Hafisnachtigall (Luscinia Hafizii)

[120] Außer diesen beiden Arten sind neuerdings noch andere unterschieden worden. Dahin gehören: der Zweischaller (Luscinia hybrida), ein Vogel von der Größe des Sprossers, mit ebenso verkürzter erster Handschwinge, oberseits wie der Sprosser, unterseits fast ganz wie die Nachtigall gefärbt, aus Polen, die Steppennachtigall (Luscinia Golzii), welche durch bedeutendere Größe, die verhältnismäßig kürzere zweite Handschwinge und die oberseits deutlich rothbraune Färbung und den Mangel der rothbraunen Außenränder von unserer Nachtigall sich unterscheidet, sowie endlich die Hafisnachtigall oder der »Bülbül« der Perser (Luscinia Hafizii), welche durch längeren Schwanz und blassere Färbung sich unterscheiden soll.

Abgesehen von den letztgenannten mehr oder weniger zweifelhaften Arten, läßt sich über die Verbreitung der Nachtigall und des Sprossers das folgende sagen: erstere bewohnt als Brutvogel von Großbritannien an West-, Mittel- und Südeuropa, findet sich auf den Britischen Inseln nur in England, ist in Schweden sehr selten, tritt dagegen geeigneten Orts westlich von der Peene in Nord-, Mittel- und Süddeutschland häufig auf, bewohnt ebenso in zahlreicher Menge Ungarn, Slavonien, Kroatien, Ober- und Unterösterreich, Mähren, Böhmen und ist auf allen drei südlichen Halbinseln gemein, scheint ihr Brutgebiet aber nicht weit nach Osten und Süden hin auszudehnen, findet sich jedoch in ersterwähnter Richtung noch zahlreich in Südrußland und der Krim, ebenso in Kaukasien, Kleinasien und Palästina, wogegen nach Süden hin ihr Vaterland nicht über die Atlasländer hinab sich erstreckt. Sie bevorzugt die Ebene, meidet aber auch bergige Gelände nicht gänzlich, vorausgesetzt, daß es hier an Laubbäumen und Gesträuchern nicht mangelt. In der [120] Schweiz ist sie, nach Tschudi, in einem Höhengürtel von tausend Meter über dem Meere »nicht ganz selten«, in Spanien nach eigenen Beobachtungen in gleicher Höhe überall und sechshundert Meter höher noch regelmäßig zu finden. Laubwaldungen mit viel Unterholz, noch lieber Buschwerk, welches von Bächen und Wassergräben durchschnitten wird, die Ufer größerer Gewässer und Gärten, in denen es heimliche Gebüsche gibt, sind ihre Lieblingsplätze. Hier wohnt Paar an Paar, ein jedes allerdings in einem bestimmt umgrenzten Gebiete, welches streng bewacht und gegen andere muthvoll vertheidigt wird. Wo es Oertlichkeiten gibt, welche ihren Anforderungen genügen, ist sie stets häufig, bei uns zu Lande aber doch in geringerem Grade als in Südeuropa.


Nachtigall (Luscinia vera) und Sprosser (Luscinia philomela). 2/3 natürl. Größe.
Nachtigall (Luscinia vera) und Sprosser (Luscinia philomela). 2/3 natürl. Größe.

Hier hat mich die Menge der Nachtigallen, welche einen und denselben Landestheil oder Garten bewohnen in Erstaunen gesetzt. Man sagt kaum zu viel, wenn man behauptet, daß in Spanien zum Beispiel, geeigneten Orts, in jeder Hecke oder in jedem Busche ein Nachtigallenpärchen herbergt. Ein Frühlingsmorgen auf dem Montserrat, eine abendliche Lustwandlung innerhalb der Ringmauern der Alhambra wird jedem unvergeßlich bleiben, welcher ein Ohr hat, zu hören. Man vernimmt hundert Nachtigallen zu gleicher Zeit; man hört allüberall das eine Lied. Die ganze, große, grüne [121] Sierra Morena darf als ein einziger Nachtigallengarten angesehen werden, und solcher Gebirge gibt es noch viele. Man begreift nicht, wie es möglich ist, daß ein so kleines Stück Erde, wie hier zur Vertheilung kommt, zwei so anspruchsvolle Vögel nebst ihrer zahlreichen Brut ernähren kann. Genau dasselbe gilt nach meinen neuesten Erfahrungen auch für Südungarn, woselbst sie den früher dort häufig gewesenen Sprosser mehr und mehr zu verdrängen scheint und nicht, wie vormals, allein im Gebirge, sondern auch im Donauthale auftritt.

