Weichfederdrossel (Turdus mollissimus)

[153] Neben den genannten Arten nun, welche wir als die deutschen bezeichnen können, haben sich in unserem Vaterlande nicht bloß sibirische und nordamerikanische, sondern auch indische und japanische Drosseln gezeigt. Von Sibirien her sind bei uns erschienen: Die Schwarzkehldrossel (Turdus atrogularis), die Rostflügeldrossel (T. fuscatus), die Hügeldrossel (T. Naumanni), die Rothhalsdrossel (T. ruficollis), die Blaßdrossel (T. pallens) und die Wechseldrossel (T. sibiri cus); von den in Nordamerika heimischen Arten besuchten uns: die Wanderdrossel (T. migratorius), die Einsiedlerdrossel (T. Pallasii) und die Sängerdrossel (T. Swainsoni); aus Südasien kamen: die Bergdrossel (T. dauma) und endlich die Weichfederdrossel (T. mollissimus). Weitere Angaben über alle diese Arten würden den mir zugemessenen Raum überschreiten. Wer sich genauer zu unterrichten wünscht, findet ihre Beschreibungen in meinen »Gefangenen Vögeln«.

Die Drosseln sind Weltbürger und leben in den verschiedenen Ländern auch unter verschiedenen Verhältnissen, vorzugsweise jedoch immer und überall im Walde. Weniger wählerisch als die Erdsänger, herbergen sie in jedem Bestande; denn nicht bloß der reiche Wald der Auen oder der Urwald unter den Wendekreisen, sondern auch der Schwarzwald oder der dünn bestandene Buschwald der Steppe weiß sie zu fesseln; ja, noch über der Grenze des Holzwuchses, unmittelbar unter und zwischen den Gletschern finden sie Wohnplätze, welche ihren Ansprüchen genügen. Allerdings verweilen nur die wenigsten Arten jahraus, jahrein an derselben Stelle; die Mehrzahl zeigt eine Wanderlust wie wenig andere Vögel. Diejenigen, welche als selten gesehene Gäste bei uns erschienen, durchzogen fast die Hälfte des Umfangs unserer Erdoberfläche. Sie kamen vom fernsten Osten Sibiriens, aus Kamtschatka zu uns, überflogen sogar das Behringsmeer, durchpilgerten ganz Asien und gelangten so nach Europa. »Von manchen«, sagt Naumann, »schienen selbst Pärchen oder wenigstens mehrere zugleich zu uns gekommen zu sein und später die weite Rückreise zu scheuen. Sie leisteten bei inzwischen vorgerückter Jahreszeit selbst dem in ihnen regegewordenen Fortpflanzungstrieb Genüge, brüteten und erzogen in dem für sie fremden Erdstriche ihre Jungen. Wirstaunen, wenn wir bedenken, welche unermeßlichen Räume sie wahrscheinlich durchflogen, und in welch kurzer Zeit sie eine so große Reise zurückgelegt haben müssen, da sie während derselben doch nicht ununterbrochen in einem Striche vorwärts, einem gesteckten Ziele geradezu entgegenfliegen konnten, örtlicher Hindernisse halber vielmehr öfter zu Umwegen verleitet wurden, sich mitunter Ruhe zur Erholung gönnen und besonders auch auf das Aufsuchen und Zusichnehmen der nothdürftigsten Nahrungsmittel Zeit verwenden mußten.« Welches eigentlich die Ursache sein möge, die jene Fremdlinge zu derartigen Reisen treibt, ist mit Sicherheit nicht zu sagen; doch hat Naumann gewiß nicht unrecht, wenn er annimmt, daß die Geselligkeit, welcher fast alle Drosseln zugethan sind, und die Nahrung sie oft verleiten mag, von dem gewöhnlichen Wege abzuweichen, ganz abgesehen von schlimmem Reisewetter, ungünstigen Winden, Stürmen und ähnlichen Widerwärtigkeiten, welche die Zuggesellschaften trennen und einzelne in unbekannte Fernen verschlagen.

