Elfte Ordnung: Die Zahnschnäbler[439] (Lamellirostres)

Der Grundsatz, welcher uns bisher hinsichtlich der Einreihung der Thiere geleitet hat, verlangt, daß wir unter den Schwimmvögeln die erste Stelle den Zahn-, Sieb- oder Hautschnäblern einräumen. Bei ihnen sind die verschiedenen Begabungen der schwimmenden Vögel einhellig entwickelt: ihre Bewegungsfähigkeit ist die mannigfaltigste, ihre Stimme die wohllautendste; ihre Sinne sind gleichmäßig, ihre geistigen Fähigkeiten unter den Verwandten am höchsten ausgebildet.

Wer eine Ente betrachtet, sieht das Urbild eines Zahnschnäblers vor sich. Ihre Gestalt läßt sich bei allen Angehörigen der Ordnung wiederfinden, gleichviel, ob einer von diesen in höherem oder geringerem Grade umgestaltet erscheint. Als wichtigstes Kennzeichen erscheint uns der Schnabel, das Sieb der Zahnschnäbler, welches sie befähigt, ihre Nahrung in einer ihnen eigenthümlichen Weise zu erbeuten. Dieser Schnabel ist selten länger als der Kopf, gewöhnlich gerade, breit, auf der oberen Seite flach gewölbt, vorn in einen breiten Nagel übergehend, seitlich mit blätterartigen Hornzähnen besetzt, welche in die der unteren Kinnlade eingreifen, mit Ausnahme der harten Ränder von einer weichen Haut überkleidet, in welcher sich Zweige vom fünften Nervenpaare vertheilen, und dem entsprechend in hohem Grade tastfähig. Er wird durch die große, fleischige, feinfühlende Zunge, welche nur an ihren Rändern verhornt und hier sich franst und zähnelt, noch bedeutend vervollkommnet und zu einem vortrefflichen Seiher ausgebildet, welcher ermöglicht, auch den kleinsten Nahrungsbissen von umgebenden ungenießbaren Stoffen abzuscheiden. Der Leib ist kräftig, aber etwas lang gestreckt, der Hals mittel- oder sehr lang und schlank, der Kopf verhältnismäßig groß, hoch und schmal, der Fuß mittelhoch oder selbst niedrig, vier-, ausnahmsweise auch nur dreizehig, vorn schwimmhäutig, die Flügel mittellang, jedoch ziemlich spitzig, der Schwanz, welcher aus einer größeren Anzahl von Federn gebildet wird, mittellang und gerade abgeschnitten oder zugerundet, auch wohl keilförmig zugespitzt, das Gefieder stets sehr reich, dicht und glatt anliegend, auch durch eine reiche Bedunung sehr ausgezeichnet, seine Färbung eigentlich keine prachtvolle, aber doch meist höchst ansprechende, nach Geschlecht und Alter oft, obschon nicht immer verschiedene. Der innere Bau, auf welchen bei Beschreibung der einzelnen Unterfamilien Rücksicht genommen werden wird, stimmt in allen wesentlichen Punkten überein.

Das Verbreitungsgebiet der Zahnschnäbler ist beschränkter als das anderer Schwimmvögel. Weltbürger sind auch sie: denn sie finden sich, mit alleiniger Ausnahme des Festlandes am Südpole, in allen Erdtheilen; sie bewohnen aber den warmen und die gemäßigten Gürtel der Erde in ungleich größerer Menge als die kalten. Diejenigen, welche hier leben, treten allwinterlich eine Wanderung an, welche einzelne bis in den gemäßigten Gürtel, andere bis in die Gleicherländer [439] führt, jene, welche in wärmeren Gegenden wohnen, streichen wenigstens. Zur Brutzeit suchen viele, welche sich außerdem im Meere aufhalten, süße Gewässer auf; andere ziehen sich bis zum Ausschlüpfen der Jungen in den Wald oder in Einöden zurück.

