Waldohreule (Otus vulgaris)

[89] Unsere Waldohreule (Otus vulgaris, al bicollis, italicus, asio, europaeus, auritus, communis, sylvestris, arboreus, gracilis, major, minor, assimilis und verus, Strix otus, [89] Asio otus und italicus, Bubo und Aegolius otus), hier und da auch Ohr-, Horn-, Katzen-, Fuchs-, Kapp-, Uhr- und Ranzeule genannt, ist ein Uhu im kleinen, unterscheidet sich aber von diesem durch schlankeren Leibesbau, längere Flügel, in denen die zweite Schwinge die anderen überragt, kürzere Füße, längere Federohren und durch die sehr ausgebildeten Gehörmuscheln, deshalb auch sehr deutlichen Schleier. In der Färbung hat die Waldeule mit dem Uhu viel Aehnlichkeit; ihr Gefieder ist aber lichter, weil die rostgelbe Grundfarbe weniger von den schwarzen Schaftstrichen und Querstreifen der Federn verdeckt wird, die Oberseite auf trüb rostgelblichem Grunde dunkel graubraun gefleckt, gepunktet, gewellt und gebändert, die lichtere Unterseite mit dunkelbraunen, auf der Brustgegend quer verästelten Längsflecken gezeichnet, die Ohrmuschel an der Spitze und auf der Außenseite schwarz, auf der Innenseite weißlich, der Gesichtskreis graulich rostgelb. Die Schwingen und Schwanzfedern sind gebändert. Der Schnabel ist schwärzlich, das Auge hochgelb. Die Weibchen sind etwas dunkler, die Jungen minder lebhaft gefärbt als das Männchen. Die Länge beträgt vierunddreißig bis fünfunddreißig, die Breite einundneunzig bis achtundneunzig, die Fittiglänge neunundzwanzig, die Schwanzlänge funfzehn Centimeter.

Vom vierundsechzigsten Grade nördlicher Breite an verbreitet sich die Waldohreule über ganz Europa und ebenso vom Nordrande des Waldgürtels an über Mittelasien, vom Ural bis Japan. Nach Süden hin wird sie seltener, und Nordostafrika, die Kanaren wie Nordwestindien besucht sie wahrscheinlich nur auf dem Zuge, wogegen sie noch auf Madeira Brutvogel sein dürfte.


Waldohreule (Otus vulgaris) und Zwergohreule (Scops carniolica). 1/4 natürl. Größe.
Waldohreule (Otus vulgaris) und Zwergohreule (Scops carniolica). 1/4 natürl. Größe.

Genaueres anzugeben ist aus dem Grunde erläßlich, als sie innerhalb der angegebenen Grenzen geeigneten Ortes überall vorkommt. Sie verdient ihren Namen; denn sie findet sich regelmäßig nur im Walde. [90] Nachts kommt sie zwar bis in die Nähe der Ortschaften heran, und während ihrer Strichzeit nimmt sie übertages wohl auch in einem dicht bestandenen Obstgarten oder selbst auf freiem Felde Herberge; dies aber sind Ausnahmen. Ob sie den Nadel- oder ob sie den Laubwald bevorzuge, ist schwer zu sagen: man findet sie ebenso häufig hier wie dort.

