Wespenbussard (Pernis apivorus)

[714] Unser Wespen- oder Honigbussard, Wespen-, Bienen-, Honig- oder Läuferfalk, Wespen-, Bienen- und Honiggeier, Sommermauser (Pernis apivorus, communis, apium, vesparum und platyura, Falco apivorus, dubius, incertus und poliorhynchus, Accipiter lacertarius, Buteo apivorus, Aquila variabilis) erreicht eine Länge von neunundfunfzig bis zweiundsechzig, eine Breite von einhundertfünfunddreißig bis einhundertundvierzig Centimeter; die Fittiglänge beträgt vierzig, die Schwanzlänge dreiundzwanzig Centimeter. Das Gefieder ist mannigfachem und zufälligem Wechsel unterworfen; doch sollen nach Behrends Beobachtungen gewisse Spielarten durch mehrere Geschlechter hindurch treu sich fortpflanzen, also die Abkömmlinge zweier gleichmäßig gefärbten Eltern ein diesen ähnliches Kleid erhalten. Zuweilen ist das Kleid einfarbig braun, der Kopf des Männchens graublau und nur der Schwanz durch drei große und mehrere kleine braune Binden gezeichnet; oft wieder ist der Oberkörper braun, der Unterkörper hingegen mehr oder weniger weiß gefleckt oder weiß und durch braune Querflecke und Schaftstriche gezeichnet. Junge Vögel sind gewöhnlich braun oder gelbbraun, die Federn dunkler geschaftet, die des Nackens heller. Außer den angegebenen Farbenverschiedenheiten kommen viele andere vor. Das Auge ist silberweiß bis goldgelb, der Schnabel schwarz, die Wachshaut goldgelb, der Fuß citrongelb.

Ganz Europa, mit Ausnahme der nördlichsten Länder, ist die Heimat des Wespenbussards. Vom mittleren Skandinavien und Finnland an fehlt er nirgends, tritt aber, vielleicht mit alleiniger Ausnahme Ostrußlands, überall vereinzelt und bloß stellenweise auf. In den Niederungen Norwegens bemerkt man ihn zuweilen in großer Anzahl, an der Küste im Sommer regelmäßig und [714] häufig; in Schweden verbreitet er sich bis zur lappländischen Grenze; in Rußland zählt er zu den gewöhnlichen Raubvögeln; Dänemark berührt er auf dem Zuge, brütet jedoch ebenfalls hier und da. In Deutschland bevorzugt er den Westen, ohne jedoch im Norden zu fehlen. Er tritt in der Tiefebene häufiger auf als im Mittelgebirge, scheint überhaupt tausend Meter unbedingter Höhe nicht zu übersteigen und läßt sich außerdem durch den herrschenden Bestand der Wälder beeinflussen. In Holland horstet er nahe der deutschen Grenze, in Belgien vorzugsweise auf den Ardennen, in Frankreich in ungleich größerer Anzahl im Süden und Südosten als im Norden; in Spanien, Italien und Griechenland hingegen scheint er sehr einzeln sich anzusiedeln, diese Länder vielmehr nur gelegentlich seiner Wanderung zu besuchen.


Wespenbussard (Pernis apivorus). 1/5 natürl. Größe.
Wespenbussard (Pernis apivorus). 1/5 natürl. Größe.

