Kurzfangsperber (Nisus brevipes)

[585] Auf der Balkaninsel wie im Inneren Rußlands gesellt sich dem Sperber, hier und da auch wohl seine Stelle vertretend, der Kurzfangsperber (Nisus brevipes, Astur brevipes, Accipiter brevipes, sphaenurus, badius und Gurneyi, Micronisus brevipes und badius). Er unterscheidet sich vom Sperber durch stärkeren Schnabel und Fang, kürzere Läufe und Zehen, dunkleres, mehr ins Schieferblaue ziehendes Gefieder der Oberseite, dichtere Sperberung der Untertheile, zumal der Kropfgegend, und schmälere, zierlichere Binden des Schwanzes; auch sind die einfarbigen Schwingen spitziger als bei der einheimischen Art.

In Europa scheint der Sperber nirgends zu fehlen, und auch im größten Theile Mittelasiens dürfte er Standvogel sein. Er horstet in Lappland und Nordskandinavien überhaupt wie in Griechenland, vom Amur an durch ganz Mittelasien und Europa hindurch bis Madeira, findet sich also durch das ganze nördlich altweltliche Gebiet. Im Einklange mit der Beschaffenheit der Waldungen tritt er in Europa häufiger auf als in Asien, fehlt jedoch hier keinem Gebiete, welches seinen Anforderungen an das Leben einigermaßen entspricht. Im Herbste unternimmt auch er, mehr den Finken als den Lerchen folgend, Wanderungen, welche ihn von uns aus bis Nordafrika, in Asien bis nach Indien führen. In den Nilländern soll er, nach Angabe Rüppells, bis Kordofân streichen; ich habe ihn jedoch niemals weiter südlich als bis Mittelnubien beobachtet. In Egypten, Algier, Morokko, aber auch schon auf den drei südlichen europäischen Halbinseln ist er während des ganzen Winters gemein; aus Nordostafrika verschwindet er mit Beginn des Frühjahres vollständig, wogegen er für Algerien und die Kanarischen Inseln als Brutvogel angegeben wird. Dasselbe gilt für Kleinasien und Persien, woselbst er, wenigstens im Norden des Landes, von jedermann gekannt zu sein scheint. In Indien ist er, nach Jerdon, regelmäßiger Wintergast, welcher Anfang Oktober erscheint und Ende Februar oder Anfang März wieder weggeht. Er bewohnt Waldungen aller Art, namentlich Feldgehölze, am liebsten solche in bergigen Gegenden, scheut sich aber keineswegs vor dem Menschen, siedelt sich im Gegentheile gern in unmittelbarer Nähe der Dörfer und Städte an, besucht sie mindestens im Herbste und Winter regelmäßig, jagt selbst kleine Baumgärten im Herzen großer Städte ab, erscheint hier, wenn er einmal so glücklich war, Beute zu gewinnen, tagtäglich zu bestimmten Stunden und gibt sich zuweilen nicht einmal die Mühe, den erjagten Raub weit wegzutragen, sondern kröpft ihn auf einem versteckten Plätzchen in unmittelbarer Nähe bewohnter Gebäude.

