Wüstenkauz (Athene glaux)

[72] Im Süden Europas gesellt sich ihm, in Palästina, Arabien, Persien und ganz Nordafrika vertritt ihn der Wüstenkauz (Athene glaux, indigena, meridionalis und persica, Strix persica, numida, nilotica, pharaonis, Noctua glaux, meridionalis und veterum, Carine glaux und meridionalis), welcher sich von ihm durch etwas geringere Größe, mattere, gleichsam verblichene Färbung und undeutliche, zuweilen fast ganz verschwindende Fleckung unterscheidet, von einzelnen Vogelkundigen daher auch nur als Abart angesehen wird.

Von Südschweden an verbreitet sich der Kauz über ganz Europa und einen großen Theil Asiens bis nach Ostsibirien hin. Er bewohnt ganz Deutschland, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, Oesterreich-Ungarn, Südrußland, die Donautiefländer und die Türkei, ebenso das südliche Sibirien und Turkestan, tritt nicht überall in gleicher, je weiter nach Süden hin aber in um so größerer Menge auf und zählt auf allen drei südlichen Halbinseln Europas zu den gemeinsten Raubvögeln. In den spanischen Gebirgen steigt er bis zu zweitausend Meter unbedingter Höhe empor, zieht jedoch mit Beginn des Winters in tiefere Lagen hinab. Bei uns zu Lande gehört er nicht zu den Seltenheiten. Da, wo Obstgärten mit alten Bäumen Dörfer umgeben, findet er sich gewiß; er nimmt aber auch mitten in Städten, auf Thürmen und Dachboden, in Gewölben, Begräbnissen und an anderen geeigneten Orten Herberge. Das Innere ausgedehnter Waldungen meidet er, und Nadelhölzer liebt er auch nicht, Feldgehölze dagegen sind ihm sehr genehm.


Steinkauz (Athene noctua). 2/5 natürl. Größe.
Steinkauz (Athene noctua). 2/5 natürl. Größe.

Vor dem Menschen und seinem Treiben scheut er sich nicht. Bei Tage lebt er verborgen in seinem Schlupfwinkel, und nachts fürchtet der Mensch, unserer aufklärenden Bildung zum Trotze, den Kauz oft mehr als dieser jenen. Es ist mehr als lächerlich, daß wir noch heutigen Tages nicht weiter sind als manche indische Volksstämme, welche in ihrem Steinkauz ein übernatürliches Wesen [73] erblicken und sich demzufolge von klügeren Leuten oft betrügen lassen. In vielen Gegenden Deutschlands, wo der Glaube noch groß ist unter den Leuten, gilt der anmuthige Steinkauz als unheilweissagender Vogel. Man gibt sich nicht die Mühe, selbst zu prüfen, sondern glaubt das, was einfältige Weiber erzählen. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, daß der Kauz des Nachts an die Fenster von Krankenstuben flog, und sie haben mit eigenen Ohren gehört, daß er die Kranken einlud, auf dem Friedhofe, selbstredend als Leichen, zu erscheinen. Begründet und wahr ist, daß der harmlose Vogel, angelockt durch das Licht, erleuchteten Zimmern zufliegt, sich wohl auch neugierig auf dem Fensterstocke niederläßt und bei dieser Gelegenheit vielleicht sogar seine Stimme erschallen läßt. Da er nun bald leise und gedämpft »Bu bu«, bald laut und helltönend »Quew quew kebel kebel«, bald endlich »Kuwitt, kuwitt« schreit, übersetzt sich der Pöbel diese Laute, namentlich die letzteren, nach seiner Weise, hört in ihnen ganz genau die Worte: »Komm mit, komm mit auf den Kirchhof, hof, hof«, und das ist Grund genug, den Kauz zu verabscheuen. Schon in Südeuropa fällt es niemandem ein, ihn mit mißgünstigem Auge zu betrachten. Er ist dort so häufig, daß man ihn kennen gelernt hat, und weil dies der Fall, Liebling von jung und alt. Schon in Italien liebt und pflegt ihn jedermann; in Griechenland gilt er noch heute als ein hoch begabter Vogel und steht dort in so hohen Ehren, daß man dem Könige Otto bei seiner ersten Ankunft einen lebenden Kauz als Willkommensgeschenk überreichte. Nicht minder geschätzt wird er in Palästina, wo man ihn als Glücksvogel betrachtet, niemals verfolgt, vielmehr hegt und pflegt.

Der Kauz verdient die Zuneigung des Menschen. Er ist ein allerliebstes Geschöpf. Eine wirkliche Tageule kann man ihn zwar nicht nennen: aber er ist auch nicht so lichtscheu als andere Eulen und weiß sich bei Tage sehr gut zu benehmen. Niemals schläft er so fest, daß er übertölpelt werden kann; daß geringste Geräusch erweckt ihn, und weil er auch bei Tage vortrefflich sieht, ergreift er bei Zeiten die Flucht. Sein Flug geschieht ruckweise in Bogen, etwa nach Art des Spechtfluges, fördert aber rasch und macht es ihm möglich, mit größter Gewandtheit durch dichtes Gezweig der Bäume sich hindurch zu winden. Im Sitzen hält er sich gewöhnlich geduckt; sobald er aber etwas verdächtiges sieht, richtet er sich hoch empor, streckt sich, so lang er kann, macht Verbeugungen, faßt den Gegenstand seiner Betrachtung scharf ins Auge und geberdet sich höchst sonderbar. Sein Blick hat etwas listiges, verschmitztes, aber nichts bösartiges, sondern immer etwas einnehmendes. Wer ihn kennt, begreift, daß die Griechen in ihm den Lieblingsvogel einer klugen Göttin sehen konnten. Seine geistigen Fähigkeiten sind auch wirklich nicht gering; er darf wohl als eine der verständigsten aller Eulen angesehen werden. Dabei ist er verträglich gegen andere seiner Art. Im Süden Europas oder in Nordafrika trifft man ihn oft gesellschaftsweise an.