Alle Drosseln sind hochbegabt, bewegungsfähig, gewandt, feinsinnig, klug, gesangeskundig, munter und unruhig, gesellig, aber keineswegs auch friedfertig. Sie haben viele gute Eigenschaften, [153] aber auch manche, welche wir als schlechte bezeichnen. Vom frühen Morgen an bis zum späten Abend sieht man sie in fast ununterbrochener Bewegung; nur die Glut des Mittags lähmt einigermaßen ihre Thätigkeit. In ihren Bewegungen erinnern sie vielfach an die Erdsänger. Auf dem Boden hüpfen sie absatzweise mit großen Sprüngen gewandt umher; bemerken sie etwas auffallendes, so schnellen sie den Schwanz wie die Erdsänger nach oben und zucken gleichzeitig mit den Flügeln nach unten. Im Gezweige hüpfen sie rasch und geschickt; größere Entfernungen überspringen sie, indem sie die Flügel zu Hülfe nehmen. Der Flug ist vortrefflich. Die meisten Arten flattern, wenn sie aufgescheucht werden, in anscheinend täppischer Weise über den Boden dahin, womöglich von einem Busche zum anderen; aber dieselben Vögel streichen, sobald sie sich einmal in eine gewisse Höhe erhoben haben, mit außerordentlicher Schnelligkeit durch die Luft. Unter unseren deutschen Drosseln fliegen die Sing-, die Roth- und die Ringdrossel am besten, die Misteldrossel und die Amsel, ihren kurzen Flügeln entsprechend, am schlechtesten. Bei der Misteldrossel ist der Flug scheinbar schwerfällig und schief; aber auch sie durchmißt rasch weitere Entfernungen, wogegen die Amsel in langen Absätzen gleichsam über den Boden dahinschießt und die Flügel dabei weniger bewegt, dafür aber jähe Windungen äußerst gewandt ausführt.

Die Sinne sind gleichmäßig entwickelt. Drosseln nehmen selbst das kleinste Kerbthier auf weite Entfernungen wahr und erkennen, wenn sie in hoher Luft dahinziehen, die Gegenstände tief unter ihnen auf das genaueste; sie vernehmen nicht nur sehr scharf, sondern unterscheiden auch genau, wie schon aus ihrem Gesange hervorgeht; sie beweisen endlich durch ihre Leckerhaftigkeit feinen Geschmack. Ueber die übrigen Sinne haben wir kein Urtheil. Ihre geistigen Fähigkeiten wird niemand unterschätzen, welcher sie kennt. Sie sind nicht allein klug, sondern auch listig, nicht bloß scheu, sondern berechnend vorsichtig, dreist und gleichwohl mißtrauisch; sie erfassen schnell und urtheilen sehr richtig, benutzen auch alle Mittel und Wege, um sich zu sichern. Im Walde werden sie zu Warnern, auf welche nicht bloß andere ihrer Sippschaft, sondern auch fremdartige Vögel, ja sogar Säugethiere, achten. Alles auffallende, ungewohnte, neue erregt ihre Aufmerksamkeit. Sie kom men mit ausgesprochener Neugier herbei, um einen Gegenstand, welcher sie reizt, genauer ins Auge zu fassen, geben sich aber auch dann nicht rücksichtslos preis, sondern halten sich stets in wohlgemessener Entfernung. Die in den stillen, menschenleeren Wäldern des Nordens groß gewordenen Arten lassen sich leicht berücken, durch zur Schau gehängte Nahrung bethören oder durch andere ihrer Art in versteckte Fallen locken; Erfahrung aber witzigt sie sehr bald, und diejenigen, welche einmal betrogen worden sind, lassen sich auf dieselbe Weise so leicht nicht wieder täuschen. Geselligkeit scheint den meisten Arten Bedürfnis zu sein. Sie sind, wie schon bemerkt, keineswegs friedfertig, gerathen vielmehr recht häufig in Streit; aber sie können, wie man zu sagen pflegt, nicht von einander lassen, und der Lockruf, welchen eine von ihnen ausstößt, wird von anderen selten gehört, ohne befolgt zu werden. Sie vereinigen sich nicht bloß mit anderen derselben Art, sondern mit allen Drosseln überhaupt, und es kann geschehen, daß verschiedene lange Zeit zusammenbleiben, gemeinschaftlich reisen und gemeinschaftlich den Winter in der Fremde verleben. Im Nothfalle mischen sie sich auch unter andere Vögel, ohne sich jedoch auf besonders freundschaftlichen Fuß mit ihnen zu stellen, und deshalb darf man die Warnungen, welche sie derartigen Genossen zukommen lassen, wohl kaum als freundschaftlich gemeinte ansehen. Dem Menschen trauen sie nie vollständig; aber sie unterscheiden recht wohl zwischen gefährlichen und ungefährlichen Leuten. Gewaltsam in Gefangenschaft gebracht, geberden sie sich anfänglich äußerst ungestüm; bald aber erkennen sie in dem, welcher sie freundlich behandelt, einen Freund, und schließen sich ihm innig an.