»Der Sperber«, sagt mein Vater, welcher ihn sehr ausführlich und genau beschrieben hat, »hält sich den größten Theil des Tages verborgen und kommt nur zum Vorscheine, wenn er rauben will. Ungeachtet seiner kurzen Schwingen fliegt er leicht, schnell und sehr gewandt; sein Gang dagegen ist hüpfend und ungeschickt. Er ist ebenso scheu wie dreist und ohne Furcht vor größeren Vögeln. Bechstein schreibt dem Männchen und Naumann dem Weibchen eine größere Beherztheit zu; aber beide irren: eins ist so muthig wie das andere. Freilich hat das Weibchen mehr Stärke und kann einen Kampf mit Glück bestehen, in welchem das Männchen unterliegen müßte. So sah ich ein merkwürdiges Schauspiel vor meinem Fenster. Ein Sperberweibchen hatte einen Sperling gefangen, und ihn hinter den Zaun meines Gartens, kaum zehn Schritte von meiner Wohnung, getragen, um ihn hier zu verzehren. Ich bemerkte dies aus meinem Fenster und ließ es ruhig geschehen. Als es noch nicht halb fertig war, kam eine Krähe, um ihm die Beute abzunehmen. Sogleich breitete der Sperber seine Flügel aus und bedeckte damit seinen Raub. Als aber die Krähe zu wiederholten Malen auf ihn stieß, flog er auf, hielt den Sperling in dem einen Fange, wendete sich im Fluge so geschickt, daß der Rücken fast der Erde zugekehrt war, und griff mit dem freien Fange der Krähe so heftig in die Brust, daß diese abziehen mußte. Aber auch das Männchen zeigt gleiche Dreistigkeit wie das Weibchen, und kommt, wie dieses, in die Dörfer.«

[585] Mit der Dreistigkeit verbindet der Sperber bemerkenswerthe Geistesgegenwart, List und Verschlagenheit. Er ist das treue Bild eines strolchenden Diebes oder Wegelagerers und unterscheidet sich in seinem Auftreten wesentlich von allen übrigen europäischen Falken, mit alleiniger Ausnahme seines kurzzehigen Verwandten und des Habichts. Seine Bewegungen, welche selbstverständlich durchaus im Einklange seiner kurzen Flügel und des langen Schwanzes stehen, lassen ihn in jeder Entfernung bestimmt erkennen. Nur wenn er von einem Waldestheile zum anderen und über freies Feld fliegen will, zieht er, abwechselnd durch einige rasch auf einander folgende Flügelschläge sich fördernd und dann mit ausgebreiteten Flügeln schwebend, geraden Weges dahin; gewöhnlich folgt er dem Saume des Waldes oder dem Rande von Gebüschen und beschreibt hierbei beständig Schwenkungen der verschiedensten Art. Im Walde sieht man ihn dann und wann wohl auch über den Baumkronen, viel häufiger aber zwischen und unter denselben fliegen; in Gebüschen oder an Zäunen streicht er förmlich lauernd dicht über dem Boden weg, schwenkt plötzlich zwischen dem Astwerke hindurch, jagt die andere Seite der Buschreihe ab, streift hart über die Wipfelspitzen hinweg, schwenkt wiederum, erscheint so immer urplötzlich in unmittelbarer Nähe der zwischen den Zweigen sitzenden Vögel, schwingt sich jählings in die Höhe und stürzt sich pfeilschnell auf die ins Auge gefaßte Beute herab. Mehr als irgend ein anderer Raubvogel übt er die Kunst der Verstellung. Schon Naumann erzählt, daß er zuweilen, um Kleingeflügel zu täuschen, den Flug des Hehers annehme; Eugen von Homeyer hat dasselbe beobachtet. Ein Vogel erschien am unteren Ende einer langen, wohl aus zwanzig Eichen bestehenden Baumreihe und flog, nach Heherart, langsam von Baum zu Baum, auf jedem kurze Zeit verweilend. Dies Gebaren glich so täuschend dem des Hehers, daß Homeyer gedachten Vogel nur deshalb weiter mit dem Auge folgte, weil die Eichen noch nicht reife Früchte trugen, für Heher daher keine Veranlassung vorlag, ihre Wipfel zu durchstreifen. Mit einiger Ueberraschung erkannte mein Gewährsmann einen Sperber. Mehr und mehr näherte sich der verschlagene Strauchdieb der letzten Eiche, auf welcher ein Schwarm kleiner Vögel saß, entpuppte sich endlich plötzlich als Räuber, schoß wie ein Blitz unter die arglose Schar und flog einen Augenblick später mit einem blutenden Opfer in seinen Klauen davon.

