Schwarzstaar (Sturnus unicolor)

[390] Im Süden Europas vertritt den Staar ein ihm sehr nahe stehender Verwandter, der Schwarzstaar oder Einfarbstaar (Sturnus unicolor). Dieser unterscheidet sich durch eigenthümliche Bildung der Kopf-, Brust-und Nackenfedern, welche sehr lang und schmal sind, sowie durch die Zeichnung; denn das matt schieferfarbene, schwach metallisch glänzende Gefieder ist fast gänzlich ungefleckt. Der junge Vogel ähnelt seinen Verwandten im Jugendkleide, ist aber immer dunkelbräunlich. Nach Angabe der südeuropäischen Forscher ist der einfarbige Staar etwas größer als der unserige. Ich habe bloß ein Weibchen gemessen, welches diese Angabe nicht bestätigt. Bei ihm beträgt die Länge zweiundzwanzig, die Breite achtunddreißig Centimeter, die Fittiglänge einhundertsechsundzwanzig, die Schwanzlänge fünfundsechzig Millimeter. Die Farbe des Auges, des Schnabels und der Füße ist genau so wie bei unserem Staare.

Der einfarbige Staar findet sich in Spanien, im südlichen Italien, in der Ukraine, in Kaukasien und einem großen Theile Asiens, so in Kaschmir, Sind und im Punjab. Sein Leben stimmt, so viel wir jetzt wissen, im wesentlichen mit dem unseres deutschen Vogels überein.

Von Island und den Färinseln an wird der Staar im größten Theile Europas wenigstens zeitweilig gefunden; denn er ist keineswegs überall Standvogel. So erscheint er in allen südlichen Provinzen Spaniens und ebenso in Süditalien und Griechenland nur während der Wintermonate, ist jedoch in den Pyrenäen und in den südlichen Alpen noch Brutvogel. Er bevorzugt ebene Gegenden und in diesen Auwaldungen, läßt sich aber auch in Gauen, welche er sonst nur auf dem Zuge berührt, fesseln, sobald man ihm zweckentsprechende Brutkasten herrichtet. Lenz hat ihn im Thüringer Walde heimisch gemacht und binnen wenigen Jahren ein Staarenheer von mehreren hunderttausenden in das Feld gestellt. Unter unseren Zugvögeln erscheint der Staar am frühesten und bleibt bis tief in den Spätherbst hinein. Seine Reisen dehnt er höchstens bis Nordafrika aus; in Algerien und Egypten ist er in jedem Winter als regelmäßiger Gast zu finden. Die Hauptmasse bleibt bereits in Südeuropa wohnen und treibt sich hier während des Winters mit allerhand anderen Vögeln, insbesondere Raben und Drosseln, im Lande umher. Wenn er meint, daß die Heimat ihm wieder Nahrung geben könne, macht er sich auf die Reise, und so sieht man ihn bei uns regelmäßig schon vor der Schneeschmelze.

Es gibt vielleicht keinen Vogel, welcher munterer, heiterer, fröhlicher wäre als der Staar. Wenn er bei uns ankommt, ist das Wetter noch recht trübe: Schneeflocken wirbeln vom Himmel herunter, die Nahrung ist knapp, und die Heimat nimmt ihn höchst unfreundlich auf. Demungeachtet singt er schon vom ersten Tage an heiter und vergnügt sein Lied in die Welt hinein und setzt sich dazu, wie gewohnt, auf die höchsten Punkte, wo das Wetter ihm von allen Seiten beikommen kann. Er betrachtet die Verhältnisse mit der Ruhe und der Heiterkeit eines Weltweisen und läßt sich nun und nimmermehr um seine ewig gute Laune bringen. Wer ihn kennt, muß ihn lieb gewinnen, und wer ihn noch nicht kennt, sollte alles thun, ihn an sich zu fesseln. Er wird dem Menschen zu einem lieben Freunde, welcher jede ihm gewidmete Sorgfalt tausendfach vergilt.


Staar und Einfarbstaar (Sturnus vulgaris und unicolor). 1/2 natürl. Größe.
Staar und Einfarbstaar (Sturnus vulgaris und unicolor). 1/2 natürl. Größe.