Das Verbreitungsgebiet des Sprossers begrenzt den Wohnkreis der Nachtigall im Norden und Osten. Er ist die häufigste Nachtigall Dänemarks und die einzige, welche in Skandinavien, dem östlichen Pommern und ganz Nord- und Mittelrußland gefunden wird, er setzt die Verwandte ebenso in Polen und vielleicht auch in Galizien, bewohnt noch immer, wenn auch sehr einzeln, das mittlere Donauthal von Wien abwärts und tritt endlich jenseit des Urals in allen Fluß-und Stromthälern der Steppe Westsibiriens auf, hat sich gerade hier auch die volle Reinheit, Fülle und Reichhaltigkeit seines Schlages bewahrt und entzückt noch heute das Ohr des Reisenden durch dieselben Strophen, welche unsere Väter begeisterten.

Beide Nachtigallen wandern im Winter nach Mittel- und Westafrika, der Sprosser wahrscheinlich auch nach südlichen Ländern Asiens.

Nachtigall und Sprosser stimmen unter sich in allen wesentlichen Zügen ihrer Lebensweise so vollständig überein, daß man bei einer Schilderung derselben sich fast auf eine Art beschränken kann. Auch ich werde dies im nachstehenden thun und vorzugsweise die Nachtigall ins Auge fassen. Da, wo diese köstliche Sängerin des Schutzes seitens des Menschen sich versichert hält, siedelt sie sich unmittelbar bei dessen Behausung an, bekundet dann nicht die mindeste Scheu, eher eine gewisse Dreistigkeit, läßt sich daher ohne Mühe in ihrem Thun und Treiben beobachten. »Im Betragen der Nachtigall«, sagt Naumann, dessen noch heute unübertroffener, nicht einmal erreichter Schilderung ich folgen werde, »zeigt sich ein bedächtiges, ernstes Wesen. Ihre Bewegungen geschehen mit Ueberlegung und Würde; ihre Stellungen verrathen Stolz, und sie steht durch diese Eigenschaften gewissermaßen über alle einheimischen Sänger erhaben. Ihre Geberden scheinen anzudeuten, sie wisse, daß ihr dieser Vorzug allgemein zuerkannt wird. Sie ist sehr zutraulich gegen die Menschen, wohnt gern in ihrer Nähe und zeichnet sich durch ein ruhiges, stilles Benehmen aus. Gegen andere Vögel zeigt sie sich sehr friedfertig; auch sieht man sie nur selten mit ihresgleichen zanken.« Gewöhnlich gewahrt man sie, niedrig über dem Boden auf Zweigen sitzend, ziemlich aufgerichtet, den Schwanz erhoben, die Flügel so tief gesenkt, daß ihre Spitzen unter die Schwanzwurzel zu liegen kommen. Im Gezweige hüpft sie selten, wenn es aber geschieht, mit großen Sprüngen umher; auf dem Boden trägt sie sich hoch aufgerichtet und springt, den Schwanz gestelzt, mit förmlichen Sätzen, wie Naumann sagt, »stolz« dahin, immer in Absätzen, welche durch einen Augenblick der Ruhe unterbrochen werden. Erregt irgend etwas ihre Aufmerksamkeit, so schnellt sie den Schwanz kräftig und jählings empor; diese Bewegung wird überhaupt bei jeder Gelegenheit ausgeführt. Ihr Flug ist schnell, leicht, in steigenden und fallenden Bogen, auf kleinen Räumen flatternd und wankend; sie fliegt aber nur kurze Strecken, von Busch zu Busch, und am Tage nie über freie Flächen. Daß sie auch sehr schnell fliegen kann, sieht man, wenn zwei eifersüchtige Männchen streitend sich verfolgen.

Die Lockstimme der Nachtigall ist ein helles gedehntes »Wiid«, dem gewöhnlich ein schnarrendes »Karr« angehängt wird. Geängstigt, wiederholt sie das »Wiid« oft nach einander und ruft nur ab und zu einmal »Karr«. Im Zorne läßt sie ein unangenehmes »Räh«, in behaglicher Gemüthsstimmung ein tief klingendes »Tak« vernehmen. Die Jungen rufen anfangs »Fiid«, später »Kroäk«. Daß alle diese Umgangslaute durch verschiedene Betonung, welche unserem Ohre in den meisten Fällen entgeht, auch verschiedene Bedeutung gewinnen, ist selbstverständlich. Der Schlag, welcher der Nachtigall vor allem anderen unsere Zuneigung erworben hat und den aller übrigen Vögel, mit alleiniger Ausnahme der Sippenverwandten, an Wohllaut und Reichhaltigkeit übertrifft, ist,[122] wie Naumann trefflich schildert, »so ausgezeichnet und eigenthümlich, es herrscht in ihm eine solche Fülle von Tönen, eine so angenehme Abwechselung und eine so hinreißende Harmonie, wie wir in keinem anderen Vogelgesange wieder finden. Mit unbeschreiblicher Anmuth wechseln sanft flötende Strophen mit schmetternden, klagende mit fröhlichen, schmelzende mit wirbelnden; während die eine sanft anfängt, nach und nach an Stärke zunimmt und wiederum ersterbend endigt, werden in der anderen eine Reihe Noten mit geschmackvoller Härte hastig angeschlagen und melancholische, den reinsten Flötentönen vergleichbare, sanft in fröhlichere verschmolzen. Die Pausen zwischen den Strophen erhöhen die Wirkung dieser bezaubernden Melodien, sowie das in denselben herrschende mäßige Tempo trefflich geeignet ist, die Schönheit derselben recht zu erfassen. Man staunt bald über die Mannigfaltigkeit dieser Zaubertöne, bald über ihre Fülle und außerordentliche Stärke und wir müssen es als ein halbes Wunder ansehen, daß ein so kleiner Vogel im Stande ist, so kräftige Töne hervorzubringen, daß eine so bedeutende Kraft in solchen Kehlmuskeln liegen kann. Manche Strophen werden wirklich mit soviel Gewalt hervorgestoßen, daß ihre gellenden Töne dem Ohre, welches sie ganz in der Nähe hört, wehe thun«.

Der Schlag einer Nachtigall muß zwanzig bis vierundzwanzig verschiedene Strophen enthalten, wenn wir ihn vorzüglich nennen sollen; bei vielen Schlägern ist die Abwechselung geringer. Die Oertlichkeit übt bedeutenden Einfluß aus; denn da die jungen Nachtigallen nur durch ältere ihrer Art, welche mit ihnen dieselbe Gegend bewohnen, gebildet und geschult werden können, ist es erklärlich, daß in einem Gaue fast ausschließlich vorzügliche, in dem anderen hingegen beinahe nur minder gute Schläger gehört werden. Aeltere Männchen schlagen regelmäßig besser als jüngere; denn auch bei Vögeln will die edle Kunst geübt sein. Am feurigsten tönt der Schlag, wenn die Eifersucht ins Spiel kommt; dann wird das Lied zur Waffe, welche jeder Streiter bestmöglichst zu handhaben sucht. Einzelne Nachtigallen machen ihren Namen insofern wahr, als sie sich hauptsächlich des Nachts vernehmen lassen, andere singen fast nur bei Tage. Während des ersten Liebesrausches, bevor noch das Weibchen seine Eier gelegt hat, vernimmt man den herrlichen Schlag zu allen Stunden der Nacht; später wird es um diese Zeit stiller: der Sänger scheint mehr Ruhe gefunden und seine gewohnte Lebensordnung wieder angenommen zu haben.

Die Lockstimme des Sprossers klingt anders, – nicht »Wiid-karr«, sondern »Glock-arrr«; der Schlag kennzeichnet sich durch größere Tiefe der Töne und langsameren, mehr gehaltenen, durch längere Pausen unterbrochenen Vortrag, ist stärker und schmetternder als der der Nachtigall, die Mannigfaltigkeit seiner Strophen aber geringer; er steht jedoch demungeachtet mit dem Nachtigallenschlage vollkommen auf gleicher Höhe. Einzelne Liebhaber ziehen ihn dem Liede der Nachtigall vor und rühmen mit Recht die sogenannten Glockentöne als etwas unvergleichliches. Meiner Ansicht nach gibt Gräßner die Unterschiede zwischen Nachtigallen- und Sprosserschlag mit nachstehenden Worten am kürzesten und richtigsten wieder: »Soviel ich von Nachtigallen und Sprossern gehört habe, scheint mir festzustehen, daß die Nachtigallen, auch die größten Gesangskünstlerinnen unter ihnen, in fest gegliederten Strophen, aber in verschiedener Reihenfolge und in verschiedenem Zeitmaße schlagen, je nach Stimmung und Tageszeit, während ein guter Sprosser die ihm eigenen Strophen derart abändert, daß von einer Aufeinanderfolge bestimmter Töne kaum die Rede sein kann. Lautet der Schlag der Nachtigall wie eine bestimmte, mit verschiedenen Einschaltungen und Vertönungen verwebte Weise, so erscheint der Schlag des Sprossers wie ein Recitativ, in welchem der Tondichter dem Sänger außerordentliche Freiheiten des Vortrages gestattet hat, und von denen dieser solch ausgiebigen Gebrauch macht, daß man bei verschiedenen Wiederholungen desselben Stückes, je nach Stimmung und Gefühl vorgetragen, dieses oft gar nicht wieder erkennt: so wunderbar verändert der ausübende Künstler. Der Eindruck ist natürlich tiefer, wenn anstatt der erwarteten Töne, Takte und Strophen ganz andere, neu aus dem Tonschatze gebildete Vertönungen folgen. Und darum gebe ich dem Sprosser den Vorzug vor der Nachtigall, weil er nicht allein Sänger, sondern auch Tondichter ist, weil er die ihm verliehenen Töne selbständig je nach Stimmung verändert.«

[123] Erdgewürm mancherlei Art und Kerbthierlarven, die des Schattenkäfers, der Ameisen z.B., oder kleine glatthäutige Räupchen und dergleichen, im Herbste verschiedene Beeren, bilden die Nahrung der Nachtigallen. Sie lesen diese vom Boden auf und sind deshalb gleich bei der Hand, wenn irgendwo die Erde aufgewühlt wird. Nach fliegenden Kerfen sieht man sie selten jagen. Fast jeder Fund wird durch ausdruckvolles Aufschnellen des Schwanzes begrüßt.

Die Nachtigallen erscheinen bei uns in der letzten Hälfte des April, je nach der Witterung etwas früher oder später, ungefähr um die Zeit, in welcher der Weißdorn zu grünen beginnt. Sie reisen einzeln des Nachts, die Männchen voran, die Weibchen etwas später. Zuweilen sieht man am frühen Morgen eine aus hoher Luft herniederstürzen, einem Gebüsche sich zuwendend, in welchem sie dann während des Tages verweilt; gewöhnlich aber bekunden sie sich zuerst durch ihren Schlag. Eine jede sucht denselben Waldestheil, denselben Garten, dasselbe Gebüsch, in welchem sie vergangene Sommer verlebte, wieder auf; das jüngere Männchen strebt, in der Nähe der Stelle sich anzusiedeln, wo seine Wiege stand. Sofort nach glücklicher Ankunft in der Heimat beginnt das Schlagen; in den ersten Nächten nach der Rückkehr tönt es ununterbrochen, wohl, um der Gattin, welche oben dahinzieht, im nächtlichen Dunkel zum Zeichen zu dienen oder in der Absicht, ein noch freies Herz zu gewinnen. Das Pärchen einigt sich nicht ohne Kampf und Sorge; denn jedes unbeweibte Männchen versucht einem anderen Gattin oder Braut abwendig zu machen. Wüthend verfolgen sich die Gegner, mit »schirkendem« Gezwitscher jagen sie durch das Gebüsch, bis zu den Wipfeln der Bäume hinauf und bis zum Boden herabsteigend; ingrimmig fallen sie über einander her, bis der Kampf entschieden und einer Herr des Platzes und wahrscheinlich auch – des Weibchens geblieben oder geworden ist. Die Nachtstunden, der frühe Morgen und der späte Abend werden jetzt von dem Männchen dem Gesange und von dem Weibchen dem Zuhören der Liebeslieder gewidmet; die Zwischenzeit füllt die Sorge um das liebe Brod aus. Zu ihr gesellt sich bald die um die Wiege der Kinder. Das Nest wird nunmehr in Angriff genommen und rasch vollendet. Es ist kein Kunstbau, um den es sich handelt. Ein Haufen dürres Laub, namentlich Eichenlaub, bildet die Grundlage, trockene Halmen und Stengel, Schilf und Rohrblätter stellen die Mulde her, welche mit feinen Würzelchen oder Hälmchen und Rispen, auch wohl mit Pferdehaaren und Pflanzenwolle ausgekleidet wird. Ausnahmsweise verwendet die Nachtigall zum Unterbaue starke Reiser, zu den Wandungen Stroh. Das Nest des Sprossers unterscheidet sich, nach Päßler, von dem der Nachtigall durch dickere Wandungen und reichlichere Ausfütterung von Thierhaaren. Das eine wie das andere steht regelmäßig auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, zwischen jungen Schößlingen eines gefällten Baumes oder an der Seite eines Baumstrunks, im Gestrüppe, in einem Grasbusche. Ausnahmen hiervon sind auch beobachtet worden: eine Nachtigall baute, wie Naumann erzählt, in einen Haufen dürres Laub, welcher im Inneren eines Gartenhäuschens lag; eine andere, nach Dubois, auf das Nest eines Zaunkönigs, welches etwa anderthalb Meter über dem Boden auf einem Tannenaste stand. Die vier bis sechs Eier, welche das Weibchen legt, sind bei der Nachtigall einundzwanzig, beim Sprosser dreiundzwanzig Millimeter lang, bei jener funfzehn, bei diesem sechzehn Millimeter dick, übrigens einander sehr ähnlich, zart- und glattschalig, mattglänzend und grünlich braungrau von Farbe, in der Regel einfarbig, zuweilen dunkler gewölkt.

Sobald das Gelege vollzählig ist und das Brüten beginnt, ändert das Männchen sein Betragen. Die Brut beansprucht auch seine Thätigkeit; es muß das Weibchen wenigstens auf einige Stunden, gegen Mittag, im Brüten ablösen und findet schon um deshalb weniger Zeit zum Singen. Noch schlägt es, der Gattin und sich selbst zur Freude, aber fast nur am Tage, kaum mehr des Nachts. Das Nest bewacht es sorgsam, die Gattin hält es zu eifrigem Brüten an: ein Sprosser, dessen Weibchen Päßler vom Neste jagte, unterbrach sofort seinen Gesang, stürzte sich nach der Gattin hin und führte sie »mit Zornesrufen und Schnabelbissen zur Pflicht der Häuslichkeit zurück«. Nahenden Feinden gegenüber zeigen sich die um die Brut besorgten Nachtigallen sehr ängstlich[124] aber auch wieder muthig, indem sie rührende und gefährliche Aufopferung bethätigen. Die Jungen werden mit allerlei Gewürm groß gefüttert, wachsen rasch heran, verlassen das Nest schon, »wenn sie kaum von einem Zweige zum anderen flattern können,« und bleiben bis gegen die Mauser hin in Gesellschaft ihrer Eltern. Diese schreiten nur dann zu einer zweiten Brut, wenn man ihnen die Eier raubte. Ihre Zärtlichkeit gegen die But erleidet keinen Abbruch, wenn man die Jungen vor dem Flüggewerden dem Neste entnimmt, in ein Gebauer steckt und dieses in der Nähe des Nestortes aufhängt; denn die treuen Eltern füttern auch dann ihre Kinder, als ob sie noch im Neste säßen. Schon kurze Zeit nach ihrem Eintritte in die Welt beginnen die jungen Männchen ihre Kehle zu proben: sie »dichten« oder versuchen zu singen. Dieses Dichten hat mit dem Schlage ihres Vaters keine Aehnlichkeit; der Lehrmeister schweigt aber auch bereits, wenn seine Sprößlinge mit ihrem Stammeln beginnen; denn bekanntlich endet schon um Johanni der Nachtigallenschlag. Noch im nächsten Frühlinge lernen die jugendlichen Sänger. Anfangs sind ihre Lieder leise und stümperhaft; aber die erwachende Liebe bringt ihnen volles Verständnis der herrlichen Kunst, in welcher sie später Meisterschaft erreichen.

