Trauersteinschmätzer (Saxicola leucura)

[143] Die erste Stelle unter den europäischen Arten gebührt dem Trauersteinschmätzer (Saxicola leucura und cachinnans, Turdus leucurus, Oenanthe, Vitiflora und Dromolaea leucura), von Cabanis als Urbild der Untersippe der Rennschmätzer (Dromolaea) angesehen, einem der größten Mitglieder der Sippe. Die Länge beträgt zwanzig, die Breite einunddreißig, die Fittiglänge zehn, die Schwanzlänge sieben Centimeter. Das Gefieder ist, den bis auf die Endbinde blendendweißen Schwanz und seine oberen und unteren Deckfedern ausgenommen, gleichmäßig tiefschwarz, schwach glänzend; die Schwingen sind an der Wurzel hell aschgrau, gegen die Spitze hin schwarz; die Endbinde des Schwanzes nimmt zwei Fünftel der Gesammtlänge der beiden Mittelfedern ein und verschmälert sich bei den übrigen bis auf acht Millimeter. Das Weibchen ähnelt dem Männchen; die dunklen Theile des Gefieders sind aber nicht schwarz, sondern rußbraun. Die jungen Vögel gleichen den Eltern derart, daß die Männchen dem Vater, die Weibchen der Mutter ähneln, nur daß ihr Kleid unscheinbarer ist.

Wer das grüne Deutschland nicht verlassen hat, kann sich schwerlich die spanischen Gebirge vorstellen. Sie sind schön, herrlich in ihrer Art, aber mit denen des Nordens nicht zu vergleichen. Selten bedacht sie der lebendige Wald, niemals begrünt sie die frische Matte; nur das Himmelslicht legt seinen Farbenmantel, nur die Ferne ihren Duft auf dieselben; nur die Steine selbst malen sie.

Wenn man die saftige, grüne Ebene verläßt, in welcher ein silberner Wasserfaden, hundertfach gestaut und zertheilt, das ergiebige Land zur blühenden »Vega« umwandelt, und dem Gebirge zuschreitet, tritt man urplötzlich in eine Wüste hinaus. Man gelangt vielleicht noch in den »Campo«, in welchem die in gerader Reihe gepflanzten hundertjährigen Oelbäume stehen; aber diese sind wahrlich nicht geeignet, den Eindruck der Oede zu schwächen, welchen das vorliegende Land erregte. Und auch sie bleiben dahinten; der Fuß tritt auf harten Kiesboden, welchen nur hier und da ein Pflänzchen zu durchbrechen wagte. Vor dem Auge das Gebirge in seiner wilden Schönheit. Losgerissene, vom Wasser herabgeworfene Blöcke bedecken seinen Fuß und die Ausgänge der Thäler. Zwischen ihnen sieht man saftig grüne Oleandergebüsche und niederes Gestrüpp; an den Berggehängen wuchern Rosmarin und unzählige Disteln: sie bilden hier den Wald. Möglich, daß man zufällig einige Geier, vielleicht auch einen Adler über dem Gebirge dahinschweben sieht; außer ihnen bemerkt man höchstens noch eine Blaumerle, einen Rothschwanz, einige Schwalben und Steinsperlinge: das übrige erscheint todt. Da lenkt plötzlich ein frischer Gesang die Augen nach einer bestimmten Stelle: das Männchen eines Trauersteinschmätzers singt sein heiteres Lied.

Der zierliche Vogel ist über den größten Theil Spaniens verbreitet und kommt außerdem in Südfrankreich, Süditalien, Griechenland und Nordwestafrika vor. Ueberall, wo er auftritt, bewohnt er das Gebirge, vom Fuße desselben an bis zu dritthalbtausend Meter über dem Meere hinauf. Möglich, daß er im Hochsommer noch zu bedeutenderen Höhen emporsteigt und nur im Winter in die Tiefen herabkommt, in denen ich ihn in den eigentlichen Hochgebirgen Südspaniens antraf. Seine [143] Lieblingsplätze sind die wildesten, zerrissensten Felsen. Je dunkler das Gestein ist, um so häufiger begegnet man ihm, obwohl er auch auf lichteren Kalkfelsen nicht fehlt.

Er ist ein kluger, lebendiger und scheuer Vogel, welcher selbst das ödeste Gebirge zu beleben vermag. Das Männchen geberdet sich oft höchst ergötzlich. Es tanzt förmlich auf einer Steinplatte umher oder trippelt tanzartig an einer Felswand in die Höhe, breitet Schwanz und Flügel, neigt den Kopf, dreht und wendet sich, steigt in die Höhe, singt dabei und senkt sich zuletzt mit ausgebreiteten Flügeln und Schwanz langsam tief herab, um seinem, all diesem zuschauenden Weibchen die letzte Strophe des Gesanges in nächster Nähe noch hören zu lassen. Finden sich einzelne Bäume oder Kaktusfeigenbüsche im Gebirge, dann ruht er auch gern auf diesen von seinem Singen und Tanzen aus; sonst wählt er die hervorragendsten Felsenplatten oder Felsblöcke zu seinen Ruheplätzen. Ohne Scheu kommt er von seinen Höhen auf die Mauern der Gebirgsstädte herab oder steigt zu den auf den höchsten Bergesspitzen liegenden Einsiedeleien empor.