Ist die Raubgier des Sperbers einmal erregt worden, so vergißt er alles um sich her, achtet weder des Menschen, noch der Hunde und Katzen, nimmt vielmehr die ins Auge gefaßte Beute in unmittelbarster Nähe des Beobachters weg, stürzt sich sausenden Fluges dicht über dem ruhig Sitzenden hinweg, daß seine Fittige beinahe dessen Haupt berühren, packt das Opfer mit fast unfehlbarem Griffe und ist mit ihm entflogen und verschwunden, bevor man recht zur Besinnung gelangt. Im Inneren von Häusern oder selbst von fahrenden Wagen sind Sperber sehr oft gefangen worden: sie hatten ihre Beute bis dahin so gierig verfolgt, daß sie alles übrige vergaßen. Noch neuerdings wurde erzählt, daß ein Sperber bei Verfolgung eines Vogels in einen in voller Fahrt begriffenen Eisenbahnwagen flog und hier gefangen wurde. Gefangene Vögel im Bauer vor und hinter den Fenstern sind vor seinem Angriffe ebenso wenig gesichert wie die frei lebenden. Der Glasscheiben nicht achtend, stürzt er sich auf die Gebauer, zerbricht, nicht immer ohne Lebensgefahr, in jähem Anpralle das Glas, und greift im Zimmer, unbekümmert um die aufschreienden Bewohner, nach dem Vogel. »Einst«, so erzählt Schacht in seiner »Vogelwelt des Teutoburger Waldes«, einem frisch geschriebenen, empfehlenswerthen, weil nur eigene Beobachtungen enthaltendem Buche, »hatte ich einen Käfig mit einem Lockstieglitze im Hausgarten dicht neben einer Hecke ausgesetzt. Als ich mittags herzutrat, um den Vogel wieder heimzutragen und eben dabei war, eine Leimruthe abzunehmen, stürzte sich plötzlich auf den mir zu Füßen stehenden Vogel ein Sperber herab und umflatterte in wilder Hast einige Male den Käfig. Solche Kühnheit war mir noch nicht vorgekommen. In meiner Bestürzung schleuderte ich, da mir keine andere Waffe zur Hand war, die Leimruthe auf den frechen Räuber herab. Leider verfehlte dieselbe ihr Ziel, und der Sperber entkam glücklich.« Selbst wenn auf ihn gefeuert wird, läßt er sich nicht immer vom Rauben [586] abhalten. Rohweder schoß mit groben Schroten auf einen fliegenden Sperber, welcher auf den Schuß mit ausgebreiteten Flügeln, sich um sich selber drehend, abwärts stürzte, aber in einer Entfernung von etwa fünf Meter über dem Boden auf den schirmartig ausgebreiteten Zweig einer Buche fiel, hier sich mit dem Fuße anklammerte und den Kopf nach unten, die Flügel wie im Krampfe halb ausgebreitet, etwa zwei Minuten lang ohne alle Bewegung hängen blieb. »Als er darauf den Kopf etwas hob und mit den Flügeln zuckte«, sagt der Berichterstatter, »hielt ich dies für den Beginn des Todeskampfes, hing die Flinte über und nahm den Hut in die Hand, um darin den sterbenden aufzufangen. Jetzt läßt er sich los, statt aber herunterzufallen, breitet er die Schwingen aus, fliegt davon und hat, noch ehe ich schußfertig werden kann, einen schreienden Staar in seinen Klauen, mit dem er, als ob nichts vorgefallen, triumphirend davonzieht. Vermuthlich hatte eine der Posten, welche ich für den Rehbock geladen, ihn am Schnabel getroffen und, ohne ihn weiter zu verletzen, für kurze Zeit betäubt.« Dem Jäger, welcher kleinere Vögel schießt, nimmt er nicht selten das angeschossene Wild weg: Taczanowski behauptet sogar, es sei, um ihn heranzulocken, hinreichend, einen Flintenschuß abzufeuern, und ich muß sagen, daß auch ich oft auf den Schuß einen Sperber habe herankommen sehen, eine ähnliche Schlußfolgerung wie der eben er wähnte daraus jedoch nicht zu ziehen versucht habe.