Stimme und Gesang der Drosseln ähneln sich und sind doch auch wieder sehr verschieden. Die Lockstimme der Misteldrossel klingt wie »Schnerr«, dem Laute ähnlich, welchen man hervorbringen kann, wenn man mit einem Stäbchen über die Zähne eines Kammes streicht. Im Eifer wird das »Schnerr« durch ein dazwischen geschobenes »Ra ta ta« verstärkt. Der Angstruf ist ein unbeschreibliches Geschrill, wie es überhaupt die meisten Drosseln unter denselben Umständen hören lassen. [154] Die Lockstimme der Singdrossel ist ein heiser pfeifendes, nicht weit hörbares »Zip«, an welches häufig die Silbe »tack« oder »töck« angehängt wird. Bei besonderer Erregung klingt der verlängerte Lockruf wie »Styx styx styx«. Die Lockstimme der Wacholderdrossel ist ein schnell und scharf hervorgestoßenes »Tschack tschack tschack«, dem ein helles »Grigri« angehängt wird, wenn sie andere einladen will. Der Lockruf der Rothdrossel ist ein hohes »Zi« und darauf folgendes tiefes »Gack«, der Angstruf ein schnarrendes »Scherr« oder »Tscherr«. Die Ringdrossel lockt: »Töck töck töck« und dazwischen tief betont »tack«, schnarrt aber auch nach anderer Verwandten Art. Die Amsel endlich ruft trillernd »Sri« und »Tränk«, beim Anblick von etwas verdächtigem aber schallend und gellend »Dix, dix«, worauf, falls Flucht nöthig wird, ein hastiges »Gri, gich, gich« folgt. Alle diese Laute, welche selbstverständlich nur höchst unvollkommen ausgedrückt werden können, ändern, je nach den Umständen, vielfach ab. Sie sind übrigens allen Drosseln verständlich; denn eine Art hört auf den Lockruf der anderen, und namentlich der Warnungsruf wird von allen wohl beachtet. Die Gesänge gehören zu den besten aller Singvögel überhaupt. Unserer Singdrossel gebührt die Krone; ihr fast ebenbürtig ist die Amsel; auf sie folgen die Mistel- und Wacholderdrossel. Mit Stolz nennt der Norweger die Singdrossel »Nachtigall des Nordens« und der Dichter Welcker, in Anerkennung ihrer köstlichen Lieder, »Waldnachtigall«. Ihr Gesang ist ein inhaltreiches, wohl- und weittönendes Lied. Mit den flötenden Lauten wechseln allerdings auch schrillende, minder laute und nicht sehr angenehme Töne ab; aber die Anmuth des ganzen wird trotzdem kaum beeinträchtigt. Der Amselgesang steht dem der Singdrossel kaum nach, besitzt mehrere Strophen von ausgezeichneter Schönheit, klingt aber nicht so fröhlich, sondern feierlicher oder trauriger als der ihrer begabten Verwandten. Das Lied der Misteldrossel besteht aus wenigen, höchstens aus fünf bis sechs Strophen, welche unter sich nicht sehr verschieden, aber fast ausnahmslos aus vollen flötenden Tönen zusammengesetzt sind, weshalb auch dieser Gesang als vorzüglich gelten darf. Dasselbe gilt von der Rothdrossel, dasselbe von der Ringdrossel. »Ihr Gesang, welchem freilich der reiche Schmelz des Nachtigallenschlages fehlt«, sagt Tschudi, »schallt in jubelnden Chören hundertstimmig von allen Hochwäldern her und bringt unaussprechlich fröhliches Leben in den stillen Ernst der großen Gebirgslandschaften.« Bezeichnend für die Drosseln ist die Art und Weise ihres Vortrages. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Gesang im Widerspruche mit dem Betragen zu stehen scheint. Viele Vögel begleiten ihre Lieder mit lebhaften Bewegungen: die Drosseln sitzen still, während sie singen, und ihre Lieder selbst fließen ruhig, feierlich dahin wie Kirchengesang. Jede einzelne Strophe ist klar abgerundet, jeder Ton in sich abgeschlossen, der Drosselschlag daher mehr für den Wald als für das Zimmer geeignet. Die Amsel, welche bei uns verweilt, beginnt bereits im Februar, wenn Schnee und Eis noch die Herrschaft im Walde führen, mit ihrem Liede; die zu derselben Zeit in der Fremde weilende Singdrossel gedenkt ihrer Heimat und scheint sie singend begrüßen zu wollen. Wie bei den meisten guten Sängern, eifern sich die Männchen gegenseitig an. Wenn eine Drossel ihren Gesang beginnt, beeilt sich jede andere, welche sie hört, singend ihr zu antworten. Eine lernt auch von der anderen: gute Sänger erziehen treffliche Schüler, Stümper verderben ganze Geschlechter. Zumal die Amsel nimmt leicht von anderen ihrer Art, selbst von fremdartigen Vögeln an und wird zuweilen zum wirklichen Spottvogel. Es scheint, als ob jede Drossel singend eine gewisse Eitelkeit bekunden wolle; denn so versteckt sie sich für gewöhnlich zu halten pflegt, so frei zeigt sie sich, wenn sie ihr Lied beginnt. Sie wählt dann immer eine hohe Baumspitze zu ihrem Sitze und schmettert von da oben herab ihre herrlichen Klänge durch den Wald.

Die Nahrung besteht in Kerbthieren, Schnecken und Würmern, im Herbste und Winter auch in Beeren. Alle Drosseln nehmen erstere größtentheils vom Boden auf und verweilen deshalb hier täglich mehrere Stunden. Vom Walde aus fliegen sie auf Wiesen und Felder, an die Ufer der Flüsse und Bäche und nach anderen Nahrung versprechenden Plätzen. Hier lesen sie auf oder wühlen mit dem Schnabel im abgefallenen Laube herum, um sich neue Vorräthe zu erschließen. Fliegende Kerfe achten sie wenig oder nicht. Beeren scheinen den meisten Arten außerordentlich [155] zu behagen, und die einen lieben diese, die anderen jene Arten. So trägt die Misteldrossel nicht umsonst ihren Namen; denn sie ist förmlich erpicht auf die Mistelbeere, sucht sie überall auf und streitet sich wegen ihr mit anderen ihrer Art auf das heftigste. Schon die Alten behaupteten, daß die Mistel nur durch diese Drossel fortgepflanzt werde, und diese Angabe scheint in der That begründet zu sein. Die Ringdrossel sucht sofort nach der Brutzeit mit ihrer Familie die Heidebüsche auf und frißt dann so viel Heidelbeeren, daß ihr Fleisch infolge dessen blau, ihre Knochen roth und ihre Federn befleckt werden. Daß die Wacholderdrossel ihren Namen nicht umsonst trägt, braucht kaum erwähnt zu werden: sie durchsucht im Winter die Wacholderbüsche auf das eifrigste und frißt so viel von der ihr besonders zusagenden Beere, daß ihr Fleisch infolge dessen einen besonderen Wohlgeschmack erhält. Außerdem verzehren alle Drosseln Erd-, Him-, Brom- und Johannisbeeren, rothe und schwarze Hollunderbeeren, Preisel-, Faulbaum-, Kreuzdorn-, Schlingbaum-, Ebereschbeeren, Kirschen, Weinbeeren usw.

