Kea (Nestor notabilis)

[166] Der Kea der Eingeborenen oder »Gebirgspapagei« der Ansiedler (Nestor notabilis) ist größer als der beschriebene Verwandte, volle funfzig Centimeter lang; der Fittig mißt zweiunddreißig, der Schwanz zwanzig Centimeter. Im Gefieder herrscht Olivengrün vor. Jede Feder zeigt an der Spitze einen halbmondförmigen braunen Fleck und einen schmalen braunen Schaftstrich; die Federn des Hinterrückens und die oberen Schwanzdecken sind am Ende schön scharlachroth verwaschen, die Handschwingen und deren Deckfedern braun, an der Wurzel außen grünlichblau gerandet, sie und die Armschwingen immer mit breiten, sägezahnförmigen, lebhaft gelben, [166] namentlich unten ersichtlichen Flecken gezeichnet, welche von unten an gesehen drei und beziehentlich zwei Bänder bilden, die Schwanzfedern mattgrün, die seitlichen an der Innenfahne braun und mit orangegelben, sägezahnförmigen Flecken gezeichnet, welche drei deutlich hervortretende Bänder herstellen, die Achsel-und Unterflügeldeckfedern scharlachroth mit brauner Endspitze. Die Iris ist dunkelbraun, der Schnabel gelblichbraun, der Fuß gelblichölfarben.

Das Wohngebiet des Kakanestors erstreckt sich über einen großen Theil der westlichen Alpen, von dem Fuße des Gebirges an bis zur Grenze der hochstämmigen Waldungen hinauf; das des Keanestors dagegen beschränkt sich auf einen zwischen anderthalb bis zweitausend Meter unbedingter Höhe gelegenen Gürtel der südlichen Alpen, von wo er nur während strenger Winter in die Tiefe hinabgetrieben wird. Jener hat sich da, wo der Ansiedler vordringt, bereits in die wenig betretenen Wälder zurückgezogen und ist in vielen Gegenden, woselbst er vormals sehr häufig war, schon recht selten geworden, erscheint aber auch hier noch oft in zahlreichen Schwärmen und tritt im Inneren der Waldungen noch ebenso häufig auf als je; das Leben des Keanestors hat der Mensch bis jetzt noch nicht beeinflussen können. Sein Wohngebiet liegt in einem Höhengürtel, welcher nur von einzelnen goldgrabenden Abenteurern und jagenden Forschern besucht wird. Wilde Gebirge, wasserreiche, tiefe, schnell fließende und rauschende Flüsse hemmen hier den Fuß des Wanderers und gewähren dem Vogel noch vollste Sicherheit, zerrissene Felsen mit unersteiglichen Wänden voller Höhlen und Spalten geeignete Ruhe- und Nistplätze und die reichen Matten, deren zwerghafte Pflanzenwelt allsommerlich in reichstem Blütenschmuck prangt, Nahrung in Hülle und Fülle. Vielleicht theilt einzig und allein der neuseeländische Edelfalke (Falco Novae-Zealandiae) mit ihm das wilde Gebiet, welches seinen Lebensbedürfnissen so vollständig entspricht und außer dem eben genannten Feinde nur noch einem zweiten, vielleicht aber dem schlimmsten, einem strengen Winter, Einlaß gewährt. Unter solchen Umständen freilich, wenn der ganze Kamm des Gebirges bis tief hinab unter Schnee begraben liegt und kaum wieder zu erkennen ist, sieht er sich genöthigt, seine sicheren Felsen zu verlassen und in die Tiefe hinabzusteigen, um hier in den Waldungen Nahrung zu finden.