Der Sperber ist der fürchterlichste Feind aller kleinen Vögel; er wagt sich aber auch gar nicht selten an größere. Vom Rebhuhne an bis zum Goldhähnchen herabscheint kein Vogel vor seinen Angriffen gesichert zu sein, und kleine Säugethiere verschmäht er ebensowenig. Seine Kühnheit ist zuweilen wirklich maßlos. Es liegen Beobachtungen vor, daß er Haushähne angriff, und man hat wiederholt gesehen, wie er auf Hasen stieß. Doch schien es, als ob er sich dann nur einen Spaß machen wollte, diese furchtsamen Thiere zu ängstigen. Einzelne Beobachter, welche ihn und sein Wesen recht gut kennen, haben in Abrede stellen wollen, daß er Tauben und Rebhühner schlägt. Snell namentlich versichert, niemals gesehen zu haben, daß der Sperber einen Angriff auf die Tauben gewagt habe. »Das ist freilich wahr«, sagt er, »die Tauben ergreifen die Flucht, wenn ein Sperber nach der Gegend, wo sie sich befinden, dahergeschossen kommt. So oft ich dies aber auch beobachtete, der Sperber schoß stets an den Tauben vorüber in den Hof oder in den Gartenzaun nach den Sperlingen, welche sich dort befanden. Einmal saß sogar einer nur einige Meter unter dem Flugloche meines Taubenschlages auf einem Vorsprunge des Giebeldaches. Es hatte ihn aber ganz gewiß nur die Verfolgung der Sperlinge dorthin geführt.« Im allgemeinen mag dies richtig sein; ich kenne jedoch mehrere unzweifelhafte Fälle, daß Sperber, namentlich Sperberweibchen, Tauben schlugen, und weiß ebenso, daß sie Rebhühner ergriffen. Letzteres bestätigt Alexander von Homeyer, ersteres von Zittwitz; seine Angriffe auf kleine englische Haushennen verbürgt Tobias. »Mein Vater«, schreibt mir von Reichenau, »gelangte auf einem seiner Jagdgänge einmal ohne Anwendung von Hund, Pulver und Blei in den Besitz eines Rebhuhnes. In einer Entfernung von etwa hundert Schritten ging ein Volk Rebhühner auf, und fast gleichzeitig stieß ein Sperberweibchen mitten durch den gedrängten Schwarm. Ein Rebhuhn in den Fängen begab sich der Sperber auf einen unsern gelegenen Rain und gab hier seiner Beute den Rest. Mein Vater wartete ruhig ab, bis das Huhn verendet, und schlich sich, gedeckt durch die Böschung des Rains, bis in ziemliche Nähe an den Fleck heran, wo der Sperber sitzen mußte, ergriff einen Stein, schleuderte ihn, gleichzeitig schreiend, nach dem Raubvogel und erschreckte diesen so, daß er das Huhn liegen ließ und davonflog. Ich selbst hielt in Wetzlar einst ein Sperberweibchen durch lautes Zurufen davon ab, eine schon von ihm erreichte Taube zu ergreifen.« An Muth und Raubgier fehlt es dem Sperber gewiß nicht, jedes Wild zu schlagen, welches er irgendwie bewältigen zu können glaubt: er wagt sich selbst anscheinend zwecklos an wehrhafte Thiere. »Ich ging einst«, sagt Naumann, »in meinem Wäldchen umher und sah einem Reiher nach, welcher ruhig und dicht über den Bäumen hin davonfliegen wollte. Plötzlich stürzte sich aus den dichten Zweigen eines der letzten Bäume ein Sperber hervor, packte den erschrockenen Reiher augenblicklich am Halse, und [587] beide kamen nun mit gräßlichem Geschrei aus der Höhle herab. Ich lief sogleich hinzu, ward aber zu früh von dem Sperber bemerkt; er erschrak darüber und ließ den Reiher los, worauf dann jeder ruhig seine Straße zog. Wohl möchte ich wissen, was aus diesem ungleichen Kampfe geworden wäre, wenn ich beide nicht gestört hätte. Ob wohl der kleine tollkühne Räuber den Reiher überwältigt und wirklich getödtet haben würde?« Wenn man annehmen darf, daß Sperber, welche auf größere Säugethiere stoßen, diese nur ängstigen wollen, muß man doch glauben, daß er kleinere bis zu Eichhörnchengröße nur aus dem Grunde ergreift, um sie zu verzehren. Karl Müller beobachtete, weil verborgen, längere Zeit einen Sperber, welcher wiederholte Angriffe auf ein Eichhörnchen ausführte und dasselbe in die größte Lebensgefahr brachte.

