Bartkauz (Syrnium barbatum)

[103] Die zweite an dieser Stelle noch zu erwähnende Art ist der Bartkauz, Kleinaug- und Lapplandskauz, die Bart- oder Lapplandseule (Syrnium barbatum, lapponicum, cinereum und microphthalmum, Strix lapponica, barbata, fuliginosa, microphthalmos, Ulula lapponica, cinerea und barbata, Bild S. 69), eine der größten aller Eulen. Die Länge beträgt siebzig, die Breite einhundertundvierzig Centimeter, die Fittiglänge achtundvierzig und die Schwanzlänge achtundzwanzig Centimeter. Aehnlich gebaut wie unser Waldkauz, jedoch schlanker und verhältnismäßig langschwänziger, zeichnet sie sich durch reiche Befiederung und großen, kreisrunden Schleier mit regelmäßiger Zeichnung besonders aus. Die vorherrschende Färbung des Gefieders der Oberseite ist ein düsteres Graubraun, jede Feder durch dunkelbraune, zackige Schaftflecke und weißliche, gerade oder wurmförmig gebogene Binden gesperbert, die der Unterseite ein mehr oder minder lichtes, leicht röthlich überhauchtes Grau, welches in der Kropfgegend durch dunkelgraue Längs-, an den Brustseiten und auf den Füßen aber durch schmale Querflecken gezeichnet wird. Der Schleier, welcher aus zerschlissenen, weißgrauen, hin und wieder rostgelb angeflogenen und schwärzlich gebänderten Federn besteht, zeigt auf weißgrauem Grunde acht bis zehn sehr regelmäßig um einander verlaufende, das Auge umgebende mattschwarze Kreise, die Kehlgegend einen einfarbig schwarzen Fleck in Gestalt eines Kinnbar tes, welcher durch etwas Weiß an beiden Seiten noch mehr hervorgehoben wird; die Handschwingen sind auf dunkelbraunem Grunde weißlichbraun quergebändert, auf der Innenfahne bräunlich verwaschen und außerdem mit feinen zickzack- oder wurmförmigen Streifen gezeichnet, die Armschwingen in ähnlicher Weise geziert, die Schwanzfedern graulichbraun, gegen die Spitze hin dunkler und von fünf unbestimmten, lichteren [103] Bändern durchzogen. Das verhältnismäßig kleine Auge hat glühend hochgelbe Iris und rothbräunliche Lider; der Schnabel ist wachsgelb. Junge Vögel ähneln den Alten.

Das Verbreitungsgebiet des Bartkauzes erstreckt sich über den hohen Norden der Alten Welt, insbesondere über Lappland, Finnland, Nordrußland und Sibirien bis zum Ochotskischen Meere, nicht aber auch, wie früher abgegeben, über den Norden Amerikas; wenigstens wird der hier vorkommende, mit dem Bartkauze oft verwechselte Graukauz (Syrnium cinereum) neuerdings von ihm bestimmt unterschieden. In Deutschland hat man den, wie es scheint, überall seltenen Vogel bisher nur in Ostpreußen und Schlesien erlegt. Im südlichen Skandinavien tritt er öfter auf; in Lappland, Finnland und Nordrußland sowie endlich in ganz Nordsibirien ist er Brutvogel.

Ueber die Lebensweise mangeln Beobachtungen; fast alle Angaben, welche sich in den einschläglichen Werken befinden, beziehen sich auf die nordamerikanischen Verwandten. Nur Wallengren, Nilsson, Loewenhjelm und Wolley geben dürftige Berichte. In Skandinavien folgt auch der Bartkauz dem Zuge der Lemminge und streift dann nicht allzu selten bis zur Mitte des Landes nach Süden herab, tritt auch in einzelnen Jahren, entsprechend dem Gedeihen seines Lieblingswildes, häufiger oder seltener auf. Wie er lebt, wie er jagt, wie er sich anderen Thieren gegenüber verhält, ist unbekannt. Einer wurde, laut Lundborg, in Dalekarlien unter eigenthümlichen Umständen erlegt. Er fiel einen Arbeiter an, welcher mit Graben auf einem größeren Torfmoore beschäftigt war, und versuchte, ihn im Rücken zu treffen. Der Mann befreite sich von ihm, der Kauz aber blieb still in der Nähe sitzen, und jener ging nach Hause, um ein Gewehr zu holen. Zurückgekehrt, fehlte er das erste Mal, ging wiederum nach Hause, um aufs neue zu laden und erlegte dann den hartnäckigen Vogel mit dem zweiten Schusse. Die Eule war eine weibliche und sehr mager, also wohl auch überaus hungrig, wodurch sich vielleicht das auffallende Benehmen erklärt. Ein Horst wurde von Ullenius anfangs Juni in Lappmarken gefunden und das brütende Weibchen bei dieser Gelegenheit erlegt. Der Horst stand in einem Kieferwalde auf einem drei Meter hohen Baumstumpfe, in welchem sich durch Ausfaulen eine Höhlung gebildet hatte. Ein weißes Ei von der Größe des Uhu-Eies lag im Neste, ein anderes unbeschädigtes unter demselben am Fuße des Nistbaumes. Andere Horste fand Wolley, und zwar entweder auf hohen Bäumen oder in Baumhöhlen. Sie enthielten drei und vier, nach Verhältnis der scheinbaren Größe des Vogels außerordentlich kleine, den des Uhus und der Schneeeule an Größe merklich nachstehende Eier. Wir selbst sahen auf unserer Reise nach Sibirien am unteren Ob zwei gefangene Bartkäuze im Besitze einiger Ostjaken, welche die Vögel ihrer Angabe nach aus einem frei auf einem Baume stehenden flachen Horste in einem benachbarten Weidenbestande gefunden hatten und ihre Pfleglinge mit Fischen ernährten. Diese Vögel erinnerten mich in jeder Beziehung an unseren Baumkauz, hatten, abgesehen von ihren gelben Augen, denselben gutmüthigen Ausdruck, waren auch ebenso sanft und zahm, bewegten und geberdeten sich genau in derselben Weise wie dieser. Eingehende Beobachtungen konnte ich zu meinem Bedauern nicht anstellen, da beide für die Sammlung bestimmt und nach kurzer Frist getödtet wurden.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 103-104.
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