Wie der Keanestor unternimmt auch der Kaka zu bestimmten Zeiten des Jahres mehr oder minder regelmäßige Wanderungen. Die Ursachen werden dieselben sein, obgleich die Nothwendigkeit des Wanderns bei diesem Vogel nicht so klar vorliegt wie bei jenem. Vielleicht gelangt auch Wanderlust im eigentlichen Sinne des Wortes bei ihm zur Geltung. Während des Sommers fesselt ihn seine Brut und deren Erziehung an einen bestimmten Ort; sobald aber die Jungen selbständig geworden sind und der elterlichen Führung und Leitung nicht mehr bedürfen, macht er sich auf, um das Land auf weithin zu durchstreifen. Dann sieht man ihn zuweilen in den Waldungen in sehr zahlreichen Gesellschaften, welche, durch reichliche Nahrung angelockt, allgemach sich zusammengefunden haben. Denn die Wanderer selbst reisen nicht in Gesellschaften von erheblicher Stärke, sondern, nach Potts' Beobachtungen, einzeln, zu zweien oder dreien, höchstens zu sechs oder acht. Sie versäumen aber nie, ihren Lockruf von Zeit zu Zeit hören zu lassen, offenbar um sich zu vergewissern, ob schon andere ihrer Art desselben Weges gezogen sind oder an einer Stelle sich versammelt haben. Wird ihnen Antwort, so senken sie sich aus der Höhe herab, welche sie bis dahin inne hielten, indem sie gemessenen, langsamen, anscheinend mühseligen Fluges ihres Weges dahinzogen und von Zeit zu Zeit, gleichsam ermüdet, auf den dürren Aesten eines weite Umschau gewährenden Baumes sich niederließen. Wer die Vögel nur auf ihrem Zuge beobachtet, bekommt schwerlich eine Vorstellung von der Leichtigkeit und Gewandtheit, welche sie sonst bekunden. Oft, zumal bei hellem Sonnenscheine, sieht man, laut Potts, in den Waldungen, wo sie ihren Sommeraufenthalt genommen haben, Gesellschaften von ihnen unter lautem Schreien und Schwatzen sich erheben, emporschweben, weite Kreise beschreiben und durch allerhand Flugkünste sich unterhalten; denn daß diese Flugübungen zur gegenseitigen Unterhaltung geschehen, erfährt man, wenn man wahrnimmt, wie einer, vielleicht der heiterste der Vögel, plötzlich mit eingezogenen Schwingen fast senkrecht [167] hinunterstürzt und die übrigen seinen Fall mit lauten Rufen begleiten. Der Kakanestor ist ein vollendeter Baum-, der Keanestor ein ebenso entschiedener Erdvogel. Jener bewegt sich auf dem Grunde so schwerfällig wie die meisten übrigen Papageien, nach Art der Raben, jedoch viel tölpelhafter hüpfend, ist dagegen in den Bäumen vollständig zu Hause, klettert mit bewunderungswürdiger Gewandtheit auf- und abwärts und tänzelt mit überraschender Fertigkeit längs der Zweige auf und nieder; der Kea hingegen läuft mit der Schnelligkeit der australischen Grassittiche oder Nasenkakadus auf dem Boden umher und kann kaum noch ein Baumvogel genannt werden.

Mit den meisten Papageien theilen die beiden Nestorarten einen ausgesprochenen Hang zur Geselligkeit. Nicht allein die Gatten eines Paares, sondern auch die Artgenossen halten auf das treueste zusammen. Der Jäger, welcher die Waldungen durchstreift und nur hin und wieder einen einzelnen Kaka zu Gesicht bekommt, erfährt zu seiner nicht geringen Ueberraschung, daß sie von allen Seiten herbeieilen, wenn er einen von ihnen verwundet und dieser einen Angstschrei ausstößt. Der bis dahin stille Wald hallt jetzt plötzlich wieder von dem vereinigten Schreien der zur Stelle kommenden Vögel, und das lebhafteste Geberdenspiel verräth, welch innigen Antheil sie an dem Schicksale ihres Gefährten nehmen. Abgesehen von derartigen Veranlassungen ist während des Sommers ihr Thun und Treiben wenig auffallend. Während der heißen Stunden des Tages halten sie sich verborgen und still, und erst mit Beginn der Kühle kommen sie aus ihren Schlupfwinkeln hervor, ebenso wie sie am Morgen mit dem ersten Tagesgrauen ihre Stimme vernehmen lassen und bei Mondlicht, oft längere Zeit nach Sonnenuntergang noch, in Bewegung und Thätigkeit gesehen werden. So still sie waren, während sie ruhten, so laut gellt jetzt ihr eigenthümlicher Schrei, ein Klangbild ihrer einheimischen Namen, durch den Wald. Man sieht sie nunmehr in vollster Beschäftigung frei auf den höchsten Zweigen sitzen, an dünneren oder an Ranken umherklettern und ihren kräftigen Schnabel hier und dort einsetzen, um ein Stück Rinde loszuschälen, ein Loch zu erweitern, Mulm zu durchwühlen, Beeren zu pflücken oder sonstige Arbeiten zu Gunsten des verlangenden Magens oder aus Lust am Arbeiten und Zerstören auszuführen. Die Aufnahme des Futters beansprucht ihre Thätigkeit in vollstem Maße. Sie sind Allesfresser im ausgedehntesten Sinne des Wortes. Während der Brutzeit nähren sie sich, dem Baue ihrer Zunge entsprechend, allerdings vorwiegend von Pflanzenhonig; außerdem aber genießen sie fast alle Beeren und Früchte, welche in den Waldungen wachsen, überfallen selbst größere Thiere und gehen im ärgsten Nothfalle sogar Aas an. Ihr sehr kräftiger Schnabel erleichtert ihnen die Arbeiten im morschen Holze, und wenn sie hier einmal Jagdbeute gewittert haben, lassen sie es sich nicht verdrießen, tiefe Löcher in die Baumstämme zu nagen. Potts hebt den Nutzen ihrer Thätigkeit für die Waldungen Neuseelands, denen Spechte bekanntlich fehlen, vielleicht mehr als gebührend hervor und scheint geneigt zu sein, sie den Waldhütern beizuzählen, bemerkt auch, daß sie durch ihre Liebhaberei für Pflanzenhonig insofern noch anderweitigen Nutzen stiften, als sie zur Befruchtung der Blüten beitragen helfen. In That und Wahrheit dürften ihre Verdienste wohl nicht so hoch angeschlagen werden, als dies nach vorstehendem scheinen will. Auch wissen andere Beobachter von mancherlei Unthaten zu erzählen, welche sie sich zu Schulden kommen lassen. Potts bezweifelt, daß sie jemals einen in Blüte stehenden, gesunden Baum angreifen sollten, während Buchanan einen Kaka ertappte, als er die Rinde von einem in vollem Safte stehenden Baume abschälte, in der Absicht, den ausfließenden Saft aufzusaugen.

