, welche er zwischen den geöffneten Schuppen der Zapfen hervorzieht oder von den Aesten und Zweigen und bezüglich vom Boden aufliest; außerdem nimmt er verschiedene andere Sämereien oder Beeren mancherlei Art gern an und betrachtet Baumknospen oder Grünzeug überhaupt als Leckerbissen. In den Sommermonaten wird er nebenbei vielleicht von Kerbthieren, insbesondere von den in seiner Heimat so überaus häufigen Mücken, sich ernähren und mit ihnen wohl auch seine Jungen auffüttern; doch liegen hierüber, soviel mir bekannt, bestimmte Beobachtungen nicht vor.

Ueber die Fortpflanzung haben wir bisher nur dürftige Berichte erhalten; denn der Hakengimpel kommt im Sommer regelmäßig nicht südlich von Wermland und Dalarna vor. Doch hat er ausnahmsweise schon einmal mitten in Deutschland genistet und zwar zum Glück in unmittelbarer Nähe des Wohnortes unseres Naumann, dessen Vater die erste Beschreibung des Nestes geben konnte. Dasselbe stand in einem lichten Hartriegelstrauche auf einem kleinen Stämmchen, etwa anderthalb Meter hoch über dem Boden, so frei, daß man es schon von weitem bemerkte. Es war ziemlich leicht, kaum besser oder dichter als ein Grasmückennest, gebaut; dürre Pflanzenstengel und Grashalme bildeten die äußeren Wandungen; der innere Napf war mit einzelnen Pferdehaaren ausgelegt. Das Gelege bestand aus vier Eiern. Naumann beschreibt auch diese, jedoch, wie wir später erfahren haben, ungenügend. Sie sind etwa fünfundzwanzig Millimeter lang und zwanzig Millimeter dick, ähneln in Färbung und Zeichnung denen des Gimpels, haben eine schöne, blaßblaue Grundfarbe, sind am stumpfen Ende verwaschen rothbraun gewölkt und zeigen dort auch einzelne kastanienbraune Flecke. Nach Wolley's Befund steht das Nest in Lappland regelmäßig auf niedrigen Fichten, ungefähr vier Meter über dem Boden. Lange, dünne, schmiegsame Zweige bilden den manchmal äußerst locker verflochtenen Außenbau, feinere Wurzeln, Baumflechten und vielleicht auch Halme die dichtere, mit jenem zuweilen nur lose zusammenhängende innere Auskleidung. Das Gelege enthält regelmäßig vier Eier. Nach Naumanns Beobachtung brütet nur das Weibchen, wird aber währenddem von dem Männchen durch seine herrlichen Lieder unterhalten.

Gefangene Hakengimpel gewöhnen sich binnen wenig Stunden an den Käfig, gehen ohne Umstände an geeignetes Futter, werden bald ebenso zahm wie irgend ein anderer Gimpel, halten [350] aber selten längere Zeit im Gebauer aus und verlieren bei der ersten Mauser in letzterem unwiederbringlich ihre prachtvolle Färbung.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 348-351.
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