Nonnensteinschmätzer (Saxicola leucomela)

[146] In Südosteuropa lebt außerdem der unserer deutschen Art nah verwandte, etwas größere, oberseits rostisabellbräunlich, auf dem Bürzel lebhafter, unterseits rostisabellgelb gefärbte Wüstensteinschmätzer (Saxicola isabellina), und Osteuropa besucht zuweilen der Asien entstammende, auf Kopf, Vorder- und Hinterhals, der Oberseite und den beiden mittleren Schwanzfedern schwarze, übrigens weiße Nonnensteinschmätzer (Saxicola leucomela).

Gegenden, in denen Steine vorherrschend sind, bilden die Lieblingsplätze aller genannten Steinschmätzer. Sie sind selten im bebauten Lande, finden sich regelmäßig aber bereits da, wo zwischen den Feldern Felsblöcke hervorragen, Steinmauern aufgeschichtet oder Steinhaufen zusammengetragen wurden. In dem steinreichen Schweden, in Süddeutschland, in der Schweiz ist unser [146] Steinschmätzer gemein; in Skandinavien darf er als einer der letzten Vertreter des Lebens betrachtet werden. Ich habe ihn überall angetroffen, wo ich hinkam, in Lappland ebensowohl wie in der Nähe der Gletscher des Galdhöpiggen, der Furka oder des Großglockners. In den Schweizer Alpen steigt er bis über den Gürtel des Holzwuchses empor. In ähnlicher Weise leben die übrigen Arten. Sie sind die Bewohner der wüstesten Gegenden und der eigentlichen Wüste selbst; sie gewahrt man noch inmitten der glühenden Oede, wo alles Leben erstorben zu sein scheint.

Unser Steinschmätzer, auf welchen ich meine Schilderung beschränken darf, ist ein höchst beweglicher, munterer, gewandter, unruhiger, flüchtiger, ungeselliger und vorsichtiger, ja fast menschenscheuer Vogel. Er liebt allein zu wohnen und lebt mit keinem anderen Vogel in engerem Vereine. Nur auf dem Zuge und noch mehr in der Winterherberge vereinigt er sich mit anderen Arten seiner Sippe oder Familie; aber niemals geht er mit ihnen einen Freundschaftsbund ein. Es kommt vor, daß zwei Pärchen nahe bei einander hausen und brüten; sie aber liegen dann fortwährend in Hader und Streit. Wer beobachtet, muß den Steinschmätzer bald bemerken. Er wählt sich stets den höchsten Punkt seines Wohnkreises zum Ruhesitze, ist aber kaum eine Minute lang wirklich ruhig, sondern bewegt sich fast ununterbrochen. Auf den Felsen sitzt er in aufrechter Haltung, jedoch niemals still; schlägt wenigstens von Zeit zu Zeit mit dem Schwanze nach unten und macht wiederholte Bücklinge, zumal, wenn er etwas auffallendes bemerkt. Die Spanier nennen ihn und andere Arten wegen dieses unnützen Bückens »Sakristan«, und alle machen diesem Namen Ehre. Auf dem Boden hüpft er mit schnellen und kurzen Sprüngen dahin, so rasch, daß er, wie Naumann sagt, nur hinzurollen scheint. Aber im schnellsten Laufe hält er plötzlich an, wenn ein Stein im Wege liegt, gewiß klettert er auf die Erhöhung, bückt sich wiederholt und setzt erst dann seinen Weg fort. Der Flug ist sehr ausgezeichnet. Immer fliegt der Steinschmätzer dicht über dem Boden dahin, auch wenn er kurz vorher auf einer bedeutenden Höhe saß und sich erst in die Tiefe hinabgesenkt hat. Er bewegt die Flügel sehr rasch und steigt in einer fast geraden, aber, genau besehen, kurzbogigen Linie über der Erde fort, gewöhnlich nach einem ziemlich weit entfernten zweiten Sitzpunkte hin, zu dessen Höhe er förmlich emporklettert, indem er, am Fuße angelangt, sich wieder nach oben schwingt. Naumann sagt sehr treffend, daß der so dahinfliegende Vogel, weil man seinen weißen Bürzel am deutlichsten wahrnimmt, an eine vom Wind dahingetragene Gänsefeder erinnere. Nur während der Zeit der Liebe ändert er seine Flugbewegung. Er steigt dann in schiefer Richtung sechs bis zehn Meter in die Luft empor, singt währenddem fortwährend, fällt hierauf mit hoch empor gehobenen Schwingen wieder schief herab und beendet sein Lied, nachdem er unten angekommen. Er lockt »Giuv, giuv« und hängt diesem sanft pfeifenden Laute gewöhnlich, zumal wenn er in Aufregung geräth, ein schnalzendes »Tack« an. Der sonderbare und nicht gerade angenehme Gesang besteht meist auch nur aus wenigen Strophen, in denen vorzüglich der Lockton und krächzende Laute abwechseln. Doch gibt es auch unter Steinschmätzern einzelne Meistersänger, welche ziemlich gute Spottvögel sind, und außerdem sucht jeder durch Eifer zu ersetzen, was ihm an Begabung abgeht: er singt mit wenigen Unterbrechungen vom frühen Morgen bis zum späten Abende, und häufig noch mitten in der Nacht.

