Prairieeule (Speotyto hypogaea)

[76] Die nordamerikanische Vertreterin, Höhlen- oder Prairieeule genannt (Speotyto hypogaea und socialis, Strix hypogaea und californica), zeigt so große Uebereinstimmung mit der eben beschriebenen Art, daß nur eine sehr ausführliche Beschreibung beider die geringen Unterschiede deutlich machen kann, wir auch umsomehr von solcher Beschreibung absehen dürfen, als die amerikanischen Forscher über Arteinheit oder Artverschiedenheit der Prairie- und Kanincheneule selbst noch nicht einig sind. Hinsichtlich der Lebensweise und des Betragens ähneln sich beide so, daß man die Angaben der verschiedenen Schriftsteller ebenso gut auf die eine, wie auf die andere beziehen darf. Ich werde im nachfolgenden die Kanincheneule aus dem Grunde bevorzugen, als sie neuerdings einen Beobachter gefunden hat, welcher sie in erschöpfender Weise beschreibt.

Die Höhleneulen sind Charaktervögel Amerikas. Sie bewohnen die Pampas und Llanos im Süden und die Prairien im Norden. Wo sie vorkommen und nicht verfolgt werden, sind sie häufig. Der Reisende, welcher die baumlosen Ebenen betritt, sieht die merkwürdigen Vögel paarweise auf [76] dem Boden sitzen, gewöhnlich auf den Hügeln, welche von der ausgegrabenen Erde der Säugethierbaue gebildet werden. Diese Baue sind das eigentliche Haus der Eule, und häufig genug bewohnt sie es mit dem rechtmäßigen Inhaber oder auch wohl mit seinen furchtbarsten Feinden, den Giftschlangen. In der Nähe von Buenos Ayres haust die Höhleneule, nach Darwin, ausschließlich in den Bauen der Viscacha, in Brasilien nistet sie sich in den Bauen der Ameisenfresser und Gürtelthiere ein, in Nordamerika findet sie sich in den sogenannten Dörfern des Prairiehundes. Die von grabenden Säugethieren noch bewohnten Baue zeichnen sich vor denen, in welchen die Eule lebt, durch Sauberkeit und Ordnung aus, während die Eule oft, ja fast regelmäßig in den verfallenen Gebäuden dieser Art gefunden wird. Aber es kommt auch vor, daß man Prairiehunde und Eulen und Klapperschlangen durch ein und dieselbe Oeffnung aus- und eingehen sieht, und soviel steht fest, daß das Verhältnis zwischen Säugethieren und Eulen ein durchaus friedliches ist.

Unter allen Lebensschilderungen der Höhleneulen stelle ich die, welche wir Hudson über die Kanincheneule verdanken, bei weitem oben an. »Im Argentinischen Freistaate«, sagt der genannte, »findet man diese niedliche Eule allerorten im offenen Lande; denn sie meidet Waldungen oder selbst Gegenden, in denen Baumbestände häufig sind. Sie sieht auch in der Sonne vortrefflich und bekundet keinerlei Abneigung gegen Geräusche und Laute des Tages. Nähert sich ihr jemand, so schaut sie ihm fest ins Gesicht, folgt ihm mit den Augen, wie er sich auch wenden möge und dreht dabei nöthigenfalls das Gesicht bis auf den Rücken. Naht man ihr bis auf wenige Schritte, so bückt sie sich in spielender Weise, stößt einen kurzen Schrei, welchem drei abgebrochene Rufe folgen, wiederholt aus und steht auf, fliegt aber höchstens funfzehn bis zwanzig Meter weit, um sich sodann, das Gesicht gegen den Eindringling gekehrt, wieder niederzusetzen. Unmittelbar, nachdem sie gefußt, wiederholt sie ihre Bücklinge und ebenso ihr Geschrei, richtet sich dann aber steif auf und geberdet sich, als ob sie über alle Maßen erstaunt sei ob der Störung. Bei Tage fliegt sie unter fortdauernden Flügelschlägen dicht über den Boden dahin, steigt jedoch unabänderlich, bevor sie sich setzen will, steil nach oben, um noch steiler zum Boden herabzufallen. Wiederholtes Auffliegen ermüdet sie bald derartig, daß sie zu ihren behenden Beinen Zuflucht nimmt. Daher ist es möglich, sie zu Pferde binnen funfzehn bis zwanzig Minuten einzuholen und zu fangen. Jedes Paar lebt während des ganzen Jahres in treuer Gemeinschaft und sitzt übertages regelmäßig an der Oeffnung einer Viscachahöhle, ein Gatte so dicht an den anderen geschmiegt, daß beide sich fast berühren. Erschreckt nun fliegen entweder beide auf, oder es erhebt sich nur das Männchen, während das Weibchen im Inneren der Höhle verschwindet.

