Schwimmenten (Anatinae)

[479] Die Schwimmenten (Anatinae), welche eine anderweitige, etwa sechsundzwanzig Arten zählende Unterfamilie bilden, unterscheiden sich von den Gänsen hauptsächlich durch die niederen Füße und von den Schwänen durch den kürzeren Hals. Ihr Leib ist kurz, breit oder von oben nach unten zusammengedrückt, der Hals kurz oder höchstens mittellang, der Kopf dick, der Schnabel an Länge dem Kopfe gleich oder etwas kürzer, seiner ganzen Länge nach gleich breit oder vorn etwas breiter als hinten, an der Wurzel mehr oder weniger hoch, zuweilen auch knollig aufgetrieben, auf der Oberfirste gewölbt, an den Rändern so übergebogen, daß der Unterschnabel größtentheils in dem oberen aufgenommen wird, die Bezahnung deutlich und scharf, der Fuß weit nach hinten gestellt, niedrig, bis zur Ferse befiedert, der Lauf schwach, seitlich zusammengedrückt, seine Mittelzehe länger als der Lauf, die Behäutung groß und vollkommen, die Hinterzehe stets vorhanden, die Bekrallung schwach, der Flügel mittelgroß, schmal und spitzig, in ihm die zweite Schwinge regelmäßig die längste, der Afterflügel gewöhnlich sehr entwickelt, auch wohl durch eigenthümlich gebildete Federn verziert, der aus vierzehn bis zwanzig Federn zusammengesetzte Schwanz kurz, breit, am Ende zugerundet oder zugespitzt, das Kleingefieder sehr dicht und glatt, die Bedunung reichlich, die Färbung nach Geschlecht, Jahreszeit und Alter sehr verschieden, beim Männchen mehr oder weniger prächtig, beim Weibchen einfach und unscheinbar.

Nach der Auffassung von Nitzsch und Wagner sind die Enten als die Urbilder der Ordnung zu betrachten. Der Schädel ist gewölbt, das senkrecht stehende Hinterhauptsloch ansehnlich; das [479] Thränenbein hat einen frei absteigenden Fortsatz; der große Schläfendorn verbindet sich selten mit jenem; die Gaumenbeine sind schmal, die Flügelbeine breit. Die Wirbelsäule besteht aus funfzehn bis sechzehn Hals-, neun Rücken-, sieben bis acht Schwanzwirbeln. Das Brustbein ist groß, lang, fast gleich breit, mit einfachen, tiefen Buchten, sein Kamm mäßig groß, das Schulterblatt lang, dünn, die Gabel sehr gekrümmt und ziemlich gespreizt, das luftführende Oberarmbein länger als Schulterblatt und Unterarm, die Hand schmächtig und lang, das Becken groß und weit, im Hintertheile flach gewölbt, der Oberschenkelknochen länger als der Lauf usw. Die Zunge ist so groß, daß sie die ganze Mundhöhle ausfüllt, ziemlich gleich breit, oben und unten mit weicher Haut bekleidet, an den Seitenrändern mit einer doppelten Reihe kurzer Wimpern und einzelnen Reihen harter Zähne besetzt, der Zungenkern eine einfache, längliche, flache, hinten und vorn verschmälerte Knochenplatte, der Zungenbeinkörper mit einem unbeweglichen, an der Spitze knorpeligen Griffel ausgestattet, der Schlund ziemlich gleich weit, der eingeschnürte Vormagen ansehnlich groß und mit vielen einfachen Schleimbälgen besetzt, der eigentliche Magen einer der stärksten Muskelmagen, welche bei Vögeln vorkommen, der Darmschlauch mäßig lang, die Milz klein, die Leber groß, am hinteren Rande oft eingeschnitten, die Bauchspeicheldrüse lappig, die Niere groß und lang, der Eierstock stets einfach, das Begattungswerkzeug der Männchen dadurch ausgezeichnet, daß eine wirkliche Ruthe vorhanden. Die Luftröhre, deren Bau vielfach verschieden sein kann, windet sich nicht im Brustbeine wie bei den Schwänen, besitzt aber am unteren Ende vor der Theilung größere oder kleinere knöcherne Blasen von sehr verschiedener Form, welche jedoch nur dem Männchen zukommen.