Kleine Käfer, Schmetterlinge, Fliegen, Mücken und deren Larven bilden die Nahrung unseres Vogels. Von seinem hohen Standpunkte aus überschaut er sein Gebiet, und sein scharfes Auge nimmt jedes Wesen wahr, welches sich auf dem Boden oder in der Luft bewegt. Laufenden Kerfen jagt er zu Fuße nach, fliegende verfolgt er nach Rothschwanzart bis hoch in die Luft.

Das Nest steht regelmäßig in Felsenritzen oder Steinlöchern, seltener in Holzstößen, unter alten Stämmen, in Erdhöhlen, unter überhängenden Felsen oder selbst in Baumlöchern, stets wohl verborgen und von obenher regelmäßig geschützt. In vielen Gegenden Deutschlands findet er kaum noch geeignete Niststätten, leidet schwer an Wohnungsnoth und nimmt, falls er nicht vorzieht gänzlich auszuwandern, mit jeder Höhlung vorlieb, welche sein Nest aufnehmen kann. Letzteres ist ein wirrer, liederlicher, dickwandiger Bau aus feinen Würzelchen, Grasblättern und Halmen, [147] welcher nach innen mit Thier- oder Pflanzenwolle, Haaren und Federn dicht und weich ausgefüttert wird. Fünf bis sieben dickbäuchige, zartschalige Eier, von sanftbläulicher oder grünlichweißer Färbung und einundzwanzig Millimeter Längs-, funfzehn Millimeter Querdurchmesser, bilden das Gelege; nur ausnahmsweise findet man solche, welche mit bleichen, gelbrothen Punkten gezeichnet sind. Das Weibchen besorgt die Bebrütung fast allein; in die Erziehung der Jungen theilen sich aber beide Geschlechter mit gleichem Eifer. Ihre Sorge um die Brut ist sehr groß. So lange das Weibchen auf den Eiern sitzt, hält das Männchen in geringer Entfernung von dem Neste förmlich Wache und umkreist jeden herannahenden Feind mit ängstlichem Geschrei. Das Weibchen nimmt bei großer Gefahr zu Verstellungskünsten Zuflucht. Gewöhnlich brütet das Paar nur einmal im Jahre, und zwar im Mai. Die ausgeflogenen Jungen verweilen bis zu dem Wegzuge bei den Alten und treten mit diesen gemeinschaftlich ihre Reise an. Sie verschwinden Ende September und kehren im März wieder zurück.

Alt eingefangene Steinschmätzer gewöhnen sich schwer, aus dem Neste gehobene Junge leicht an den Verlust ihrer Freiheit, gewinnen sich aber nur kundige Beobachter zu Freunden.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 146-148.
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