Im Juli wechseln die Nachtigallen ihr Kleid, nach der Mauser zerstreuen sich die Familien; im September begibt sich alt und jung auf die Wanderschaft, gewöhnlich wiederum zu Familien, unter Umständen auch zu Gesellschaften vereinigt. Sie reisen rasch und weit, machen sich aber in der Fremde wenig bemerklich. Ich habe sie einzeln in den Waldungen Ostsudâns angetroffen.

Der vielen Feinde halber, welche den Nachtigallen, und zumal ihrer Brut, nachstellen, thut der vernünftige Mensch nur seine Schuldigkeit, wenn er den edlen Sängern Plätze schafft, auf denen sie möglichst geschützt leben können. In größeren Gärten soll man, wie der hochverdiente Lenz räth, dichte Hecken pflanzen, aus Stachelbeerbüschen bestehende zum Beispiel, und alles Laub, welches im Herbste abfällt, dort liegen lassen. Derartige Plätze werden bald aufgesucht, weil sie allen Anforderungen entsprechen. Das dichte Gestrüpp schützt, das Laub wird zum Sammelplatze von Würmern und Kerfen und verräth raschelnd den sich nahenden Feind. Noch mehr, als vor vierbeinigen und geflügelten Räubern, hat man die Nachtigallen vor nichtsnutzigen Menschen, insbesondere gewerbsmäßigen Fängern zu wahren und diesen das Handwerk zu legen, wo und wie man immer vermag. So klug die unvergleichlichen Sänger sind, so wenig scheuen sie sich vor Fallen, Schlingen und Netzen; auch das einfachste Fangwerkzeug berückt sie. Dann kommen alle Leiden der Gefangenschaft über sie. Alte Nachtigallen, welche eingefangen werden, wenn sie sich schon gepaart haben, sterben regelmäßig auch bei der besten Pflege, jüngere, vor der Paarung ihrer Freiheit beraubte ertragen die Gefangenschaft nur dann, wenn ihnen die sorgsamste Wartung zu theil wird. Ich übergehe deshalb hier die Art und Weise der Pflege im Käfige: derjenige meiner Leser, welcher sich berufen fühlt, Nachtigallen zu pflegen, findet in meinen »Gefangenen Vögeln« alles, was er zu wissen nöthig hat, ausführlicher und verläßlicher dargestellt als irgend sonstwo. Wer schlagende Nachtigallen in seinem Garten, von seinem Fenster aus hören kann, braucht sie nicht im Käfige zu halten; wer dagegen durch seinen Beruf an das beengende Zimmer gebannt ist, wer keine Zeit oder keine Kraft hat, die herrliche Sängerin draußen unter freiem Himmel zu hören, und die rechte Liebe in sich fühlt, mag unbeanstandet nach wie vor seine Nachtigall pflegen.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 120-125.
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