Dritte Familie: Eulen (Strigidae)

[58] Die Eulen (Strigidae), mit denen wir die Ordnung der Raubvögel beschließen, bilden eine nach außen hin scharf begrenzte Familie. Sie kennzeichnen sich durch ihren zwar dick erscheinenden in Wahrheit aber sehr schlanken und schmalen, wenig fleischigen Leib, den ungemein großen, nach hinten zumal breiten, dicht befiederten Kopf mit sehr großen Augen, welche nach vorn gerichtet sind und von einem runden, strahligen Federkranze umgeben werden, breite und lange, muldenförmige Flügel und den meist kurzen Schwanz. Der Schnabel ist von der Wurzel an stark abwärts gebogen, kurzhakig und zahnlos, die Wachshaut kurz und immer in den langen, steifen Borstenfedern des Schnabelgrundes versteckt. Die gewöhnlich bis zu den Krallen herab befiederten Beine sind mittel- oder ziemlich hoch, die Zehen verhältnismäßig kurz und unter sich bezüglich der Länge wenig verschieden; doch pflegt die hinterste etwas höher eingelenkt zu sein als die übrigen, und die äußere ist eine Wendezehe, welche nach vorn und hinten gerichtet werden kann. Die Klauen sind groß, lang, stark gebogen und außerordentlich spitzig, im Querschnitte fast vollständig rund. Die einzelnen Federn sind groß, lang und breit, an der Spitze zugerundet, höchst fein zerfasert, deshalb weich und biegsam, unter der Berührung knisternd, die des Gesichts kleiner und steifer, zu einem, meist aus fünf Reihen gebildeten Schleier umgewandelt, welcher dem Eulenkopfe das katzenartige Aussehen verschafft. Die Schwingen sind ziemlich breit, am Ende abgerundet und nach dem Körper zu gebogen; die äußere Fahne der ersten, zweiten und dritten Schwinge ist, mindestens bei den echten Tageulen, sonderbar gefranst oder sägeartig gezähnelt, die innere Fahne der Schwungfeder dagegen infolge ihrer weichen Nebenfasern seidenartig oder wollig. Die erste Schwinge ist kurz, die zweite etwas länger, die dritte oder die vierte die längste von allen. Die Schwanzfedern, welche sich nach Art der Flügelfedern abwärts biegen, sind regelmäßig gleich lang, am Ende gerade abgestutzt, ausnahmsweise aber auch stufig, nach der Mitte zu verlängert. Die gewöhnlich düstere, ausnahmsweise aber noch verhältnismäßig lebhafte, sich blendende Färbung schließt sich in den meisten Fällen aufs genaueste der Boden-oder Rindenfärbung an; ungeachtet kann die Zeichnung äußerst zierlich und mannigfaltig sein.

Das Knochengerüst zeichnet die Eulen vor allen Falken aus. Das Thränenbein bildet keine vorspringende Decke über dem Auge, das Brauenbein, welches bei den Tagraubvögeln jene Vorsprünge verlängert, fehlt: ein vortretender Knochen, welchen man am oberen Rande der Augenhöhle bemerkt, gehört dem Stirnbeine an. Die Verbindungsbeine zeigen außer den gewöhnlichen Gelenkungen an beiden Endpunkten noch eine dritte an der inneren Seite mit dem Kehlbeine oder dem Schädelgrunde, welche von der vorderen völlig getrennt ist. Das Brustbein hat bei den meisten Arten jederseits zwei häutige, bis zum Bauchrande herabreichende Stellen; die Gabel ist weniger gespreizt, schwächer und dünner als bei den Falken. Die Wirbelsäule besteht aus elf Hals-, acht Rücken- und acht Schwanzwirbeln. Die Rückenwirbel sind nie verwachsen, die Knochen minder luftführend, die Lusträume in der Hirnschale dagegen viel bedeutender als bei anderen Raubvögeln. Der Rachen ist sehr groß, der Schlund nicht kropfartig ausgebuchtet, der Magen häutig und sehr ausdehnbar, die Milz rundlich, die Leber in zwei gleich große und gleichgeformte Lappen getheilt. Die Blinddärme sind sehr lang und weit.