Reine Nadelholzbestände meidet er mehr oder weniger, zieht ihnen mindestens Laubwaldungen unbedingt vor und scheint, laut Altum, wiederum lieber in Buchen- als in Eichenwaldungen sich festzusetzen. Erst spät im Frühjahre, nur sehr ausnahmsweise um die Mitte, in der Regel zu Ende des Monats April, stellt er sich bei uns ein, zieht aber bis zu Ende Mai noch einzeln durch Deutschland, seinen nördlichen Wohnkreisen zu, und bereits von August an beginnt er seine Rückwanderung, welche ihn bis ins Innere, sogar bis zum Süden Afrikas führt. In der Regel wandert er einzeln oder in kleinen Gesellschaften; es kann aber auch vorkommen, daß er im Laufe eines Tages zu hunderten auf einer seiner Heerstraßen bemerkt wird. "Seit meinem Hiersein", berichtet Brüggmann, "habe ich fast jedes Jahr Ende Mai einen Zug dieser Vögel und immer über Kniphausen ziehen sehen. Der Zug war selten über dreißig bis vierzig Stück stark. Die Vögel zogen immer in gerader Richtung von Westen nach Osten, nie über Baumeshöhe, nie Kreise beschreibend; niemals auch sah ich sie fußen. Dieses Jahr (1875) bemerkte ich am sechsundzwanzigsten Mai um vier Uhr Nachmittags die ersten Wespenbussarde, etwa funfzig [715] Stück. Dieselben kreisten seitwärts von Kniphausen in etwa dreißig Meter Höhe, und zogen, beständig Kreise beschreibend, von Westen nach Osten weiter. Ihnen folgten die übrigen in ununterbrochenem Zuge in derselben Richtung, aber keiner kreisend, und alle nur haushoch fliegend. Viele fußten auch im Kniphauser Garten. Der Zug währte bis acht Uhr, und weiß ich nicht, ob später noch welche nachgekommen, doch glaube ich es wohl: am anderen Morgen wurden ungefähr dreißig Stück auf gepflügtem Lande angetroffen. Die Zahl der hier durchgezogenen Vögel schätze ich auf weit über tausend. Von Wilhelmshaven, wo man am sechsundzwanzigsten Mai denselben Zug beobachtete, wurde mir genau dasselbe berichtet. Da unser Vogel in ganz Norddeutschland nur einzeln vorkommt, so frage ich, woher kommen diese Scharen und wohin ziehen sie?" Gätke hat auf Helgoland übereinstimmende Beobachtungen gesammelt. Einmal erschienen, wie er mir mündlich mittheilte, während des Herbstzuges gegen Mittag aus Osten her Wespenbussardflüge von fünf bis sieben Stück in rascher Folge, nahmen im Verlaufe des Nachmittags stetig zu, ebensowohl was die Anzahl der einzelnen Trupps als die Raschheit der Aufeinanderfolge anlangt, und flogen von zwei Uhr bis nach Einbruch der Nacht zu zwanzig bis dreißig so dicht hintereinander über die Insel weg, daß auch Gätke dieselbe Frage wie Brüggmann sich vorlegen mußte. Meiner Ansicht nach kamen diese Vögel aus dem fernen Osten Rußlands und wanderten Westafrika zu. Bemerkenswerth ist, wie genau die Wespenbussarde auch in weiterer Ferne ihre allgemeine Heerstraße, die ostnordöstlich-westsüdwestliche und umgekehrte Richtung beibehalten. Im Nordosten Afrikas haben weder Heuglin noch ich jemals einen Wespenbussard beobachtet, und nur in seltenen Ausnahmefällen kommen, wie erwiesen, dort einzelne dieser Vögel vor, wogegen man sie in Spanien, Marokko und Westafrika als regelmäßige Wintergäste findet und in zahlreichen Scharen auf ihren Hin- und Rückzügen über die Straße von Gibraltar wandern sieht.

"Der Wespenbussard", sagt Naumann, "ist ein sehr unedler, feiger Vogel und übertrifft in dieser Hinsicht alle anderen einheimischen Raubvögel. Gutmüthigkeit und Furchtsamkeit, auch dummer Trotz sind Grundzüge seines Charakters. Er ist scheu und fliegt langsam und schwerfällig, auch meistentheils nur niedrig über dem Boden dahin. Fliegend bewegt er die Schwingen mit matten, bei Wendungen ziemlich ungeschickten Schlägen, gleitet oft streckenweise auch ganz ohne diese durch die Luft und wendet sich dann auch leichter, fliegt überhaupt sanfter und noch träger als die anderen Bussarde." Sein Flugbild unterscheidet sich, wie ich hinzufügen will, leicht von dem seines in Deutschland gewöhnlichen Verwandten. Der ganze Vogel erscheint merklich gestreckter als der Bussard und läßt sich, auch wenn er das für alle Bussarde bezeichnende Bild des Dreispitzes vor das Auge führt, mit Sicherheit an seinen verhältnismäßig längeren und schmaleren Flugwerkzeugen, den Schwingen wie dem Schwanze, erkennen. Von Liebe begeistert, führt auch er, wie weiter unten zu erwähnen, wundervolle Flugkünste aus. "In seinem Betragen", fährt Naumann fort, "verräth er die größte Trägheit. Man sieht ihn stundenlang auf einem Flecke, mehrentheils auf Grenzsteinen und einzelnen Feldbäumen sitzen und auf Raub lauern. Gegen die Gewohnheit anderer Raubvögel geht er ziemlich gut, verfolgt auch die Kerbthiere sehr oft zu Fuße. Auf der Erde umherschreitend, den Kopf etwas hoch getragen, dagegen die Federn des Hinterkopfes und Nackens gestreift, würde er einem kleinen Adler nicht unähnlich sehen, wenn sein krähenartiger Gang ihn nicht sogleich unterschiede und kenntlich machte. Die Stimme ist ein hastiges, oft wiederholtes 'Kikikik', welches zuweilen mehrere Minuten in einem Zuge fortdauert."