In ihrer Lebensweise und ihrem Betragen unterscheidet sich die Waldeule nicht unwesentlich von dem Uhu. Bei Tage benimmt sie sich allerdings ganz ähnlich wie dieser, fliegt auch ungefähr zu derselben Zeit und ungefähr in gleicher Weise zur Jagd aus; aber sie ist weit geselliger und viel weniger wüthend als ihr großer Verwandter, auch selten scheu. Wenn sie bei Tage aufgebäumt hat, läßt sie sich, ohne an Flucht zu denken, unterlaufen; ja, es ist mir vorgekommen, daß ich sie erst durch Schütteln am Baume zum Auffliegen habe bewegen können. Nur während der Brutzeit hält sie sich paarweise; sobald ihre Jungen erwachsen sind, schlägt sie sich mit anderen ihrer Art in Flüge zusammen, welche zuweilen recht zahlreich werden können. Gegen den Herbst hin streichen diese Gesellschaften im Lande auf und nieder, und man trifft sie dann an passenden Orten zuweilen sehr häufig an. Ich habe Trupps von einigen zwanzig und mehr gesehen, welche beinahe auf einem und demselben Baume Platz genommen hatten. Noch zahlreichere Gesellschaften scharen sich weiter nach Süden hin, beispielsweise in Oesterreich und Ungarn. »Auf den Ackerfeldern Niederösterreichs«, so schreibt mir Erzherzog Rudolf von Oesterreich, »begegnete ich zuweilen während der Hasenjagd im November ganzen Zügen von Waldohreulen, welche mitten in den Feldern unbeweglich wie Pflöcke zwischen den Erdschollen standen und erst in nächster Nähe der Schützen langsamen Fluges ein wenig weiterzogen, um sich dann von neuem niederzulassen, zuletzt aber, nachdem sie einige Male aufgescheucht worden waren, in immer größeren Kreisen zu merklicher Höhe sich emporschraubten und über die Schützenlinie hinweg nach ihrem ersten Standplatze zurückflogen. In Ungarn traf ich um dieselbe Zeit ebensowohl in niederen Föhrengehölzen als auch in lichten Laubwäldern äußerst zahlreiche Schwärme dieser Art an. Sie streichen selbstverständlich nicht wie ein Volk Rebhühner oder wie ein Zug Staare, dicht gedrängt neben einander, dahin, sondern bekunden ihre Zusammengehörigkeit nur dadurch, daß sie sich auf einem verhältnismäßig kleinen Raume immer wieder zusammenfinden. In einem Föhrenwalde, welcher einsam zwischen Feldern und Sandhaufen liegt, erscheinen bei Treibjagden zuerst regelmäßig fünf bis sechs dieser Eulen an der Schützenlinie; im letzten Treiben aber, welches durch ein auffallend dichtes Föhrengehölz geht, kommen oft zwischen vierzig bis fünfzig Waldohreulen an die Schützenlinie gestrichen, im Anfange des Treibens nur einzeln, gegen Ende in ununterbrochener Reihenfolge, doch nicht alle an einer Stelle, sondern gleichmäßig auf der ganzen Linie vertheilt. Merkwürdig erschien mir das sozusagen rudelweise Auftreten der Waldohreule in den lichten Eichenbeständen eines großen Forstes in der Nähe von Gödöllö. Hier sah ich während der Pürsche auf Hochwild öfters gerade diese Eulen in erheblicher Anzahl, eine neben der anderen aufrecht stehend. Meist waren etwa dreißig bis vierzig Bäume von Ohreulen dicht besetzt. Neugierig mich betrachtend, ließen sie mich gewöhnlich bis auf wenige Schritte heran kommen, bevor sie von ihren Standplätzen abstrichen. Wenn aber die erste von ihnen sich aufgeschreckt erhob, flogen in kleinen Zwischenräumen alle, jedoch nach verschiedenen Richtungen, weg. Gleichwohl gelang es mir gewöhnlich, in einer Entfernung von beiläufig einigen hundert Schritten die ganze Schar wieder versammelt zu finden. Auch in jungen Laubholzdickungen von kaum mehr als Manneshöhe begegnete ich häufig solchen Wanderflügen, niemals aber vor Ende November und nicht länger als bis zur Mitte des Winters.«

Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß es nicht allein die Geselligkeit, sondern auch die in einer bestimmten Gegend reichlich zu findende Nahrung ist, welche die Waldohreule zu so zahlreichen Scharen gesellt. Auch an Brutplätzen tritt sie, je nach den Mäusejahren, bald in größerer Anzahl, bald nur paarweise auf. Ihre Jagd gilt hauptsächlich kleinen Säugethieren, und zwar in erster Reihe den Wald- und Ackermäusen sowie den Spitzmäusen. Ein täppisches Vögelchen wird nicht verschont und ein krankes oder ermattetes Rebhuhn unter Umständen ebenfalls [91] mitgenommen: diese Uebergriffe aber sind kaum der Erwähnung werth. Walter bezweifelt, daß sie Spitzmäuse frißt, weil eine von ihm gepflegte Waldohreule solche zwar aufnahm, sie aber sogleich fortwarf, wenn sie dieselben mit der Zunge berührt hatte; demungeachtet ist an der Thatsache nicht zu zweifeln, da Altum Spitzmausreste in ihren Gewöllen gefunden hat. Den Mäusen stellt sie hauptsächlich am Rande oder auf Blößen der Waldungen nach, läßt sich aber wohl auch dann und wann zu weiteren Ausflügen auf die benachbarten Felder verleiten.

