Streifenflughuhn (Pterocles Lichtensteinii)

[13] In ihrem Wesen und Betragen zeigen sich die Flughühner durchaus eigenartig. Jede ihrer Bewegungen ist von der anderer Scharrvögel verschieden. Ihr Gang ist leicht und schön, mehr hühner- als taubenartig, im merhin aber noch etwas trippelnd, nicht eigentlich rennend wie bei den echten Hühnern. Sie tragen sich im Gehen verhältnismäßig hoch, halten die Fußwurzeln gerade und setzen nun langsam ein Bein vor das andere, nicken aber nicht bei jedem Schritte mit dem Kopfe, wie Tauben zu thun pflegen. Der rauschende und stürmische Flug besteht aus einer Reihe gleichmäßiger, schnell sich folgender Flügelschläge und erinnert einigermaßen an den der Tauben, viel mehr aber an den der Regenpfeifer. Das schwebende des Taubenfluges fehlt ihm gänzlich; denn nur, wenn die Flughühner sich zur Erde herabsenken wollen, gleiten sie ohne Flügelschlag durch die Luft. Beim Aufstehen klettern sie sozusagen in fast senkrechter Richtung rasch empor, und erst nachdem sie eine gewisse Höhe erreicht haben, fliegen sie in gleicher Ebene, in eigenthümlicher Weise seitlich sich wiegend, bald mit der einen, bald mit der anderen Flügelspitze über die wagerechte Linie sich hebend und beziehentlich senkend, über den Boden dahin, gewöhnlich außer Schußnähe, immer dicht gedrängt neben einander, also in geschlossenen Schwärmen, und unter lautem, ununterbrochenem Geschrei. In dem Schwarme selbst macht sich kaum ein Wechsel [13] bemerklich; jedes einzelne Stück behält genau seine Stelle und stürmt in gleichem Abstande von den übrigen mit diesen weiter; ein Vordrängen der einen und Zurückbleiben an derer, welche dann vielleicht wieder an die Spitze zu kommen suchen, wie es bei vielen anderen Vögeln bemerkt wird, findet nicht statt. Die Stimme ist so bezeichnend, daß sie mit anderen nicht verwechselt werden kann. Der arabische Name »Khata«, richtiger »Khadda«, ist ein Klangbild des Geschreies, welches sie im Fluge ausstoßen; während man dagegen, wenn sie am Boden umherlaufen, viel sanftere, leise hervorgestoßene Laute vernimmt, welche man durch die Silben »Gluck« oder »Puck« etwa wiedergeben kann, und welche ungefähr die Bedeutung eines Unterhaltungsgeschwätzes haben. So sehr die Stimmlaute der verschiedenen Arten sich ähneln, so stellen sich doch bei scharfer Beobachtung gewisse Unterschiede heraus, welche freilich mit Worten nicht immer ausgedrückt werden können. Doch gilt das nicht für alle Arten. So vernimmt man von dem afrikanischen Streifenflughuhne (Pterocles Lichtensteinii) anstatt des »Khadda khadda« sehr vollklingende Laute, welche ich durch die Silben »Külü klü klü ör« wiedergegeben habe, und zwar, indem ich das unmittelbar vorher gehörte aufzuzeichnen versuchte. Ueber die Sinne und anderweitigen Fähigkeiten des Gehirnes läßt sich schwer ein Urtheil fällen. Daß das Gesicht der Flughühner sehr scharf sein muß, erfährt jeder Jäger bald genug; daß ihr Gehör wohl entwickelt ist, erkennt man an der Aufmerksamkeit, welche sie dem leisesten Geräusche und namentlich den von fern her tönenden Lockrufen ihrer Artgenossen widmen: wie es aber mit den übrigen Sinnen stehen mag, wage ich nicht zu sagen. Von der Bildsamkeit ihres