Rothkehltaucher (Colymbus septentrionalis)

[617] Der Rothkehltaucher endlich, welcher auch Lom, Ententaucher, Seerothkehlchen, Sternlumme und Spießgans genannt wird (Colymbus septentrionalis, stellatus, striatus, borealis, rufo gularis und microrhynchus, Cepphus septentrionalis und stellatus, Eudytes septentrionalis), ist der kleinste von allen: seine Länge beträgt fünfundsechzig, die Breite einhundertundzehn, die Fittiglänge dreißig, die Schwanzlänge sieben Centimeter. Sein Gefieder ist auf Kopf- und Halsseiten aschgrau, am Hinterhalse schwarz und weiß gestreift, am Vorderhalse glänzend kastanienbraunroth, auf dem Rücken braunschwarz, auf der Unterseite weiß, an den Kropf- und Brustseiten schwarz in die Länge gefleckt. Im Winterkleide tragen die Federn der Oberseite weißliche Spitzen, und die Kehlgegend sieht weiß aus. Im Jugendkleide sind die Farben noch unscheinbarer. Das Auge ist hell braunroth, der Schnabel schwarz, der Fuß dunkelbraun, innen blaugrau, auf den Schwimmhäuten dunkler.

Der Eistaucher bewohnt den hohen Norden, im Sommer ungefähr bis zum sechsundsiebzigsten Grade der Breite und höchstens bis zum neunundfunfzigsten Grade nach Süden hin, insbesondere die Meeresküsten von Grönland, Spitzbergen und des europäischen und asiatischen Rußland, einzelner Islands, der Färinseln, Orkaden und Hebriden, streicht im Winter, jedoch selten, bis in unsere Gegenden hinab und besucht dann gelegentlich die deutschen Flüsse. Der Polartaucher scheint mehr dem Osten anzugehören, ist in Europa, mit Ausnahme des nördlichen Rußland, über all selten, in Sibirien hingegen häufig, ebenso im hohen Norden Amerikas Brutvogel und besucht auf seiner Winterreise Süd- und Westrußland, Dänemark, Deutschland und Holland. Der Rothkehltaucher endlich findet sich in denselben Gegenden, hat jedoch ungefähr den Verbreitungskreis beider vorher genannten Arten zusammengenommen. Er lebt in einem Gürtel zwischen dem achtundsiebzigsten und sechzigsten Grade rings um die Erde und besucht allwinterlich die südlicher gelegenen Meere und ebenso Flüsse und süße Gewässer, welche zur Zeit seiner Ankunft ihm durch die Eisdecke noch nicht verschlossen sind.

In ihrem Wesen und Betragen ähneln sich alle Seetaucher in so hohem Grade, daß es genügt, wenn wir uns auf eine Schilderung der Lebensweise des zuletzt erwähnten beschränken. Er ist wie seine Verwandten ein echter Seevogel, welcher nur während der Fortpflanzungszeit und im Winter auf dem Zuge süße Gewässer aufsucht, im übrigen stets im Meere sich aufhält und hier seinen Fischfang eifrig betreibt, vortrefflich schwimmt und vollendet taucht, aber auch rasch und anhaltend fliegt. Alle Seetaucher durchrudern mit größter Leichtigkeit weite Strecken, liegen nach Belieben flach auf der Oberfläche oder senken ihren Rumpf so tief ein, daß nur ein schmaler Streifen vom Rücken sichtbar bleibt, fördern sich behaglich langsam oder mit einer erstaunlichen Schnelligkeit, verschwinden ohne ersichtliche Anstrengung, auch ohne jegliches Geräusch in der Tiefe, strecken sich hier lang aus, drücken das Gefieder dicht an, klemmen die Flügel an den Leib und schießen, bloß mit den Füßen rudernd, pfeilschnell durch das Wasser, bald in dieser, bald in jener Richtung, bald seicht unter der Oberfläche, bald in einer Tiefe von vielen Faden. Sie schwimmen mit den schnellsten Fischen um die Wette: denn sie bemächtigen sich derselben; sie schwimmen und tauchen vom ersten Tage ihres Lebens an und später bei jeder Veranlassung, da sie sich sicherer im Wasser fühlen als selbst in hoher Luft fliegend. Auf dem festen Lande sind sie fremd. Allerdings betreten auch sie das Land zuweilen, gewiß aber weniger als die meisten übrigen Vögel, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Steißfüße. Und dann betreten sie dasselbe auch nicht, sondern rutschen nur vom Wasser aus auf das Trockene; denn zu einem Gange im gewöhnlichen Sinne des Wortes, ja selbst zu aufrechtem Stehen sind sie unfähig. Ich habe gefangene wochenlang beobachtet und sie sehr oft auf dem Lande, niemals aber einen aufgerichtet stehen, niemals einen auf den Zehen oder Fußwurzeln dahin gehen, sondern stets nur mit Hülfe des Schnabels und Halses sowie der Flügel und [617] Füße kriechen sehen. Der Flug ist viel besser, als man meinen möchte, wenn man den schweren Leib mit den kleinen Fittigen vergleicht. Zwar müssen die Seetaucher erst einen tüchtigen Anlauf nehmen, wenn sie sich erheben wollen; haben sie jedoch erst eine gewisse Höhe gewonnen, so eilen sie sehr rasch dahin, obgleich sie die kurzen Fittige mit sehr schnellen Schlägen fortwährend bewegen. Außerordentlich schön ist der Flug, wenn sich die Vögel, wie sie es regelmäßig thun, von den hohen Küstenbergen herab in das Meer stürzen. Sie regen dann die Flügel nur so viel, wie eben nöthig ist, um eine schiefe Flugrichtung zu ermöglichen, und schießen unter sausendem Geräusche, sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite wendend, wirklich pfeilschnell in die Tiefe hinab und versenken sich unmittelbar darauf im Wasser. Alle Seetaucher und so auch der rothkehlige zeichnen sich durch ihre laute Stimme vor anderen Seevögeln aus. Die meisten Forscher nennen die Töne, welche sie hören lassen, unangenehm und widerlich, während ich sagen muß, daß ich das laute, klangvolle Rufen stets gern vernommen habe, obgleich ich nicht leugnen will, daß das Knarren rauh und das darauf folgende Schreien oft heulend klingt. Die durchdringende Stimme des Eistauchers soll, nach Faber, ein schauderhaftes Echo in den umliegenden Bergen hervorrufen und den Wehklagen eines Menschen in Lebensgefahr ähneln; die Stimme des rothkehligen Seetauchers nennt derselbe Naturforscher hart, schnarrend und laut jammernd, wogegen ich sie als einen wilden Meeresgesang bezeichnen möchte, wie ihn ein Vogel erlernt, welcher Stürmen und Wellentosen lauscht. Alle mir bekannten Arten rufen und schreien in sehr ähnlicher Weise, so daß es recht schwer hält, sie an der Stimme zu unterscheiden. Ueber die geistigen Eigenschaften der Seetaucher sind die Meinungen noch getheilt, weil wir zu wenig Gelegenheit haben, mit ihnen in näheren Verkehr zu treten. Daß sie sämmtlich sehr scharfsinnig sind, namentlich vortrefflich sehen und hören, ergibt die einfache Beobachtung; daß es ihnen nicht an Urtheil und Ueberlegung gebricht, erfährt man bald. Vorsichtig bleiben sie unter allen Umständen, und wenn sie auch beim Neste einen großen Theil ihrer Scheu ablegen, geben sie sich doch niemals gedankenloser Sorglosigkeit hin, achten vielmehr auf alles und jedes, was um sie her vorgeht, und trauen selten. Ob sie gefährliche Menschen von ungefährlichen zu unterscheiden wissen, möchte zu bezweifeln sein; sie nehmen vielmehr das gewisse für das ungewisse und suchen sich der unangenehmen Nähe des Menschen so viel wie möglich zu entziehen. Ausnahmen von dieser Regel sind allerdings auch beobachtet worden. So bemerkte Graba einen Eistaucher am Ufer, welcher die Aufmerksamkeit von vier oder fünf Knaben erregte und sich eine Zeitlang mit Steinen werfen ließ. »Sobald ein solcher nahe bei ihm niederschlug, streckte er den Kopf in das Wasser, um zu sehen, was es sei, tauchte auch wohl nach demselben. Ueber dreißig Steinwürfe wurden nach ihm gethan, und mehrere trafen ihn, ohne daß er sich deshalb entfernte.« Solche Vorkommnisse sind selten; gewöhnlich meiden die Seetaucher jedes fremdartige Geschöpf so viel wie möglich, verkehren überhaupt wenig mit anderen Wesen, lieben nicht einmal ihresgleichen. Sehr häufig trifft man sie einzeln an, während der Brutzeit allerdings treuinnig verbunden in Paaren, aber kaum zwei Paare auf einem und demselben Teiche und nur ausnahmsweise ein Paar auf solchem, welcher bereits von anderen Vögeln bewohnt wird. Während des Zuges oder in Gefangenschaft halten sie sich immer entfernt von anderen Schwimmvögeln, und wenn diese sich ihnen nähern, hauen sie auch wohl nach ihnen; hämisch und boshaft aber kann man sie eigentlich nicht nennen. In die Enge getrieben, vertheidigen sie sich wüthend und bringen mit dem scharfen Schnabel ernsthafte Wunden bei; ihre Angriffe haben auch scheinbar etwas tückisches, weil sie so schnell erfolgen; ihr Gebaren läßt sich jedoch kaum mit dem der Reiher vergleichen und gewiß nicht boshaft nennen: sie bekunden bei der Vertheidigung mehr eine gewisse Dummdreistigkeit als berechnende Ueberlegung.

Ich zweifle, daß ein Seetaucher etwas anderes als Fische zu sich nimmt; solange er sich auf dem Meere befindet, hält er sich gewiß ausschließlich an diese. Seine außerordentliche Schwimm- und Tauchfertigkeit macht es ihm leicht, sich mit der nöthigen Nahrung zu versorgen, um so mehr, als man ihn eigentlich nicht zu den gefräßigen Thieren rechnen, vielmehr als einen anspruchslosen [618] Vogel bezeichnen kann. Er fängt seine Beute durch schnelles Nachjagen im Wasser oder holt sie sich vom Grunde desselben empor. Schmale Fische sind ihm selbstverständlich lieber als breite, aber auch diese werden nicht verschmäht. »Oftmals«, erzählt Graba, welcher Eistaucher von seinem Fenster aus im Hafen beobachten konnte, »sah ich sie große Flunder verzehren, und sie wußten mit ihnen sehr bald fertig zu werden. Um ihn zu zerstückeln, ließen sie den Fisch aus dem Schnabel ins Wasser fallen, hackten ein großes Stück heraus, schüttelten ihn tüchtig und wiederholten dies, bis sie ihn verzehrt hatten.« Kleine Fische schlucken sie selbstverständlich ganz hinab; aber schon solche von der Größe eines Härings verursachen ihnen Beschwer. Aus dem Betragen der gefangenen kann man schließen, daß sie nur lebende Beute verzehren; denn diejenigen, welche man eben fing, wollen anfänglich gar nicht ans Futter, nehmen mindestens vom Grunde des Wassers oder vom Lande keinen Fisch auf und müssen erst nach und nach an das ihnen widerliche Fischaas gewöhnt werden, indem man ihnen die kleinen Fische einzeln zu- und so ins Wasser wirft, daß es aussieht, als ob sie sich bewegen. Dagegen fressen die frischgefangenen sofort, nachdem man sie in ein größeres Wasserbecken brachte, wenn dieses mit lebenden Fischen besetzt ist: sie beginnen zu tauchen und unwillkürlich dabei zu jagen.

Alle Seetaucher wählen zum Brüten kleine, stille Süßwasserteiche unweit der Küste, zuweilen jedoch solche, welche in bedeutender Höhe über dem Meere liegen. Auf den Lofoten beobachtet ich viele Pärchen des Rothkehltauchers, die meisten hoch oben auf den kleinen Alpseen und zwar auf solchen, welche nach Versicherung der Norweger arm an Fischen waren, bezüglich gar keine beherbergten; in der Tundra der Samojedenhalbinsel dagegen sah ich die genannte Art wie den Polartaucher meist auf größeren und fischreichen Wasserbecken. Dort bewohnte das Paar stets je einen Teich für sich, hier solchen manchmal in Gemeinschaft anderer Vögel, insbesondere Enten und Möven. Während der Fortpflanzungszeit vernimmt man die schallende Stimme öfter als sonst, namentlich dann, wenn das Paar aus der Höhe herab sich in das Meer stürzt, um hier zu fischen, wie es regelmäßig allabendlich geschieht. Die Nester stehen auf kleinen Inseln der Gewässer oder, wo diese fehlen, am Ufer, immer sehr nahe am Wasser und werden aus dürrem Schilf- und Riedgrase liederlich zusammengeschichtet, auch durchaus nicht verborgen angelegt, so daß man den brütenden Vogel von weitem sehen kann. Zwei langgestreckte, durchschnittlich fünfundsiebzig Millimeter lange und siebenundfunfzig Millimeter dicke, stark- und festschalige, grobkörnige, jedoch etwas glänzende, auf düster ölgrünem Grunde mit dunkel aschgrauen Unterflecken und röthlich schwarzbraunen Oberflecken, Punkten und Tüpfeln gezeichnete Eier bilden das Gelege des Rothkehltauchers. Beide Gatten brüten abwechselnd mit gleichem Eifer und übernehmen auch gemeinschaftlich die Führung der Jungen. Gegen Ende des Mai findet man die Eier, zu Ende des Juni gewöhnlich die Jungen; wie lange die Brutzeit währt, ist zur Zeit noch nicht bekannt. Ist der Brutteich selbst fischreich, so verlassen beide Alten die Jungen nicht, während sie dies abwechselnd thun, wenn sie nach dem Meere fliegen müssen, um hier sich zu ernähren; wahrscheinlich tragen sie dann auch den Jungen Speise zu. Letztere zeigen sich vom ersten Tage ihres Lebens an sehr geschickt und suchen sich ihre Nahrung selbst, werden jedoch von den Alten unterrichtet und ebenso auch unterhalten; erst nachdem sie flügge geworden sind, verlassen sie den Ort der Kindheit, fliegen auf das Meer hinaus und leben nun ganz wie die Alten.

Nutzen gewähren die Seetaucher nicht. Ihr Fleisch erscheint uns ungenießbar, ihr Federkleid ist nicht zu verwerthen. In ihrer nordischen Heimat stellt ihnen niemand nach, und auch bei uns zu Lande verfolgt man sie nicht absichtlich oder regelmäßig. Ihre Jagd erfordert wegen ihrer Scheu und Vorsicht einen geübten Jäger und führt keineswegs immer zum Ziele. Gefangen werden sie zufällig, wenn sie in den Fischernetzen sich verwickeln.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 617-619.
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