Wenn man die Waldohreule bei Tage im dichtesten Schatten des Waldes hart an den Stamm gelehnt, auf einem Aste sitzen sieht, hoch ausgerichtet wie ein stehender Mann, alle Federn knapp an den Leib gelegt und beide oder nur ein einziges Auge ein wenig geöffnet, um blinzelnd auf den verdächtigen Eindringling herab zu schauen, und sodann durch Beobachtung erfährt, daß sie immer erst nach Eintritt der Dämmerung auf ihre Jagd auszieht, ist man allerdings geneigt zu glauben, daß sie das Tageslicht scheue, beziehentlich durch die Sonne geblendet und am richtigen Sehen verhindert werde. Eine solche Auffassung entspricht der Thatsächlichkeit aber keineswegs. So lichtscheu sie sich geberdet, so sehr bedarf sie des Sonnenscheins: sie geht zu Grunde, wenn man ihr in der Gefangenschaft die Sonne gänzlich entzieht. »Sobald nachmittags die Sonnenstrahlen ihren Käfig treffen«, schreibt mir Walter, »blickt sie mit weitgeöffneten Augen, gehobenem Kopfe, die Brust herausgekehrt und der Sonne zugewendet, gerade in das Tagesgestirn und breitet Flügel und Schwanz, um ja allen Theilen die Wohlthat der Sonnenwärme zu verschaffen. War mehrere Tage nach einander trübes Wetter und die Sonne verhüllt, dann springt sie herab in den Sand und hockt in derselben Stellung wie sonst lange Zeit auf der früher beschienenen Stelle. Ergötzlich war es anzusehen, wie diese Eule beim Anzünden des Weihnachtsbaumes von ihrer Sitzstange herab in den Sand sprang und dort in gleicher Weise sich niederhockte, regungslos verharrend, den Kopf unbeweglich in die Schultern zurückgelegt und das volle Gesicht dem strahlenden Baume zugekehrt. Sie hielt den ungewöhnlich starken Lichterglanz offenbar für Sonnenschein. Wenn ich abends arbeite, steht meine Lampe hart am Käfige der Eule, und sie rückt dann gewöhnlich so dicht an die Sprossen, daß zwischen ihr und der Flamme kaum funfzehn Centimeter Zwischenraum bleibt. Auf dieser Stelle verweilt sie oft stundenlang. Wie trefflich sie bei Tage sieht, erfuhr ich bei folgender Gelegenheit: An einem Mittage um ein Uhr, als die Sonne bei mir durchs Fenster schien, bemerkte ich, daß die Ohreule sehr scharf zu einem Punkte an der Decke senkrecht über mir aufblickte und durch Drehen des Kopfes ihre Theilnahme für diesen Punkt ausdrückte. Der Richtung folgend, sah ich von meinem Platze aus über mir eine Spinne, kleiner als eine Fliege, an der Decke sitzen. Da die Eule bald gleichgültig nach einer anderen Richtung hinblickte, bald aber wieder mit der regsten Aufmerksamkeit jene Spinne betrachtete, stieg ich auf einen Stuhl, um letztere zu beobachten, und bemerkte nun, daß diese, ohne ihre Lage zu verändern, bald mit den Beinen am Gewebe arbeitete, bald wieder unthätig in ihrem Netze saß. Ruhte sie bei ihrer Arbeit, so wandte die Eule sich gleichgültig ab; begann sie zu haspeln, ohne den Körper dabei zu verrücken, dann beobachtete sie die Eule auf das schärfste. Obgleich ich sehr gut sehe, war es mir doch unmöglich, die Bewegungen der Spinne von meinem Sitzplatze aus zu erkennen, wogegen die Eule trotz des viel weiteren Abstandes alle Bewegungen auf das genaueste wahrnahm. Ich glaube daher, daß das Schließen der Augen weniger deshalb geschieht, um das Sonnenlicht abzuwehren, als vielmehr, um sich den Anschein zu geben, als beachte sie ein gefährliches Wesen nicht im geringsten.«