Nicht umsonst trägt der Wespenbussard seinen Namen; denn Wespen und andere Immen bilden in der That einen Haupttheil seiner Mahlzeiten. Den über der Erde bauenden Immen bricht er wahrscheinlich ihre Kuppelnester von den Zweigen ab, den unter dem Boden wohnenden kommt er bei, indem er die Nester ausscharrt. "Ich sah einst", schreibt mir Liebe, "ein paar Wespenbussarde auf einem Feldrande damit beschäftigt, ein Hummelnest auszugraben. Das Weibchen packte mit dem Fange Rasenstücke und Erde und riß so Brocken für Brocken heraus, bisweilen mit dem Schnabel nachhelfend. Das Männchen löste seine Ehehälfte einigemale auf kurze Zeit ab. Nach etwa einer Viertelstunde [716] war die Arbeit gethan." Hat der Vogel ein Immennest entdeckt, so läßt er sich nicht leicht von ihm vertreiben. "In den Morgenstunden eines Julitages", erzählt Behrends, "bemerkte ein Feldarbeiter einen Wespenfalken, welcher mit dem Ausscharren eines Wespennestes beschäftigt war. Obgleich der Vogel zu wiederholten Malen aufgescheucht wurde, erschien er doch immer bald wieder, seine Arbeit eifrig fortsetzend. Mittags erlegte ich ihn, noch bevor er seinen Zweck erreicht hatte. In seinem Körper und Magen fand ich nichts als Käferreste, keine Spur von Wespen, welche doch während seiner sechsstündigen Arbeit seinen Kopf zu hunderten umschwärmten, von ihm aber durch Kopfschütteln abgewehrt wurden. Diese Beobachtung erregte meine Aufmerksamkeit, und es war mir sehr erwünscht, daß ich bald darauf ein leicht verwundetes altes Weibchen erhielt und an diesem Versuche anstellen konnte. Hielt ich diesem Vogel eine Wespe vor, so fraß er sie nicht nur nicht, sondern wich sogar vor derselben zurück oder biß im günstigsten Falle endlich nach ihr, schnellte sie aber weg. So oft ich auch meine Versuche wiederholte, das Ergebnis war immer dasselbe. Niemals war er zu bewegen, eine Wespe zu fressen". Im übrigen bemerkt Behrends, dessen Auffassung ich weiter unten zu widerlegen haben werde, daß der Wespenbussard außer Wespen und Immen überhaupt vorzugsweise Heuschrecken, Käfer, Raupen, Frösche und Eidechsen frißt. Reste von warmblütigen Thieren fand Behrends selten, Hummeln niemals, Blütenkätzchen von Birken und Nadelhölzern, wie Naumann angibt, ebensowenig, wohl aber Blätter der Heidelbeerstaude. Naumann betrachtet ihn als einen argen Nestplünderer und bezichtigt ihn außerdem, neben Mäusen, Ratten, Hamstern und dergleichen auch wohl einen jungen Hasen abzuwürgen. Beim Habichte soll er sich zuweilen zu Gaste bitten, das heißt so lange in der Nähe des fressenden Räubers warten, bis dieser seine Tafel aufgehoben hat, und dann mit dem vorlieb nehmen, was jener übrig läßt. Im Hochsommer endlich soll er, außer den Heidelbeeren, auch Preißel- und andere Waldbeeren verzehren. "Bald" sagt Altum, "ist der Kropf gefüllt mit Erdraupen und kleinen Grasraupen, bald mit Wespen- und namentlich mit Hummelbrut, bald mit kleinen nackten Spannräupchen, bald mit Fröschen, bald mit einer Familie Nestvögel, von denen er die Drosseln besonders zu lieben scheint. Mäuse, welche er ohne Zweifel auch verzehrt, fand ich nie. Kerbthiere, namentlich Käfer, Hummelbrut, Erd-, Gras- und Spannraupen, scheinen nebst Fröschen seine Hauptnahrung zu sein".