Dem Kleingeflügel, namentlich Finken, Sperlingen, Meisen, Staaren und Drosseln, wird der Sperber besonders aus dem Grunde gefährlich, weil er, stets überraschend, Rettung fast unmöglich macht und ebenso gut im Fliegen wie im Sitzen fängt, bei seiner Jagd sogar hinter einer durch ihn eingeschüchterten Beute herläuft. »Ein von mir beobachtetes Sperbermännchen«, sagt mein Vater, »verfolgte einen Sperling an einem Zaune. Dieser, wohl wissend, daß er im Fluge verloren gewesen wäre, lief immer durch den dünnen Zaun hin und her. Der Sperber verfolgte ihn hüpfend eine Zeit so schnell und so weit wie er konnte, bis er endlich, der fruchtlosen Jagd müde, sich auf einen Zwetschenbaum setzte und herabgeschossen wurde.«

Alle kleinen Vögel kennen und fürchten ihren furchtbarsten Feind im hohen Grade. »Die Sperlinge treibt«, wie Naumann sagt, »die Angst vor ihm in die Mäuselöcher«, und alle übrigen suchen sich in ähnlicher Weise zu retten, so gut ihnen dies gelingen will. Manche verfahren dabei mit nicht geringer Klugheit. Sie beschreiben enge Kreise um Baumzweige oder Baumstämme, wobei ihnen der Sperber trotz seiner Gewandtheit doch nicht so schnell folgen kann, gewinnen hierdurch einen kleinen Vorsprung und schlüpfen dann blitzschnell in dichtes Gebüsch; andere werfen sich beim Erscheinen des Räubers platt auf den Boden, verharren regungslos und werden oft übersehen; kurz, jeder sucht sich nach besten Kräften zu retten. Nur im Sitzen fürchten die Vögel nach meines Vaters Beobachtungen den Sperber nicht, verweilen vielmehr manchmal längere Zeit auf demselben Baume, welchen er zum Ausruhen erkoren. Die gewandtesten unter dem kleinen Geflügel verfolgen den Wütherich mit lautem Geschrei und machen hierdurch andere Vögel aufmerksam und vorsichtig. Zumal die Rauchschwalben verleiden ihm oft die Jagd, und er weißt recht wohl, wie viel Schaden sie ihm zufügen; denn wenn sie ihm einmal nahe gekommen sind, schwingt er sich in die Höhe, schwebt noch einige Male im Kreise herum und fliegt dann dem Walde zu, sicherlich mit argem Groll im Herzen, daß ihm die lästigen zu schnell sind. Bei seinen Angriffen stößt er nicht selten fehl; dafür nimmt er aber auch zwei Vögel auf einmal weg, wenn das Glück ihm hold ist. Die gefangene Beute trägt er einem verborgenen Orte zu, rupft ihr die großen Federn aus und verzehrt sie hierauf gemächlich. Knochen, Federn und Haare gibt er in Gewöllen wieder von sich. Junge Nestvögel, namentlich solche, welche am Boden ausgebrütet werden, gehören zu seinem Lieblingsfutter; er verschont aber auch die Eier nicht. »Am neunundzwanzigsten Mai«, erzählt Hintz, »kam mein Hirt und sagte, daß er gestern ein Rebhuhnnest mit zweiundzwanzig Eiern gefunden; heute seien jedoch nur zwanzig darin gewesen, und er habe einen kleinen Sperber gesehen, welcher nicht weit vom Neste aufgeflogen wäre. Ich ging sogleich zur Stelle und fand noch neunzehn Eier im Neste. Nun stellte ich mich verdeckt an und stand kaum eine Viertelstunde, als ein Sperber ankam, sich beim Neste niedersetzte und gleich wieder davonflog. Es fehlte wieder ein Ei im Neste. Nach Verlauf einer Stunde kam er wieder und flog abermals mit einem Eie davon. Ungeachtet aller Aufmerksamkeit aber konnte ich nicht beobachten, auf welche Weise er die Eier fortschaffte, ob mit den Fängen oder mit dem Schnabel.«

Die Stimme des Sperbers vernimmt man selten, gewöhnlich nur beim Horste. Sie ist ein schnell hintereinander ausgestoßenes »Ki ki ki« oder ein langsameres »Kät kät«. Ersteres scheint der Warnungston zu sein.

[588] Der Horst steht in Dickichten oder Stangenhölzern, selten hoch über dem Boden, aber möglichst gut verborgen, wenn thunlich auf Nadelbäumen, nahe am Stamme. In Skandinavien soll der Sperber dann und wann auf Felsen horsten und nach einer anderen Angabe zuweilen in Baumhöhlen brüten: das eine wie das andere dürfte schwerlich begründet sein, vielmehr auf unrichtiger Beobachtung beruhen; das eine wie das andere entspricht auch keineswegs dem Wesen des Sperbers, welcher stets auf Bäumen oder auf dem Boden sitzt. In jenen Gegenden, wie er sie liebt, wo Feld und Wald vielfach mit einander abwechseln, wählt er sich ein den Feldern oder selbst den Dörfern möglichst nahe gelegenes Dickicht oder Stangenholz, um hier seinen Horst zu errichten, und wenn er sich einmal der Mühe unterzogen hat, solchen zu erbauen, brütet er jahrelang nach einander oder, wenn man ihm in einem Frühjahre die Eier raubt, zweimal in einem Jahre in demselben. Je nach Ort und Gelegenheit ist der Horst verschieden. Zuweilen besteht er nur aus dürren Fichten-, Tannen- und Birkenreisern und ist so liederlich gebaut, daß man ihn eher für das Nest einer Ringeltaube als für den Horst eines Raubvogels ansehen möchte; ein andermal wiederum ist er aus den genannten Stoffen, Moos, Laub und Erde aufgeschichtet, innen zierlich mit Reisern, Wurzeln und Haaren ausgelegt, auch wohl mit einigen Flaumfedern des Weibchens ausgekleidet und dann in der That ein sehr hübscher Bau. Zwischen dem zehnten Mai und zwanzigsten Juni findet man in ihm drei bis fünf mäßig große, ziemlich glatte, dickschalige Eier von verschiedener Gestalt, Größe und Färbung, welche gewöhnlich auf kalkweißem, mehr oder minder graulichem oder grünlichem Grunde mit rothbraunen, lehmrothen und graublauen, deutlichen oder verwaschenen, großen und kleinen Flecken und Punkten besetzt sind, zuweilen sehr dicht, manchmal sehr vereinzelt. Das Weibchen brütet allein, sitzt sehr fest und bekundet außerordentliche Liebe zu den Eiern, verläßt sie, selbst wenn es wiederholt gestört wurde, nicht und sucht Angriffe mit allen Kräften abzuwehren. Beide Eltern tragen den Jungen Nahrung in Fülle zu; doch nur das Weibchen ist im Stande, diese in entsprechender Weise zu zerlegen. Man hat beobachtet, daß junge Sperber, deren Mutter getödtet worden, bei vollbesetzter Tafel verhungerten, weil der Vater zu ungeschickt war, ihnen die Speise mundrecht zu machen. Auch nach dem Ausfliegen werden die Jungen noch lange von den Eltern gefüttert, geführt und unterrichtet.

