Halsbandlerche (Melanocorypha bimaculata)

[266] Südeuropa, insbesondere die Umgebung des Mittelmeeres, Istrien, Dalmatien, Griechenland, Süditalien und Spanien, ebenso Nordwestafrika und die Steppen Turkestans sind die Heimat der Kalanderlerche, welche von den angegebenen Ländern aus Nordostafrika, aber nur selten die oberen Nilländer besucht, hier wie in Palästina, Persien, ganz Mittelasien und den nordwestlichen Provinzen Indiens vielmehr durch die ihr sehr nahestehende, artlich vielleicht nicht einmal verschiedene, etwas kleinere, auf der Oberseite deutlicher längsgestreifte, außerdem an den nicht mit Weiß endenden Schwingen und mit Ausnahme der beiden mittelsten rostweißlich geendeten Schwanzfedern zu erkennende Halsbandlerche (Melanocorypha bimaculata, torquata, alboterminata und rufescens, Alauda bimaculata) vertreten wird. Sie bewohnt am liebsten dürre, nicht bewässerte Felder oder ausgedehnte Viehweiden, in Asien in Gemeinschaft von mindestens fünf anderen Arten, welche sie in jeder Beziehung beherrscht, die Steppe.

In ihrem Betragen unterscheidet sie sich nicht wesentlich von unserer Feldlerche. Auch sie lebt während der Fortpflanzungszeit paarweise in einem bestimmten Gebiete, aus welchem sie andere ihrer Art eifersüchtig vertreibt; schlägt sich aber nach der Paarungszeit in Flüge, welche zuweilen ebenfalls sehr zahlreich werden können: einen solchen, welcher wohl über tausend Stück enthalten mochte, sah ich in den Steppenwaldungen am oberen Blauen Flusse. Bestimmt zu unterscheiden ist sie von unserer und allen anderen mir bekannten Lerchen an ihrem aufrechten Gange und den zwar etwas langsamen, aber ungemein kräftigen Bewegungen ihrer sehr breiten Flügel, welche in Verbindung mit dem sie unterseits säumenden lichteren Endrande ihrem Flugbilde ein so bezeichnendes Gepräge aufdrücken, daß man sie nie verkennen kann. Ebenso kennzeichnet sie sich durch ihren[266] herrlichen Gesang. Wer sie zum ersten Male singen hört, bleibt überrascht stehen, um ihr sodann mit Entzücken zu lauschen. Ihr Lied zeichnet sich vor allen mir bekannten Lerchengesängen durch einen wunderbaren Reichthum und ebenso große Fülle und Kraft aus. In der Steppe vereinigt, verschmilzt, vertönt sie aller dort lebenden Lerchen Gesänge in dem ihrigen, gibt sie veredelt wieder und beherrscht hierdurch wie durch ihre gewaltige Stimme den wunderbaren Lerchengesang, welcher hier während der Frühlingszeit ununterbrochen vom Himmel herabströmt. Nicht alle erringen sich vollen Ruhm, denn nicht alle verwenden ihre unerschöpflichen Stimmittel in einer unserem Ohre wohlthuenden Weise; einzelne aber sind gerade zu unvergleichliche Meister in ihrer Kunst, welche man gehört, im Freien gehört haben muß, um ihre Bedeutung gebührend zu würdigen.


Kalanderlerche (Melanocorypha calandra). 1/2 natürl. Größe.
Kalanderlerche (Melanocorypha calandra). 1/2 natürl. Größe.