Die Begabungen der Mitglieder unserer Ordnung sind zwar verschiedenartig, aber doch sehr übereinstimmend entwickelt. Es gibt unter ihnen einige, welche wegen ihrer weit hinten am Leibe eingelenkten Beine nur langsam und watschelnd gehen, aber keinen einzigen, welcher, wie gewisse Taucher, zum Kriechen verdammt wurde; andererseits gehören viele Zahnschnäbler zu den flinken Gängern, bewegen sich auch ohne ersichtliche Anstrengung stundenlang gehend; einige sind selbst im Gezweige der Bäume noch heimisch. Das Schwimmen üben alle mit ebensoviel Geschick als Ausdauer, kaum ein einziger mit Unlust oder nur im Nothfalle; die meisten tauchen auch mehr oder weniger leicht in größere oder geringere Tiefen hinab; einzelne stehen den vollendetsten Schwimmkünstlern kaum nach. Alle Arten, welche tauchen, thun dies nur von der Oberfläche des Wassers aus: sie sind Sprung-, nicht aber Stoßtaucher. Die Flugfähigkeit steht der anderer Schwimmvögel allerdings nach, verkümmert jedoch auch nie in demselben Grade, wie es bei einzelnen Mitgliedern der Fall. Fast alle erheben sich nicht ohne einen beträchtlichen Aufwand von Kraft vom Wasser oder festen Boden und werfen sich hart nach unten hernieder, so daß einzelne es gar nicht wagen dürfen, sich auf den Erdboden niederzulassen, vielmehr stets auf das nachgiebige Wasser stürzen müssen; wenn sie aber erst einmal eine gewisse Höhe erreicht haben, fliegen sie sehr rasch dahin und durchmessen weite Strecken in einem Zuge, obwohl sie ihre Flügel unablässig bewegen müssen. Unter den Sinnen ist neben dem des Gesichtes und Gehöres auch das Gefühl, bezüglich der Tastsinn, sehr ausgebildet, wie schon die äußere Untersuchung des weichhäutigen Schnabels erkennen läßt. Der Geruch scheint ziemlich entwickelt und der Geschmack seiner zu sein als bei den meisten Vögeln überhaupt. An Verstand stehen die Zahnschnäbler vielleicht hinter den begabtesten Stelzvögeln zurück, übertreffen aber hierin bestimmt alle übrigen Schwimmvögel. Wer die Gans, eine alte Redensart gedankenlos nachsprechend, ein dummes Geschöpf nennt, hat sie nie beobachtet; jeder Jäger, welcher versuchte, Wildgänse zu überlisten, wird anderer Ansicht sein. Schwäne, Gänse, Enten und Säger gehören zu den vorsichtigsten aller Vögel, bethätigen List und Verschlagenheit, beurtheilen Verhältnisse richtig und fügen sich rasch in veränderte Umstände, eignen sich deshalb auch in besonderem Grade zu Hausthieren. In ihrem Wesen spricht sich im allgemeinen eine gewisse Gutmüthigkeit und Verträglichkeit, auch Hang zur Geselligkeit aus; doch lieben die meisten Zahnschnäbler nur den Umgang mit ihresgleichen und dulden nicht immer schwächere Glieder ihrer Ordnung in ihrer Nähe. Ihren Gatten und Kindern hängen sie mit warmer Liebe an; die Männchen kümmern sich aber nicht immer um die Nachkommenschaft. Rühmenswerth ist der Muth, mit welchem die Weibchen bei Gefahr für ihre Kinder einstehen, wie sie denn überhaupt nicht zu den furchtsamen Vögeln gezählt werden dürfen. Mit fremdartigen Thieren verkehren sie mehr der Oertlichkeit als der Geselligkeit halber, und ihre Selbständigkeit opfern sie höchstens Gesellschaften, welche aus ihrer eigenen Art gebildet werden, nicht aber den allgemeinen Vereinigungen auf. Man sieht sie in buntem Gewimmel durcheinander sich umhertreiben, bei jeder besonderen Veranlassung aber sofort je nach der Art sich sammeln und, unbekümmert um die frühere Genossenschaft, das ihnen gutdünkende ausführen. Ihre Stimme ist vielseitiger und wohllautender als die anderer Schwimmvögel.