Noch schlimmeres berichtet man vom Keanestor. Dieser soll einen Herrn Campbell in arger Weise geschädigt haben. Man bemerkte, daß die Schafherden des genannten Ansiedlers ohne erklärliche Ursache von einer eigenthümlichen, bis dahin unbekannten Krankheit heimgesucht wurden, indem auf verschiedenen Stellen ihres Felles handgroße Wunden entstanden, welche bis auf die Muskellage in die Tiefe reichten, durch das ausfließende Blut die Wolle verdarben und nicht selten den Tod im Gefolge hatten. Zuletzt beobachtete ein Schäfer, daß diese Wunden durch die Gebirgspapageien verursacht wurden. Einer der Vögel setzte sich auf das erkorene Schaf und fraß[168] ihm, ohne daß das dumme Thier von seinem Peiniger sich befreien konnte, ein Loch in den Leib. Nachdem die Hirten auf den Uebelthäter aufmerksam geworden waren, wurden sie, wenn sie im hohen Gebirge weideten, wiederholt Zeugen derartiger Angriffe. Einzeln oder in Trupps erschienen die Keapapageien, setzten sich auf den Rücken eines Schafes, rupften die Wolle aus, brachten dem Thiere eine Wunde bei und ängstigten es so lange, bis es die Herde verließ. Nunmehr verfolgten und quälten sie es durch fortwährende Angriffe, bis es zuletzt vollständig verdummte. Wenn es sich endlich, gänzlich erschöpft, niederlegte und seinen Rücken so viel als möglich vor den Vögeln zu schützen suchte, fraßen diese ihm auf der Seite andere Löcher in den Leib und führten so oft den Tod herbei. Bemerkt wird noch, daß solche Angriffe nur in einem zwischen sechzehn- bis achtzehnhundert Meter unbedingter Höhe gelegenen Gürtel des Gebirges und immer während des Winters geschahen, auch bloß von einzelnen Uebelthätern ausgeführt wurden, wogegen an anderen, ebenso hoch gelegenen Stellen des Gebirges, wo der Keanestor häufig ist, ähnliches nicht vorkam. So wenig glaublich vorstehende Mittheilung auch scheinen will, so müssen doch alle Zweifel verstummen, wenn man andere Erfahrungen berücksichtigt, welche die neuseeländischen Forscher über die ausgesprochenen Raubthiergelüste des Gebirgsnestors gesammelt haben. In den letzten Jahren hat dieser Vogel, wie Potts an einer anderen Stelle bemerkt, glücklich ausgekundschaftet, daß in der Nähe der Ansiedelungen auch eine zugängliche Fleischniederlage sich zu befinden pflegt. In gerechter Würdigung einer so vorzüglichen Einrichtung, welche im Nothfalle ausgezeichnete Gelegenheit bietet, mit Fleisch sich zu versorgen, beeifert sich jetzt der Keanestor, diese Speicher auszunutzen. Aus diesem Grunde erscheint er ebenso regelmäßig in der Nähe der Schafschlächtereien, um dort den Abfall, insbesondere die Köpfe der geschlachteten Schafe aufzufressen, so weit er dies im Stande ist. Die Vorräthe von Rind- und Schaffleisch mindern sich, Dank der Gefräßigkeit des Vogels, in gleicher Weise, und nicht einmal die trocknenden Schaffelle bleiben verschont. Für gewöhnlich muß er allerdings mit Aas sich begnügen. In der Regel erscheinen die Diebe während der Nacht, und gewöhnlich unternehmen sie gemeinschaftliche Raubzüge; wenigstens ist es nichts seltenes, eine Schar der lärmenden Gesellen gleichzeitig auf dem Giebel einer Hütte zu sehen.

