Pharaonenuhu (Bubo ascalaphus)

[85] Nordafrika und Kleinasien bewohnt ein Verwandter unseres deutschen Auf, der Pharaonenuhu, wie ich ihn nennen will (Bubo ascalaphus, Strix ascalaphus, Ascalaphia Savignyi), welcher aus dem Grunde besondere Erwähnung verdient, als er auch in Griechenland, vielleicht sogar ständig, vorkommt. Er ist merklich kleiner als der Uhu; denn seine Länge beträgt nur einundfunfzig bis fünfundfunfzig, die Fittiglänge fünfunddreißig bis achtunddreißig, die Schwanzlänge achtzehn Centimeter. Das Gefieder ist oberseits auf gelblichbraunem Grunde schwärzlichbraun und weißlich gestreift und gefleckt, auf Kinn und Brust weiß, auf der übrigen Unterseite bräunlichgelb, in der Kropfgegend breit dunkelbraun längs-und schmäler quergezeichnet, auf Brust und Bauch fein röthlich gesperbert; die Schwingen und Steuerfedern sind breit braun quer gebändert, die Fußwurzeln einfarbig gelblichbraun. Die Iris ist tief goldgelb, der Schnabel schwarz.

Der Uhu, auf welchen ich die nachfolgende Darstellung beschränke, bevorzugt gebirgige Gegenden, weil sie ihm die besten Schlupfwinkel gewähren, findet sich jedoch ebenso in den Ebenen, vorzugsweise da, wo es große Waldungen gibt. Wälder mit steilen Felswänden sagen ihm besonders zu, und manche günstige Oertlichkeit wird seit Menschengedenken von ihm bewohnt. Es kann vorkommen, daß er ausgerottet wurde und man in dem betreffenden Gebiete jahrelang keinen Uhu bemerkte; dann plötzlich hat sich wieder, gewöhnlich genau auf derselben Stelle, ein Paar angesiedelt und dieses verweilt nun so lange hier, als der Mensch es ihm gestattet. Nicht allzu selten geschieht es, daß sich ein Paar in unmittelbarer Nähe der Ortschaften ansiedelt. So fanden wir eines dicht vor den Ringmauern der spanischen Stadt Jativa horstend; so erhielt Lenz junge Uhus, welche auf dem Dachboden einer tief im Walde gelegenen Fabrik ausgebrütet worden waren. Demungeachtet zeigt sich der Uhu immer vorsichtig. Bei Tage sieht man ihn selten; denn seine Färbung stimmt vortrefflich mit der Farbe einer Felsenwand und ebenso mit der Rinde eines Baumes überein; doch geschieht es, daß irgend ein kleiner Singvogel ihn entdeckt, dies schreiend der ganzen Waldbevölkerung mittheilt, andere Schreier herbeizieht und ihn so verräth. Nachts gewahrt man ihn öfter, und im Frühjahre während der Zeit seiner Liebe macht er sich durch auffallendes und weittönendes Schreien sehr bemerklich.

Sein Jagdleben beginnt erst, wenn die Nacht vollkommen hereingebrochen ist. Bei Tage sitzt er regungslos in einer Felsenhöhle oder in einem Baumwipfel, gewöhnlich mit glatt angelegtem Gefieder und etwas zurückgelegten Federohren, die Augen mehr oder minder, selten aber vollständig geschlossen, einem Halbschlummer hingegeben. Das geringste Geräusch ist hinreichend, ihn zu ermuntern. Er richtet dann seine Federbüsche auf, dreht den Kopf nach dieser oder jener Seite, bückt sich wohl auch auf und nieder und blinzelt nach der verdächtigen Gegend hin. Fürchtet er Gefahr, so fliegt er augenblicklich ab und versucht einen ungestörteren Versteckplatz zu gewinnen. Ging der Tag ohne jegliche Störung vorüber, so ermuntert er sich gegen Sonnenuntergang, streicht mit leisem Fluge ab, gewöhnlich zunächst einer Felskuppe oder einem hohen Baume zu, und läßt hier im Frühjahre regelmäßig sein dumpfes, aber auf weithin hörbares »Buhu« ertönen. In mondhellen Nächten schreit er öfter als in dunkleren, vor der Paarungszeit fast ununterbrochen durch die ganze Nacht. Sein Geschrei hallt im Walde schauerlich wieder, so daß, wie Lenz sich ausdrückt: »abergläubischen Leuten die Haare zu Berge stehen«. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß er die Sage vom wilden Jäger ins Leben gerufen hat, daß er es war und ist, dessen Stimme der ängstlichen Menschheit als das Rüdengebell des bösen Feindes oder wenigstens eines ihm verfallenen Ritters erscheinen konnte. Dieses Geschrei läßt den Schluß zu, daß er während der ganzen Nacht in Thätigkeit und Bewegung ist. Man hört es bald hier, bald dort im Walde bis [85] gegen den Morgen hin. Es ist der Lockruf und Liebesgesang, wogegen ein wüthendes Gekicher, ein lauttönendes Kreischen, welches mit lebhaftem Fauchen und Zusammenklappen des Schnabels begleitet wird, Ingrimm oder Aerger ausdrückt. Zur Paarungszeit kann es vorkommen, daß zwei Uhumännchen sich heftig um die Liebe eines Weibchens streiten, und man dann alle die beschriebenen Laute nach und zwischen einander vernimmt.