[390] Sofort nach der Ankunft im Frühjahre erscheinen die Männchen auf den höchsten Punkten des Dorfes oder der Stadt, auf dem Kirchthurme oder auf alten Bäumen, und singen hier unter lebhaften Bewegungen der Flügel und des Schwanzes. Der Gesang ist nicht viel werth, mehr ein Geschwätz als ein Lied, enthält auch einzelne unangenehme, schnarrende Töne, wird aber mit so viel Lust und Fröhlichkeit vorgetragen, daß man ihn doch recht gern hört. Bedeutendes Nachahmungsvermögen trägt wesentlich dazu bei, die Ergötzlichkeit des Gesanges zu vermehren. Alle Laute, welche in einer Gegend hörbar werden: der verschlungene Pfiff des Pirols wie das Kreischen des Hehers, der laute Schrei des Bussards wie das Gackern der Hühner, das Klappern einer Mühle oder das Knarren einer Thüre oder Windfahne, der Schlag der Wachtel, das Lullen der Heidelerche, ganze Strophen aus dem Gesange der Schilfsänger, Drosseln, des Blaukehlchens, das Zwitschern der Schwalben und dergleichen: sie alle werden mit geübtem Ohre aufgefaßt, eifrigst gelernt und dann in der lustigsten Weise wiedergegeben. Mit dem ersten Grauen des Tages beginnt der Staar zu singen, fährt damit ein paar Stunden fort, läßt sich, nachdem er sich satt [391] gefressen, zeitweilig wieder hören und hält nun, immer mit anderen vereinigt, abends noch einen länger währenden Gesangsvortrag.