Schon vor Sonnenuntergang läßt er seine Stimme erschallen; mit einbrechender Dämmerung beginnt er regelmäßig zu jagen. In hellen Nächten sieht man ihn bis zum Morgen fast ununterbrochen in Bewegung oder hört ihn wenigstens. Er durchstreift dabei ein kleines Gebiet, läßt sich durch alles auffallende herbeilocken, umschwebt namentlich gern das Lagerfeuer des einsamen Jägers oder Wanderers oder kommt bei uns an die hell erleuchteten Fenster heran und erschreckt dann alte Weiber auf das entsetzlichste. Seine Jagd gilt hauptsächlich kleinen Säugethieren, Vögeln und Kerbthieren. Er fängt Fleder-, Spitz- und wirkliche Mäuse, Lerchen, Sperlinge, Heuschrecken, Käfer und dergleichen. Mäuse bleiben immer sein hauptsächlichstes Wild.

Im April oder Mai schreitet der Kauz zur Fortpflanzung. Er ist dann besonders unruhig, schreit und lärmt viel, auch bei Tage, und ladet jeden, welcher ihm glauben will, eifrig ein, mit ihm zu kommen. Ein eigentliches Nest baut er nicht, erwählt sich vielmehr eine passende Höhlung in Felswänden, unter Steinen, in alten Gebäuden, Bäumen, in Ermangelung passenderer Nistorte sogar eine Kaninchenhöhle, bei uns zu Lande oft in unmittelbarer Nähe der Wohnungen, im Süden Europas in diesen selbst, und legt hier seine vier bis sieben fast rundlichen Eier ohne weiteres auf den Boden. Vierzehn bis sechzehn Tage lang brütet er dann so eifrig, daß er sich kaum vom Neste vertreiben läßt. Naumann erwähnt, daß er ein brütendes Weibchen streicheln [74] und sogar ein Ei unter ihm hervorholen konnte, ohne daß es aufflog. Die Jungen werden mit Mäusen, kleinen Vögeln und Kerbthieren groß gefüttert. Sobald die Jungen ausgefiedert und im Stande sind, das Nest zu verlassen, fliegen ihre Erzeuger, laut Robson, allabendlich eine Strecke weit weg, irgend welchem Hochsitze zu und schreien laut und gellend, nach Art der warnenden Amsel. So thun sie, bis die Sprößlinge aus dem Neste, und ihnen zufliegen. Nunmehr führen sie ihre Brut ins Freie, wo es Berge gibt, diesen zu, um sie nach und nach an Selbständigkeit zu gewöhnen, kehren gegen Morgen aber immer wieder mit ihnen zum Neste zurück, bis endlich das junge Volk seine eigenen Wege zieht.

Habicht und Sperber erwürgen ihn, wenn sie seiner habhaft werden können; das Wiesel stellt seinen Eiern nach; Krähen, Elstern, Heher und alle kleinen Vögel verfolgen ihn mit argem Geschrei. Hierauf gründet sich eine Art des Vogelfangs, welche namentlich in Italien stark betrieben wird. Man stellt den Kauz aus und um ihn herum Leimruthen, auf denen sich das kleine Geflügel massenhaft fängt. »Um keinen Mangel an Käuzchen zu haben«, erzählt Lenz, »sorgen die Italiener für gute, dunkle Brutplätze unter den Dächern und für bequeme Eingänge dazu. Aus den Nestern werden nur so viele Jungen genommen und aufgezogen, als man fürs Haus oder zum Verkauf für den Markt braucht; die übrigen werden in ungestörter Ruhe gelassen. Die zahmen Käuzchen sind wirkliche Hausfreunde der Italiener, gehen oft frei in Haus, Hof und Garten mit beschnittenen Flügeln herum, fangen überall Mäuse, werden besonders gern in gut umzäunte Gärten gesetzt, woselbst sie die Erdschnecken und anderes lästiges Ungeziefer vertilgen, ohne ihrerseits den geringsten Schaden zu thun. Arbeitet nach dortiger Sitte ein Schuster, Schneider, Töpfer oder anderer Handwerker auf der Straße, so hat er, wie ich oft gesehen, sehr gern seine Lieblinge, seine zwei bis vier Käuzchen, neben sich auf einem Stäbchen angefesselt und wechselt mit ihnen so oft als möglich zärtliche Blicke. Weil er nicht immer Fleisch für diese artigen Vielfräße beischaffen kann, so gewöhnt er sie daran, bei dessen Ermangelung mit Polenta vorlieb zu nehmen.«

Schon in Oesterreich benutzt man den Wichtl vielfach zu gleichem Zwecke und versichert, mit ihm die besten Erfolge zu erzielen. Was der Uhu für die Jagd der Falken, das leistet der Steinkauz beim Fange des Kleingeflügels. Jeder Vogel, welcher sich seiner genügenden Gewandtheit bewußt ist, erscheint gewiß in der Nähe des gehaßten, um ihn zu necken und zu foppen. Heher und Würger spielen ihm oft in nicht ungefährlicher Weise mit. Letztere vergessen angesichts seiner alle Scheu, kommen, einer nach dem anderen, oft von weit herzugeflogen und verlassen die Walstatt auch dann noch nicht, wenn sie sehen müssen, daß dieser oder jener ihrer Gefährten ein klägliches Schicksal erleidet. Die alten holländischen Falkner erbeuteten die zum Falkenfange nothwendigen Würger stets mit Hülfe des Wichtls.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 72-75.
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