Bald nach ihrer Ankunft in der Heimat schreiten die Drosseln zur Fortpflanzung, die im Norden wohnenden allerdings selten vor dem Anfange des Juni. Mehrere Arten, namentlich Wacholder- und Ringdrossel, behalten auch am Brutplatze ihre Geselligkeit bei, andere sondern sich während der Fortpflanzungszeit von ihresgleichen ab und bewachen eifersüchtig das erworbene Gebiet. Der Standort der Nester ist verschieden, je nach Art und Aufenthalt unserer Vögel; die Nester selbst aber sind sich im wesentlichen ähnlich. Die Misteldrossel baut schon im März, gewöhnlich auf einem Nadelbaume und meist in einer Höhe von zehn bis funfzehn Meter über dem Boden. Der Bau besteht aus zarten, dürren Reisern, Stengeln, Flechten, Baum- und Erdmoos, mit noch anhängender Erde, aus zarten Wurzeln oder feinen Zweigen und dergleichen; das Innere ist mit trockenen Grasblättern, Hälmchen und Rispen glatt und nett ausgelegt. Das Gelege enthält vier bis fünf verhältnismäßig kleine, dreißig Millimeter lange, zweiundzwanzig Millimeter dicke, glattschalige Eier, welche auf blaß meergrünem Grunde mit gröberen oder feineren violettgrauen Punkten gezeichnet sind. In nicht ganz ungünstigen Jahren brütet das Paar zweimal im Laufe des Sommers. Das Nest der Singdrossel steht in der Regel niedriger, meist auf schwachen Bäumchen oder in Büschen, ist äußerlich aus ähnlichen Stoffen zusammengebaut, aber zierlicher, dünnwandiger und innen mit klar gebissenem, faulem Holze, welches mit dem Speichel zusammengeklebt, mit dem Schnabel durchknetet und sehr glatt gestrichen wird, glatt und fest ausgelegt. Anfang April liegen vier bis sechs siebenundzwanzig Millimeter lange, achtzehn Millimeter dicke, glattschalige und glänzende, auf meergrünem Grunde mit feinen oder größeren Flecken von schwarzer oder schwarzbrauner Farbe gezeichnete Eier im Neste. Im Vorsommer findet eine zweite Brutstatt. Die Wacholderdrossel nistet, wie bereits oben bemerkt, seit fast einem Jahrhunderte regelmäßig auch in Deutschland; ihre eigentlichen Brutplätze aber sind die Birkenwaldungen des Nordens. Hier sieht man beinahe auf jedem Stamme ein Nest stehen. Einzelne Bäume tragen nach eigenen Beobachtungen deren fünf bis zehn, von denen jedoch in den meisten Fällen zur Zeit nur ein einziges benutzt wird, woraus hervorgeht, daß ein und derselbe Waldestheil alljährlich zum Brüten wieder aufgesuch wird. Betritt man ihn, während die Vögel Eier oder Junge haben, so herrscht hier überaus reges Leben. Der ganze Wald hallt wieder von dem Gesange und dem ängstlichen Geschreie unserer Vögel; denn die Anzahl der brütenden Pärchen läßt sich nur nach hunderten abschätzen. Die Nester stehen selten tiefer als zwei Meter über dem Boden, gewöhnlich näher dem Wipfel der übrigens immer niedrigen und buschartigen Birken. Jedes einzelne Pärchen behauptet ein eigenes Gebiet; der Umfang desselben ist aber so gering, daß man sagen darf, jeder passende Baum sei Mittelpunkt eines solchen. Das Nest, ein Napf von ziemlicher Größe, welches aus einigen Reisern, groben Halmen und Gräsern besteht und innen mit zarteren Gräsern ausgefüllt ist, wird auf dem mit einer dicken Schicht Erde vermischten Unterbaue errichtet. Die fünf bis sechs Eier des Geleges sind sechsundzwanzig Millimeter lang und zwanzig Millimeter dick, auf matt- oder lebhaftgrünem Grunde mit größeren und verwaschenen oder schärfer gezeichneten [156] kleineren Flecken und Punkten von rothbrauner Farbe, am dickeren Ende gewöhnlich dichter als übrigens, zuweilen kranzartig gezeichnet. An den in Deutschland brütenden Wacholderdrosseln beobachten wir, daß auch sie sich in kleinen Gesellschaften halten. Die Rothdrossel brütet ungefähr in denselben Gegenden wie die letztgenannte, scheint aber sumpfige Wälder zu bevorzugen. In Deutschland ist sie ebenfalls, jedoch sehr selten als Brutvogel gefunden worden. Die Nester stehen niedrig über dem Boden, ähneln denen der Singdrossel und sind innen wie jene mit zerbissenem Holze, Erde und Lehm überkleistert. Die Eier gleichen denen der Singdrosseln bis auf die etwas geringere Größe. Die Ringdrossel baut da, wo sie während des Sommers lebt, in Mitteleuropa nur im Hochgebirge und nicht unter tausend Meter über dem Meere, in Skandinavien