Die Jagd des Uhu gilt den verschiedensten Wirbelthieren, groß und klein. Er ist nachts ebenso gewandt als kräftig und muthig und scheut sich deshalb keineswegs, auch an größeren Geschöpfen seine Stärke zu erproben. Ebenso leise schwebend wie seine Artverwandten, streicht er gewöhnlich niedrig über dem Boden dahin, erhebt sich aber auch mit Leichtigkeit in bedeutende Höhen und bewegt sich so schnell, daß er einen aus dem Schlafe aufgescheuchten Vogel regelmäßig zu fangen weiß. Daß er Hasen, Kaninchen, Auer-, Birk-, Hasel- und Rebhühner, Enten und Gänse angreift, deshalb also schädlich wird, daß er weder schwache Tagraubvögel, Raben und Krähen, noch schwächere Arten seiner Familie verschont und ebensowenig vom Stachelkleide des Igels sich abschrecken läßt, ist sicher, daß er die schlafenden Vögel durch Klatschen mit den Flügeln oder Knacken mit dem Schnabel erst zur Flucht aufschreckt und dann leicht im Fluge fängt, höchst wahrscheinlich. Doch fragt es sich sehr, ob er wirklich mehr schädlich als nützlich ist. Mäuse und Ratten dürften dasjenige Wild sein, welches auch er am eifrigsten verfolgt.

In den ersten Monaten des Jahres, gewöhnlich im März, schreitet unser Uhu zur Fortpflanzung. Er ist ein ebenso treuer als zärtlicher Gatte. Der Horst steht entweder in Felsennischen, in Erdhöhlungen, in alten Gebäuden, auf Bäumen oder selbst auf dem flachen Boden und bezüglich im Röhricht; ein Uhupaar, dessen Horst der Kronprinz Rudolf von Oesterreich im Frühjahre 1878 besuchte, hatte sich sogar die oben noch bedeckte Höhlung eines dicken, ausgefaulten Eichenastes zum Nistplatze ausersehen. Wenn irgend möglich, bezieht er einen schon vorgefundenen Bau, und nimmt sich dann kaum die Mühe, denselben etwas aufzubessern; wenn er nicht so glücklich war, trägt er sich einige Aeste und Reiser zusammen, polstert sie einigermaßen, liederlich genug, mit trockenem Laube und Geniste aus oder plagt sich nicht einmal mit derartigen Arbeiten, sondern legt seine zwei bis drei rundlichen, weißen, rauhschaligen Eier ohne weiteres auf den Boden ab. Das Weibchen brütet sehr eifrig und wird, so lange es auf den Eiern sitzt, vom Männchen ernährt. Den Jungen schleppen beide Eltern so viel Nahrung zu, daß sie nicht nur nie Mangel leiden, sondern im Gegentheile stets mehr als überreich versorgt sind. Wodzicki besuchte einen Uhuhorst, welcher im Röhricht, inmitten eines Sumpfes angelegt und einer Bauernfamilie die ergiebigste Fleischquelle gewesen war. Um den Horst herum lagen die Ueberbleibsel von Hasen, Enten, Rohr- und Bläßhühnern, Ratten, Mäusen und dergleichen in Masse, und der Bauer versicherte, daß er schon wochenlang tagtäglich hierher gekommen, alles genießbare zusammengesucht und sich sehr gut dabei gestanden habe. Bei Gefahr vertheidigen die Uhueltern ihre Jungen auf das muthvollste und greifen alle Raubthiere und auch die Menschen, welche sich ihnen nahen, heftig an. Außerdem hat man beobachtet, daß die alten Uhus ihre Jungen anderen Horsten zutrugen, nachdem sie gemerkt hatten, daß der erste nicht hinlängliche Sicherheit bot. Eine sehr hübsche Geschichte wird von Wiese mitgetheilt. »Ein Oberförster in Pommern hält schon seit längerer Zeit einen gezähmten Uhu auf dem Hofe in einem dunklen Verschlage. In einem Frühjahre läßt sich nun zur Paarungszeit auf dem Hofe der Oberförsterei, welche inmitten des Kieferwaldes ganz allein liegt, ein wilder Uhu hören. Der Oberförster setzt in den ersten Tagen des April den Uhu, an beiden Fängen gefesselt, aus. Der wilde Uhu, ein Männchen, gesellt sich sehr bald zum zahmen, und was geschieht: er füttert den gefesselten regelmäßig in jeder Nacht, was einmal aus den Ueberbleibseln, aus dem Gewölle ersichtlich und dann dadurch bewiesen ist, daß der Uhu in beinahe vier Wochen vom Eigenthümer nicht gefüttert wurde. Nähert man sich bei Tage dem zahmen Uhu, so läßt der wilde in dem gegenüber liegenden Kieferbestande sofort sein ›Uhu‹ oder ›Buhu‹ erschallen und verstummt erst dann, wenn man sich längere Zeit entfernt hat.«