Thierische und pflanzliche Stoffe bilden die Nahrung der Zahnschnäbler. Wirkliche Raubthiere, also solche, welche pflanzliche Stoffe gänzlich verschmähen, sind nur wenige von ihnen, ausschließliche Pflanzenfresser ebenso wenige. Die Säger enthalten sich ungezwungen aller pflanzlichen Nahrung und nehmen solche nur zufällig mit auf; die Gänse fressen in ihrer Jugend sehr gern verschiedenes Kleingethier, verschmähen dieses aber im späteren Alter: sie weiden, d.h. rupfen und schneiden mit ihrem hartzahnigen Schnabel Pflanzentheile ab, entschälen oder zerstückeln solche, graben aus und nehmen auf; die Tauchenten lesen hauptsächlich vom Grunde des Wassers ab, [440] fressen aber fast nur Thiere; alle übrigen gewinnen die Hauptmasse ihrer Mahlzeiten schnatternd, indem sie ihren Seihschnabel in flüssigen Schlamm oder zwischen schwimmende Pflanzentheile einführen und abwechselnd öffnen und schließen, zunächst alle festeren Bestandtheile von den flüssigen abseihen und nunmehr mit Hülfe der Zunge das genießbare von dem ungenießbaren scheiden.

Die Zahnschnäbler leben in geschlossener Ehe; ihre Treue ist jedoch nicht immer über jeden Zweifel erhaben. Bei den meisten fällt die Sorge der Bebrütung und der Erziehung der Jungen der Mutter anheim, und der nach der Paarung seinem Vergnügen lebende Vater vergißt auch leicht der letzteren; andere hingegen widmen sich gemeinschaftlich, wenn auch nicht dem Brutgeschäfte, so doch der Pflege ihrer Kinder, versehen, während das Weibchen brütet, das Amt des Wächters und lassen sich nicht verlocken. Das Nest wird bald auf festeren Stellen des Sumpfes, bald auf trockenem Boden, bald in Baum-, Erd- und Felshöhlen angelegt, aus verschiedenartigen Stoffen, gewöhnlich kunstlos und roh, zusammengeschichtet, innen aber sehr regelmäßig mit den Dunen der Mutter ausgekleidet. Die Eier sind rundlich oder länglichrund, glattschalig und stets einfarbig; die Jungen kommen in einem dichten Dunenkleide aus dem Eie, entlaufen, nachdem sie abgetrocknet, dem Neste, wachsen rasch und vertauschen ihr Jugendkleid meist noch im ersten Jahre ihres Alters mit dem der Eltern oder erhalten das letztere doch im zweiten, höchstens dritten Jahre ihres Lebens. Viele tragen zwei verschiedene Kleider im Laufe des Jahres.

Eine Unzahl von Feinden stellt den Zahnschnäblern nach, obgleich sie, wenigstens die größeren, manches Raubthier von sich abzuwehren wissen. Der Mensch verfolgt alle Arten, die einen des schmackhaften Wildpretes, die anderen der brauchbaren Federn halber, raubt ihnen die Eier, plündert die Nester nach Dunen aus und trägt zur Verminderung der eigentlich unschädlichen Vögel wesentlich mit bei. Sehr wenige hat er sich zu Hausthieren gewonnen und gezähmt, obgleich gerade diese Ordnung in dieser Hinsicht vielversprechend ist. Erst neuerdings beginnt man ihnen diejenige Theilnahme zu widmen, welche sie in so reichem Maße verdienen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 439-441.
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