Alte verlassene Nester einer Krähe, einer Ringeltaube, der Bau eines Eichhörnchens oder der Horst eines Tagraubvogels müssen der Waldeule zur Wiege der Jungen dienen. An eine Aufbesserung des vorgefundenen Nestes denkt sie nicht. Sie legt im März ihre vier runden weißen Eier ohne jegliche Vorbereitung auf den Boden des vorgefundenen Nestes und bebrütet sie drei Wochen lang sehr eifrig, währenddem sie sich vom Männchen atzen läßt. Dieses hat vorher seiner Liebesbegeisterung durch lautes Geschrei, den Silben »Huihui« und »Wump« vergleichbar, oder durch klatschendes Schlagen mit den Flügeln Ausdruck gegeben und hält sich, so lange das Weibchen brütet, in nächster [92] Nähe desselben auf, hält treue Wacht und wird laut, sobald ein Feind dem Horste sich nähert. »Ich habe«, sagt mein Vater, »öfter seinen Muth bewundert, wenn es mit lautem ›Wau, wau‹ die Annäherung einer Gefahr verkündete und nicht selten mit augenscheinlicher Todesverachtung den Feind umflog. Wenn ich die Weibchen geschossen hatte, waren die Männchen mit allem Eifer bemüht, die fehlende Mutter zu ersetzen und wurden dann fast immer mit leichter Mühe von mir erlegt, wogegen sie sich vorher gewöhnlich außer Schußweite gehalten hatten.« Die Jungen bedürfen viele Nahrung, kreischen und pfeifen fortwährend, als ob ihr Hunger niemals gestillt würde, und treiben die zärtlichen Eltern zu ununterbrochener Mäusejagd an. Leider verrathen sie sich böswilligen oder dummen Menschen durch ihr Schreien nur zu oft und finden dann häufig ein schmähliches Ende. Hebt man sie aus dem Horste, wenn sie noch mit Wollflaum bedeckt sind, und gibt sich dann viel mit ihnen ab, so werden sie nach kurzer Pflege ungemein zahm und ergötzen ihren Herrn und Gebieter weidlich.

Auch die Waldohreule ist dem gesammten Tagesgeflügel sehr verhaßt und wird geneckt und gefoppt, sobald sie sich sehen läßt. Der verständige Mensch läßt sie unbehelligt und thut sehr wohl daran, weil jeder Schutz, welchen man ihr gewährt, dem Walde zu gute kommt; der unverständige Bubenjäger dagegen schießt sie vom Baume herab, wenn er ihrer ansichtig wird, nagelt sie zum Merkmale seiner Thorheit mit ausgebreiteten Flügeln an das Hofthor und rühmt sich auch wohl noch seiner Heldenthat. Ihm möge gesagt sein, daß die Waldohreule nützt, so lange sie lebt. Ihr Nahrungsbedarf ist zwar gering; aber sie kann, gleichviel ob sie hungrig ist oder nicht, eine Maus nicht erblicken, ohne sich auf sie zu stürzen, fängt daher mehr Mäuse, als sie verzehrt. Günstigen Falles trägt sie letztere ins Versteck und holt sie gelegentlich aus ihm hervor, wenn sie im Jagen unglücklich war. Nur bei sehr großem Hunger frißt sie eine geschlagene Maus sofort, nachdem sie dieselbe getödtet; in der Regel reißt sie ihr den Kopf ab und trägt das übrige, wenn auch nur für kurze Zeit, einem Versteckplatze zu. Hat aber ein Paar Junge, dann schleppt es so viele Mäuse heran, als es irgendwie kann, belegt mit ihnen, nachdem auch die Jungen gesättigt sind, den ganzen Horst und leistet so für ihre Größe erstaunliches.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 89-93.
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