Auch die Schwimmenten verbreiten sich über die ganze Erde, treten aber in dem heißen und gemäßigten Gürtel zahlreicher an Arten auf als im kalten. Sie bewohnen das Meer und die süßen Gewässer bis hoch in das Gebirge hinauf, wandern, falls der Winter sie dazu zwingt, nach wärmeren Gegenden, einzelne Arten sehr weit, und sammeln sich während ihres Zuges zu ungeheueren Scharen. Einige Arten gehen fast ebenso gut wie die Gänse, andere watscheln schwerfällig dahin; alle bekunden ihre Meisterschaft im Schwimmen, tauchen aber nur ausnahmsweise und niemals mit besonderer Fertigkeit; alle fliegen auch gut, mit rasch auf einander folgenden, fast schwirrenden Schlägen, unter pfeifendem, rauschendem oder klingendem Getöne, erheben sich ebenso leicht vom Wasser wie vom festen Lande und streichen entweder niedrig über dem Boden oder der Wasserfläche fort, oder steigen bis zu mehreren hundert Meter empor. Die Stimme ist bei einzelnen wohllautend und hell, schmetternd oder pfeifend, bei anderen quakend oder knarrend, beim Männchen regelmäßig anders als beim Weibchen; im Zorne zischen einzelne, doch nicht nach Art der Gänse, sondern dumpf fauchend; in der Jugend stoßen sie ein schwaches Piepen aus. Die Sinne scheinen vortrefflich und ziemlich gleichmäßig entwickelt, die geistigen Fähigkeiten, wenn auch nicht verkümmert, so doch minder entwickelt zu sein als bei den Gänsen. Sie sind scheu und mißtrauisch, aber nicht umsichtig und berechnend klug wie letztere, fügen sich aber doch bald in veränderte Verhältnisse, richten ihr Benehmen nach dem Ergebnisse ihrer Wahrnehmungen ein und lassen sich dementsprechend leicht zähmen und zu förmlichen Hausthieren gewinnen. Ihre Nahrung, welche sie namentlich in den Dämmer- und Nachtstunden zu erbeuten suchen, ist gemischter Art. Zarte Spitzenblätter, Wurzelknollen und Sämereien der verschiedensten Art, Sumpf- und Wasserpflanzen, Gräser- und Getreidearten, Kerbthiere, Würmer, Weichthiere, Lurche, Fische, Fleisch von größeren Wirbelthieren, selbst Aas werden gern verzehrt, Muschelschalen und Sand oder kleine Kiesel zu besserer Verdauung mit aufgenommen.

Sämmtliche Enten leben zwar in Einehigkeit; ihre Begattungslust ist aber so lebhaft, daß sie nicht selten die Grenzen der geschlossenen Ehe überschreiten, sowie sie auch leichter als die meisten übrigen Schwimmvögel Mischlingsehen eingehen. Die Weibchen legen ihre Nester gern in großer Nähe neben einander an; einige Arten bilden förmliche Brutgesellschaften. Ein Nistplatz, welcher das Nest versteckt, wird anderen vorgezogen, viele Nester aber auch auf freiem Boden errichtet. Mehrere Arten nisten in Höhlen unter der Erde oder in Felsenklüften, andere in Baumlöchern, [480] andere auf Bäumen selbst, indem sie zur Unterlage ihres Nestes das eines Landvogels benutzen; die übrigen bilden auf dem Boden aus verschiedenen Pflanzenstoffen eine tiefe Mulde, deren Napf beim Brüten mit den eigenen Dunen weich aus gefüttert wird. Das Gelege besteht aus einer größeren Anzahl von Eiern, selten unter sechs und zuweilen bis zu sechzehn Stück; die Brutzeit schwankt zwischen einundzwanzig und vierundzwanzig Tagen. Wenn mehrere Entenweibchen neben einander nisten, pflegen sie sich gegenseitig um ihre Eier zu bestehlen; denn ihre Brutlust und Kinderliebe ist ebenso groß wie der Begattungstrieb der Männchen. Letztere nehmen am Brüten keinen Antheil, schlagen sich, nachdem ihre Gattinnen zu brüten begonnen haben, in abgesonderte Schwärme zusammen, gehen auch wohl noch mit anderen Weibchen engere Verbindungen ein. Die Jungen werden, nachdem sie abgetrocknet, von der Mutter sobald wie möglich dem Wasser zugeführt und mit warmer Liebe geführt und geleitet. Sie sind vom ersten Tage ihres Lebens an höchst geschickte, bewegungsfähige Geschöpfe, laufen vortrefflich, schwimmen und tauchen gewandt, fangen eifrig Kerbthiere, fressen viel, wachsen rasch heran und legen sofort, nachdem sie ihr erstes Federkleid erhalten haben, das zweite an. Nachdem sie dieses erhalten, vereinigt sich die Familie wiederum mit dem Vater oder doch wenigstens mit einem Entenmännchen.

Vom Adler an bis zum Habicht- oder Sperberweibchen herab stellen alle schnellfliegenden Räuber den alten, Füchse, Marder, Wiesel, Ratten, Raben, Krähen, Raubmöven den jungen Enten nach; unerwartetes Anschwellen der Gewässer oder andere Naturereignisse zerstören außerdem viele Bruten. In bebauten Ländern nimmt ihre Anzahl von Jahr zu Jahr stärker ab, weniger infolge der Nachstellungen als deshalb, weil die geeigneten Nahrungs- und Nistplätze mehr und mehr trocken gelegt werden. Aber auch diejenigen Arten, welche im höheren Norden brüten, verringern sich stetig, obgleich hier der Mensch nicht überall die natürlichen Feinde vermehrt und die Beschaffenheit des Landes nicht wesentlich sich verändert. Diese Verminderung ist zu beklagen; denn alle Enten verursachen keinen nennenswerthen Schaden, bringen aber durch ihr treffliches Fleisch, ihre Federn und Dunen nicht unerheblichen Nutzen. Am unteren Ob, wo sie zu hunderttausenden gefangen werden, bilden sie im buchstäblichen Sinne des Wortes ein wichtiges Volksnahrungsmittel.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 479-481.
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