Geistes geben die Vögel mannigfache Beweise. Sie erkennen und würdigen die Gleichfarbigkeit ihres Gefieders mit der Bodenfläche, auf welcher sie leben: denn sie wissen aus ihr bestens Vortheil zu ziehen; sie bekunden eine gewisse List und lassen erkennen, daß Erfahrung sie sehr bald witzigt: denn sie, welche eigentlich vertrauensselige Geschöpfe genannt werden müssen, werden, wenn sie Verfolgungen erfuhren, bald ungemein scheu und vorsichtig, zeigen sich auch stets scheuer, wenn sie sich in größeren Gesellschaften zusammenhalten, als wenn sie einzeln oder in kleinen Trupps vereinigt sind, beweisen also, daß die klügeren ihrer Art Erfahrungen gesammelt haben, und daß diese von der Gesammtheit beherzigt werden. Ihr Wesen erscheint uns als ein Gemisch von widersprechenden Eigenschaften. Sie sind überaus gesellig, bekümmern sich, streng genommen, aber nur um ihresgleichen; sie leben mit den verschiedensten Vögeln im tiefsten Frieden, zeigen sich zuweilen aber doch hämisch und neidisch wie die Tauben, ohne daß man die Ursache zu erkennen vermöchte; sie halten einträchtig bei einander, beginnen aber gelegentlich unter einander einen Zweikampf und fechten diesen wacker durch, obgleich von dem sprichwörtlich gewordenen Kampfesmuthe der Hähne bei ihnen nicht zu reden ist und es unter ihnen zu einem Streite auf Leben und Tod wohl niemals kommt.

Ihr tägliches Leben nimmt einen sehr regelmäßigen Verlauf. Mit Ausnahme der Mittags- und vielleicht der Mitternachtsstunden sind sie beständig in Thätigkeit, mindestens wach. Das Streifenflughuhn habe ich während des ganzen Tages in Bewegung gesehen und zu jeder Stunde der Nacht gehört: ich wurde nicht wenig überrascht, als ich seine höchst wohllautende Stimme noch in den späten Nachtstunden vernahm, als ich beim bleichen Schimmer des Mondes Trupps von ihm zu einer schwachen Quelle fliegen sah, um dort zu trinken. Ob auch die übrigen Arten der Sippe so rege sind, oder ob nur der Mondschein das Streifenflughuhn so rege machte, muß ich dahin gestellt sein lassen. Gemeinsam ist allen von mir beobachteten Arten folgendes: Noch ehe der Tag angebrochen, vernimmt man ihre Unterhaltungslaute, und sobald man Gegenstände unterscheiden kann, sieht man sie emsig zwischen den niederen Grasbüschen umherlaufen und Nahrung aufnehmen. Werden sie nicht gestört, so treiben sie dieses Geschäft ununterbrochen bis gegen neun Uhr vormittags; dann fliegen sie, der Jahreszeit entsprechend etwas früher oder später, zur Tränke. Hier kommen im Verlaufe einer Stunde tausende an; wenn die Gegend wasserarm ist, diese tausende an einer kleinen Pfütze, wenn das Land von Flüssen durchschnitten wird, die einzelnen Trupps an allen passenden Stellen des Flußufers. Sie stürzen sich aus hoher Luft in schiefer Richtung in die Nähe[14] der Tränke herab, laufen rasch auf dem Boden weg, bis ans Wasser hinab, trinken in drei bis vier hastigen Zügen und erheben sich, entweder unmittelbar vom Wasser aus, oder nachdem sie zur Einfallstelle zurückgelaufen sind, unterwegs einige Quarzkörner aufgenommen, sich auch wohl noch ein wenig ausgeruht haben. Jeder Flug wendet sich derselben Gegend zu, von welcher er herkam, und wahrscheinlich kehrt jeder