Alle Beobachter, welche die Kerbthiere im Kropfe und Magen des Wespenbussards untersuchten, mit alleiniger Ausnahme von Behrends, bemerken übereinstimmend, daß der Vogel nie verfehle, dem Immengeschlechte, also Hornissen, Wespen, Hummeln und Bienen, vor dem Verschlingenden Stachel abzubeißen. Er weiß diese Thiere, wie Naumann schildert, so geschickt zu fangen, daß er sie beim Zuschnappen seitlich quer in den Schnabel bekommt, durch rasches Zusammendrücken der Kiefer die Spitze des Hinterleibes in einige Millimeter Breite zusammt dem Stachel abbeißt, diese Stückchen fallen läßt und nicht mit verschluckt, weil ihn sonst der Stachel im Munde, Schlunde usw. tödtlich verletzen könnte. Sämmtliche Kerbthiere werden stets so verstümmelt, und nie war ein Stachel darunter zu finden. Beim Fange selbst schützen ihn schon das derbe Gefieder und die harten Fußschilder vor den Stichen der ihn umsummenden.

Unmittelbar nach seiner Ankunft in der Heimat beginnt der Wespenbussard mit dem Baue oder der Aufbesserung seines Horstes. Zur Anlage desselben bevorzugt er an Felder und Wiesen grenzende Laubwaldungen allen übrigen Beständen. Selbst zu bauen entschließt er sich nur in Nothfällen; weit lieber benutzt er den vorjährigen Bau eines Bussards oder Milans, selbst ein altes Krähennest, welches er so weit, als ihm nöthig scheint, herrichtet, namentlich, wenn auch nicht in allen Fällen, mit frischen, grünen Reisern versieht. Wenn er sich entschließen muß, selbst zu bauen, verfährt er so ungeschickt und liederlich als möglich. Der Bau ist dann immer schlecht und besteht meist nur aus dünnen Reisern, welche leicht übereinander geschichtet, zuweilen sogar so wenig zusammengelegt sind, daß man von unten her die Eier durchschimmern sehen kann. Während der Begattungszeit vergnügt sich das Paar nach anderer Raubvögel, insbesondere der Bussarde, Art durch Flugspiele in hoher Luft, und es ist dann, wie Naumann sagt, "sehr ergötzlich, bei heiterem Wetter[717] diesen Spielen über dem Nistplatze zuzusehen; wie das Paar hoch in den Lüften ohne Flügelschlag zunächst in weiten Kreisen sich immer höher hinaufdreht, dann das Männchen allmählich hoch über das Weibchen sich erhebt, nun aus größter Höhe mit fast senkrecht nach oben gestellten Flügeln und einer eigenthümlichen, schnell schüttelnden Bewegung derselben wieder zu ihm sich herabläßt, jedoch sogleich wieder zu voriger Höhe heraufschraubt, um sich auf jene Weise abermals herabzusenken, dann wieder aufzusteigen und so dies anmuthige Spiel Viertelstunden lang zu wiederholen".

Noch bevor die Eier gelegt werden, sitzen beide Gatten lange im Horste. Sachse, welcher im Westerwalde binnen zwölf bis vierzehn Jahren nicht weniger einunddreißig Horste des in anderen Gegenden seltenen Raubvogels besuchte, fand, daß schon am elften Maigrünes Laub eingetragen wurde, obwohl erst am vierten Juni frische Eier im Horste lagen. Zwei Eier, welche nach Gestalt und Farbe sehr abweichen, bilden das Gelege. Sie sind bald rundlich, bald eiförmig; ihre Schale ist mehr oder weniger glänzend und auf gelbweißem oder braunrothem Grunde heller oder dunkler gemarmelt, zuweilen gleichmäßig, zuweilen auf der einen Hälfte dunkler als auf der anderen. Nach Sachse's Erfahrungen werden die Eier frühestens Ende Mai und zwar in Zwischenräumen von drei bis fünf Tagen gelegt. Männchen und Weibchen bebrüten sie abwechselnd und füttern einander gegenseitig mit Wespen- und Hummelbrut, welche in Waben herbeigeschleppt und oft in Menge im Horste aufgespeichert wird. Auffallend ist die geringe Scheu der brütenden Wespenbussarde am Horste. "Am sechsten Juni 1870 vermuthete ich in einem öfters zuvor besuchten Horste Eier. Der Vogel saß auf demselben, und der Schwanz reichte über den Nestrand. Ich klopfte mit dem Stocke an die Eiche, der Vogel aber blieb sitzen. Erst nach wiederholtem Klopfen trat er auf den Rand des Horstes, blies das Gefieder auf und sträubte die Kopffedern, sah mich grimmig an, schüttelte sich und setzte sich wieder auf seine Eier. Erst als ich den Horst beinahe erreicht hatte, stand er auf, ging gemächlich den Zweig, auf welchem der Horst stand, entlang und stob dann ab. Von Krähen und kleineren Vögeln verfolgt, umkreiste er den Baum eine Zeitlang und bäumte ungefähr funfzig Schritte von mir wieder auf. Die beiden Eier waren vier bis fünf Tage bebrütet. Es ist mir wiederholt vorgekommen, daß der Vogel erst vom Horste flog, als ich denselben beinahe erreicht hatte." Die Jungen werden anfänglich mit Raupen, Fliegen und anderen Kerbthieren ernährt und zwar, indem die Eltern ihnen die im Schlunde gesammelte Speise vorspeien, während sie später ganze, mit Brut angefüllte Waben und Wespennester auftischen und schließlich auch junge Frösche, Vögel und dergleichen herbeischaffen. Auch nach dem Ausfliegen benutzen die Jungen den Horst noch einige Zeit zur Nachtruhe, später beginnen sie umherzustreifen, halten sich aber noch zusammen und kehren wahrscheinlich auch jetzt immer und immer wieder zu ihrer Geburtsstätte zurück. Unter Führung und Leitung ihrer Eltern erwerben sie sich bald die Fähigkeit, sich selbst zu ernähren, verharren jedoch noch geraume Zeit in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnisse zu ihnen.

