Kuhvogel (Molobrus pecoris)

[380] Die bekannteste Art dieser Gruppe ist der berühmte oder berüchtigte Kuhvogel (Molobrus pecoris, Emberiza, Fringilla, Molothrus, Icterus und Psarocolius pecoris). Kopf und Hals sind rußbraun; das ganze übrige Gefieder ist bräunlichschwarz, auf der Brust bläulich, auf [380] dem Rücken grün und blau glänzend; der Augenring ist dunkelbraun; der Schnabel und die Füße sind bräunlichschwarz. Die Länge beträgt neunzehn, die Breite dreißig, die Fittiglänge elf, die Schwanzlänge acht Centimeter. Das Weibchen ist etwas kleiner und ziemlich gleichmäßig rußbraun, auf der Unterseite etwas lichter als auf der oberen.

Der Kuhvogel ist ebenfalls über den größten Theil Nordamerikas verbreitet und wenigstens in einzelnen Gegenden sehr häufig. Auch er lebt hauptsächlich auf sumpfigen Strecken, gern aber nebenbei auf Weiden, zwischen Rindern und Pferden. Seine Schlafplätze wählt er sich im Gebüsche oder im Röhrichte an Flußufern. Im Norden der Vereinigten Staaten erscheint er zu Ende des März oder im Anfange des April in kleinen Flügen. Zu Ende des September verläßt er das Land wieder, gewöhnlich in Gesellschaft mit anderen Vögeln. Seine Nahrung ist wesentlich dieselbe, welche seine Verwandten verzehren. Unseren Staaren ähnelt er darin, daß auch er oft von dem Rücken des Viehes die Schmarotzer abliest, welche sich dort festgesetzt haben.

Dies alles würde nach dem vorhergegangenen besondere Erwähnung kaum nöthig erscheinen lassen, zeichnete sich der Kuhvogel nicht anderweitig wesentlich aus.


Kuhvogel (Molobrus pecoris). 1/2 natürl. Größe.
Kuhvogel (Molobrus pecoris). 1/2 natürl. Größe.

Er und alle übrigen Genossen seiner Sippe brüten nicht selbst, sondern vertrauen ihre Eier fremder Pflege an, mißachten auch, wie unser Kukuk, Schranken der Ehe und leben in Vielehigkeit. Während der Fortpflanzungszeit sieht man den Kuhvogel ebenso gut in Gesellschaften als sonst, in geraden und ungeraden Zahlen bei einander, bei dem einen Fluge mehr Weibchen, bei dem anderen mehr Männchen. »Trennt sich ein Weibchen von der Gesellschaft«, sagt Potter, »so wird sein Weggang kaum oder nicht berücksichtigt. Kein artiger Gefährte begleitet es oder verräth Kummer über seine Abwesenheit, kein zärtlicher oder liebevoller Ton begrüßt es bei seiner Rückkehr. In der That sind solche Ausdrücke der Zärtlichkeit oder wechselseitigen Zuneigung bei dem Kuhvogel durchaus überflüssig; die größte Ungebundenheit ist die Regel: jeder thut, was er will. Beobachtet man eine Anzahl dieser Vögel während der Brutzeit, so kann man sehen, wie das Weibchen seine Gefährten verläßt, unruhig umherfliegt und [381] schließlich an einem geeigneten Orte, von wo aus es das Thun und Treiben der anderen Vögel wahrnehmen kann, geraume Zeit verweilt. Als ich einmal ein Weibchen in dieser Weise suchen sah, beschloß ich, womöglich das Ergebnis zu erfahren, stieg zu Pferde und ritt ihm langsam nach. Ich verlor es zuweilen aus dem Gesichte, bekam es jedoch immer bald wieder zu sehen. Es flog in jedes dichte Gebüsch, durchspähte mit der größten Sorgfalt alle Stellen, wo die kleineren Vögel gewöhnlich bauen, schoß zuletzt pfeilschnell in ein dichtes Gebüsch von Erlen und Dornsträuchen, verweilte hier fünf bis sechs Minuten und kehrte dann zu seiner Gesellschaft auf dem Felde zurück. Im Dickichte fand ich das Nest eines Erdwaldsängers oder Gelbkehlchens (Geothlypis trichas) und in ihm ein Ei des Kuhvogels neben einem anderen des rechtmäßigen Besitzers. Als der Kuhvogel längs der einen Seite der Landzunge dahinflog, begab er sich in das lichte Laubwerk einer kleinen Ceder und kehrte zu wiederholten Malen zurück, ehe er es über sich vermochte, den Ort zu verlassen. Bei genauerer Untersuchung fand ich einen Ammerfinken auf dem Neste sitzen: in dieses würde der Kuhvogel sich eingestohlen haben, wäre der Besitzer abwesend gewesen. Es scheint mir ziemlich sicher zu sein, daß der Schmarotzer mit Gewalt in ein Nest anderer Vögel eindringt und sie aus ihrem rechtmäßigen Besitze vertreibt. Im Nothfalle vollendet er aber auch auf Schleichwegen, was er nicht durch Gewalt erlangen kann. Jenes Gelbkehlchen kehrte, als ich mich noch in der Nähe der angegebenen Stelle befand, zurück und flog pfeilschnell in sein Nest, verließ es aber sogleich wieder, verschwand und kam wenige Minuten später in Gesellschaft des Männchens zurück. Beide zwitscherten mit großer Lebhaftigkeit und Unruhe eine halbe Stunde lang, als wollten sie die erlittene Beleidigung besprechen.«

