Moorwasserläufer (Totanus fuscus)

[311] Vorstehend beschriebener Art nahe verwandt ist der merklich größere Moorwasserläufer, auch Meerhuhn, Meerhähnel, Zipter und Viertelsgrüel genannt (Totanus fuscus, maculatus, natans, ater und Rayii, Limosa fusca, Scolopax fusca, natans, curonica und cantabrigiensis, [311] Tringa atra, longipes und totanus). Seine Länge beträgt dreißig, die Breite neunundfunfzig, die Fittiglänge siebzehn Centimeter, die Schwanzlänge fünfundsiebzig Millimeter. Das sehr dichte, auf Brust und Bauch fast pelzige Kleingefieder ist im Hochzeitskleide bräunlichschwarz, oberseits durch lichtere Längs-, fahlbräunliche, gezackte Querflecke und lichte Endränder, unterseits durch letztere allein schwach gezeichnet, auf dem Unterrücken weiß auf dem Bürzel weiß und schwarzbraun gebändert; die Handschwingen sind denen des Verwandten ähnlich gefärbt, die Armschwingen, namentlich auf der Außenfahne, regelmäßig weiß und schwarzbraun gebändert, die dunklen Schwanzbinden scharf begrenzt. Das Auge ist hellbraun, der sanft abwärtsgebogene Schnabel an der Wurzel röthlich, übrigens braun, der Fuß dunkelbraun. Das Winterkleid ähnelt dem des Sumpfwasserläufers sehr; die Oberseite ist jedoch dunkler als bei jenem.

Das Brutgebiet des Sumpfwasserläufers umfaßt ganz Europa, vielleicht mit Ausnahme Islands und der Färinseln, Klein-, Nord- und Mittelasien, das Wandergebiet erstreckt sich bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung und Indien, einschließlich seiner nachbarlichen Inseln. Der Moorwasserläufer vertritt ihn oder gesellt sich ihm im Norden der Alten Welt, bewohnt auch Island und die Färinseln und durchwandert ganz Europa, Asien und Afrika. In der Neuen Welt sind beide Arten noch nicht beobachtet worden.

Bei uns zu Lande, mindestens in Norddeutschland, brütet der Sumpfwasserläufer, auf dessen Lebensschilderung ich mich wiederum beschränke, an allen geeigneten Orten, ist hier auch nicht selten, nirgends aber so häufig wie in Skandinavien, Rußland, Südsibirien und Turkestan. Er meidet Gebirge und Wälder, siedelt sich in der freien Ebene aber überall an, wo es größere oder viele stehende Gewässer, Brüche und Sümpfe gibt, und nimmt ebenso gut an der Seeküste oder an Strom- oder Flußufern wie auf nassen Wiesen oder Viehweiden seinen Sommerstand. An der See überwintert er nicht selten; Brutplätze des Binnenlandes dagegen verläßt er sofort nach beendeter Brut, um fortan zunächst in der Umgegend auf und nieder zu streichen. Im August beginnt, im Oktober beendet er seinen Wegzug, im März, zuweilen schon in den ersten Tagen, regelmäßiger in der Mitte des Monats, kehrt er zurück. Auch er reist des Nachts, aber nur im Frühlinge einigermaßen eilfertig, im Herbste dagegen langsam, gemächlich, den Flüssen oder der Küste folgend und auf nahrungsreichen Oertlichkeiten oft tagelang verweilend.

Obwohl ebenfalls behend und gewandt, steht er doch anderen Wasserläufern in beiden Beziehungen ebenso wie hinsichtlich der Anmuth und Gefälligkeit merklich nach. Jedoch schreitet auch er rasch und zierlich einher, schwimmt, selbst ungezwungen, nicht selten, fliegt leicht und schnell und gefällt sich, zumal während der Paarungszeit, allerlei Schwenkungen auszuführen, zu kreisen und schwebend streckenweit durch die Luft zu gleiten. Seine Lockstimme ist ein wohlklingender Doppellaut, welcher durch »Djaü« oder »Djüü« ungefähr ausgedrückt werden mag, sein Warnungsruf dem vorigen ähnlich, aber länger gezogen, der Ausdruck seiner Zärtlichkeit das allen Wasserläufern eigene »Dück, dück«, der Schreckensschrei ein unangenehmes Kreischen, der Paarungsruf, welcher immer nur im Fluge ausgestoßen wird, ein förmlicher, jubelnder Gesang, den Silben »Dlidl, dlidl, dlidl« etwa vergleichbar. Seinesgleichen gegenüber wenig gesellig, kommt er doch bei Gefahr und Noth schreiend herbeigeflogen, als wolle er helfen, rathen, warnen, und ebenso wirft er sich zum Führer anderer Strandvögel auf. Auch er ist scheu, aber weit weniger klug und vorsichtig als der Glutt. Wohl unterscheidet er den Jäger von dem Hirten, den Mann vom Kinde, läßt sich jedoch leicht berücken und setzt am Brutplatze sein Leben gewöhnlich dreist aufs Spiel.

Seine Nahrung, im wesentlichen wohl dieselbe, welche der Glutt genießt, sucht er am Rande der Gewässer oder im Sumpfe auf, wadet daher, soweit seine Beine gestatten, ins Wasser, taucht auch oft mit dem Vordertheile des Leibes unter, um zu tiefer versteckter Beute zu gelangen; ebenso aber betreibt er Kerbthierjagd auf Feldern und trockenen Wiesen.

Sofort nach seiner Ankunft schreitet er, da er meist wohl schon gepaart eintrifft, zur Fortpflanzung. Das Nest, eine mit wenigen Halmen ausgekleidete Vertiefung, steht meist nicht weit [312] vom Wasser entfernt, wo möglich mitten im Sumpfe, zwischen Binsicht, Seggen und Gras, und enthält gewöhnlich schon in der Mitte des April das volle Gelege. Die Eier sind verhältnismäßig groß, durchschnittlich achtundvierzig Millimeter lang, dreißig Millimeter dick, kreiselförmig, glattschalig, feinkörnig, glanzlos und auf bleich bräunlich- bis trüb ockergelbem Grunde mit vielen, mehr oder minder dicht stehenden, sehr verschieden großen Tüpfeln, Flecken und Punkten von graulicher, dunkelgrau- und purpurbrauner Färbung gezeichnet. Das Weibchen brütet allein, zeitigt die Eier binnen vierzehn bis funfzehn Tagen und führt dann die Jungen auf nahrungversprechende Plätze, legt ihnen anfänglich erbeutete Atzung vor, hudert, leitet, unterrichtet sie, gibt sich, angesichts eines Feindes, diesem rücksichtslos preis, greift, in der Hoffnung sie zu retten, zu den üblichen Verstellungskünsten und bekundet seine Besorgnis durch ängstliches Geschrei, wogegen das Männchen zwar auch lebhaft schreit, seine Sicherheit aber weit seltener als jenes aus dem Auge verliert. Etwa vier Wochen nach dem Ausschlüpfen sind die Jungen flügge, bald darauf auch selbständig; und nunmehr lockert sich das innige Verhältnis zwischen ihnen und den Eltern rasch.

Von den in Frage kommenden Raubthieren und Raubvögeln haben auch die Sumpfwasserläufer viel, von den eierraubenden Menschen nicht minder zu leiden; außerdem stellen ihnen Jäger und Fänger nach, obwohl ihr Wildpret nicht gerade vorzüglich ist. Gefangene werden ebenso bald zahm und benehmen sich im wesentlichen ebenso wie die Verwandten.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 311-313.
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