Blaßspötter (Hypolais pallida)

[202] In Griechenland vertreten unseren Vogel zwei nahe verwandte Arten: der merklich kleinere, genau gleichgefärbte, durch seinen erheblich schmäleren Schnabel jedoch hinlänglich unterschiedene Blaßspötter (Hypolais pallida, elaeica, megarhyncha und Verdoti, Sylvia pallida, Salicaria elaeica, Acrocephalus pallidus, Ficedula ambigua), welcher wahrscheinlich dem Ramaspötter (Hypolais caligata oder Rama) gleichartig ist, und der größere, dunklere Olivenspötter (Hypolais olivetorum, Sylvia, Salicaria und Ficedula olivetorum), welcher sich durch die olivenbräunlichgraue Oberseite, die weiße, schwach rostfahl überflogene, auf Hals und Körperseiten bräunlich verwaschene Unterseite sowie die bräunlichweiß gesäumten unteren Flügeldecken und die außen und innen fahlweiß gerandeten Schwungfedern unterscheidet.

Wie es scheint, meidet der Grauspötter das Gebirge oder überhaupt bergige Gegenden und wählt ausschließlich baumreiche Stellen der Ebenen zu Wohnsitzen. Besondere Lieblingsorte von ihm sind die Huertas, jene paradiesischen Gefilde Spaniens, welche noch heutzutage durch die von den Mauren angelegten Wasserwerke regelmäßig bewässert werden und in Fruchtbarkeit schwelgen. Hier in den Obst- oder Blumengärten, welche innerhalb dieses einen großen Gartens sich finden, neben und über den Spaziergängen der Städte und Dörfer und selbst noch in den an die Ebene stoßenden Weinbergen und Oelpflanzungen ist unser Vogel so häufig, daß wir von ungefähr zwanzig neben einander stehenden Silberpappeln zwölf singende Männchen herabschießen konnten.

So sehr der Grauspötter unserem Gartensänger hinsichtlich seines Aufenthaltes und seines Betragens ähnelt, so bestimmt unterscheidet er sich von ihm durch seine Verträglichkeit, anderen derselben Art gegenüber, und durch seinem Gesang. Ich habe nie gesehen, daß zwei Männchen eifersüchtig sich verfolgt hätten, vielmehr wiederholt beobachtet, daß zwei Paare auf einem und demselben Baume lebten; ich habe sogar zwei Nester mit Eiern auf einem Baume gefunden. An ein feindseliges Verhältnis zwischen den betreffenden Paaren ist also gar nicht zu denken, und diese Verträglichkeit fällt dem, welcher das zänkische Wesen anderer Gartensänger kennt, augenblicklich auf. Aber auch der Gesang unterscheidet den Grauspötter leicht und sicher von seinen Verwandten. Der Lockton, welchen man von beiden Geschlechtern vernimmt, ist das so vielen Singvögeln gemeinsame »Tack tack«, der Gesang ein zwar nicht unangenehmes, aber doch höchst einfaches Lied, welches in mancher Hinsicht an den Gesang gewisser Schilfsänger erinnert und von der Nachahmungsgabe oder Spottlust unserer Gartensänger nichts bekundet. In seinen Bewegungen, wie überhaupt in allen wesentlichen Eigenschaften, ähnelt der Grauspötter unserem Gartensänger; doch darf er vielleicht als ein minder lebhafter Vogel bezeichnet werden. An das Treiben des Menschen hat er sich so gewöhnt, daß er durchaus keine Scheu zeigt, sich vielmehr in nächster Nähe beobachten läßt und noch das kleinste Gärtchen inmitten der Häusermassen großer Städte wohnlich und behaglich findet. Sein Vertrautsein mit dem Menschen geht so weit, daß er sich auf den belebtesten Spaziergängen ansiedelt, selbst wenn diese bis nach Mitternacht von Laternen glänzend beleuchtet sein sollten.

Die Brutzeit beginnt erst zu Anfang des Juni und währt bis Ende des Juli. Zum Nisten wählt sich das Paar stets einen hohen, dichtwipfeligen Baum und eine blätterreiche Stelle des Gezweiges. Hier, immer in beträchtlicher Höhe über dem Boden, steht oder hängt das Nest zwischen zwei senkrecht auf- oder ablaufenden Zweigen, welche in dasselbe verflochten werden, erinnert also in dieser Hinsicht an die Nester der Schilfsänger. Die Wandungen sind sehr dicht, aber aus verschiedenen Stoffen zusammengefilzt. Einzelne Nester bestehen aus Grashalmen, dickeren und feineren durcheinander, und werden innen kaum mit Distelwolle ausgekleidet; andere sind fast [202] ganz aus letzterer oder aus Baumwolle und aus Schalenstückchen verschiedener Bäume zusammengesetzt. Die Nestmulde hat einen Durchmesser von fünf und eine Tiefe von vier Centimeter. Das Gelege besteht aus drei bis fünf rein eiförmigen Eiern, welche auf blaßgrauem oder blaßröthlichem Grunde mit unregelmäßigen, d.h. größeren und kleineren Flecken und Punkten von dunkelbrauner bis schwarzer Farbe gezeichnet sind. Beide Eltern brüten abwechselnd, beide füttern die Brut heran, und beide lieben sie äußerst zärtlich. Ob das Paar mehr als einmal im Sommer nistet oder nur eine Brut erzieht, lasse ich dahin gestellt sein; ich kann blos sagen, daß wir zu Ende des Juli die ersten flüggen Jungen beobachteten, zugleich aber bemerkten, daß die Alten um diese Zeit noch nicht mauserten. Höchst wahrscheinlich ist der Grauspötter in Spanien nur Sommergast; ich vermag jedoch hierüber, und also auch über die Zeit seiner Ankunft und seines Wegzuges, bestimmtes nicht anzugeben.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 202-203.
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