In der Gefangenschaft ist der Wespenbussard, laut Behrends, höchst unterhaltend. "Ein flugbares Männchen, welches ich eingefangen, ward schon nach wenigen Wochen gegen ihm bekannte Leute wie auch gegen meine Hunde in hohem Grade zutraulich, ja anhänglich, nahm aber jedem fremden Hunde gegenüber eine Angriffsstellung an, sträubte die Federn und auf ihn los. Besondere Zuneigung hatte er zu einem kleinen Hunde gewonnen. Lag dieser, so setzte der Vogel sich zwischen seine Füße, spielte mit ihm oder zauste mit dem Schnabel seine Haare, was er sich denn auch gutwillig gefallen ließ. Nur beim Fressen war der Bussard zuweilen tückisch, jagte die Hunde, welche sich ihm nicht widersetzten, vom Futter und bewachte letzteres oft längere Zeit, ohne selbst davon zu fressen. Er lief in und außer dem Hause umher, und schrie, wenn er eine Thür verschlossen fand, aus Leibeskräften so lange, bis solche geöffnet wurde. Einen öffentlichen Garten in der Nähe meiner Wohnung, wo er ein beliebter Gast war und immer etwas zugeworfen erhielt, besuchte er im Sommer täglich; im Spätsommer und Herbste lief er oft halbe Tage lang nahrungsuchend auf den Stoppelfeldern herum. Er hörte auf den Ruf 'Hans', kam aber nur, wenn er gelaunt oder hungrig war. [718] In Zeiten guter Laune sprang er Frauen auf den Schoß, hob oft einen Flügel auf, um sich unter demselben krauen zu lassen, wobei er unter sichtlichem Wohlbehagen die Augen zudrückte, oder setze sich auf deren Schultern und spielte in den Haaren. That ihm jemand etwas zu Leide, so merkte er es lange Zeit und mied diese Person. Hatte er Hunger, so lief er der Magd, welche ihn gewöhnlich fütterte, schreiend im ganzen Hause nach und zupfte dabei an deren Kleidern; wollte sie ihn abwehren, so schrie er entsetzlich und stellte sich zur Wehre. Seine liebste Nahrung war Semmel und Milch; doch fraß er auch alles andere, wie Fleisch, Mehlspeisen, Kartoffeln, zuweilen auch einen kleinen Vogel. Ein Wespennest, welches in einem Garten an einem Busche hing, fesselte ihn nicht im mindesten. Wespen, welche ihm um den Kopf flogen, suchte er durch Kopfschütteln abzuwehren; hielt man ihm solche vor den Schnabel, so biß er dieselben todt, fraß aber nie eine. Gegen Kälte war er sehr empfindlich. Im Winter versteckte er sich häufig unter dem Ofen und verhielt sich, da er nicht gern im Zimmer geduldet wurde, ganz ruhig, um seine Anwesenheit nicht zu verrathen. Im allgemeinen hatte er mehr das Betragen einer Krähe als eines Raubvogels; nur waren seine Bewegungen gemessener und bedächtiger, sein Gang schreitend, nie hüpfend, nur wenn er gejagt wurde, machte er einige Sätze. Er starb nach drei Jahren.

