Grünling (Ligurinus chloris)

[300] Unser Grünling, Grün-, Hirsen-, Hanf- und Kutvogel, Grün- und Rappfink, Grünhanferl, Grünesen, Grinzling, Grönnig, Wonitz, Schwunsch, Schaunsch, Schaunz, Tutter usw. (Ligurinus chloris, chloroticus und aurantiiventris, Chlorospiza chloris und chlorotica, Chloris hortensis, pinetorum, flavigaster und aurantiiventris, Passer, Loxia, Fringilla, Serinus und Coccothraustes chloris), Vertreter der Sippe der Grünfinken (Chloris), kennzeichnet sich durch kräftigen Bau, kurzkegelförmigen, an den eingezogenen Laden scharfschneidigen Schnabel, kurzzehige Füße, mittellange Flügel, unter deren Schwingen die drei vordersten die Spitzen bilden, und ziemlich kurzen, in der Mitte seicht ausgeschnittenen Schwanz. Seine Länge beträgt einhundertfünfundzwanzig, die Breite zweihundertundsechzig, die Fittiglänge dreiundachtzig, die Schwanzlänge sechzig Millimeter. Die vorherrschende Färbung ist ein angenehmes Olivengelbgrün; Stirnrand, Augenstreifen, Hinterbacken, Kinn und Oberkehle sind lebhafter und mehr gelb, Ohrgegend, Nacken, Bürzel, Oberschwanzdecken und die unteren Seiten aschgrau verwaschen, Unterbrust, Bauch, Unterschwanzdecken und Flügelrand lebhaft citrongelb, die den After umgebenden Federn weiß, die Handschwingen schwarz, an den Spitzen schmal grau gesäumt, die ersten sechs außen bis zum Spitzendrittel hoch citrongelb, die Armschwingen und deren Deckfedern schwarz, außen aschgrau, die übrigen Oberflügeldecken olivengelbgrün, alle Schwingen innen an der Wurzel weiß gerandet, die Schwanzfedern, mit Ausnahme der beiden mittelsten, in der Wurzelhälfte citrongelb, im übrigen schwarz. Der Augenring ist dunkelbraun, der Schnabel wie der Fuß röthlichgrau. Das Weibchen ist minder lebhaft gefärbt, auf dem Rücken braungrau verwaschen, auf der Mitte der Unterbrust und des Bauches weiß; die Armschwingen und deren Deckfedern sind außen röthlichbraun gesäumt. Junge Vögel sind oberseits olivengelbbraun, undeutlich dunkler gestreift, Kopfseiten, Bürzel und ganze Unterseite blaßgelblich, schmal rostbräunlich längsgestrichelt.

Mit Ausnahme der nördlichen Gegenden Europas fehlt der Grünling nirgends in diesem Erdtheile, und ebenso verbreitet er sich über Nordwestafrika und Kleinasien bis zum Kaukasus. [300] Sehr häufig ist er in Südeuropa, namentlich in Spanien, aber auch bei uns keineswegs selten. Er bewohnt am liebsten fruchtbare Gegenden, wo kleine Gehölze mit Feldern, Wiesen und Gärten abwechseln, findet sich in allen Augegenden in Menge, hält sich in unmittelbarer Nähe bewohnter Gebäude auf, meidet aber die Wälder. Bei uns ist er bedingungsweise Wander-, in Südeuropa Standvogel. Wahrscheinlich entstammen diejenigen, welche bei uns überwintern, dem Norden.

Nur auf der Wanderschaft schlägt sich der Grünling mit verwandten Vögeln in zahlreiche Flüge zusammen, so mit Edel- und Buchfinken, Feldsperlingen, Goldammern, Bluthänflingen und anderen. Sonst lebt er paar- oder familienweise. Er wählt ein kleines Gehölz oder einen Garten zum Standorte, sucht in ihm einen dicht belaubten Baum zum Schlafplatze aus und streift von hier aus nach Nahrung umher. Während des Tages sieht man ihn hauptsächlich auf dem Boden, wo er allerhand Sämereien aufliest. Bei Gefahr flüchtet er dem nächstbesten Baume zu und verbirgt sich im Gelaube der Krone. So plump er erscheint, so munter und rasch ist er. Im Sitzen trägt er den Leib gewöhnlich wagerecht und die Federn locker; oft aber richtet er sich so auf und legt das Gefieder so glatt an, daß man ihn kaum erkennt. Sein Gang ist hüpfend, aber nicht ungeschickt, sein Flug ziemlich leicht, bogenförmig, weil die Schwingen bald stark ausgebreitet, bald sehr zusammengezogen werden, vor dem Niedersetzen stets schwebend. Ohne Noth fliegt er ungern weit, obwohl es ihm nicht darauf ankommt, auch längere Strecken in einem Zuge zurückzulegen. Beim Auffliegen läßt er gewöhnlich seinen Lockton, ein kurzes »Tschick« oder »Tscheck«, vernehmen, welches zuweilen vielmals nacheinander wiederholt wird. Der Laut der Zärtlichkeit ist ein ungemein sanftes, jedoch immerhin weit hörbares »Zwui« oder »Schwunsch«. Dasselbe wird auch als Warnungsruf gebraucht, dann aber gewöhnlich mit einem sanften hellen Pfeifen begleitet. Da, wo der Grünling sich sicher weiß, ist er sehr wenig scheu, in Gesellschaft anderer aber oft sehr vorsichtig. »Bei Annäherung eines Menschen«, sagt mein Vater, »fliegen immer die zunächst auf der Erde sitzenden auf, ziehen die übrigen mit sich fort und lassen sich bald wieder nieder. So muß man einen Schwarm Viertelstunden weit verfolgen, ehe man einen sicheren Schuß auf mehrere thun kann.« Eigentlich vertrauensselig ist der Grünling nie, kommt beispielsweise niemals, auch wenn die ärgste Noth ihn bedrückt, in das Gehöft.