»Sowie die Kalanderlerche alle übrigen Mitglieder der Familie an Größe übertrifft«, sagt Cetti, »so überbietet sie dieselben an Gesang. Sie kann mit jedem anderen Vogel hierin um den Vorrang streiten. Ihre natürliche Stimme scheint mir ein Geschwätz von nicht großer Annehmlichkeit zu sein; ihre Einbildungskraft aber faßt alles, was sie zu hören bekommt, und ihre dichterische Kehle gibt alles verschönert wieder. Auf dem Lande ist sie ein Echo aller Vögel; man braucht, um sozusagen, anstatt all der anderen nur sie zu hören. Sie verwendet ebenso das Geschrei der Raubvögel wie die Weise der Sänger und verschwendet, in der Luft schwebend, tausende in einander geflochtene Strophen, Triller und Lieder. Sie lernt so viel, wie man ihr vorspielt; das Flageolet hat keine bessere Schülerin als sie. Ihre erlangte Geschicklichkeit macht sie nicht eitel: sie, die Künstlerin, singt vom Morgen bis an den Abend. Eine vor dem Fenster hängende Lerche dieser Art ist hinreichend, die ganze Gegend zu erheitern. Sie ist die Freude und der Stolz des Handwerkers, das Entzücken der Vorübergehenden.« Alle übrigen Beobachter sind einstimmig in diesem Lobe. »Ihr Lockton«, schreibt Graf Gourcy meinem Vater, »gleicht, einen tiefen Ton ausgenommen, der Lockstimme der Haubenlerche sehr. Ihr Gesang ist herrlich und wegen seiner außerordentlichen Abwechselung wirklich wunderbar. Ihre Nachahmungskunst setzt die seltene Gabe voraus, die Stimme nach Willkür verändern zu können; denn nur dadurch ist es möglich, bald jene hohen kreischenden, bald jene hellen [267] Töne hervorzubringen, welche den Hörer in Erstaunen setzen. Wenn sie ihren Lockton einige Male hat hören lassen, folgen gewöhnlich einige Strophen aus dem Gesange der Bastardnachtigall; dann kommt der lang gezogene, sehr tiefe Ruf der Amsel, in welchem sich namentlich das ›Tack, tack‹ sehr hübsch ausnimmt. Hierauf folgen Strophen, ja zuweilen der ganze Gesang der Rauchschwalbe, der Singdrossel, des Stieglitz, der Wachtel, der Finkmeise, des Grünlings, des Hänflings, der Feld- und Haubenlerche, des Finken und Sperlings, das Jauchzen der Spechte, das Kreischen der Reiher, und dies alles wird in der richtigen Betonung vorgetragen. Sie schnalzt wie ein Mensch; sie trägt allerhand Töne vor, welche sie gewiß von anderen, mir gänzlich unbekannten Sängern annahm; sie ahmt alles so täuschend nach, daß der Kenner jedes Vogels Gesang sogleich erkennen muß. Als ich sie erhielt, kannte sie den Gesang der Baumlerche und den Ruf der Schwanzmeise noch nicht: in kurzer Zeit hatte sie beiden Vögeln ihre Töne so gut abgelernt, daß sie dieselben herrlich vortrug. Zuweilen ist ihre Art zu singen äußerst sonderbar; sie scheint dann die Töne, ohne die Kehle im geringsten dabei zu bewegen, nur aus dem Schnabel heraus zu werfen. Schade nur, daß ihr Gesang für das Zimmer zu laut ist, daß er im geschlossenen Raume auf die Länge nicht ertragen werden kann. Ich mußte meine Gefangene der lästigen Stärke dieses Gesanges halber endlich weggeben. Der Händler verkaufte sie wiederholt; doch keiner der Liebhaber konnte die starken Töne im Zimmer vertragen.«

Das Nest ist ein kunstloser Bau aus trockenen Stengeln und feinen Wurzeln, welcher an einer verborgenen Stelle hinter Erdschollen, kleinen Büschchen oder im Getreide, immer aber in einer kleinen Vertiefung angelegt wird. Die drei bis fünf Eier sind vierundzwanzig Millimeter lang, achtzehn Millimeter dick, rundlich, in der Mitte stark ausgebaucht und auf glänzend weißem oder gelblichweißem Grunde mit gelbbraunen und grauen Flecken und Punkten, welche gegen das dicke Ende hin oft kranzartig zusammenlaufen, dicht bedeckt.

Um die auch in Spanien hochbeliebte Sängerin zu fangen, geht man hier des Nachts auf geeignete Feldstücke; einige der Fänger tragen Herdenglocken, andere Blendlaternen, die übrigen Handnetze. Die Lerchen werden durch den Lichtschimmer geblendet, durch den Klang der Herdenglocken aber irre geführt, und zu der Meinung verleitet, daß ihnen eine Rinder-oder Schafherde nahe. Sie warten die Ankunft der Fänger ruhig ab, drücken sich auf den Boden nieder und werden dann entweder mit den Netzen überdeckt oder sogar mit der Hand gegriffen. Mein Bruder hat derartigem Fange beigewohnt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 266-268.
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