Im Anfange des März regt sich die Liebe. Das Männchen wendet jetzt alle Liebenswürdigkeit auf, um das Weibchen zu unterhalten, fliegt ihm überall hin nach, jagt sich unter großem Geschreie mit ihm herum und betritt es endlich auf der Erde. Die Bruthöhlung ist mittlerweile, nicht immer ohne Kampf, eingenommen worden und erhält jetzt eine passende Ausfütterung. In Laubwaldungen benutzt der Staar Baumhöhlungen aller Art; in Ermangelung dieser natürlichen Brutstellen siedelt er sich in Gebäuden an; am häufigsten aber bezieht er die von den Menschen ihm angefertigten Brutkästchen: ausgehöhlte Stücke Baumschaft von funfzig bis sechzig Centimeter Höhe, und zwanzig Centimeter Durchmesser, welche oben und unten mit einem Brettchen verschlossen und unsern der Decke mit einer Oeffnung von fünf Centimeter Durchmesser versehen wurden, oder aus Brettern zusammengenagelte Kasten ähnlicher Gestalt, welche auf Bäumen aufgehängt, auf Stangen oder an Hausgiebeln befestigt werden. Die Unterlage des liederlichen Nestes besteht aus Stroh und Grashalmen, die innere Auskleidung aus Federn von Gänsen, Hühnern und anderen großen Vögeln; im Nothfalle behilft sich der Staar aber auch mit Stroh oder Heu und im Walde mit verschiedenen Flechten allein. Gegen Ende des April findet man hier das erste Gelege, fünf bis sechs längliche, achtundzwanzig Millimeter lange, zwanzig Millimeter dicke, etwas rauhschalige, aber schön glänzende Eier von lichtblauer Farbe, welche vom Weibchen allein ausgebrütet werden. Sobald die Jungen dem Eie entschlüpft sind, haben beide Eltern so viel mit Futterzutragen zu thun, daß dem Vater wenig Zeit zum Singen übrig bleibt; ein Stündchen aber weiß er sich dennoch abzustehlen. Deshalb sieht man auch während dieser Zeit gegen Abend die ehrbaren Familienväter zusammenkommen und singend sich unterhalten. Drei bis vier Tage unter Geleit der Eltern genügen den Jungen, sich selbständig zu machen. Sie vereinigen sich dann mit anderen Nestlingen und bilden nunmehr schon ziemlich starke Flüge, welche ziellos im Lande umherschweifen. Die Eltern schreiten währenddem zur zweiten Brut und suchen, wenn auch diese endlich glücklich ausgekommen, die ersten Jungen in Gesellschaft der zweiten auf. Von nun an schlafen sie nicht mehr an den Brutstellen, sondern entweder in Wäldern oder später im Röhrichte der Gewässer. »Meilenweit«, schildert Lenz sehr richtig, »ziehen sie nach solchen Stellen hin und sammeln sich abends, von allen Seiten her truppweise anrückend. Ist endlich zu Ende des August das Schilfrohr und der Rohrkolben in Flüssen, Teichen, Seen hoch und stark genug, so ziehen sie sich nach solchen Stellen hin, vertheilen sich bei Tage meilenweit, und sammeln sich abends, zu tausenden, ja zu hunderttausenden an, schwärmen stundenlang, bald vereint, bald getheilt, gleich Wolken umher, lassen sich abwechselnd auf den Wiesen oder auf dem Rohre nieder, und begeben sich endlich bei eintretender Nacht schnurrend, zwitschernd, pfeifend, singend, kreischend, zankend zur Ruhe, nachdem ein jeder sein Plätzchen auf einem Halme erwählt und erkämpft und durch seine gewichtige Person den Halm niedergebogen hat. Bricht der Halm unter der Last, so wird mit großem Lärme emporgeflogen und dann wieder mit Lärm ein neuer gewählt. Tritt eine allgemeine Störung durch einen Schuß und dergleichen ein, so erhebt sich die ganze Armee tosend mit Saus und Braus gen Himmel und schwirrt dort wieder eine Zeitlang umher. Kommt das Ende des September heran, so treiben die Scharen ihr geselliges, lustiges Leben weiter so fort; aber die alten Paare gehen jetzt an ihre Nester zurück, singen da morgens und abends, als wäre gar kein Winter vor der Thüre, verschwinden aber aus Deutschland und ziehen sammt der lieben Jugend nach Süden, sobald die ersten starken Fröste eintreten oder der erste Schnee die Fluren deckt. Ist die Witterung günstig, so bleiben sie bis zur letzten Woche des Oktober, oder zur ersten des November; dann geht aber die Reise unaufhaltsam fort.« In der Winterherberge leben sie wie daheim. Ich habe sie im Januar von den Thürmen der Domkirche zu Toledo und in Egypten von dem Rücken der Büffel herab ihr Lied vortragen hören.

Der Staar richtet zwar in Weinbergen erheblichen, in Kirschpflanzungen und Gemüsegärten dann und wann nicht unmerklichen Schaden an, nützt aber im übrigen so außerordentlich, [392] daß man ihn als den besten Freund des Landwirts bezeichnen darf. »Bei keinem Vogel«, sagt Lenz, »läßt sich so bequem beobachten, wie viel Nutzen er thut, als bei dem Staare. Ist die erste Brut ausgekrochen, so bringen die Alten in der Regel vormittags alle drei Minuten Futter zum Neste, nachmittags alle fünf Minuten: macht jeden Vormittag in sieben Stunden einhundertundvierzig fette Schnecken (oder statt deren das Gleichwerthige an Heuschrecken, Raupen und dergleichen), nachmittags vierundachtzig. Auf die zwei Alten rechne ich die Stunde wenigstens zusammen zehn Schnecken, macht in vierzehn Stunden hundertundvierzig; in Summa werden also von der Familie täglich dreihundertundvierundsechzig fette Schnecken verzehrt. Ist dann die Brut ausgeflogen, so verbraucht sie noch mehr; es kommt nun auch die zweite Brut hinzu, und ist auch diese ausgeflogen, so besteht jede Familie aus zwölf Stück, und frißt dann jedes Mitglied in der Stunde fünf Schnecken: so vertilgt die Staarenfamilie täglich achthundertundvierzig Schnecken. Ich habe in meinen Giebeln, unter den Simsen, an den nahe bei meinen Gebäuden stehenden Bäumen zusammen zweiundvierzig Nistkästen für Staare. Sind diese alle voll, und ich rechne auf jeden jährlich eine Familie von zwölf Stück, so stelle ich allein von meiner Wohnung aus jährlich eine Menge von fünfhundertundvier Staaren ins Feld, welche täglich ein Heer von fünfunddreißigtausendzweihundertundachtzig großen, dicken, fetten Schnecken niedermetzelt und verschluckt.« Ich will diese Berechnung weder bestätigen noch bestreiten, aber ausdrücklich erklären, daß ich mit Lenz vollkommen einverstanden bin. Der Weinbergbesitzer ist gewiß berechtigt, die zwischen seine Rebstöcke einfallenden Staare rücksichts- und erbarmungslos zu vertreiben, der Gärtner, welcher seltene Zier- oder gewinnbringende Nutzpflanzen durch sie gefährdet sieht, nicht minder, sie zu verscheuchen: der Landwirt aber thut sicherlich sehr wohl, wenn er den Staar hegt und pflegt und ihm der obigen Angabe genau entsprechende Wohnungen schafft; denn keinen anderen nutzbringenden Vogel kann er so leicht ansiedeln und in beliebiger Menge vermehren wie ihn, welcher glücklicherweise mehr und mehr erkannt und geliebt wird.