Wirklich liebenswürdig benimmt er sich bei seinem Neste. Er beginnt ziemlich spät mit dem Baue desselben, erst um die Mitte oder gegen Ende des April, vielleicht auch Anfang Mai. An passenden Nistpätzen fehlt es ihm nicht; denn überall findet er in den hohlen, steilen Felsenwänden eine Höhlung, welche noch von keinem Steinsperlinge in Besitz genommen wurde. Das Nest, für eine zahlreiche Nachkommenschaft eingerichtet, ist groß und besteht aus dicht zusammengeflochtenen Grashalmen und Würzelchen, welche inwendig sorgfältig mit Ziegenhaaren ausgefüttert sind. Vier bis fünf Eier von dreiundzwanzig Millimeter Längs- und siebzehn Millimeter Querdurchmesser, hell bläulichgrüner Grundfärbung und violetter und röthlichbrauner Fleckenzeichnung sind die gewöhnliche, sechs bis sieben eine nicht ungewöhnliche Anzahl des Geleges. Ein solches Nest fand ich im Anfange des Juli 1857 in der Sierra de los Anches bei Murcia. Es stand in einer ziemlich geräumigen Höhle, welche durch theilweises Zerbröckeln und Herabfallen des Gesteines gebildet worden war, auf einem breiten, überdachten Steine, wie auf einem Gesimse. Die Wahl des Ortes war zweckmäßig; denn in diese Einöde des Gebirges kam wohl selten ein Mensch; nur hatte der Vogel nicht bedacht, daß die Höhle sehr leicht erreicht werden konnte. Ich fand fünf noch nackte Junge in dem Neste und konnte über sie nicht lange in Ungewißheit bleiben; denn ich war noch nicht mit der Untersuchung des Nestes zu Ende, als beide Eltern ankamen, um zu füttern. Noch niemals, selbst aus dem bestgewählten Verstecke noch nicht, hatte ich den reizenden Vogel so nahe vor mir gesehen, wie es nun der Fall war. Beide, sonst so scheu, schienen alle Vorsicht vergessen zu haben. Auf der einen Seite saß das Weibchen kaum funfzehn Schritte entfernt von mir, auf der anderen etwa ebensoweit das Männchen. Ersteres flog ängstlich von einer Felsenspitze zur anderen; das letztere blieb auf seinem Platze. Aber es sang, als wollte es mich bitten, sein Haus zu verlassen, tanzte, trippelte hin und her, nickte und sang und tanzte wieder. Der Auftritt wurde wirklich ergreifend: hier die immer besorgter und dabei dreister werdende Mutter, dort der Vater, welcher in seiner Herzensangst nicht wußte, was er nur eigentlich beginnen sollte, um den gefährlichen Feind zu entfernen! Später einmal sah ich beide Eltern den ersten Ausflug mit der glücklich erzogenen Brut unternehmen. Vater und Mutter fliegen der munteren Gesellschaft voraus, von Stein zu Stein, von Felsen zu Felsen. Die kleinen Kurzschwänze sind gleich von allem Anfange an in dem Gebiete heimisch. Da braucht nur eins der Eltern einen Warnungsruf auszustoßen, und im Nu ist die ganze Schar in Steinritzen, zwischen und unter Felsblöcken verschwunden. Aber schon nach wenigen Minuten ist sie auf einen anderen Ruf der Alten wieder auf den höchsten Spitzen und Kanten der Steine versammelt: der von den wachsamen Eltern bemerkte Feind ist vorübergezogen oder hat sich versteckt; es scheint keine Gefahr mehr zu geben. Lustig geht es weiter. Hier wird ein Käferchen aufgenommen, dort ein Würmchen. Vater und Mutter fliegen sogar den hoch in der Luft hinsummenden Fliegen oder dahin gaukelnden Schmetterlingen nach und verfehlen selten die ins Auge gefaßte Beute. Aber das Kunststück ist von der ganzen Familie gesehen worden, und nun will jedes Glied derselben das erste sein, welches den Eltern das gefangene Kerbthier abbettelt. Das ist ein Laufen, Rennen, Piepen oder Bitten; [144] selbst die stumpfen Flügel werden tüchtig benutzt: richtig, das schwarze Männchen, welches immer voran ist, war wieder der schnellste und hat es erlangt! Aber da taucht von neuem der Kopf des Feindes hinter einem Steine auf, für die spielende Familie das Haupt der Medusa: ein einziger Ruf des Männchens, und keines der Kinder ist mehr zu erblicken!

So bleibt die kleine Schar unter der Eltern treuer Hut, bis die Mauser vorüber ist; dann zerstreut sie sich; denn jedes hat einen Gefährten gefunden. Der Juli, August und September sind die Zeiten des Federwechsels; Ende Oktober, Anfang November sieht man die einzelnen Pärchen bereits vereinigt und von der Familie getrennt, wenn sie auch gern noch in Gesellschaft mit anderen Pärchen bleiben. Im Januar wird schon rüstig gesungen; im Februar hört man das volle Lied: es ist dem der Blaumerle täuschend ähnlich, wenn auch nicht so laut, so schallend, und endet gewöhnlich mit einem eigenthümlichen Knarren, welches sehr an unseren Hausrothschwanz erinnert.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 143-145.
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