zu demselben Weidegebiete zurück. Erlegt man Flughühner bei der Tränke, so findet man, daß sie ihren Kropf bis zum Bauschen der ihn deckenden Federn mit Körnern angefüllt haben. Nachdem sie sich getränkt haben, tritt die mit der beginnenden Verdauung verbundene Ruhe ein, und jetzt sieht man die Kette, gruppenweise vereinzelt, in behaglicher Ruhe, entweder in selbstgescharrten, seichten Vertiefungen oder auch ohne weiteres auf dem Sande gelagert, gewöhnlich platt gedrückt auf dem Bauche, oft aber auch auf der Seite, bald auf dieser, bald auf jener, liegen, wobei dann der eine Flügel ausgebreitet und den Strahlen der Sonne preisgegeben wird. Während dieser Ruhepause schweigt auch die Unterhaltung; sie beginnt aber augenblicklich wieder, wenn sich etwas verdächtiges zeigt. In den Nachmittagsstunden wird eine zweite Mahlzeit eingenommen, und zwischen vier und sechs Uhr fliegt alles zum zweiten Male den Tränkplätzen zu. Auch diesmal verweilt der Flug nur wenige Minuten an dem labungspendenden Orte und eilt nun unmittelbar dem Schlafplatze zu; doch kann es vorkommen, daß dieser in der Nähe der Quelle gewählt wird, wie ich solches auch einmal, freilich an einem vom Menschen in keiner Weise beunruhigten Orte, beobachtet habe.

Nur da, wo die Flughühner verfolgt werden, zeigen sie sich scheu; in der eigentlichen Wüste, wo sie wenig mit Menschen in Berührung kommen, lassen sie den Reiter auf seinem Kamele ihnen bis auf wenige Schritte sich nähern; selbst dem Fußgänger wird es nicht schwer, an sie heranzukommen, wenn er sie rechtzeitig entdeckt hat und die bei der Jagd überhaupt nöthige Verstellung anwendet, d.h. thut, als ob er harmlos an ihnen vorüber gehen wolle. Aber gerade das Entdecken hat seine Schwierigkeiten. Es gehört ein sehr scharfes Auge dazu, sie wahrzunehmen. Ich habe mehr als hundertmal Wüstenhühner gejagt und erlegt, bin aber bei jeder Jagd von neuem in Erstaunen gesetzt worden über die Fertigkeit der Thiere, den Blicken sich zu entziehen. Hierbei leistet ihnen ihr Wüstengewand die besten Dienste: das Flughuhn braucht sich bloß auf dem Boden, dessen Färbung es in den feinsten Schattirungen auf seinem Gefieder trägt, niederzudrücken und sich ruhig zu verhalten, und es selbst ist gleichsam zu einem Theile des Bodens geworden; man vermag es von diesem nicht mehr zu unterscheiden. In dieser Weise täuschen alle Flughühner den unkundigen Verfolger. Wer ein recht scharfes Auge besitzt und zu beobachten gelernt hat, sieht bei seiner Annäherung an eine auf der Erde ruhende Kette Flughühner mehrere alte Männchen, welche mit hochaufgestrecktem Halse den Ankömmling betrachten, und gewahrt bei weiterem Herangehen, wie diese Wächter plötzlich unsichtbar werden und die ganze zahlreiche Kette unsichtbar machen, indem auch sie sich platt auf die Erde legen. Jeder vorüberziehende Raubvogel, jedes sich zeigende und gefährlich scheinende Geschöpf verwandelt in dieser Weise die hunderte von Vögeln in hunderte von Häufchen, welche dem Sande so vollkommen ähneln, daß man immer und immer wieder überrascht wird, wenn plötzlich von einer Stelle, auf welcher man nur Sand zu bemerken glaubte, die vielen großen Vögel unter lautem Geräusche sich erheben.

Die Nahrung besteht, wenn nicht ausschließlich, so doch fast nur aus Sämereien. Da, wo es Felder gibt in der Nähe der Wüste, haben sie beim Einsammeln dieser Körner, wenigstens zeitweilig, leichte Arbeit; in ganz Nordostafrika z.B. nähren sie sich Monate lang nur von der Durrah; in Spanien brandschatzen sie die Weizen-, Mais- und Wickenfelder; in Indien erscheinen sie auf den abgeernteten und trocken gewordenen Reisfeldern. In den Wüsten und Steppen aber haben sie nur in den wenigen ährentragenden Gräsern ergiebige Nährpflanzen, und hier begreift man es oft wirklich nicht, wie sie es ermöglichen, tagtäglich die sehr weiten Kröpfe zu füllen. Ob sie Kerbthiere aufnehmen, weiß ich nicht; ich habe, soviel ich mich entsinne, immer nur Körner in ihrem Magen gefunden. Gefangene fressen Ameisenpuppen recht gern.

[15] In Südeuropa und Nordafrika brüten die Flughühner in den ersten Frühlingsmonaten, in Mittelafrika zu Anfang der Regenzeit, welche den nordischen Frühling vertritt, in Südindien, laut Jerdon, in den Monaten zwischen December und Mai, in Mittelindien etwas später. Ich habe nur ein einziges Mal die Eier eines dieser Hühner erhalten, eigene Beobachtungen über die Fortpflanzung jedoch nicht anstellen können. Das Betragen gefangener Khatas hat mich in der durch Beobachtung freilebender Verwandten gewonnenen Ansicht unterstützt, daß alle Flughühner in Einweibigkeit leben. Man bemerkt stets ein Zusammenleben der Paare und sieht an den gefangenen Hähnen, daß sie nur einer Henne sich widmen. Dies geschieht, so weit ich beobachtet habe, ohne den Auf wand von verschiedenen Stellungen, Bewegungen, Geberden und Lauten, welche die Männchen anderer Scharrvögel treiben: der Flughahn läuft in bescheidener Haltung um das erkorene Weibchen herum und gibt seinen Gefühlen höchstens durch Sträuben der Federn und Lüften oder Wölben der Flügel sowie ein gelegentliches kurzwieriges Breiten des Schwanzes Ausdruck. Aber auch in ihm regt sich, wenn die Liebe ihn begeistert, die Lust zum Streite. So friedliebend er sonst ist, so wenig er anderen Männchen lästig wird, so lebhaft verfolgt er in der Paarzeit jeden anderen Hahn, ja sogar jeden anderen Vogel, welcher sich seiner Geliebten nähert. Jede Lerche, welche bisher mit ihm im besten Einverständnis lebte, wird jetzt, sobald sie in die Nähe kommt, durch ein ärgerliches »Drohd, droh drah, dräh« und durch die gleichzeitig eingenommene Fechterstellung (niedergebeugter Kopf, gewölbte Flügel) gewarnt und, wenn sie nicht darauf achtete, vertrieben. Auf einen anderen Hahn stürmt der eifersüchtige mit tiefgesenktem und vorgestrecktem Kopfe, erhobenem Schwanze, aber glattanliegenden Flügeln und Federn raschen Laufes los, und er muß es wohl ernstlich meinen, weil man jenen so eilfertig das weite suchen sieht.

Ueber Nestbau, Eierzahl und Brütung berichten Tristram und Jerdon. Von der Ganga sagt der erstere, daß sie, wie alle übrigen ihm bekannten Arten, drei Eier legt, und daß die Dreizahl unabänderlich sei; ich aber muß hierzu bemerken, daß mir vier Eier aus einem Neste gebracht wurden, und auch Jerdon gibt die Anzahl des Geleges zu drei oder vier an. Die Araber beschrieben mir das Nest als eine seichte Vertiefung im Sande ohne jegliche Unterlage. Irby bemerkt, daß die von ihm aufgefundenen Eier in einer gänzlich baumlosen Gegend auf dem bloßen Sande lagen und ein eigentliches Nest nicht vorhanden war; Adams hingegen behauptet, daß das Sandflughuhn eine einfache Vertiefung in den Boden grabe und den Rand derselben durch einen Kreis von dürren Gräsern zu schützen suche: er fand, wie er sagt, im Juni mehrere alte Nester. Die Eier aller bis jetzt bekannten Arten ähneln sich in hohem Grade. Sie zeigen eine mit der Umgebung übereinstimmende Färbung, sind gleichhälftig, an beiden Enden fast gleichmäßig abgerundet, derbschalig und trotz des starken Kornes und der tiefen Poren glatt und glänzend; die Grundfärbung ist ein helles, reines oder ins Grünliche und Röthliche ziehendes Braungelb; die Schalenflecken wechseln in verschiedenen, von der Grundfarbe sich abhebenden Tönen, von hellerem zu dunklerem Violettgrau, die Zeichnungsflecke ebenso in Gelb- oder Rothbraun; beide sind ziemlich dicht über die ganze Fläche vertheilt und größere, unregelmäßig gestaltete mit kleineren und sehr kleinen gemischt. Der Längsdurchmesser der Ringelflughuhneier beträgt etwa achtundvierzig, der Spießflughuhneier vierundvierzig, der Querdurchmesser jener zweiunddreißig, dieser achtundzwanzig Millimeter. So beschreibt Baldamus die Eier nach eigener Untersuchung. Wenn das Gelege aus drei Eiern besteht, liegen zwei von ihnen in einer Linie und das dritte der Länge nach nebenan. Der Vogel soll, laut Tristram, während des Brütens auf einer Seite liegen und mit einem ausgebreiteten Flügel die Eier bedecken, deshalb auch einen höchst sonderbaren Anblick gewähren. Tristram glaubt, daß diese Stellung wegen des hohen Brustbeinkammes nothwendig sei: ich meine, daß sie wohl nur eine zufällige gewesen sein mag, welche der Vogel angenommen hat, um sich auszuruhen. Ueber das erste Jugendleben der Flughühner kenne ich nur die kurze Mittheilung, welche Bartlett veröffentlicht hat, und auch sie bezieht sich bloß auf Küchlein, welche im Käfige erbrütet wurden: »Die Khata hatte im Vogelhause des Londoner Thiergartens schon wiederholt [16] Eier gelegt, auch versucht, sie auszubrüten; die Brut war jedoch in keinem Falle ausgekommen. Im Anfange des August 1865 wurden zwei Eier in eine seichte Mulde im sandigen Boden des Vogelhauses gelegt, eifrig bebrütet und am neunundzwanzigsten August glücklich ausgebracht. Sie waren ziemlich, obschon nicht in demselben Grade bewegliche Geschöpfe wie junge Hühner, Fasanen oder Rebhühner, kräftig und munter, wuchsen auch zu beträchtlicher Größe heran, starben aber, noch bevor sie ihr Wachsthum vollendet hatten.« Eine diesen Worten beigegebene Abbildung macht uns mit dem ersten Dunenkleide bekannt. Es dürfte an Zierlichkeit kaum seinesgleichen finden. Ein dunkles Sandgelb ist die Grundfärbung der Oberseite, dunkle Mondflecken schattiren, weiße, dunkel gesäumte Streifen theilen sie in mehrere, regelmäßig abgegrenzte Felder. Ueber den Kopf verlaufen ein Mittel- und zwei Brauenstreifen; von dem breiteren Rückenstreifen zweigen sich zwei schmälere ab, wenden sich seitlich, sodann wieder nach vorn und umschließen so die vier Mittelfelder, während die beiden unteren durch sie und die lichte Unterseite begrenzt werden. Auch die Flügel sind durch Bogenstreifen geziert. Inmitten der Felder sieht man noch einzelne kleine, runde, weiße Flecke. Die Unterseite ist einfarbig gilblichweiß.

Auch die Flughühner haben im Menschen den ärgsten Feind; denn gegen die meisten Raubthiere schützt sie ihr schneller Flug. Mir wurde gesagt, daß ihnen der Edelfalk und nachts der Wüstenfuchs gefährlich werden. So lange sie noch nicht scheu geworden sind, hält es nicht schwer, sie zu erbeuten; sie vertrauen im allgemeinen zu viel auf ihr Sandkleid. Ich erinnere mich, mit einem einzigen Schusse vierzehn von ihnen erlegt zu haben. Sie vertragen aber einen sehr starken Schuß, und diejenigen, denen nicht die edelsten Theile oder die Schwingen verletzt werden, erheben sich noch regelmäßig, fliegen weit weg und fallen dann erst todt zu Boden herab. Ganz anders zeigen sie sich da, wo sie mehrfach Verfolgungen erfahren haben. Hier muß man die Tränkstelle aufsuchen, anstehen und sie erwarten. »Weil die Flughühner«, sagt mein Bruder, »von den Spaniern gern gegessen werden, stellt man ihnen auf alle mögliche Weise nach, und sie sind deshalb ungemein scheu und vorsichtig. Man schießt sie regelmäßig bei den Trinkplätzen auf dem Anstande. Sie pflegen das Wasser stets so nahe wie möglich an der Quelle aufzusuchen und eilen deshalb nach dem Gebirge oder nach hochgelegenen Orten, um daselbst ihren Durst zu stillen. Zu dem einmal erwählten Trinkplatze kehren sie täglich und zur bestimmten Stunde wieder; der Jäger kann also sicher darauf rechnen, sie zur rechten Zeit erscheinen zu sehen. Er verbirgt sich in der Nähe der Stelle, wo er ihre Fährte am Rande des Wassers im Sande bemerkte, sorgfältig, am besten in einer mit Steinen überdeckten Hütte, muß aber jedenfalls schon eine oder anderthalb Stunden vor dem erwähnten Ankommen der Thiere zur Stelle sein. Von dem Bade von Archena aus, woselbst ich mich vierzehn Tage aufhielt, unternahm ich am zweiten Pfingsttage einen Jagdausflug nach dem anderthalb Meilen entfernten Campo de Uléa, einer Einöde, in welcher Bienenfresser, Haubenlerchen und Steinschmätzer fast die einzigen befiederten Bewohner waren. Wir erreichten gegen sieben Uhr das Bett des Regenstromes, in welchem die Flughühner Wasser zu trinken pflegten. Ein Hirt hatte genau die Stelle ausgekundschaftet und daselbst Anstände erbaut. Das Flußbett wurde zu beiden Seiten eingeschlossen von steilen Felswänden, welche von prachtvoll blühenden Oleandergebüschen bekleidet waren. Bloß hier und da zeigte sich eine Pfütze schmutzigen Wassers, und an einzelnen Stellen bemerkten wir auch schon Fährten von Flughühnern im Sande. Nachdem wir drei Viertelstunden gegangen waren, wurden die Fußstapfen zahlreicher, und bald fanden wir die aus Steinen sorgfältig erbauten Anstände in der Nähe des hier rieselnden Wassers. Jetzt schärfte mir unser Jäger nochmals die uns schon gegebenen Verhaltungsmaßregeln ein, nämlich ruhig im Anstande zu bleiben, das Gewehr zu spannen und auf das Wasser zu richten, um nachher jede Bewegung möglichst zu vermeiden; denn die Gangas, hier Churras genannt, seien sehr scheue, listige Vögel. Sie erkundeten erst sehr genau die Oertlichkeit, ehe sie sich niederließen, stürzten sich in der Nähe des Wassers herab, drückten sich platt auf die Erde, das Ohr auf den Boden legend, um zu horchen, gingen dann rasch einige Schritte vor bis zum Wasser, tauchten [17] den Schnabel dreimal in dasselbe, um in drei langen Zügen zu trinken, und flögen so rasch davon, als sie gekommen. Einige Zeit hatte ich im Anstande gesessen, als ich das, ›Tschuerr‹ über mir hörte und auch bald drei Flughühner als Kundschafter hin- und herfliegen sah. Sie ließen sich weiter oben nieder; bald darauf aber erschienen abermals zwei unter denselben Vorsichtsmaßregeln und stürzten sich dann mit schnurrendem Geräusche dicht neben meinem Anstande auf den Boden. Genau, wie die Jäger es beschrieben, war ihr Betragen; als sie aber zum zweiten Male den Schnabel eintauchten, nahm ich sie aufs Korn und feuerte. Bloß das Weibchen blieb auf dem Platze, das Männchen, schwer verwundet, flog davon, für uns unerreichbar weit.«

Der Fang scheint noch ergiebiger zu sein als die Jagd mit dem Feuergewehre. »Die Flughühner« sagt Bolle, »schreiten ihrer kurzen Beinchen halber nie freiwillig über größere Steine hinweg, sondern laufen am liebsten auf ebener Erde fort; deshalb macht man einen Gang zum Wasser, indem man Steine in zwei Reihen aufstellt, gerade breit genug, daß eine Ganga hindurchkommen kann, und legt Schlingen denselben entlang: so erhält man viele lebendig.«

In der Gefangenschaft werden diese sonst so scheuen Vögel sehr zahm. »Ich habe«, erzählt mein Bruder, »ein Paar Gangas über ein Jahr langlebend in meinem Zimmer gehalten. Den größten Theil des Tages brachten sie außerhalb des Käfigs frei umherlaufend zu, ohne daß es ihnen eingefallen wäre, durch das offene Fenster zu entfliehen, obgleich sie ganz gut fliegen konnten. Mittags flogen sie auf den Tisch, trippelten da umher, lasen Brodkrumen auf oder fraßen dieselben aus meiner Hand. Am frühen Morgen weckte mich das Männchen durch seinen Ruf, welcher dem Rucksen der Tauben sehr ähnlich ist, und auch oft in später Nacht konnte man denselben noch vernehmen, woraus man also sicher schließen darf, daß die Flughühner auch im Freien des Nachts munter sind. Sehr ergötzlich war es, zu sehen, wie sich die Henne meines Paares, nachdem sie vollkommen vertraut geworden war mit ihrem Gefängnisse und ihrer Umgebung, gegen ihr fremde Leute und Thiere benahm. Näherte sich eine ihr unbekannte Person, so sträubte sie Rücken- und Kopffedern, stieß ein ärgerliches ›Gurgurgurr‹ aus, ging mit lang vorgestrecktem Halse auf den Eindringling zu und hackte ihn, wenn er sich nicht zurückzog, in Fuß oder Hand, heftige Flügelschläge dazu austheilend. Hunde und Katzen vertrieb sie in derselben Weise stets aus dem Zimmer. Der Hahn zeigte dieses Betragen weniger, und nur wenn er ganz in die Enge getrieben wurde, vertheidigte er sich mit Schnabel und Flügeln. Mit anderen Vögeln leben sie in Frieden. Ich habe sie mit Kalanderlerchen, Ammern und anderen kleinen Vögeln zusammengehalten, ohne daß der geringste Streit zwischen der Gesellschaft entstanden wäre, oder daß die Flughühner gegen jene das Recht des Stärkeren zur Geltung gebracht hätten.« Von mir gepflegte Gangas haben Kälte von zwanzig Grad Réaumur ohne Unbequemlichkeit oder Nachtheil ertragen. Viel eher schadet ihnen die Nässe. Gegen Regen sind sie sehr empfindlich, und man muß sie deshalb bei regnerischen Tagen im verdeckten Raume halten, weil sie zu dumm sind, ihren Nachtkäfig aufzusuchen und sich dort gegen Nässe zu schützen.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 13-18.
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