Die größeren Edelfalken und der Habicht fressen den Sperber ohne Umstände, wenn sie seiner habhaft werden können; die kleineren Vögel bethätigen ihren Haß wenigstens durch Verfolgung. Der Mensch tritt dem überaus schädlichen Räuber überall feindlich entgegen, wo er ihn und sein verderbliches Treiben kennen gelernt hat. Dieser Raubvogel verdient keine Schonung, sondern die unablässigste und rücksichtsloseste Verfolgung. Man thut nicht zu viel, wenn man anräth, gegen ihn jedes Mittel anzuwenden. So denken jedoch nicht alle Leute. Bei vielen Völkern Asiens ist der Sperber heutigentages noch ein hochgeachteter Baizvogel und hat sich als solcher viele Freunde erworben. »Im südlichen Ural«, sagt Eversmann, »wird er unter allen Falken am meisten zur Jagd gebraucht, wenn auch hauptsächlich nur zu solcher auf Wachteln. Man füttert die Jungen im Sommer auf, richtet sie ab, benutzt sie im Herbst zur Jagd und läßt sie dann wieder fliegen; denn es lohnt nicht, sie den Winter hindurch zu füttern, weil man im Frühjahre so viele Junge bekommen kann, wie man nöthig hat. Nur die größeren Weibchen werden zur Jagd aufgefüttert, die kleineren Männchen wirft man weg, weil sie nicht taugen«. Ebenso wie im Ural trägt man auch in Persien und Indien Sperber ab und benutzt sie mit gutem Erfolge. »Sperlinge jagen«, bemerkt St. John, »ist eines der beliebtesten Sommervergnügen in Persien, wenn die Witterung für anstrengende Jagd zu heiß ist. Man scheucht die kleine Beute hauptsächlich an den Berieselungsgräben auf und wirft den Falken, bevor die flüchtenden Vögel einen sichernden Schlupfwinkel erreicht haben. Der Sperber fehlt selten seine Beute, folgt Sperlingen mit solchem Eifer auch in Mauerlöcher und andere Höhlungen nach, daß es oft schwierig ist, ihn wieder an das Tageslicht zu befördern, ja daß man werthvolle Baizvögel auf diese Art verliert. Ein guter Sperber schlägt funfzehn bis zwanzig Sperlinge im Laufe einer Stunde. Seine Gelehrigkeit ist wundervoll. Schon [589] eine Woche nach dem Fange kann man ihn, obgleich jetzt noch an einer langen Schnur gefesselt, zur Jagd verwenden. Weniger Tage Arbeit genügen, ihn so weit zu zähmen, daß er auch ohne Fessel zu seinem Herrn zurückkehrt. Das Weibchen verwendet man vorzugsweise zur Jagd auf Wachteln.« Wie wir durch Jerdon erfahren, wird der Sperber wie sein Vertreter, der Besra (Nisus virgatus), hochgeschätzt von allen indischen Falknern. Beide werden oft im Raubvogelnetze gefangen und auf Rebhühner, Wachteln, Schnepfen, Tauben, besonders aber auf Meinas abgerichtet. Sie leisten namentlich im Dschungel gute Dienste und belohnen dadurch die Mühe, welche ihre Abrichtung erfordert. Eine erheiternde Geschichte erzählt Radde. Im Süden des Kaukasus, und zwar im Quellgebiete des Euphrat, hauste in den Bergen ein Stamm der Kurden, welche noch jetzt die Niederjagd mit Falken betreiben, und deren Häuptling besonders gut abgerichtete Habichte, Sperber und Schreiadler als Baizvögel verwendete. Bei diesem Häuptlinge nun sah Radde einen Raubvogel, welcher in seiner Färbung und in seinem Körperbaue den Sperber nicht verhehlen konnte, aber unverkennbar den Schwanz des Thurmfalken trug. Da an eine Bastardart nicht zu denken war, mußte die Entstehung einer so sonderbaren Form auf eine natürliche Erklärung zurückzuführen sein, welche sich dann auch folgendermaßen ergab. Der Sperber hatte sich den Schwanz derartig zerstoßen, daß er nicht mehr im Stande war, denselben bei der Jagd zu gebrauchen. Da kam der alte Häuptling auf den klugen Gedanken, seinem Baizvogel einen Schwanz des Thurmfalken künstlich einzusetzen. Die alten zerstoßenen Schwanzfedern wurden an den Spulen abgeschnitten, die neuen Federn in die so entstandenen Hülsen gesteckt und mit sehr kleberigem, bald hart werdenden Zuckersyrup beschmiert. Der künstliche Schwanz leistete dem Sperber später bei der Jagd durchaus die nothwendigen Dienste.

Wer selbst Sperber gefangen gehalten hat, muß die Geschicklichkeit der asiatischen Falkner anerkennen. Angenehme Gefangene sind diese Raubvögel nicht, ihre Scheu, Wildheit und Gefräßigkeit geradezu abstoßend. Von letzterer erzählt Lenz ein Beispiel, welches ich zum Schlusse noch anführen will, weil es das Wesen des Vogels kennzeichnen hilft. »Vor einigen Jahren erhielt ich ein Sperberweibchen, welches einen Goldammer so wüthend in einen Dornbusch verfolgte, daß es sich darin verwickelte und gefangen ward. Sogleich band ich ihm die Flügelspitzen zusammen und setzte es in eine Stube, in welcher sich elf Menschen versammelten, die es mit funkelndem Blicke betrachtete; nun holte ich sechs junge Sperlinge, ließ einen davon laufen, der Sperber fuhr sogleich zu, packte und erwürgte ihn mit seinen Krallen, und blieb, unverwandt nach der Gesellschaft blickend, auf seiner Beute, welche er kräftig zusammendrückte, sitzen. Wir gingen, da er nicht fressen wollte, weg, und als wir nach zehn Minuten wiederkamen, war der Sperling verzehrt. Ebenso ging es mit den zwei folgenden Sperlingen; den vierten aber hatte er, nachdem er ihn ebenso wüthend wie die vorigen erwürgt hatte, da wir nach zehn Minuten, die wir ihm jedesmal zum Fraße gönnten, wiederkamen, nur halb verzehrt; dennoch packte er ebenso gierig jetzt auch den fünften, und wieder nach zehn Minuten den sechsten, ohne daß er sie, da sein Kropf schon gefüllt war, verzehren konnte.« Ganz ähnlich verfuhr auch ein anderer frischgefangener Sperber. »Einst«, schreibt mir Liebe, »ward mir ein Sperber gebracht, welcher beim Stoße auf einen Vogel an den Leimruthen hängen geblieben und so in Gefangenschaft gerathen war. Meine Frau, welche den Sperber vom Vogelfänger in Empfang genommen hatte, war unvorsichtig, ließ sich von dem grimmen Wichte hauen und ihn erschrocken fahren. Der Räuber aber nahm, anstatt das Fenster und das Weite zu suchen, einen meiner Vogelbauer an und stieß nach den darin befindlichen Vögeln, und zwar mit einer so blinden Wuth, daß ich ihn vom Bauer, an den er sich geklammert hatte, wieder wegnehmen konnte.«

Ich habe oft längere oder kürzere Zeit Sperber gefangen gehalten, mich aber niemals mit ihnen befreunden können. Zwar habe ich sie nicht in dem Grade als Familienmörder kennen gelernt wie den Habicht, freilich aber auch nicht so viele Sperber gleichzeitig beobachtet oder zusammengesperrt, als daß ich hierüber mich hätte unterrichten können. Wahrscheinlich thue ich ihnen nicht Unrecht, wenn ich ihnen ebensoviele Rücksichtslosigkeit, Bosheit, Niederträchtigkeit, Mordlust und [590] Gleichgültigkeit gegen die geheiligten Bande der Familie zutraue wie ihrem größeren Vetter, dem Habichte. Beide sind geistig ebenso nahe verwandt wie leiblich; beide benehmen sich dem zufolge auch in der Gefangenschaft ganz ähnlich. Daß sich der Sperber noch schlechter halten, noch weniger leicht ernähren läßt als der Habicht, braucht kaum erwähnt zu werden. Ihm, dem leckersten aller deutschen Raubvögel, ist Pferdefleisch, das fast alleinige Futter der vierfüßigen und gefiederten Räuber der Thiergärten, ein entsetzlicher Gräuel, und wenn auch der Hunger sehr wehe thun und ihn sogar bewegen kann, solches ungewohnte Futter zu fressen, wetzt sich der Sperber doch nach jedem Bissen verdrießlich den Schnabel, als wolle er damit ausdrücken, daß das saftige Fleisch der kleinen Finken, Lerchen und Sänger denn doch ganz anders schmecke als das des edlen Rosses. Kein Wunder, daß dieser Raubvogel bei solcher Nahrung sichtlich kümmert, und wenn er sich nicht vorher den Kopf am Gitter einstößt, früher oder später an der ihm widernatürlichen Nahrung sicher zu Grunde geht. Ich kenne aber keinen einzigen deutschen Thierpfleger, welcher über den Verlust eines so rohen Genüssen zum Opfer gefallenen Sperbers bekümmert wäre. Jeder hält selbst die verschrieenen Spatzen viel zu hoch, als daß er sie solchem Gauche opfern möchte. Für Raubritterthum kann der eine oder der andere schwärmen: den Strolch und sein Treiben verachtet jedermann.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 585-591.
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