Bergstrandläufer (Tringa Schinzii)

[293] Ein dem Alpenstrandläufer sehr ähnlicher, stets aber merklich kleinerer Vogel, welchen wir Bergstrandläufer nennen wollen (Tringa oder Pelidna Schinzii), wird von einigen Forschern als besondere Art, von anderen nur als ständige Abart oder Rasse des erstgenannten angesehen.

Der Sichlerstrandläufer wird im ganzen Norden der Erde gefunden, wandert aber, den Küsten wie Flüssen und anderen Binnengewässern folgend, weit nach Süden hinab und kommt allwinterlich regelmäßig und sehr häufig in ganz Nordafrika, längs der Küsten des Rothen, Indischen, Atlantischen und Stillen Meeres vor, soll sogar am Vorgebirge der Guten Hoffnung erlegt worden [293] sein. Ich fand ihn in seinem schönsten Kleide noch tief im Inneren Afrikas am Weißen wie am Blauen Nile; andere Beobachter trafen ihn in Westafrika an. Er erscheint, vom Süden her kommend, um die Mitte des April und kehrt einzeln bereits gegen Ende des Juli, regelmäßig aber erst vom August an wieder zurück; der Durchzug währt jedoch bis zum Anfange des Oktober.

Der Alpenstrandläufer ist zwar ebenfalls im Norden heimisch, brütet aber schon in Deutschland und durchstreift allwinterlich, mit Ausnahme von Australien und Polynesien, die ganze Erde.

Auftreten, Wesen und Betragen beider Strandläufer ähneln sich sehr. Auch sie sind vorzugsweise Seevögel, halten sich aber doch auch gern auf flachen, schlammigen Ufern stehender Gewässer auf und steigen, ihnen folgend, hoch im Gebirge empor. Mit Ausnahme der Mittagsstunden, welche sie theilweise schlafend verbringen, sieht man sie den ganzen Tag in Bewegung. Trippelnd oder rennend laufen sie längs des Ufers dahin, jeden Augenblick fast ein kleines Thier aufnehmend, dabei anhaltend und dann weiter eilend. Gestört erheben sie sich mit schnellem, gewandtem Fluge in die Höhe, schießen eine Strecke weit eilig dahin, und kehren, einen großen Bogen beschreibend, in die Nähe des Ortes zurück, von welchem sie aufflogen. Wenn sie sich in Gesellschaft anderer Strandläufer befinden, thun sie diesen alles nach, laufen und fliegen mit ihnen, führen selbst die verschiedenen Schwenkungen, welche das leitende Mitglied des Trupps einhält, im Fluge aus. Eine Uferschnepfe oder ein großer Wasserläufer wird gewöhnlich der Ehre gewürdigt, gemischten Zügen dieser Strandläufer vorzustehen und scheint sich seinerseits auch ganz gut unter dem kleinen Volke zu gefallen. Aus meinen Beobachtungen glaube ich schließen zu dürfen, daß ein derartiges Verhältnis wochenlang besteht, vielleicht erst auf dem Rückzuge gelockert wird. Diese Verbindung erschwert zuweilen die Beobachtung der sonst höchst zutraulichen Vögel. Man bemerkt sehr bald, daß eine der vorsichtigen Uferschnepfen ihre Aengstlichkeit auf das kleine Gesindel überträgt und dieses zuletzt so scheu macht, daß man Mühe hat, sich ihm zu nähern. Besteht ein solcher Verein nur aus Strandläufern selbst, so übernimmt nicht selten der Zwergbrachvogel die Führung, und dann ist er ebenfalls viel scheuer als sonst. Am leichtesten kann man beide beobachten, wenn man sich stellt, als ob man gar nicht auf sie achte, sondern seines Weges weiter gehen wolle; dann ist man im Stande, bis auf wenige Schritte an den Trupp heranzukommen und dessen Treiben mit Muße zu belauschen. Alle Mitglieder des Häufchens scheinen nur von einem Geiste beseelt zu sein; sie halten sich stets geschlossen zusammen, rennen immer in derselben Richtung, scheinbar auch gleichzeitig, fressen dabei beständig, erheben sich auf das warnende, etwas schwirrende Pfeifen des wachhaltenden Männchens, stürmen im dichtgeschlossenen Fluge nahe über dem Wasser fort, kehren, nachdem sie wenig hundert Schritte durchmessen haben, wieder zurück und treiben es hier wie vorher. Von beiden Strandläufern bleiben viele sehr lange, einzelne während des ganzen Sommers in der Winterherberge zurück, ohne daß man einen zwingenden Grund dafür anzugeben wüßte.

Am Brutplatze vereinzeln sich die zurückkehrenden Schwärme in Paare, welche jedoch immerhin noch in einer gewissen Verbindung mit einander bleiben, und schreiten unmittelbar nach ihrer Ankunft zur Fortpflanzung. Die Männchen lassen jetzt ihre pfeifende oder schwirrende, auf weithin hörbare Stimme öfter als je vernehmen, erheben sich auch wohl in die Luft und tragen, über dem Neste fast nach Pieperart auf-und niederfliegend, eine Art von Gesang vor, thun dies auch selbst im Sitzen. Die Brutgebiete des Zwergbrachvogels liegen im höchsten Norden, die des Alpenstrandläufers erstrecken sich von hier bis Deutschland; das Brutgeschäft des ersteren ist noch nicht, das des letzteren recht gut bekannt. Jenen sahen wir selbst in der Tundra der Samojedenhalbinsel, offenbar am Brutplatze, fanden jedoch das Nest nicht; diesen dagegen beobachteten Naumann und andere vielfach in Schleswig-Holstein, Oldenburg, Hannover, Westfalen, Dänemark usw. Das Nest steht meist auf sandigen oder feuchten, spärlich mit Gras, Binsen, Heidekraut bewachsenen Stellen, in der Regel nicht weit vom Meere, und ist eine kleine, mit wenigen Hälmchen ausgelegte Vertiefung; die vier Eier, welche man vom Ende des April bis zur Mitte des Juni findet, sind durchschnittlich fünfunddreißig Millimeter lang, vierundzwanzig Millimeter dick, kreiselförmig, [294] dünnschalig, glänzend und auf schmutzig ölfarbenem Grunde mit vielen großen und kleinen Flecken und Punkten von dunkel ölbrauner Färbung getüpfelt. Nur das Weibchen brütet und zeitigt die Eier binnen sechzehn bis siebzehn Tagen, wird aber währenddem vom Männchen bewacht, wie dieses auch an der Führung der Jungen Antheil nimmt. Letztere verlassen das Nest, sobald sie abgetrocknet sind, wachsen unter treuer Führung ihrer Eltern rasch heran, erhalten schon in der ersten Woche ihres Lebens Federn, lernen in der dritten Woche bereits fliegen und gesellen sich bald darauf zu ihresgleichen, um nunmehr, ohne die Alten, ihre Wanderung anzutreten.

Außer ihren natürlichen Feinden, insbesondere den kleinen Falken, stellt der Mensch beiden Strandläufern, ihres höchst schmackhaften Wildpretes halber, eifrig nach und erlegt oder fängt sie auf den sogenannten Schnepfenherden zu hunderten und tausenden. Gefangene und entsprechend gepflegte Sichler- und Alpenstrandläufer sind allerliebst, gewöhnen sich leicht an ein geeignetes Ersatzfutter und werden bald zahm und zutraulich, halten aber selten längere Zeit aus, weil sie übermäßig fressen und an Verfettung sterben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 293-295.
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