Haast bezeichnet den Keanestor als einen höchst neugierigen Vogel, welcher nicht unterlassen kann, jeden ihm in den Weg kommenden Gegenstand auf das genaueste zu untersuchen. Bei einem seiner Forschergänge im Gebirge hatte er mit schwerer Mühe ein Bündel werthvoller Alpenpflanzen gesammelt und einstweilen auf einem Felsenvorsprunge niedergelegt. Während seiner kurzen Abwesenheit hatte ein Keanestor dieses Pflanzenbündel ausgekundschaftet und seine Theilnahme für die Pflanzenkunde insofern bethätigt, als er das ganze Bündel auf Nimmerwiedersehen über den Felsen hinab zu werfen bestrebt gewesen war. Bei einer anderen Gelegenheit wurde ein Schäfer nicht wenig überrascht, als er nach zweitägiger Abwesenheit in seine wohlverschlossene Hütte zurückkehrte und in ihr absonderlichen Lärm vernahm. Dieser rührte von einem Keanestor her, welcher durch den Schornstein Eingang gefunden und in Abwesenheit des rechtmäßigen Besitzers sich damit beschäftigt hatte, seinen kräftigen Schnabel an allen Gegenständen des Inneren zu erproben. Kleider, Betten, Tücher und was sonst noch diesem Schnabel nicht widerstand, war zerrissen und zerfetzt, Pfannen, Töpfe und Teller umgeworfen, überhaupt jeder nicht niet- und nagelfeste Gegenstand verrückt oder zerbrochen, selbst der Fensterrahmen nicht verschont geblieben.

Gegen die Brutzeit hin bekunden die Nestorpapageien die übliche Zärtlichkeit und gegenseitige Hingebung. Das Paar, welches sich vereinigte, bleibt stets zusammen, und wenn der eine von einem Baume zum anderen fliegt, folgt ihm der aufmerksame Gatte sofort nach. Nunmehr handelt es sich darum, eine passende Niststelle auszufinden oder eine solche zu bereiten. Beide untersuchen die Bäume, deren Inneres hohl, vermorscht und vermulmt ist und wenigstens an einer Stelle durch eine kleinere oder größere Oeffnung mit der Außenwelt in Verbindung steht. Diese Eingangsröhre wird zunächst erweitert oder geglättet, und man sieht das Paar mit dieser Arbeit eifrigst beschäftigt. Doch bemerkt man auch, daß es sehr wählerisch verfährt und nicht selten eine bereits fast vollendete [169] Nisthöhle wieder verläßt, um eine noch geeigneter scheinende anzunehmen und auszuarbeiten. Eine Nisthöhle, in welcher Buller am dreiundzwanzigsten December zwei, ungefähr zehn Tage alte Junge entdeckte, befand sich nur einen Meter über dem Grunde und bestand aus einem Eingangsloche von sechzig Centimeter Länge und fünfunddreißig Centimeter Durchmesser, welches in einen Brutraum von etwa vierzig Centimeter Durchmesser führte. Die Wände desselben waren geglättet und der Boden mit einer dicken Lage von Mulm und einigen Rindenbruchstücken bedeckt, welche letztere von den Vögeln offenbar in das Innere gebracht sein mußten. Ebenso werden aber auch Höhlungen zwischen dem Gewurzel eines Baumes oder geeignete Ritzen im Gefelse von dem Kakanestor als Bruthöhlen benutzt. Die vier rein weißen Eier, deren größter Durchmesser vier, und deren kleinster drei Centimeter beträgt, werden Anfang November gelegt, mit Hingebung bebrütet und die Jungen, welche man um Weihnachten findet, von beiden Eltern aufgefüttert. Als ein Beispiel der selbstvergessenden Zärtlichkeit der Alten ihren Jungen gegenüber erwähnt Potts, daß er nach einem Waldbrande einen der alten Vögel todt im Eingange der Nesthöhlung fand, offenbar weil er sich nicht hatte entschließen können, die im Inneren des Baumes liegenden, hülflosen Jungen zu verlassen. Die Eingeborenen, welche letztere oft aus dem Neste nehmen, versichern, daß zuweilen zwei Weibchen einem Männchen sich anpaaren, und die Thatsache, daß man während der Brutzeit nicht selten drei Vögel gesellt findet, scheint diese Angabe einigermaßen zu bestätigen.