hingegen an allen geeigneten Plätzen, von der Meeresküste an bis zu einer unbedingten Höhe von etwa anderthalbtausend Meter aufwärts. Im Riesengebirge oder in der Schweiz wählt sie sich zu ihren Brutplätzen die kümmerlichen Baumgruppen, welche man nur im beschränkten Sinne Wälder nennen kann, oder diejenigen Stellen, wo Knieholz und Halden abwechseln. Gloger und ich fanden im Riesengebirge die Nester noch in einer Höhe von fast funfzehnhundert Meter über dem Meere, auf verkrüppelten Fichten und im Knieholze, nicht höher als drei, gewöhnlich einen bis zwei Meter über dem Boden, und zwar in der Nähe bewohnter »Bauden« ebensowohl wie fernab vom Getreibe der Menschen. Jedes Pärchen bewohnt hier ein kleines Gebiet und lebt in Frieden mit benachbarten Pärchen. Die Nester werden zwischen den auf den Zweigen wachsenden Flechten gleichsam festgekittet und etwa vorhandene dürre Rüthchen der Zweige selbst theilweise mit verarbeitet. Grobe Pflanzenstengel, feine Reiserchen, Grasstoppeln, dürre Halme und grünes Moos, welche Stoffe im Inneren mit Moorerde oder Kuhdünger durchknetet und auf diese Art sehr fest verbunden sind, bilden die Grundlage; die Mulde wird mit feinen Grashalmen und Stengeln dick ausgelegt. Vier, höchstens fünf Eier, welche denen der Amsel ebenso ähneln wie denen der Wacholderdrossel, also auf blaßgrünem Grunde mit vielen feinen Punkten, Flecken und Strichelchen von violettgrauer oder rostbrauner Farbe gezeichnet sind, bilden das im Mai vollzählige Gelege. In Mitteleuropa scheinen wenigstens die alten Paare zweimal im Jahre zu brüten, in Skandinavien ist dies höchst wahrscheinlich nicht der Fall; mindestens fand ich bereits im Juni die Alten in einem so gänzlich abgetragenen Kleide und theilweise sogar bereits in der Mauser, daß an ein nochmaliges Brüten schwerlich gedacht werden konnte. Die Amsel endlich nistet in den Dickichten, am liebsten auf jungen Nadelbäumen und immer niedrig über dem Boden, zuweilen selbst auf ihm. Das Nest ist nach dem Standorte verschieden. Wenn es in Baumlöcher mit großer Oeffnung gebaut wird, wie es wohl auch vorkommt, ist es nur ein Gewebe von Erdmoos und dürren Halmen; wenn es freisteht, bilden feine Würzelchen, Stengel und Gras die Außenwände, eine Schicht fettiger feuchter Erde, welche sehr geglättet ist, aber immer feucht bleibt, das Innere. Bei sehr günstigem Wetter findet man bereits um die Mitte des März, sonst gegen das Ende des Monats, die vier bis sechs, auf blaß blaugrünem Grunde mit hellzimmet- oder rostfarbigen Flecken, Schmitzen und Punkten über und über bedeckten, verhältnismäßig großen Eier. Das zweite Gelege pflegt Anfang Mai vollzählig zu sein. Nach mir gewordenen Mittheilungen guter Beobachter brütet das Paar in manchen Jahren sogar dreimal. Das Weibchen wird nur in den Mittagsstunden vom Männchen abgelöst; beide Eltern aber lieben ihre Brut auf das zärtlichste und geberden sich überaus ängstlich, wenn ein Feind dem Neste naht. Von der Wacholderdrossel ist behauptet worden, daß sie herannahende Feinde durch Auswerfen ihres Kothes zu vertreiben suche; ich darf versichern, daß ich von dieser Vertheidigungsart nichts in Erfahrung gebracht habe, obgleich ich zugestehen will, daß ich von den hunderten, welche, durch mich aufgescheucht, schreiend über den Nestern hin-und herflogen, wohl in entsprechender Weise besudelt worden bin. Dagegen greifen die Drosseln nahende Feinde nicht selten förmlich an, indem sie auf sie herabstoßen, dicht an ihnen vorüberfliegen und sie auf diese Weise zu schrecken suchen. Fruchtet Muth nicht, so nehmen sie zur List ihre Zuflucht, stellen sich krank und lahm und flattern und hüpfen, scheinbar mit der größten Anstrengung, auf dem [157] Boden dahin, locken den Räuber, welcher sich bethören läßt, dadurch wirklich vom Neste ab, führen ihn weiter und weiter und kehren dann frohlockend zu den Jungen zurück. Nach vierzehn- bis sechzehntägiger eifriger Bebrütung sind die Eier gezeitigt und schon drei Wochen später die Jungen, welche vorzugsweise mit Kerbthieren aufgefüttert und reichlich versorgt werden, flugfähig. Wenige Wochen nach dem Ausfliegen beginnt bei ihnen die Mauser, und wenn die Winterreise herannaht, tragen sie bereits das zweite Kleid.