Ein nahrungsuchender Staar ist eine allerliebste Erscheinung. Geschäftig läuft er auf dem Boden dahin, ruhelos wendet er sich bald nach dieser, bald nach jener Seite, sorgsam durchspäht er jede Vertiefung, jede Ritze, jeden Grasbusch. Dabei wird der Schnabel mit so viel Geschick und in so vielseitiger Weise gebraucht, daß man seine wahre Freude haben muß an dem Künstler, welcher ein so einfaches Werkzeug so mannigfach zu benutzen weiß. An gefangenen Staaren, welche einen mit Rasenstücken belegten Gesellschaftsbauer bewohnten, habe ich beobachtet, daß sie Grasbüsche allerorten auf das genaueste durchsuchen, indem sie ihren geschlossenen Schnabel zwischen die dichtstehenden Halmen einführen, ihn dann so weit als möglich spreizen und sich so Raum schaffen für die tastende Zunge, welche nunmehr verwendet werden kann. In derselben Weise werden auch Ritzen durchstöbert und unter Umständen vergrößert. Was dem Auge entgeht, spürt die Zunge aus, was heute nicht gefunden wurde, deckt morgen den Tisch.

Unsere größeren Falkenarten, namentlich Habichte und Sperber, ebenso Krähen, Elstern und Heher, auch Edelmarder, Wiesel, Eichhorn und Siebenschläfer, sind schlimme Feinde der Staare. Erstere gefährden die Alten oder flugbaren, letztere die noch unbehilflichen Jungen, welche sie aus den Nesthöhlen hervorziehen, so muthvoll die Alten sie auch vertheidigen. Doch gleicht die starke Vermehrung des Vogels alle etwa erlittenen Verluste bald wieder aus, und auch seine Klugheit mindert die Gefahren. So hält er sich z.B., wenn er im Felde Nahrung sucht, in Gesellschaft von Krähen und Dohlen auf, macht sich deren Wachsamkeit baldmöglichst zu Nutze und entflieht bei Ankunft eines Raubthieres, namentlich eines Raubvogels, während dieser von den muthigen Krähen angegriffen wird. Vor den Nachstellungen des Menschen sichert ihn glücklicherweise seine Liebenswürdigkeit und mehr noch sein wenig angenehmes, ja kaum genießbares Fleisch. In Gefangenschaft hält man ihn seltener als er verdient. Er ist anspruchslos wie wenige andere Vögel, sehr klug, äußerst gelehrig, heiter, lustig, zu Spiel und Neckerei geneigt, lernt Lieder nachpfeifen [393] und Worte nachsprechen, schließt sich seinem Pfleger innig an, dauert fast ein Menschenalter im Käfige aus und vereinigt so viele treffliche Eigenschaften wie kaum ein anderer Stubenvogel ähnlichen Schlages.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 390-394.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon