Schnepfenlimose (Macrorhamphus griseus)

[315] Eine ausländische Limose, welche als Uebergangsglied zwischen ihrer und der Schnepfengruppe angesehen und deshalb Schnepfenlimose genannt werden mag (Macrorhamphus griseus, punctatus und scolopaceus, Scolopax grisea und Paykullii, Limosa grisea und scolopacea, Totanus naveboracensis, Limnodromus griseus), verdient aus dem Grunde Erwähnung, weil sie sich wiederholt nach Europa und zwar Großbritannien und Frankreich verflogen hat. Sie vertritt eine gleichnamige Sippe (Macrorhamphus) und unterscheidet sich von den Sumpfschnepfen, mit denen man sie vereinigt hat, hauptsächlich durch ihre hochläufigen Beine, eine Bindehaut zwischen der äußeren und mittleren Zehe, den zwölffederigen Schwanz und das je nach der Jahreszeit abändernde Gefieder. Letzteres ist im Hochzeitskleide auf röthlichbraunem, unterseits lichterem Grunde, durch dunkelbraune Flecke und fahlgraue Ränder [315] gezeichnet, am Vorderhalse und auf dem Bauche fast einfarbig, auf dem Bürzel vorherrschend grau, dunkler quergewellt; ein breiter rostgelber Brauen- und ein schmaler dunkler Zügelstreifen zieren den Kopf, breite schwarze Querbänder die, mit Ausnahme der beiden mittleren rostrothen, weiß gefärbten Schwanzfedern und Unterflügeldecken, wogegen die Handschwingen einfarbig schwarzgrau, und die Armschwingen nur an der Spitze schmal weißlich gesäumt sind. Das Auge ist dunkel-, der Schnabel schwarz-, der Fuß grünlichbraun. Im Winterkleide ist die Grundfarbe ein lichtes Aschgrau, und die Fleckung matter und undeutlicher. Die Länge beträgt etwa neunundzwanzig, die Breite funfzig, die Fittiglänge vierzehn, die Schwanzlänge sechs Centimeter.

Die Schnepfenlimose bewohnt die Tundra Nordamerikas, durchwandert aber alljährlich, und zwar vom August bis zum Oktober und im April und Mai, die Vereinigten Staaten, um im Süden derselben wie in Mittel- und Südamerika zu überwintern. Durch das Gepräge ihrer Färbung wie durch ihr Auftreten und Wesen gibt sie sich als Limose zu erkennen, muß daher dieser Gruppe eingereiht werden. Sie trägt ein verschiedenes Hochzeits- und Winterkleid, verbirgt sich unverwundet nicht im Riede, sondern läuft und wadet am Ufer der Gewässer umher, bildet zahlreiche Gesellschaften, vereinigt sich auch gern mit anderen Strandvögeln; der ganze Schwarm hält sich stets dicht geschlossen und trennt sich unter keiner Bedingung, fällt daher dem Jäger manchmal vollständig zum Opfer: dies alles sind den Limosen, nicht aber den Schnepfen zukommende Eigenheiten. Sie ist, obschon ängstlich, doch ungemein zutraulich, wird auch anfänglich durch ihr geltende Schüsse nicht gewitzigt und kehrt, wenn sie aufgescheucht wurde, oft zu demselben Platze zurück, auf welchem andere ihrer Art soeben den Tod fanden. Ungestört sind alle Glieder einer Gesellschaft fortwährend in reger Thätigkeit, laufen, rennen, waden, bohren mit dem Schnabel, um ihre Nahrung, Würmer, Schnecken, kleine Muscheln, Kerbthierlarven und Pflanzenreste, auch Sämereien, zu erbeuten, stecken ihn dabei bis zur Wurzel in den Schlamm und kümmern sich nicht, wenn bei dieser Gelegenheit das Wasser über ihren Kopf wegläuft. Erforderlichen Falles schwimmen und tauchen sie recht gut. Ihr Flug ist ebenso rasch und gewandt als anhaltend, ihre Stimme ein schwacher Laut, ihre Unterhaltung ein Geflüster zu nennen.

Die Nester, einfache, kaum ausgekleidete Vertiefungen auf grasigen Stellen enthalten im Juni vier Eier, welche durchschnittlich zweiundvierzig Millimeter lang, siebenundzwanzig Millimeter dick und von denen der Heerschnepfe kaum zu unterscheiden sind.

Die unkluge Vertrauensseligkeit der Limosenschnepfe erleichtert ihre Jagd ebenso, wie das treffliche Wildpret sie lohnt. Letzteres steht dem einer Sumpfschnepfe zwar nicht gleich, übertrifft aber das der Strandläufer und Limosen bei weitem.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 315-316.
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