Beachtung verdienen die Sinneswerkzeuge der Eulen. Die Augen sind ausnehmend groß und so stark gewölbt, daß sie einer Halbkugel gleichen, die Seiten der harten Augenhaut, soweit der Knochenring sie einnimmt, sonderbar verlängert; das Auge selbst ist innerlich ungemein beweglich; denn der Stern erweitert oder verengert sich bei jedem Athemzuge. Die äußere Ohröffnung ist bei [58] der Mehrzahl eine Falte, welche von oben nach unten sich um das Auge herumzieht und aufgeklappt werden kann. Hierdurch entsteht eine sehr weite, durch die strahligen Federn ringsum noch vergrößerte Muschel, welche sich, wie mein Vater hervorhebt, »bei mehreren Arten, zum Beispiel bei sämmtlichen Ohreulen, beim Nacht- und Rauchfußkauze und anderen so weit öffnet, daß man bei aufgehobener Falte einen großen Theil des Auges liegen sieht.«

Die Eulen, von denen man etwa einhundertundneunzig Arten kennt, sind Weltbürger und bewohnen alle Erdtheile, alle Gürtel, alle Gegenden und Oertlichkeiten, von den eisigen Ländern um den Nordpol an bis zu dem Gleicher hin und von der Seeküste bis zu fünftausend Meter über dem Meer aufwärts. Der Süden beherbergt auch sie in größerer Artenzahl als der Norden; dieser aber ist keineswegs arm an ihnen. Waldungen sind ihre eigentlichen Heimstätten; sie fehlen aber auch den Steppen, Wüsten oder dem pflanzenlosen Gebirge, volksbelebten Ortschaften und Städten nicht. Man nennt sie Nachtraubvögel; der Ausdruck erfordert aber mindestens eine Erklärung. Allerdings beginnt die große Mehrzahl erst mit eintretender Dämmerung ihre Streifzüge; nicht wenige jedoch sind auch bei Tage thätig und gehen selbst in der Mittagszeit ihrer Nahrung nach. Ihr für kürzere Entfernungen überaus scharfes Auge, ihr außerordentlich feines Gehör, ihr weiches Gefieder befähigen sie noch während des Dunkels zu erfolgreicher Thätigkeit. Lautlos fliegen sie in nicht eben bedeutender Höhe über dem Boden dahin, ohne durch das Geräusch der eigenen Bewegung beeinträchtigt zu werden, vernehmen das leiseste Rascheln auf dem Boden, und sehen ungeachtet des Dunkels das kleinste Säugethier. »Ich habe«, sagt mein Vater, »bei zahmen Eulen, welche die Augen ganz geschlossen hatten und also völlig schliefen, Versuche über die Festigkeit ihres Schlafes angestellt und war erstaunt, als ich erfuhr, wie leicht sie selbst durch ein entferntes, geringes Geräusch ganz munter und zum Fortfliegen bereit wurden. Ich habe auch die Eulen in ziemlich finsteren Nächten gegen den Himmel fliegen sehen, in ganz finsteren bald da, bald dort schreien hören, und bin Zeuge gewesen, daß ein Rauchfußkauz, an welchen sich ein scharfsichtiger Freund von mir äußerst still und vorsichtig anschlich, um ihn von einer Tanne herabzuschießen, sogleich wegflog, als der Jäger über eine von Bäumen entblößte Stelle ging.« Das Auge der Eulen scheint empfindlicher gegen das Tageslicht zu sein, als dies thatsächlich der Fall ist. Einzelne Arten von ihnen verschließen ihre Augen bis zur Hälfte und noch weiter, wenn sie dem vollen Lichte ausgesetzt werden; dies aber geschieht mehr, um ihre Ueberraschung auszudrücken, vielleicht auch um listig Schlaf zu heucheln, als weil sie die Lichtstrahlen nicht zu ertragen vermögen, und gänzlich unbegründet ist die Behauptung, daß sie am Tage nicht sehen könnten. »Sie sind«, fährt mein Vater fort, »nicht nur im Stande, bei hellem Tageslicht im Freien, sondern auch durch die dichtesten Bäume zu fliegen, ohne anzustoßen. Ich habe dies bei fast allen deutschen Arten bemerkt. Am hellen Mittage kamen die alten Ohreulen herbeigeflogen, wenn ich ihre Jungen ausnahm; am hellen Mittag raubte ein Schleierkauz vom Schloßthurme zu Altenburg aus einen Sperling, welcher mit den Hühnern auf dem Schloßhofe fraß, und trug ihn in seinen Schlupfwinkel«; am hellen Tage, will ich hinzufügen, erkennt der Uhu jeden Tagraubvogel, welcher in ungemessener Höhe dahinfliegt.

Daß die Eulen, wenn sie bei Tage angesichts eines Menschen blinzeln, den Störenfried zu täuschen bezwecken, dürfte durch nachstehende Beobachtungen einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erhalten. »Sitzt der Baumkauz«, so schreibt mir Walter, »ziemlich sicher in einem hohlen Baume und schaut nur mit dem Kopfe aus der Oeffnung ins helle Tageslicht, so drückt er nicht die Augen zur Hälfte zu, sondern glotzt den Störenfried mit weit geöffneten Augen an; wird er aber durch einen wohlgezielten Wurf herausgetrieben, so flüchtet er, falls er kann, unter ein Laubdach, läßt nun den Menschen nahe herankommen und blickt ihn mit halb geschlossenen Augen an. Im hohlen Baume glaubt er sich sicher und hält es nicht für nöthig, zu täuschen; unter dem Laubdache fühlt er sich unsicherer, will den Platz aber, aus Furcht vor dem Gezeter des Kleingeflügels nicht gleich aufgeben, und sucht sich durch List zu helfen. Eulen, welche die Augen nicht zudrücken, gebrauchen sehr regelmäßig eine andere Art von Verstellung, indem sie eine Haltung annehmen, [59] welche sie selbst dem geübten Blicke oft entzieht. Mit einer förmlich ruckweisen Bewegung pressen sie alle Federn dicht an den Leib, so daß dieser nicht halb so dick erscheint als gewöhnlich, ziehen das Gesicht in die Länge, verschmälern es und richten es seitwärts, gleichzeitig aber auch die Ohren und den ganzen Leib auf, soweit sie können, legen vielleicht noch den einen Flügel hart an den Leib, während sie den anderen im Schultergelenk eckig herausschieben, und gleichen in dieser Stellung, in welcher Flügelspitzen, Füße und Schwanz sich decken einem alten, mit Moos und Flechten übersponnenen Astknorren auf das genaueste. In dieser Weise stehend, halten sie lange Zeit aus; haben sie sich aber entschlossen zu fliehen, also sich als Eule zeigen müssen, so nehmen sie so leicht diese Stellung nicht wieder an, sondern setzen früher als andere Eulen ihre Flucht fort.«

Die absonderlich gestalteten Flügel und das weiche Gefieder der Eulen lassen im voraus auf eine eigenthümliche Flugbewegung schließen. Der leise Flug ist verhältnismäßig langsam, ein Mittelding zwischen Schweben, Gleiten und Flattern, bei einigen Tageulen aber ein abwechselnd bogiges Aufsteigen und Niederfallen, nach Art des Spechtfluges, welches ungemein fördert, jedoch anscheinend bald ermüdet und deshalb niemals lange fortgesetzt wird. Nur bei größeren Wanderungen erheben sich die Eulen bis zu hundert Meter über den Boden und bewegen sich dann gleichmäßig mit vielen Flügelschlägen oder schwebend dahin. Auf dem Boden sind die meisten sehr ungeschickt; die langbeinigen aber gehen so gut, daß sie, freilich