Mit der Brut und Aufzucht der Jungen vergeht fast der ganze Sommer, und erst gegen den Herbst, unser Frühjahr, hin gestaltet sich das Leben des Vogels sorgenlos. Infolge reichlicher Nahrung wird er bald ungemein fett und gilt dann mit Recht als leckeres Wild, erfährt daher auch eifrige Nachstellungen. Um so schlimmer ergeht es ihm im Winter, welcher als sein schlimmster Feind angesehen werden muß. Der so schöne und reiche Wald liegt unter schneeiger Decke begraben; die Nahrung ist kärglicher oder mit Schnee überschüttet worden, und der Vogel, welcher jetzt um seinen Lebensunterhalt besorgt sein muß, sitzt mit gesträubten Federn verdrossen und fast schweigsam hier und da auf einer und derselben Stelle, ein Bild des düstersten Trübsinnes. Nunmehr sind ihm, welcher im Sommer wählerisch sein durfte, alle Nahrungsstoffe recht, und selbst die härtesten und bittersten Samen werden jetzt gern von ihm gefressen, auch wohl die Gärten besucht und die Knospen sorgfältig zusammengelesen. So verbringt er den Winter, und erst wenn der Frühling im Lande einzieht, kehren Frohsinn und Lebensfreudigkeit wieder.