[86] Innerhalb vier Wochen lieferte der wilde Uhu drei Hasen, eine Wasserratte, unzählige andere Ratten und Mäuse, eine Elfter, zwei Drosseln, einen Wiedehopf, zwei Rebhühner, einen Kiebitz, zwei Wasserhühner und eine Wildente. Wiederholt ist beobachtet worden, daß alte Uhus, deren Junge man wegnahm und in einen Bauer sperrte, diese vollends auffütterten. Graf Wodzicki erfuhr, daß ein junger Uhu, welcher von einem Förster angefesselt worden war, zwei Monate lang von den Eltern ernährt wurde. Als einige Wochen nach dem Anfesseln das frei gebliebene Junge flügge geworden war, half auch dieses den Eltern in der Ernährung seines der Freiheit beraubten Bruders. Einer der Jäger des Grafen Schimmelmann hat viele Jahre lang ein Uhupaar gefangen gehalten und zu Anfange der funfziger Jahre wiederholt Junge gezüchtet. Die Vögel wurden schon im Spätherbste aus ihrem gewöhnlichen Bauer herausgenommen und in einen geräumigen Verschlag der Scheune gebracht, dessen eine Ecke zum Brutplatze vorgerichtet worden war. In der Regel wurden die Eier bereits um die Weihnachtszeit gelegt. Mein Gewährsmann, für dessen Glaubwürdigkeit ich selbst jede Bürgschaft übernehmen würde, beobachtete sowohl die brütenden Alten wie später die erbrüteten Jungen, welche von ihren Eltern mit größter Liebe bewacht und gegen jeden Eindringling in gewohnter Weise vertheidigt wurden. Dasselbe ist in der Schweiz und in Belgien geschehen. Im Thiergarten zu Karlsruhe legte ein Uhuweibchen sechs Jahre nach einander je vier Eier, begann, sowie das erste gelegt war, mit dem Brüten und blieb fortan, eifrig brütend, auf ihnen sitzen. Neumeier, dem wir diese Mittheilung verdanken, gönnte sich im ersten Jahre den Spaß, ihm statt seiner eigenen vier Eier der Hausente unterzuschieben. Mit gewohntem Eifer brütete es volle achtundzwanzig Tage und hatte das Glück, vier Entchen ausschlüpfen zu sehen; sowie aber diese sich zu rühren begannen, nahm es eines nach dem anderen, um dasselbe zu erwürgen und zu verzehren. Alle Bestrebungen ihm ein Männchen anzupaaren, scheiterten an seiner Unverträglichkeit.

Keine einzige unserer deutschen Eulen wird so allgemein gehaßt wie der Uhu. Fast sämmtliche Tagvögel und sogar einige Eulen necken und foppen ihn, sobald sie seiner ansichtig werden. Die Raubvögel lassen sich, wie schon berichtet, zur größten Unvorsichtigkeit hinreißen, wenn sie einen Uhu erblicken, und die Raben schließen sich ihnen treulich an. Doch dürften, vom Menschen abgesehen, alle diese Gegner kaum gefährlich werden.

In der Gefangenschaft hält der Uhu bei geeigneter Pflege viele Jahre aus. Gewöhnlich zeigt er sich auch gegen den, welcher ihm tagtäglich sein Futter reicht, ebenso ärgerlich und wüthend als gegen jeden anderen, welcher seinem Käfige sich nähert; doch ist es immerhin möglich, sehr jung aus dem Neste genommene Uhus, mit denen man sich viel beschäftigt, zu zähmen. Einen habe ich durch liebevolle Behandlung so weit gebracht, daß ich ihn auf der Hand herumtragen, streicheln, am Schnabel fassen und sonst mit ihm verkehren durfte, ohne mich irgend welcher Mißhandlung auszusetzen. Bei Meves in Stockholm sah ich einen anderen, welcher sich nicht bloß angreifen und streicheln ließ, sondern auch auf seinen Namen hörte, antwortete und herbeikam, wenn er gerufen wurde, ja sogar freigelassen werden konnte, weil er zwar kleine Ausflüge unternahm, aber doch nie entfloh, sondern regelmäßig aus freien Stücken zu seinem Gebieter zurückkehrte. Mit seinesgleichen lebt der gefangene Uhu, wenn er erwachsen ist, in Frieden; schwächere Vögel fällt er mörderisch an, erwürgt sie und frißt sie dann mit größter Gemüthsruhe auf.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 85-87.
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