unter Zuhülfenahme der Flügel, selbst ihre Jagd laufend betreiben können. Im Gezweige der Bäume sind alle gewandt: einzelne klettern in sonderbarer Weise hüpfend und springend sehr rasch von einem Zweige zum anderen. Sie lieben, die verschiedensten Stellungen anzunehmen, sich abwechselnd niederzuducken und dann hoch aufzustrecken, wenden, beugen und drehen den Kopf in wirklich wunder barer, für den Beschauer ergötzlicher Weise und sind, wie das Faulthier, im Stande, das Gesicht vollständig nach rückwärts zu kehren, also auch nach hinten zu sehen. Die Stimme ist gewöhnlich laut, selten aber angenehm. Wüthendes Klappen oder Knappen mit dem Schnabel und heiseres Fauchen ist der gewöhnliche Ausdruck ihrer Seelenstimmung; die eigentliche Stimme vernimmt man nur des Nachts oder bei höchster Gefahr. Einzelne Arten kreischen abscheulich, andere geben helle Töne zu hören. An geistigen Fähigkeiten stehen sie hinter den meisten Tagraubvögeln zurück. Es gibt einige Arten unter ihnen, welche durch ihre Munterkeit, durch die leibliche Beweglichkeit über ihr geistiges Wesen täuschen können; bei genauerer Beobachtung aber erkennt man doch sehr bald, daß keine einzige Eule als ein wirklich kluger oder geistreicher Vogel angesehen werden darf. Alle sind scheu, aber nicht vorsichtig, verstehen nicht zwischen wirklicher und vermeintlicher Gefahr zu unterscheiden, lernen selten ihre Freunde kennen und sehen in jedem fremden Wesen mehr oder weniger einen Feind, lassen sich an eine gewisse Oertlichkeit gewöhnen, nicht aber zu etwas abrichten, welches wirklich Anstrengung des Geistes erfordert; sie sind jähzornig, blind wüthend im höchsten Grade, gleichgültig und grausam. Jeder Edelfalk, ja selbst Bussard und Weih leistet sicherlich dasselbe wie sie, falls nicht mehr. Mit anderen ihrer Art leben sie in Frieden und Freundschaft, so lange nicht irgend eine Leidenschaft, Freßgier zum Beispiel, bei ihnen übermächtig wird; mit der größten Seelenruhe aber fressen sie den Gefährten auf, mit welchem sie jahrelang einträchtiglich zusammen lebten, wenn derselbe irgendwie verunglückte. Ich habe zuweilen zehn bis zwölf Waldkäuze und Ohreneulen in einem und demselben großen Käfig gehalten. Keine der Eulen dachte daran, sich an einer anderen zu vergreifen, so lange alle bei gleichen Kräften waren; sowie aber eine der Gesellschaft erkrankte und sich in eine Ecke flüchtete, fiel die ganze Rotte über sie her, erwürgte sie und fraß sie auf. Geschwister, welche aus einem Nest stammen, überfallen sich gegenseitig nicht selten, und die unterliegende wird regelmäßig getödtet und verspeist. Ein derartiges Gebaren deutet nicht auf Hochgeistigkeit.