Das Ei ist, wie bei dem Kukuk, kleiner, als man, von der Größe des Vogels schließend, vermuthen möchte, etwa fünfundzwanzig Millimeter lang, sechzehn Millimeter dick, und auf blaß blaugrauem Grunde, am dichtesten gegen das dickere Ende hin, mit umberbraunen Flecken und kurzen Strichen bezeichnet. Nach Audubon legt der Kuhvogel niemals mehr als ein Ei in ein Nest, zweifelsohne ihrer aber mehrere im Verlaufe der Brutzeit. Nach ungefähr vierzehntägiger Bebrütung schlüpft der junge Vogel aus, und nunmehr benehmen sich Pflegeeltern und Pflegekind genau ebenso, wie bei Beschreibung des Kukuks (vierter Band, Seite 222 ff.) geschildert wurde.

Wilson erzählt folgende allerliebste Geschichte. »Im Monate Juni hob ich einen jungen Kuhvogel aus dem Neste seiner Pflegeeltern, nahm ihn mit mir nach Hause und steckte ihn mit einem Rothvogel in einen Käfig zusammen. Der Kardinal betrachtete den neuen Ankömmling einige Minuten lang mit reger Neugierde, bis dieser kläglich nach Futter schrie. Von diesem Augenblicke an nahm sich der Rothvogel seiner an und fütterte ihn mit aller Emsigkeit und Zärtlichkeit einer liebevollen Pflegemutter. Als er fand, daß ein Heimchen, welches er seinem Pfleglinge gebracht, zu groß war und von diesem nicht verschlungen werden konnte, zerriß er es in kleinere Stücke, kaute diese ein wenig, um sie zu erweichen und steckte sie ihm mit der möglichsten Schonung und Zartheit einzeln in den Mund. Oefters betrachtete und untersuchte er ihn mehrere Minuten lang von allen Seiten und pickte kleine Schmutzklümpchen weg, welche er am Gefieder seines Lieblings bemerkte. Er lockte und ermunterte ihn zum Fressen, suchte ihn überhaupt auf jede Weise selbständig zu machen. Jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, ist der Kuhvogel sechs Monate alt, hat sein vollständiges Gefieder erlangt und vergilt die liebevollen Dienste seines Pflegers durch ofte Wiederholung seines Gesanges. Dieser ist allerdings nichts weniger als bezaubernd, verdient jedoch wegen seiner Sonderbarkeit erwähnt zu werden. Der Sänger spreizt seine Flügel aus, schwellt seinen Körper zu einer Kugelgestalt an, richtet jede Feder wie ein Truthahn auf und stößt, anscheinend mit großer Anstrengung, einige tiefe und holperige Töne aus, tritt auch dabei jedesmal mit großer Bedeutsamkeit vor den Rothvogel hin, welcher ihm aufmerksam zuzuhören scheint, obgleich er ein ausgezeichneter Sänger ist und an diesen gurgelnden Kehltönen gewiß nur das Wohlgefallen finden kann, welches Darlegung der Liebe und Dankbarkeit dem Herzen bereitet.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 380-382.
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