Mit Ausnahme der Amsel verlassen alle unsere Drosseln im Herbste die Heimat, und wandern in südlichere Gegenden. Für die hochnordischen Arten kann schon Deutschland zur Winterherberge werden; das eigentliche Heer zieht bis Südeuropa. Hier wimmelt es während der Wintermonate aller Orten von Drosseln. Auf den sonnigen Gehängen der Hochgebirge Südspaniens siedeln sich, jetzt zu mehr oder minder zahlreichen Flügen vereinigt, Ringamseln an; in Wäldern, Gebüschen und Weingärten treiben sich Sing-und Rothdrosseln zu tausenden umher. Die Misteldrossel sieht man seltener, falls überhaupt diejenigen, denen man in Spanien begegnet, als Zugvögel zu betrachten sind; die Wacholderdrossel gehört unter die seltensten Wintergäste der Iberischen Halbinsel. Das Gleiche gilt für Süditalien und für Griechenland; doch muß ich ausdrücklich hervorheben, daß hier die Ringamsel nur äußerst selten gefunden wird. Alle Drosseln wandern in zahlreichen Gesellschaften, zuweilen in ungeheueren Flügen, welche sich bereits im Norden sammeln, und ziehen in außerordentlich Höhe, wahrscheinlich nicht viel unter zweitausend Meter unbedingter Höhe dahin. »Im Herbste des Jahres 1852«, erzählt Gadamer, »hörte ich in einem Walde über mir plötzlich ein furchtbares Brausen, welches mit einem scharf heulenden Laute verbunden war. Das Geräusch erschreckte mich, denn ich glaubte, mich unter einem herabfallenden Meteor zu befinden. Bald aber wurde das Räthsel gelöst; denn ich befand mich plötzlich unter mehr als zehntausend Rothdrosseln, welche, aus einer außerordentlichen Höhe herabstürzend, auf allen rings um mich stehenden Bäumen auffielen. Ihr Herabstürzen geschah mit solcher Geschwindigkeit, daß ich die Vögel nicht eher sehen konnte, als bis sie auf die Bäume schlugen.« Genau dasselbe beobachtet Gätke alljährlich auf Helgoland. Im Verlaufe der Reise zertheilen sich derartige Schwärme in kleinere Gesellschaften, aber diese stehen unter sich gewissermaßen im Verbande, so daß unter Umständen mehrere Geviertkilometer von ihnen besetzt sind und jeder größere Busch seinen Bewohner gefunden hat.


»Inter aves turdus, si quis me judice certet,

Inter quadrupedes gloria prima lepus«


singt schon der alte Martial, das vortreffliche Fleisch der Drosseln rühmend. Andere Naturbeobachter des Alterthums versichern, daß dieses Wildpret auch gegen mancherlei Krankheit mit Erfolg gebraucht werden könne, und schildern deshalb genau die Art und Weise seiner Zubereitung. Wir dürfen annehmen, daß die Drosseln bereits vor Zeiten in derselben Weise gefangen wurden, wie jetzt, wenn man auch damals vielleicht noch keine Vogelherde oder Dohnenstiege wie heutzutage anwendete. Gegenwärtig kommen bei uns zu Lande beiderlei Fanganstalten mehr und mehr in Abnahme; in Italien, Spanien und Griechenland dagegen stellt den Drosseln jedermann nach, und die Anzahl derer, welche dort vernichtet werden, ist kaum zu berechnen.

Für die Gefangenschaft eignen sich alle Drosseln; ihr volltönender und kräftiger Gesang ist jedoch für das enge Zimmer fast zu stark, und ihre rege Freßlust hat Uebelstände zur Folge, welche auch durch die sorgfältigste Reinlichkeit nicht gänzlich beseitigt werden können. Einen großen, im Freien errichteten Gesellschaftsbauer beleben sie in höchst ansprechender Weise. Ihre Munterkeit und Regsamkeit wirbt ihnen warme Freunde, und ihr köstlicher Gesang entzückt den Liebhaber schon in den ersten Monaten des Jahres, zu welcher Zeit andere Vögel noch schweigen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 153-158.
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