Alle Eulen fressen während ihres Freilebens nur selbst erworbene Beute. Die verschiedensten Beobachter stimmen darin überein, daß sie niemals Aas anrühren. Vor allem sind es kleine Säugethiere, welche befehdet werden; die stärksten unter ihnen greifen aber auch größere, selbst raubfähige [60] Säuger an oder verfolgen Vögel nach Art der Falken; einzelne sind Fischer, andere Kerbthierjäger. Aeußerst wenige werden dem Menschen schädlich, die große Mehrzahl bringt nur Nutzen. Es liegen sorgfältige Beobachtungen vor, welche beweisen, daß unsere deutschen Eulen kaum auf andere Thiere jagen als auf Mäuse, und wir wissen, daß ihre Thätigkeit eine sehr erfolgreiche ist. Gerade wenn die verhaßten Nager es am lustigsten treiben, beginnen die Eulen ihr Handwerk. Unhörbar schweben sie dicht über dem Boden dahin; von ihrer Höhe aus durchsuchen sie diesen sehr gründlich, und in der Regel wird die erspähte Maus mit Sicherheit gefangen. Dazu tragen die kurzen beweglichen Zehen und die nadelscharfen, stark gekrümmten Krallen wesentlich bei. Eine einmal von der Eule ergriffene Maus ist unrettbar verloren: sie ist erdolcht, noch ehe sie an Entrinnen denken kann. Sobald die Eule Beute gewonnen hat, fliegt sie einem Ruhesitze zu und beginnt nun zu fressen. Es geschieht auch dies in eigenthümlicher Weise. »Nichts sieht ekelhafter aus«, sagt mein Vater, »als das Fressen einer Eule, weil sie ungeheuere Stücke und diese mit großer Anstrengung verschlingt. Wenn andere Thiere ein gewisses Wohlbehagen beim Fressen zeigen, so scheint die Eule eine wahre Frohnarbeit zu verrichten, wenn sie ihre großen Bissen hinunterdrückt. Ich habe eine Ohreule eine große Maus und einen Schleierkauz ein altes Haussperlingsmännchen mit Füßen und fast sämmtlichen Federn ganz verschlingen sehen. Er nahm den Sperling mit dem einen Fange, brachte ihn zum Schnabel, so daß der Kopf zuerst in den Rachen kam, und fing dann an, durch Zurückschlagen des Kopfes den Sperling hinunter zu arbeiten, was endlich nach großer Anstrengung gelang. Als der Vogel in den Schlund kam, trat dieser so hervor, daß er vom Halse getrennt zu sein schien. Ich habe diese Versuche mehrere Male wiederholt; die Eule aber rupfte später die Federn gewöhnlich aus und verschlang erst dann den Vogel. Mäuse verschlucken die Schleierkäuze mit leichter Mühe. Sind die in den Schnabel aufgenommenen Thiere zu groß, um durch den Rachen zu gehen, dann werfen die Eulen sie wieder heraus, drücken sie mit dem Schnabel und den Fängen zusammen und arbeiten so lange, bis sie in den Schlund hinabgedrängt werden. Ich glaube, daß die Eulen beim Verschlingen größerer Stücke eine Vorstellung von dem ekelhaften Fressen der Schlangen geben können. Bei sehr großen Thieren verzehren sie das Fleisch von der Brust und das Gehirn; das übrige heben sie auf. Der Uhu frißt das Fleisch aus der Haut, wickelt sie zusammen und bewahrt dadurch das noch in ihr befindliche vor dem Austrocknen. Zuletzt verschlingt er die Haut auch.