Gürtelmeise (Parus cinctus)

[548] Im Norden und Osten Europas sowie in den Alpen vertritt sie die Alpen- oder Bergmeise ( Parus borealis, alpestris, fruticeti und Baldensteinii, Poëcile oder Poëcila borealis, alpestris und assimilis, Poikilis borealis und alpestris), welche sich durch lichtere Kopf- und Halsseiten und ausgedehnteren Kehlfleck unterscheidet, auch ein wenig größer ist, im äußersten Nordosten unseres Erdtheiles aber wiederum durch die oberseits rein aschgraue Zirbelmeise (Parus camtschatcensis und baicalensis) ersetzt wird. Zu derselben Gruppe gehören endlich die Trauermeise (Parus lugubris, Poëcile, Poëcila und Poikilis lugubris und lugens, Penthestes lugubris) von der Balkanhalbinsel und die im hohen Norden Europas und Westasiens lebende Gürtelmeise (Parus cinctus, sibiricus und lapponicus, Poëcile und Poikilis sibiricus). Beide sind beträchtlich größer als die Sumpfmeise, gestreckter gebaut und verschieden gefärbt, indem die erstere bei im allgemeinen der Sumpfmeise ähnlicher Färbung und Zeichnung durch das große schwarze Kehlfeld und die breiten weißen Außenränder der hintersten Oberarm- und der Schwanzfedern, letztere durch die matt dunkelbraune Kopfplatte und die fahl oder blaß rostbraune Färbung des Kleingefieders sich unterscheidet.

Obwohl sich nicht leugnen läßt, daß alle die nachbenannten Arten auch hinsichtlich ihres Aufenthaltes und Betragens von der Sumpfmeise abweichen, will ich mich doch auf eine kurze Lebensschilderung unserer deutschen Art beschränken. Die Sumpfmeise bewohnt, ihren Namen bethätigend, mit Vorliebe niedrig gelegene, wasserreiche Gegenden, zieht Laubwälder entschieden den Schwarzwaldungen vor, hält sich auch dort regelmäßig in den Niederungen und in der Nähe von Gewässern auf, begnügt sich aber auch schon mit dem Uferbestande eines Baches oder Teiches und ebenso mit einem unfern solchen Gewässern gelegenen Garten, gleichviel, ob höhere Bäume oder niedere Gebüsche vorhanden sind. Ihr Wohnbaum ist die Weide, wogegen die Alpenmeise fast nur in Schwarzwäldern gefunden wird und die Gürtelmeise zwischen Weiden- und Nadelholzbeständen keinen Unterschied zu machen scheint. Jene ist, je nach der Oertlichkeit, der Witterung und sonstigen Umständen, Stand- oder Strichvogel. Viele Sumpfmeisen verlassen ihr Brutgebiet nicht, andere durchstreifen, familienweise reisend, eilfertig weitere Strecken, nachts, wie sonst auch, in irgend einer Baumhöhlung Herberge nehmend. Ihr Strich beginnt im Oktober und endet im März; die übrigen Monate des Jahres verbringen sie am Brutorte.

[548] Vielleicht sagt man nicht zu viel, wenn man die Sumpfmeise als die flinkeste und lustigste aller deutschen Arten der Familie bezeichnet. Ungemein lebhaft, unruhig und gewandt, bei Hitze oder Kälte, reichlicher oder spärlicher Nahrung wohlgemuth, drollig, necklustig, keck und muthig, weiß sie jeden Beobachter zu fesseln und zu gewinnen. Sie ist vom Morgen bis zum Abend in Thätigkeit, hüpft und turnt, klettert und fliegt, arbeitet, ruft und lockt, so lange die Sonne am Himmel steht, und geht erst spät zur Ruhe. Ihre Bewegungen ähneln denen der Blaumeise; ihr Unterhaltungslaut ist ein leises, etwas zischendes »Sit«, ihr Lockruf ein sanftes »Ziäh«, der Ausdruck gelinder Erregung ein scharf betontes »Spitäh, spitzidäh«, ihr Angstschrei ein helles »Spitt«; in ihrem kurzen, leisen, vieltönigen Gesange klingen die Silben »Hitzihitzilidädä« hervor. Im übrigen unterscheidet sie sich kaum von ihren Verwandten, theilt mit diesen auch die Nahrung.

Das Nest steht stets in einer Höhlung mit möglichst engem Eingange, am liebsten in der eines alten Weidenkopfes, sehr oft auch in einem Mause- oder sonstigen Erdloche, im ersteren Falle nicht selten in einer selbst gemeiselten, nett und zierlich ausgearbeiteten, mit engem Schlupfloche versehenen Brutkammer, ist, je nach der Weite des Raumes, dichter oder spärlicher ausgekleidet, immer aber kunstlos mit Moos, Halmen, Wolle usw., innen meist mit denselben Stoffen, seltener mit Haaren und Federn ausgefüttert und enthält im Mai das Gelege der ersten Brut, acht bis zwölf zartschalige, rundliche, etwa sechzehn Millimeter lange, zwölf Millimeter dicke, auf grünlichweißem Grunde mit verschieden großen, rostrothen Punkten und Tüpfeln dichter oder spärlicher bestreute Eier. Beide Eltern bebrüten sie abwechselnd, zeitigen sie binnen dreizehn bis vierzehn Tagen, füttern sie in höchstens drei Wochen groß, unterrichten sie noch einige Zeitlang und schreiten im Juli zur zweiten Brut, welche jedoch höchstens acht Eier zählt. Viele Bruten werden durch Mäuse, Wiesel, Katzen und andere Feinde zerstört, die alten Vögel von diesen hart bedrängt, so daß die starke Vermehrung, seitdem Wohnungsnoth auch die Sumpfmeisen quält, kaum ausreicht, die Verluste, welche der Bestand erleiden muß, zu decken.

Gefangene Sumpfmeisen halten sich ebenso leicht wie andere ihres Geschlechtes und sind infolge ihrer Lebhaftigkeit und Drolligkeit vielleicht noch anziehender als die Verwandten.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 548-549.
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