In der Nähe aller von Europäern bewohnten Ansiedelungen ist die Kanincheneule überaus zahlreich und ebenso im höchsten Grade zutraulich; in allen Gegenden aber, wo der Indianer jagt, ein in jeder Beziehung veränderter Vogel. Hier erhebt sie sich bei Ankunft des Menschen mit derselben Scheu und Vorsicht, wie vielfach verfolgtes Federwild, schon von weitem, steigt stets zu beträchtlicher Höhe in die Luft und fliegt oft außer aller Sicht des Reisenden, bevor sie sich wieder zu Boden herabläßt. Dieses Gebaren ist unzweifelhaft Folge der lebhaften Abneigung aller Pampastämme, welche hinsichtlich dieser Eule noch an allem so weit verbreiteten Aberglauben festhalten. ›Schwester des bösen Geistes‹ ist einer der Namen, welche sie dem niedlichen Vogel geben. Wenn immer sie können, verfolgen sie die Kanincheneule, bis sie ihr das Leben geraubt haben. Denn schon das Vorhandensein des harmlosen Vogels genügt, um sie zu schrecken, und niemals schlägt ein Indianer sein Nachtlager da auf, wo er eine Eule sitzen sah. Sobald als die Ebenen von Weißen besiedelt werden, gibt unsere Eule alle Scheu und Vorsicht auf und wird bald ebenso zutraulich, als sie früher mißtrauisch war. Die Umwandlung des von ihr bewohnten Grundes und Bodens zu Feld und Weide kümmert sie wenig. Wenn der Pflug den Eingang ihrer Höhlen verschüttet, gräbt sie sich neue am Rande oder auf den Rainen, und wenn sie hier keinen Platz findet, zu beiden Seiten der Wege, gleichviel ob dieselben viel benutzt werden oder nicht. Hier wird sie so zahm, daß der Reiter sie ohne Mühe mit seiner Peitsche todtschlagen könnte. Verschiedene Paare leben in der Nähe [77] meines Hauses; wenn aber jemand von uns ausreitet, bleiben sie alle bis auf drei oder vier Meter von den Hufen des Pferdes vor ihren Löchern sitzen, knacken höchstens mit dem Schnabel, blähen vielleicht auch ihr Gefieder auf, denken aber nicht daran, wegzufliegen.

Gelegentlich sieht man unsere Eulen auch bei Tage jagen; namentlich ist dies der Fall, wenn irgend eine Beute in der Nähe vorüberfliegt und Hoffnung auf leichten Fang gewährt. Oft habe ich mir das Vergnügen gegönnt, kleine Erdklumpen in der Nähe ihrer Löcher vorüber zu rollen; denn sie jagen augenblicklich hinter solchem Gegenstande her und entdecken den Irrthum erst, nachdem sie den Erdkloß oder Stein schon fest gepackt haben. Während der Brutzeit, insbesondere wenn ihre Jungen heranwachsen, sind sie vielleicht bei Tage ebenso thätig wie bei Nacht. In den heißen Tagen des November erscheinen hier zu Lande zwei große Mistkäfer in namenloser Menge und reizen, ebensowohl durch ihre Massigkeit wie durch das laute Summen beim Fliegen, zur Verfolgung. Dann sieht man die Kanincheneulen aller Orten eifrig jagen, nicht selten aber auch dabei täppisch zu Boden stürzen, da sie, wie alle Eulen, die Gewohnheit haben, eine Beute womöglich mit beiden Fängen zu ergreifen und die Flügel zu Hülfe nehmen müssen, um sich im Gleichgewichte zu erhalten, letzteres aber doch oft verlieren und dann taumelnd in das Gras fallen. War die glücklich erlangte Beute klein, so kröpfen sie dieselbe nach einem Weilchen an Ort und Stelle; war sie groß, so erheben sie sich regelmäßig, wenn auch oft etwas mühsam, vom Boden und fliegen eine Strecke weit mit ihrem Opfer, gleichsam als ob sie Zeit gewinnen wollten, inzwischen das geschlagene Thier zu tödten.«