Ein grausamerer Feind noch als der Winter ist der Mensch, welcher alle Nestorarten eifrig verfolgt, sei es, um das Fleisch zu genießen, sei es, um die Jungen zu erziehen. Kaka- und Keanestor lassen sich außerordentlich leicht fangen, erstere in Schlingen und Netzen verschiedenster Art, letztere in einer Weise, welche an die Erbeutung lebender Zeisige oder Leinfinken mittels der an einer Stange befestigten Leimruthe erinnert. Namentlich der Keanestor ist so sorglos und vertrauensselig, daß man ihm, wenn er die Hütten besucht, ohne besondere Vorsichtsmaßregeln eine Schlinge über den Leib streifen kann. Der gefangene Vogel benimmt sich auffallend gelassen, tobt und flattert nicht und verhält sich so lange ruhig, bis man die Schlinge wieder entfernt hat. Demungeachtet denkt er anfänglich an seine Befreiung und weiß dieselbe leichter zu erlangen, als der Fänger gewöhnlich annimmt. Ihn in einen Holzkäfig sperren zu wollen, wäre vergebliches Bemühen; denn er zerstört solchen in kürzester Frist. Aber er weiß sich auch in schwierigeren Lagen zu helfen. Einer, welchen man in Ermangelung eines passenden Gebauers unter einem umgestürzten Eimer aufbewahrt hatte, fand sehr bald heraus, daß dieser auf einer Seite, des Henkels halber, mit den Rändern nicht fest auflag, stemmte seinen Schnabel zwischen Boden und Rand des Gefäßes, stürzte dasselbe um und entflog. An das Futter geht der Gefangene übrigens ohne weitere Umstände, und bei guter Behandlung erweist er sich so dankbar, daß er binnen wenigen Wochen zu einem ungemein zahmen Hausthiere wird. Noch leichter als altgefangene gewöhnen sich selbstverständlich jung aus dem Neste gehobene Nestorpapageien an den Verlust ihrer Freiheit, und sie sind es deshalb auch, welche am häufigsten von Eingeborenen und Europäern für die Gefangenschaft gewählt [170] werden. Erstere nahen sich einem erkundeten Kakaneste stets mit größter Vorsicht, um die mißtrauischen Alten nicht gänzlich zu verscheuchen, hüten sich sogar, im Anfange der Brutzeit die Höhle mit ihren Händen zu berühren oder in das Innere zu hauchen, weil sie glauben, daß schon dies hinreiche, um die Alten zum Verlassen des Nestes zu bewegen. Die jungen, bereits einigermaßen herangewachsenen Nestvögel können leicht aufgefüttert werden, da sie alles genießen, was der Mensch auf seinen Tisch bringt. »Wer noch daran zweifelt, daß sie Allesfresser sind«, bemerkt Potts, »braucht einen Gefangenen bloß im Milchkeller freizulassen; er wird hier sehen, wie geschickt der Vogel den Rahm von den Schüsseln abzuschöpfen weiß.« Solche Junge lassen sich zum Ein- und Ausfliegen gewöhnen, dauern auch trefflich in der Gefangenschaft aus, um so besser natürlich, je größere Freiheit sie genießen. Für den Europäer ist es nicht rathsam, ihnen solche zu gewähren; denn aus dem Schoßthiere im Käfige wird regelmäßig ein Thunichtgut, dessen lose, oft mit ersichtlicher Bedachtsamkeit ausgeführte Streiche jeder Nachsicht spotten. Für einen zahmen Nestor, welcher aus-und einfliegen kann, gibt es weder im Hause noch im Garten irgend einen Gegenstand, an welchem er nicht seine Kräfte und seine Lust am Zerstören bethätigen sollte. Buller versichert, einen Kaka gekannt zu haben, welcher in einem einzigen Tage tausende von Birnenblüten abpflückte und ebenso über Reben und andere Pflanzen herfiel. Läßt man solchen zerstörungslustigen Gesellen aber im Zimmer frei, so verfallen alle Einrichtungsgegenstände unrettbar seinem gewaltigen Schnabel. Die Eingeborenen, welche derartige Rücksichten nicht zu nehmen brauchen, schätzen den gefangenen Kakanestor weit höher als einen anderen Haus- oder Stubenvogel. Seine ausgezeichnete Nachahmungsgabe befähigt ihn, Worte und Sätze der Maorisprache zu lernen, seine Klugheit, sich als Lockvogel für andere seiner Art gebrauchen zu lassen. Ein sprechender Nestorpapagei steht hoch im Preise; ein Kaka, welcher seine freilebenden Artgenossen in das Netz des Fängers zu locken versteht, ist seinem Besitzer selbst um hohe Summen nicht feil. Der zahme sprechende Kaka dient dazu, das junge Volk eines Maoridorfes zu unterhalten, der Lockvogel wird für seinen Besitzer zu einer Quelle der Nahrung und des Gewinnes, und da seine Fähigkeiten mit den Jahren wachsen, darf man sich nicht wundern, wenn ein eingeborener Vogelsteller solche abgerichtete Sirenen nicht einmal für die Summe von zweihundert Mark unseres Geldes verkauft.

Nach vorstehendem erscheint es auffallend, daß gefangene Nestorpapageien so selten auf unseren Thiermarkt gelangen. Erst in der neuesten Zeit sind einige der absonderlichen Vögel eingeführt worden. Finsch sah einen Kaka lebend im Thiergarten zu Regents-Park. »Er unterschied sich«, sagt er, »in seinem Betragen ziemlich von allen übrigen Papageien, da er meist auf dem Boden des Käfigs sehr schnell trabend umherlief. Dabei hielt er den Körper ziemlich aufrecht und besonders den Hals lang in die Höhe, so daß er in der Haltung an einen Falken erinnerte. Indessen sah ich ihn auch geschickt nach Art anderer Papageien mit Hülfe des Schnabels an den Sprossen emporklettern. Eine Stimme bekam ich nicht zu hören.« Später wurden dem Londoner Thiergarten andere Gefangene derselben Art übermittelt, und neuerdings erhielt solche auch der Thiergarten zu Amsterdam. Eingehende Berichte über die einen wie die anderen sind meines Wissens nicht veröffentlicht worden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 166-172.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Die Nächste und andere Erzählungen 1899-1900

Sechs Erzählungen von Arthur Schnitzler - Die Nächste - Um eine Stunde - Leutnant Gustl - Der blinde Geronimo und sein Bruder - Andreas Thameyers letzter Brief - Wohltaten Still und Rein gegeben

84 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon