Waldschnepfe (Scolopax rusticola)

[277] Unsere Waldschnepfe, Busch-, Holz-, Berg-, Stein- und Dornschnepfe oder Schnepfe ohne alle Nebenbezeichnung (Scolopax rusticola, rusticula, indica, orientalis, sylvestris, scoparia, platyura und pinetorum, Rusticola vulgaris, europaea und sylvestris), vertritt die erste Sippe der Familie und kennzeichnet sich durch den verhältnismäßig starken, an der Spitze runden Schnabel, die niedrigen, stämmigen, bis auf die Ferse befiederten Füße, deren kleine Hinterzehe einen sehr kurzen Nagel trägt, die ziemlich gewölbten, stumpfspitzigen Flügel und den aus zwölf Steuerfedern gebildeten Schwanz. Das Gefieder ist auf dem Vorderkopfe grau, auf Ober-, Hinterkopf [277] und Nacken mit vier braunen und ebenso vielen rostgelben Querstreifen gezeichnet, übrigens oben rostfarben, rostgrau, rostgelb, graubraun und schwarz gefleckt, an der Kehle weißlich, auf dem übrigen Unterkörper graugelblich und braun gewellt; die Schwingen sind auf braunem, die Steuerfedern auf schwarzem Grunde mit rostfarbenen Flecken gezeichnet. Das sehr große Auge ist braun, der Schnabel wie der Fuß horngrau. Die Länge beträgt zweiunddreißig, die Breite achtundfunfzig, die Fittiglänge einundzwanzig, die Schwanzlänge neun Centimeter.

Alle Jäger unterscheiden zwei verschiedene Waldschnepfen, welche von den meisten Naturforschern als Ab- und Nebenarten, von anderen aber als verschiedenartige Vögel angesehen werden.

Mit Ausnahme einiger nordischen Inseln hat man die Waldschnepfe in allen Ländern Europas und ebenso in ganz Nord- und Mittelasien angetroffen. Gelegentlich ihres Zuges besucht sie von Europa aus Nordwestafrika, von Nordasien aus Indien, und zwar nicht bloß die nördlichen Hochgebirge, sondern auch das südliche Tiefland bis Kalkutta und Madras hinab. Gewöhnlich nimmt man an, daß ihre eigentliche Heimat, d.h. also ihr Brutgürtel, zwischen dem fünfundvierzigsten und siebenundsechzigsten Grade nördlicher Breite gelegen sei; wir wissen aber jetzt bereits durch Graf von der Mühle, daß einzelne Waldschnepfen in den griechischen Gebirgen und durch Mountaineer, daß nicht wenige im Himalaya, hier freilich dicht unter der Schneegrenze, nisten. In Deutschland brüten verhältnismäßig wenige Schnepfen, die meisten noch in den Mittelgebirgen oder im Norden unseres Vaterlandes; im Norden trifft man sie während des Sommers in allen größeren Waldungen an. Milde Winter veranlassen sie zuweilen, den Brutplatz jahraus, jahrein zu behaupten; die Mehrzahl aber tritt in jedem Herbste eine Reise an und nimmt erst in den südeuropäischen Gebirgen Herberge. In Griechenland treffen, nach von der Mühle's Beobachtungen, einzelne bereits um die Mitte des September ein, beziehen zunächst die Hochgebirge, werden aber später durch die sich hier fühlbar machende Kälte in die Ebene herabgedrückt. »Sobald der größere Theil der Wachteln seine gefährliche Reise über das Meer angetreten hat«, sagt gedachter Forscher, »erscheinen in der Morea die Waldschnepfen, und zwar anfangs auf denselben Plätzen, auf welchen der Jäger kurz zuvor noch ergiebige Wachteljagd trieb, nämlich in den Hecken und Gebüschen längs den Dämmen der Abzugskanäle oder auf den felsigen Hügeln, wo sie sich hinter Salbei und Myrtengesträuch verstecken. Ihre Anzahl ist eine ungewöhnlich große. Tritt kalte Witterung ein, so ziehen sie sich von den bebuschten Wiesen weg und sind nur in den engen Gebirgsthälern und auf Abhängen der Hügel, welche auf der Mittagsseite liegen, oder an bebuschten Flußufern aufzufinden.« Das späte Erscheinen in den Niederungen hängt, laut Lindermayer, ganz von den Witterungsverhältnissen ab. Bei herrschendem Südwestwinde ist weder in der Ebene noch in den Vorbergen eine Schnepfe zu finden: »kaum aber stürzt sich der Nordwind über die albanesischen Gebirge herab über unsere sonnigen Ebenen, so bringt er auch eine fabelhafte Menge von Schnepfen mit. An solchen Tagen werden selbst in der Provinz Attika, deren Bodenbeschaffenheit doch höchst ungeeignet erscheint, hunderte dieser schönäugigen Vögel erlegt«. Drei Engländer, welche zwischen Patras und Pyrgos im Peloponnes jagten, erbeuteten innerhalb drei Tagen eintausend Schnepfen. Vom Februar an beginnen sie bereits ihren Rückzug. Ungefähr dasselbe gilt für andere südeuropäische und nordwestasiatische Länder, also für Rumänien, Bulgarien, die Türkei, Kleinasien, Süditalien und Spanien, wahrscheinlich auch für Marokko oder die Atlasländer überhaupt.

Je nach der im Norden stattfindenden Witterung trifft die Schnepfe bei uns zu Lande früher oder später im Jahre ein. Ein alter Jägerspruch trifft so ziemlich das rechte:


»Reminiscere – nach Schnepfen suchen geh',

Oculi – da kommen sie,

Lätare – das ist das wahre,

Judica – sind sie auch noch da,

Palmarum – trallarum,

Quasimobogeniti – halt, Jäger halt, jetzt brüten sie.«


[278] Ein Jahr in das andere gerechnet, darf man annehmen, daß man von Mitte des März an auf durchziehende Schnepfen rechnen kann. Aber bestimmtes kann nicht gegeben werden, weil gerade dieser Vogel dem Jäger, welcher ihn auf das genaueste beobachtet, in jedem Jahre neue Räthsel aufgibt. »Ich habe den Schnepfenstrich«, sagt Schauer, »siebzehn Jahre lang in Polen und Galizien fast täglich besucht, in den fünf Jahren jeden Tag ohne Ausnahme vom ersten bis zum letzten April; habe genau Register geführt, und Tag und Stunde, Wärme- und Luftmesser, Anfang und Ende des Striches, die Anzahl der Schnepfen, welche geschossen, gesehen, gehört wurden, die Witterung des Tages während des Striches, Wind, Wolkenzug usw., alles genau beobachtet, und wenn man mir jetzt sagt: Sie gehen bei diesem Wetter auf den Schnepfenstrich, es werden keine ziehen, so antworte ich: Davon will ich mich überzeugen. Die alten Jäger sind der Meinung, daß der Schnepfenstrich von der augenblicklichen Witterung abhinge, dem aber ist nicht so: meine genauen und ununterbrochenen Beobachtungen haben mich das Gegentheil gelehrt, aber auch zu der Ueberzeugung geführt, daß die Waldschnepfe durch ein Vorgefühl für die bevorstehende Witterung geleitet wird. Ihr Zug selbst ist höchst verschieden. Vorgestern zogen alle sehr niedrig und langsam, gestern niedrig und rasch, heute sehr hoch und ohne zu balzen, morgen kommen sie so spät, daß man kaum schießen kann, und übermorgen sind sie gleich nach Sonnenuntergang da.« Dem kann man noch hinzufügen, daß auch die Straße, welche sie während des Zuges benutzen, eine vielfach verschiedene ist; denn während man in einem Jahre an einer Oertlichkeit, welche allen Anforderungen zu entsprechen scheint, sehr viele Waldschnepfen antrifft, sieht man in anderen Jahren hier kaum eine, obgleich die Umstände das Gegentheil erwarten lassen. Wenn nach einem strengen Winter rechtzeitig Thauwetter eintritt, und die Luft fortan gelinde bleibt, geht der Frühlingszug am regelmäßigsten von statten. Ebenso hat man festzuhalten, daß die Schnepfen, wie andere Vögel auch, ungern mit dem Winde ziehen, am liebsten also bei mäßigem Gegenwinde reisen. Sehr dunkle oder stürmische Nächte hindern die Wanderung, und ebenso fesselt die Voraussicht von schlechtem Wetter, beispielsweise von einem späten Schneefalle, an einen und denselben Ort. In größeren, zusammenhängenden Waldungen findet man sie eher als in kleinen Gehölzen, höchst wahrscheinlich deshalb, weil ihnen die großen Wälder mehr Schutz geben als die kleineren, welche sie später gern besuchen. In waldarmen Gegenden fallen sie nicht selten selbst in buschreichen Gärten oder auch einzelnen Hecken ein.

Die Schnepfe scheint keine Baumart zu bevorzugen; denn man findet sie in den Nadelwaldungen ebenso häufig wie im Laubwalde. Hauptbedingung für ihr Leben ist feuchter, weicher Waldboden, welcher ihr gestattet, in ihm mit dem Schnabel zu bohren. Die unermeßlichen Wälder des Nordens, welche meist nur aus Fichten bestehen, entsprechen ihren Anforderungen in jeder Hinsicht, wogegen dürftige Kieferwaldungen sandiger Gegenden ihr in keiner Weise zusagen.

Ihr tägliches oder häusliches Leben läßt sich nicht eben leicht beobachten, weil sie höchst furchtsam, mißtrauisch und scheu ist. Uebertags zeigt sie sich niemals im Freien, und wenn sie wirklich einmal gezwungen wurde, hier sich niederzulassen, drückt sie sich platt auf den Boden nieder, und ihr Gefieder geht dann, ebenso wie das eines Rebhuhnes, in der Färbung desselben auf. Wenn es sehr ruhig im Walde ist, kann es geschehen, daß sie auch bei Tage auf dem Boden umherläuft; immer aber wählt sie dann solche Stellen aus, welche sie möglichst verbergen und vor dem ihr wahrscheinlich lästigen, grellen Lichte schützen. Erst mit der Dämmerung wird sie munter und beginnt umher zu laufen. Bei ruhiger Haltung zieht sie den Hals ein, trägt den Leib wagerecht und den Schnabel mit der Spitze gegen den Boden gesenkt. Der Gang ist geduckt, schleichend, trippelnd, wenig schnell und nicht anhaltend, der Flug dagegen in jeder Beziehung vortrefflich. Sie kann sich durch das dichteste Gezweig hindurchwinden, ohne irgendwo anzustoßen, überhaupt die Eile des Fluges gänzlich nach den Umständen einrichten, bald beschleunigen und bald mäßigen, schwenkt sich gewandt in jeder Richtung, steigt oder fällt nach Belieben, erhebt sich aber, bei Tage wenigstens, niemals in höhere Luftschichten und fliegt, so lange sie es vermeiden kann, nicht über[279] freie Stellen. Wenn sie erschreckt wurde, vernimmt man beim Aufstehen ein dumpfes Fuchteln, an welchem sie der Waidmann jederzeit erkennt, auch wenn er sie nicht zu sehen bekam. Wurde sie während des Tages gejagt und in Angst gesetzt, so pflegt sie sich abends beim Weiterziehen fast senkrecht emporzuheben und dann so eilig wie möglich weiter zu ziehen. Ganz anders fliegt sie, wenn sie streicht, d.h. einem Weibchen zu Gefallen Flugkünste übt. Sie bläht dabei ihr Gefieder auf, so daß sie viel größer erscheint, als sie wirklich ist, kommt höchst langsam einhergeflogen, bewegt ihre Flügel nur mit matten Schlägen und ähnelt einer Eule mehr als irgend einem Sumpf- oder Stelzvogel. Treffen zwei Schnepfenmännchen auf einander, so beginnen sie einen sonderbaren Zweikampf in der Luft, indem sie sich weidlich umhertummeln und mit den Schnäbeln nach einander stechen. Zuweilen packen sie sich wirklich und hindern sich gegenseitig im Fluge; ja es kommt vor, daß drei zusammen einen förmlichen Knäuel bilden und beim Herabwirbeln im dichten Gezweige sich verwickeln. Dieses Streichen, der Balze vergleichbar, beginnt schon während des Zuges, währt anfänglich nur kurze Zeit, dauert später und an den Brutplätzen länger, pflegt aber mit Eintritt der Dunkelheit zu enden.

Wenn man eine lebende Waldschnepfe vor sich sieht, wird man geneigt, sie für einen der dümmsten Vögel zu halten, irrt sich hierin aber; denn sie ist nicht bloß scharfsinnig, sondern auch über Erwarten klug, mindestens sehr listig. Sie weiß genau, welch vortrefflichen Schutz ihr das boden- oder rindenfarbene Kleid gewährt, und versteht es meisterhaft, beim Niederdrücken stets eine Stelle auszuwählen, welche sie verbirgt. Eine Schnepfe, welche, ohne sich zu regen, zwischen dürrem Laube, Holzgebröckel, neben einem Stücke zu Boden gefallener Borke oder einer hervorragenden Wurzel liegt, wird selbst von dem schärfsten Auge des geübtesten und erfahrensten Jägers übersehen und günstigsten Falles nur an den großen Augen erkannt. In dieser Lage verweilt sie so lange, als es ihr räthlich erscheint, und namentlich, wenn sie verfolgt worden war, läßt sie den Jäger oft bis auf wenige Schritte herankommen, bevor sie plötzlich aufsteht. Sodann fliegt sie nie anders, als auf der entgegengesetzten Seite des Gesträuches heraus und immer so, daß sie durch Gebüsch und Bäume vor dem Schützen gedeckt wird. Beim Einfallen beschreibt sie oft einen weiten Bogen, streicht aber, wenn sie schon das Dickicht erreicht hat, noch weit in demselben fort, schlägt auch wohl einen Haken und täuscht so nicht selten vollständig, berechnet also ganz richtig, daß der Feind sie dort aufsuchen wird, wo er sie einfallen zu sehen geglaubt hatte. Nach Art ihrer Familie bekümmert sie sich übrigens möglichst wenig um andere Geschöpfe, so lange die Liebe nicht ins Spiel kommt, nicht einmal sehr um ihresgleichen, geht ihren eigenen Weg und macht sich mit anderem Geflügel so wenig wie möglich zu schaffen. Jedem nur einigermaßen bedenklich erscheinenden Thiere mißtraut sie, und fast scheint es, als ob sie auch in dem harmlosesten und unschuldigsten ein gefährliches Wesen sähe. Es spricht für ihre geistige Begabung, daß sie dieses Mißtrauen in innigerem Umgange mit dem Menschen nach und nach ablegt. Sie läßt sich zähmen und wird, wenn sie jung aufgezogen wurde, sehr zutraulich, beweist dem Wärter ihre Zuneigung durch sonderbare Stellungen und Geberden, wie sie solche während der Paarung anzunehmen pflegt, hört auf seinen Ruf, kommt herbei und stößt, gleichsam zur Begrüßung, wohl auch einen ihrer wenigen Stimmlaute aus. Diese Laute entbehren jedes Wohlklanges, klingen heiser und gedämpft wie »Katch« oder »Dack« und »Aehtch«, werden jedoch während der Zeit der Liebe oder im Schrecke einigermaßen verändert, im ersteren Falle in ein kurz abgebrochenes Pfeifen, welches wie »Pßiep« klingt und oft das Vorspiel zu einem dumpfen, scheinbar tief aus der Brust kommenden »Jurrk« ist, in letzterem Falle ein quiekendes »Schähtsch« vertönt. Es ist wahrscheinlich, daß das Pfeifen und das sogenannte Murksen nur vom Männchen, ein sanftes Piepen aber vom Weibchen hervorgebracht wird.

Mit Beginn der Abenddämmerung fliegt die Waldschnepfe auf breite Waldwege, Wiesen und sumpfige Stellen im Walde oder in der Nähe desselben nach Nahrung aus. Ein sorgfältig versteckter Beobachter, von dessen Vorhandensein sie keine Ahnung hat, sieht hier, wie sie den langen Schnabel unter das alte abgefallene Laub schiebt und dasselbe haufenweise umwendet, um die darunter versteckten Larven, Käfer und Würmer bloßzulegen, oder wie sie mit jenem in den feuchten, [280] lockeren Boden bohrt, indem sie ein Loch dicht neben dem anderen einsticht, so weit es der weiche, biegsame Schnabel gestattet. In ähnlicher Weise durchstöbert sie frischen Rinderdünger, welcher sehr bald von Kerbthierlarven bevölkert wird. Gewöhnlich hält sie sich nicht lange an einer und derselben Stelle auf, sondern fliegt von einer zur anderen. Larven der verschiedensten Kerbthiere und diese selbst, kleine Nacktschnecken, insbesondere aber Regenwürmer, bilden ihre Nahrung. In der Gefangenschaft gewöhnt sie sich, wenn man ihr anfänglich reichlich Regenwürmer vorlegt, nach und nach an Milchsemmel und Ameiseneier, lernt auch bald das Bohren in weichem Rasen, selbst wenn sie so jung dem Neste entnommen wurde, daß sie keine Gelegenheit hatte, diese Art des Nahrungserwerbes erfahrungsmäßig kennen zu lernen.

In einsamen, stillen Wäldern wählt sich die Waldschnepfe zu ihrem Nistplatze Stellen, auf denen dichtes Unterholz mit freien Blößen abwechselt. Nachdem sich das Pärchen geeinigt, das Männchen mit seinen Nachbarn wochenlang herumgestritten hat, sucht das Weibchen ein geeignetes Plätzchen hinter einem kleinen Busche, alten Stocke, zwischen Wurzeln, Moos und Gräsern und benutzt hier eine vorgefundene Vertiefung des Bodens zur Neststelle oder scharrt selbst eine solche, kleidet sie mit wenig trockenem Geniste, Moos und anderen Stoffen dürftig und kunstlos aus und legt hier ihre vier ziemlich großen, etwa zweiundvierzig Millimeter langen, zweiunddreißig Millimeter dicken, kurzbauchigen, glattschaligen, glanzlosen, auf bleich rostgelbem Grunde mit rothgrauen Unter- und dunkelröthlichen oder gelbbraunen Oberflecken bald dichter, bald sparsamer bezeichneten, übrigens in Größe und Färbung vielfach veränderlichen Eier. Es brütet mit größtem Eifer siebzehn bis achtzehn Tage lang, läßt einen Menschen, welcher nach dem Neste sucht oder zufällig in die Nähe kommt, bis auf wenige Schritte nahen, bevor es aufsteht, sich, wie Hintz beobachtete, sogar berühren, fliegt gewöhnlich nicht weit weg und kehrt baldmöglichst zum Neste zurück, brütet auch fort, wenn ein Ei geraubt wurde. Das Männchen scheint sich wenig um die Gattin zu bekümmern, stellt sich aber bei derselben ein, nachdem die Jungen entschlüpft und aus dem Neste gelaufen sind. Beide Eltern zeigen sich sehr besorgt um die Familie, fliegen bei Annäherung eines Feindes ängstlich auf und, sich verstellend, schwankend und wankend, dahin, stoßen ein ängstliches »Dack, dack« aus, beschreiben nur enge Kreise im Fluge und werfen sich wieder in der Nähe auf den Boden herab. Währenddem verbergen sich die Jungen zwischen Moos und Gras so vortrefflich, daß man sie ohne Hund selten auffindet. Mehrere Jäger, und unter ihnen sehr sorgfältige Beobachter, haben gesehen, daß alte Waldschnepfen ihre Jungen bei großer Gefahr wegschafften, indem sie dieselben mit den Krallen packten oder mit Hals und Schnabel gegen die Brust drückten, um sie festzuhalten, sich erhoben und die Küchlein so in Sicherheit brachten. In der dritten Woche ihres Lebens beginnen letztere zu flattern, und noch ehe sie ordentlich fliegen lernen, machen sie sich selbständig.

Bis jetzt hat man angenommen, daß die Waldschnepfe nur einmal im Jahre niste, und höchstens dann, wenn ihr die erste Brut genommen wurde, zu einer zweiten schreite; neuerdings sind jedoch, insbesondere von Hoffmann, Beobachtungen gesammelt worden, welche zu beweisen scheinen, daß in günstigen Jahren alle oder doch die meisten Waldschnepfenpaare zweimal brüten.

Wild- und Hauskatzen, Marder, Habicht und Sperber, Edelfalken, Heher und Elstern gefährden die Waldschnepfe und deren Brut. Der Waidmann jagt sie bloß während ihres Zuges, der Südländer auch in der Winterherberge, trotzdem ihr Wildpret dann oft hart und zähe ist. Die oben gegebene Mittheilung über die Schlächterei, welche drei Engländer anrichteten, beweist am besten, wie rücksichtslos den eingewanderten Schnepfen in der Winterherberge nachgestellt wird. Der Anstand auf streichende Waldschnepfen gehört zu den köstlichsten Vergnügungen eines jagdkundigen Mannes, und das Schnepfentreiben hat ebenfalls seine großen Reize. Hier und da stellt man dem verfolgten Wilde auch wohl Kleb- oder Steckgarne, Laufschlingen, Dohnen und andere Fangwerkzeuge.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 277-281.
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