Gegen Sonnenuntergang läßt die Kanincheneule ihre Stimme vernehmen. Auf einen kurzen Laut folgt ein längerer; beide aber werden so oft wiederholt, daß die Pause dazwischen kaum eine Sekunde beträgt. Dieses Geschrei klingt weder furchtbar noch feierlich, eher sanft und traurig, einigermaßen an die tiefen Töne der Flöte erinnernd. Während des Frühlings rufen alle, und ein Vogel antwortet dann dem nächsten. Bricht die Nacht herein, so erhebt sich einer nach dem anderen in die Luft, und man sieht dann überall die niedlichen Eulen in einer Höhe von etwa vierzig Meter über dem Boden rüttelnd schweben. Haben sie eine Beute erblickt, so fallen sie in Absätzen senkrecht, aber taumelnd und flatternd, hernieder, als ob sie verwundet wären, bis sie etwa zehn Meter über dem Boden angekommen sind, fassen nochmals die Beute ins Auge, rütteln wiederum einige Sekunden und gleiten nun in schiefer Richtung nach unten herab. Sie jagen auf jedes lebende Wesen, welches sie bewältigen zu können glauben. Wenn es reiche Beute gibt, lassen sie Kopf, Schwanz und Füße einer gefangenen Maus unberührt, ebenso wie sie unter allen Umständen die Hintertheile eines Frosches oder einer Kröte verschmähen, trotzdem dieselben die fleischigsten und saftigsten Theile sind. Schlangen bis zu funfzig Centimeter Länge tödten sie mit Schnabelhieben, indem sie muthig auf sie losspringen, bis das Opfer ihren Angriffen erlegen ist; Giftschlangen gegenüber scheinen sie sich bei solchen Angriffen durch ihre vorgestreckten Flügel zu schützen. Nicht wenige, welche sich in der Nähe von Gehöften angesiedelt haben, werden jungem Hausgeflügel gefährlich und tragen übertages Küchlein davon. In Zeiten her Fülle tödten sie mehr, als sie verbrauchen, in strengen Wintertagen dagegen müssen sie sich spärlich behelfen. Sie kom men dann oft in die Nähe der Wohnungen und nehmen gern vorlieb mit jedem Fleischstückchen, welches sie finden, und wenn es so alt und trocken sein sollte wie ein Stück Pergament.

»Obgleich unsere Eulen den Viscachas in den meisten Fällen ihre Höhlen verdanken, graben sie sich doch auch selbst solche. Die Röhre, deren Länge zwischen ein bis vier Meter schwankt, ist krumm und am hinteren Ende erweitert. Hier befindet sich das aus trockenem Grase und Wolle, nicht selten aber auch ausschließlich aus Pferdemist bestehende Nest. Die fünf fast runden Eier sind weiß von Farbe. Auch nachdem das Weibchen zu legen begonnen hat, trägt es noch Pferdedünger ein, bis der ganze Boden der Höhle und ein Raum vor ihr dicht mit diesem Stoffe bedeckt ist. Im folgenden Frühjahre wird dann alle lose Erde herausgekratzt und die Höhle, welche während mehrerer Jahre als Nest dient, wieder hergerichtet. Unsauber und unordentlich ist sie stets, am meisten aber doch während der Brutzeit oder, wenn es Beute in Hülle und Fülle gibt. Dann bedecken nicht allein [78] Koth und Gewölle, sondern auch Ueberreste von Fell und Knochen, Flügeldecken von Käfern, Federn, die Hinterschenkel von Fröschen in allen Zuständen der Fäulnis, große, haarige Spinnen aus der Pampa, Ueberbleibsel halb aufgefressener Schlangen und anderer unliebsamen Geschöpfe Boden und Raum vor dem Eingange; alles Aas aber in und vor der liederlichen Wohnung unserer Eule spricht deutlich genug für die wichtige Rolle, welche sie ausführt. Die jungen Vögel verlassen, ehe sie flügge sind, die Höhlen, um sich zu sonnen und Futter von ihren Eltern zu erhalten. Nähert man sich ihnen, so zeigen sie sich im höchsten Grade erregt, knacken mit dem Schnabel und ziehen sich anscheinend nur mit Widerstreben endlich in das Innere der Höhle zurück. Sind sie erst flugbar geworden, so benutzen sie unter solchen Umständen die Schwingen, um sich zu sichern. Alte und junge Vögel leben oft vier bis fünf Monate zusammen.«

Bemerkenswerth ist, laut Hudson, wie verschiedenartig die Kanincheneulen sich beim Graben ihrer Höhlen benehmen. Einzelne Paare beginnen mehrere Monate vor der Brutzeit, andere erst, wenn das Weibchen schon legen will; bei dem einen Paare arbeiten beide Gatten auf das eifrigste, bei dem zweiten ebenso lässig, bei dem dritten gräbt nur das Weibchen. Dieses Paar höhlt sich eine regelrechte tiefe Höhle aus, jenes beginnt deren fünf bis sechs zu graben, arbeitet an einer vielleicht drei bis vier Wochen lang und läßt sie doch wieder im Stiche. Gleichviel aber, ob fleißig oder lässig, im September hat jedes Paar seine Wohnung vollendet.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 76-79.
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