« Ich will dem hinzufügen, daß eine Eule auch in minder anwidernder Weise kröpfen kann. Eine Ohreule zum Beispiel, welche Walter pflegte, riß der ihr gereichten Maus regelmäßig zuerst den Kopf ab und verschluckte zunächst ihn, fraß dann Lunge, Leber und Herz, hierauf ein Vorderbein nach dem anderen, brach nunmehr die Rippen einzeln heraus und verschlang sie zuletzt, nachdem sie den Magen weggeschleudert, auch den noch übrig gebliebenen Rest. So wohlgesittete Eulen habe ich niemals kennen gelernt, bei den hunderten, welche ich pflegte, vielmehr meines Vaters Beobachtungen durchgehends bestätigt gefunden. Wasser können die meisten Eulen monatelang entbehren, vielleicht weil das Blut ihrer Schlachtopfer ihnen genügt; sie trinken jedoch zuweilen recht gern, und bedürfen Wasser zum Baden. Die Verdauung ist sehr lebhaft; der scharfe Magensaft zersetzt alle Nahrung in kurzer Zeit. Knochen, Haare und Federn ballen sich zu Kugeln zusammen und werden dann unter höchst ergötzlichen Bewegungen, gewöhnlich an bestimmten Orten, ausgespieen. Dabei sperren die Eulen den Schnabel weit auf, nehmen den Kopf tief herab, treten von einem Bein aufs andere, kneifen die Augen zusammen, würgen und schütteln und entladen sich endlich des gedachten Balles oder Gewölles. Altum hat mehrere hunderte solcher Gewölle untersucht und gefunden, daß unsere deutschen Eulen hauptsächlich Mäuse und Spitzmäuse, ausnahmsweise aber auch Ratten, Maulwürfe, Wiesel, Vögel und Käfer verzehren. In siebenhundertundsechs Gewöllen der Schleiereule fand er die Ueberreste von sechzehn Fledermäusen, zweihundertundvierzig Mäusen, sechshundertdreiundneunzig Wühlmäusen, eintausendfünfhundert undachtzig Spitzmäusen, einem Maulwurfe und zweiundzwanzig kleinen Vögeln, in zweihundertundzehn Gewöllen des Waldkauzes Reste von einem Hermelin, achtundvierzig Mäusen, zweihundertsechsundneunzig Wühlmäusen, [61] einem Eichhörnchen, dreiunddreißig Spitzmäusen, achtundvierzig Maulwürfen, achtzehn kleinen Vögeln und achtundvierzig Käfern, ohne die unzählbaren Maikäfer, in fünfundzwanzig Gewöllen der Waldohreule die Reste von sechs Mäusen, fünfunddreißig Wühlmäusen und zwei Vögeln, in zehn Gewöllen des Käuzchens zehn Wühlmäuse, eine Spitzmaus und elf Käfer. Diese Zahlen sprechen besser als viele Worte für die Nützlichkeit der Eulen. Die größeren Arten machen sich allerdings Uebergriffe schuldig, indem sie Hasen, Rebhühner und anderes Wild befehden, und auch die kleinen schaden in beschränkter Weise durch Wegfangen der nützlichen Spitzmäuse: der Nutzen aber überwiegt den Schaden doch um ein beträchtliches, und deshalb verdienen auch diese Raubvögel, sorgfältig geschont zu werden.

Viele Eulenarten nisten in Baumhöhlen, andere in Felsspalten oder Mauerlücken, einige in Erdbauen verschiedener Säugethiere und andere endlich auf verlassenen Nestern der Falken- und Krähenarten. Hier wird im günstigsten Falle etwas Genist zusammengetragen; gewöhnlich aber trifft die nistende Eule keine Anstalten, die Nestunterlage aufzubessern, sondern legt ihre Eier ohne weiteres auf den vorgefundenen Nestboden. Die Anzahl des Geleges schwankt zwischen zwei und zehn; ausnahmsweise findet man auch wohl nur ein einziges Ei im Neste. Die Eier selbst ähneln sich sämmtlich; sie sind sehr rundlich, feinkörnig und weiß von Farbe. So viel mir bekannt, wissen wir bis jetzt nur von einer einzigen Eulenart, daß beide Geschlechter abwechselnd brüten; wie es sich bei den übrigen verhält, vermag ich nicht zu sagen. Die Thätigkeit der Eulen ist, um Worte meines Vaters zu gebrauchen, von Dämmerung und Finsternis umhüllt und daher den Beobachtungen des Naturforschers schwer zugänglich. »Nur so viel ist gewiß, daß wir am Tage bei allen Eulenhorsten, welche wir zu untersuchen Gelegenheit hatten, stets das Weibchen auf den Eiern fanden.« Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß bei Ernährung der Jungen die Männchen thätig sind. In meines Vaters Sammlung befand sich ein altes Paar Uhus, von denen das Weibchen zuerst bei den festgebundenen Jungen in einem Tellereisen gefangen wurde, das Männchen aber der mutterlosen Waisen so treulich sich annahm, daß es zwei Tage später dasselbe Schicksal hatte wie sein Weibchen. Auch von anderen Eulen, namentlich Wald-, Rauchfuß- und Steinkäuzen, hat mein Vater dasselbe beobachtet. Gemeinsam scheint allen Arten zu sein, daß beide Eltern warme Liebe zu ihrer Brut bekunden und diese unter anderem auch dadurch bethätigen, daß sie dieselben gegen Feinde mit auffallendem Muthe vertheidigen. Die Jungen sitzen lange im Neste und erfüllen des Nachts die Umgegend desselben mit ihrem Geschreie. Insbesondere hört man letzteres, wenn sie ausgeflogen sind und bereits sich zu bewegen beginnen. Meines Vaters Meinung, daß sie dies thun, um den Eltern jederzeit ihren Aufenthaltsort anzuzeigen, mag wohl berechtigt sein.

Leider haben die Eulen viele Feinde. Alle Tagvögel sind ihnen abhold, gleichsam als ob sie sich für die ihnen während ihres Schlafes von den Nachträubern zugefügten Angriffe rächen wollten. Fast sämmtliche Tagraubvögel geberden sich wie sinnlos, wenn sie eine größere Eule erblicken. Das gesammte Kleingeflügel hegt dieselben Gesinnungen wie sie und gibt diese durch lebhaftes Geschwätz und Geschrei, welches man wohl als Schelten und Schimpfen deuten kann, zu erkennen. Der ganze Wald wird rege, wenn eine Eule entdeckt wurde. Ein Vogel ruft den anderen herbei, und der arme Finsterling hat dann viel zu leiden; denn die starken Tagvögel vergreifen sich auch thätlich an ihm. Der Mensch schließt sich nur zu oft den genannten Feinden an. Zwar betrachten meines Wissens nur Ostjaken und – Helgoländer das Fleisch einer Eule als willkommenes, ihrer Zunge zusagendes Gericht; viele gebildet sein wollende Deutsche aber wähnen eine Heldenthat zu vollbringen, indem sie Eulen im Schlafe meucheln oder im Fluge herabschießen, und nur sehr vereinzelt geschieht es, daß man ihnen Schutz gewährt. Der Land- und Forstwirt thut wohl, sich den Beschützern der Eulen anzuschließen und sie zu hegen und pflegen, als ob sie heilige Vögel wären.

Im Käfige werden nur diejenigen Eulen wirklich zahm, welche man in sehr früher Jugend aushebt, groß füttert und freundlichen Umganges würdigt. Ich habe solche besessen und dann mich innig mit den sonst nicht gerade liebenswürdigen Vögeln befreundet. Solche, welche in [62] reiferem Alter gefangen wurden, zeigen sich entweder gleichgültig oder geberden sich in einer Weise, welche ängstliche Gemüther schier erschrecken, kräftigere Naturen aber höchstens ergötzen kann. Zumal die großen Arten scheinen mit der ganzen Welt zerfallen zu sein und in jedem anderen Wesen einen Feind zu wittern. Wüthend rollen sie die großen Augen, wenn man sich ihnen naht; ingrimmig knacken sie mit dem Schnabel, und boshaft fauchen sie nach Katzenart. Kleine Eulen dagegen zählen zu den unterhaltendsten und liebenswürdigsten aller Stubenvögel. Bei geeigneter Pflege kann man die einen wie die anderen im Käfige zur Fortpflanzung schreiten sehen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 58-63.
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