Sämereien der verschiedensten Pflanzen, auch giftige, vor allem aber ölige, Rübsamen, Leindotter, Häderich, Hanfsamen und dergleichen, bilden seine Nahrung. Er liest sie nach Art der Edelfinken von der Erde auf, und nur, wenn tiefer Schnee seinen Tisch verdeckt, versucht er auch, solche auszuklauben oder nimmt Wacholder- und Vogelbeeren an und beißt die Buchnüsse auf, um des Kernes habhaft zu werden. In Gegenden, wo Hanf gebaut wird, kann er zuweilen recht schädlich werden; außerdem belästigt er vielleicht noch im Gemüsegarten, nützt dafür aber durch Auflesen und Aufzehren des Unkrautsamens wahrscheinlich mehr, als er schadet.

Der Grünling pflegt zweimal, in guten Sommern wohl auch dreimal zu brüten. Schon vor der Paarung läßt das Männchen seinen einfachen Gesang fortwährend vernehmen und steigt dabei gelegentlich, beständig singend, schief nach oben empor, hebt die Flügel so hoch, daß ihre Spitzen sich fast berühren, schwenkt hin und her, beschreibt einen oder mehrere Kreise und flattert nun langsam wieder zu dem Baume herab, von welchem es sich erhob. Nebenbuhler vertreibt es nach hartnäckigen Kämpfen. Das Nest wird auf Bäumen oder in hohen Hecken, zwischen einer starken Gabel oder dicht am Stamme angelegt und je nach den Umständen aus sehr verschiedenen Stoffen zusammengebaut. Dürre Reiserchen und Würzelchen, Quecken, trockene Halme und Graswurzeln bilden die Unterlage, auf welche eine Schicht feinerer Stoffe derselben Art, untermischt mit grünem Erdmoose oder Flechten, auch wohl mit Wollklümpchen, zu folgen pflegt. Zur Ausfütterung der Nestmulde dienen einige äußerst zarte Würzelchen und Hälmchen, auf und zwischen denen Pferde-, Hirsch- und Rehhaare liegen, vielleicht auch kleine Flöckchen Thierwolle eingewebt sind. Der Bau steht an Schönheit dem Neste des Edelfinken weit nach, ist tiefer als eine Halbkugel, nicht sehr fest und dicht, aber doch hinlänglich gut gebaut. Zu Ende des April findet man das erste, im Juni das [301] zweite, und wenn noch eine Brut erfolgt, zu Anfange des August das dritte Gelege. Es besteht aus vier bis sechs Eiern von zwanzig Millimeter Längs-und funfzehn Millimeter Querdurchmesser, welche sehr bauchig, dünn und glattschalig und auf bläulichweißem oder silberfarbenem Grunde, besonders am stumpfen Ende mit bleichrothen, deutlichen oder verwaschenen Fleckchen und Pünktchen bedeckt sind. Das Weibchen brütet allein, sitzt sehr fest auf dem Neste, wird inzwischen von dem Männchen ernährt und zeitigt die Jungen in ungefähr vierzehn Tagen. Beide Eltern theilen sich in die Aufzucht der Brut und füttern diese zunächst mit geschälten und im Kropfe erweichten Sämereien, später mit härteren Nahrungsstoffen derselben Art. Schon wenige Tage nach dem Ausfliegen werden die Jungen ihrem Schicksale überlassen, vereinigen sich mit anderen ihrer Art, auch wohl mit verwandten jungen Finken, streifen mit diesen längere Zeit umher und schließen sich dann den Eltern, welche inzwischen die zweite oder dritte Brut beschäftigt hat, wieder an.

Unsere kleineren Raubthiere und ebenso Eichhörnchen, Haselmäuse, Krähen, Elstern, Heher und Würger zerstören viele Nester, fangen auch die Alten weg, wenn sie ihrer habhaft werden können. Gleichwohl nimmt der Bestand bei uns eher zu als ab.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 300-302.
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