"Ein alt eingefangenes Weibchen liebte Wespenbrut leidenschaftlich. Hielt man ihm ein Wespennest vor, so wurde es sichtlich aufgeregt, stieß mit Begierde danach und verschluckte ganze Stücke davon. Leere Wespennester zerriß es, nach Brut suchend, in Fetzen. Sonst war, wie bei dem vorigen, Semmel und Milch seine Lieblingspeise. Todte Vögel ließ es oft unberührt; lieber waren ihm Frösche; auch Maikäfer fraß es, doch nicht besonders gern. Gegen meine übrigen Hausthiere war der Wespenbussard im hohen Grade verträglich. Ergötzlich war es anzusehen, wenn er mit denselben, nämlich mit zwei Meerschweinchen, einem Staare, einem Goldregenpfeifer und zwei Wachteln, aus einer Schüssel fraß. Keines der genannten Thiere zeigte die geringste Furcht vor ihm, ja, der naseweise Staar biß oft aus Futterneid nach ihm oder spritzte ihm Milch ins Gesicht, was er ganz ruhig hinnahm. Zuweilen erhob er sich dabei sehr würdevoll und überschaute mit stolzem Blicke den bunten Kreis seiner Tischgenossen. Einmal erhielt ich eine Taube, setzte sie neben den Wespenbussard und erstaunte nicht wenig, als dieselbe, statt Furcht zu zeigen, sich innig an den Falken schmiegte. Sie zeigte überhaupt bald eine solche Anhänglichkeit an ihn, daß sie nicht mehr von dessen Seite wich. War sie von der Stange, auf welcher sie neben ihm saß, zum Futter herabgehüpft, so lief sie, da sie nicht fliegen konnte, so lange unter ihrem Freunde hin und her, bis man sie wieder hinaufsetzte; verhielt sich der Falk nicht ruhig, so hackte sie oft nach ihm, was ihn aber gar nicht zu beleidigen schien. So gutmüthig der Wespenbussard gegen Menschen und die genannten Thiere, so bösartig war er, wenn ein Hund in seine Nähe kam; pfeilschnell und mit größter Wuth schoß er nach dem Kopfe des Hundes, schlug seine Fänge ein, biß, und schlug ihn mit den Flügeln; dabei sträubte er die Federn und fauchte wie eine Katze. Die Hunde, auch die stärksten und bösartigsten, geriethen in die größte Angst und suchten das weite. Auch wenn der Hund entronnen war, beruhigte er sich nicht gleich, sondern biß eine Zeitlang in blinder Wuth nach allem, was sich ihm näherte.

"Er liebte sehr den Sonnenschein, setzte sich daher oft mit ausgebreiteten Flügeln und geöffnetem Schnabel an ein offenes Fenster und flog auch auf die benachbarten Dächer. Regen scheute er sehr; wurde er von einem solchen überrascht, so verkroch er sich schnell in die nächste Ecke. Gegen Kälte war auch er sehr empfindlich und mußte deshalb im Winter in der Arbeitsstube gehalten werden."

Der Werth des Wespenbussards ist, wie Altum hervorhebt, leicht zu überschätzen, wenn man nur die von ihm verzehrten Raupen, Grillen und Wespen berücksichtigt, dagegen außer Acht läßt, daß Frösche und Hummeln durchaus keine schädlichen Thiere sind, und er viele Vogelbruten zerstört. Letzteres geht am besten daraus hervor, daß er, laut Sachse, sobald er sich blicken läßt, von allen Vögeln, großen und kleinen, heftig verfolgt wird, während dieselben Vögel sich um seinen Vetter, den Mäusebussard, wenig kümmern. Mit vorstehenden Worten dürfte übrigens aller Schaden, welchen er bringt, angegeben sein; gerechte Abwägung dieses Schadens und des Nutzens, welchen [719] er durch Aufzehren verderblicher Kerbthiere doch offenbar leistet, aber zu der Erkenntnis führen, daß er Schonung und nicht Verfolgung verdient. Wer jedes Vogelnest und jedes junge Rebhühnchen, welches er verspeist, ihm zur Last legen will, wird wie üblich, nur den gefährlichen Räuber in ihm sehen und dessen wohlthätiges Wirken selbstverständlich darüber vergessen. Mit Schießjägern ist in dieser Beziehung nicht zu rechten: sie sind und bleiben taub gegen jede vorurtheilsfreie Erwägung.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 714-720.
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