2. Amtliche Thätigkeit.

[279] Königsberg nannte sich noch die Haupt- und Residenzstadt von Preußen, ungefähr wie eine verstoßene Geliebte ihr kümmerliches Dasein noch durch die Erinnerung an ihre glänzende Vergangenheit zu schmücken sucht. Es war in Vergleich mit[279] den dem Herzen Deutschlands näher gelegenen Theilen der Monarchie sehr vernachlässigt worden; namentlich hatte man auch die Universität mehr als billig sich selbst überlassen und sie verdankte ihren Ruf allein der Tüchtigkeit der ihr zugewachsenen Lehrer: die Zahl der Professoren war gering, der Gehalt dürftig und besondere akademische Institute fehlten gänzlich. Erst als nach dem Tilsiter Frieden der Staat sich neu zu gestalten begann, fing man an, auch der Königsberger Universität eine den Bedürfnissen der Zeit gemäße Organisation zu geben: mehrere ausgezeichnete Männer wurden als Professoren berufen; es wurde eine Sternwarte unter Bessel errichtet, ein botanischer Garten unter Schweigger angelegt, eine klinische Anstalt, freilich noch ohne eigenes Local, eröffnet, und die aus einigen Hundert alten, meist theologischen Büchern bestehende Universitätsbibliothek durch die bisher auf dem Schlosse aufgestellte königliche Bibliothek verstärkt und in ein eigenes Gebäude verlegt. 1814 mußte natürlich da noch viel zu thun übrig sein. Das Universitätsgebäude hatte ganz das Aussehen eines alten, armen Klosters; das düstere Senatszimmer schloß hinter einer Barrière, vor welcher die Studenten bei Vernehmungen oder Stipendiatenprüfungen standen, einen langen Tisch ein, über welchen einige Klingelschnuren mit großen Muscheln und Stücken Bernstein geschmückt, herabhingen und hinter welchem die Senatoren auf ungeheuer breiten und hohen Lehnstühlen saßen; der große Hörsaal war lang, niedrig, dunkel, von eckigen, hölzernen Pfeilern gestützt, an Wänden und Decke mit dunkelbraunem Tafelwerke und alten geschwärzten Oelgemälden von Fürsten bekleidet, dicht vor dem Katheder mit einer Barrière versehen, innerhalb welcher bei Promotionen außer den Opponenten auch Stadtpfeifer saßen, die zum Anfange und Ende des Actus auf herzzerreißende Weise bliesen; im oberen Stocke waren zum Theil mit Ziegelsteinen gepflasterte Wohnungen für Studenten und sogenannte Collegienbursche, d.h. arme Knaben aus Masuren, welche, um einst in ihrem Vaterlande Schullehrer oder Geistliche zu werden, die Schule besuchten, den Studenten zur Aufwartung und respective Erziehung beigegeben waren und mit[280] dem, was diese von der Mahlzeit im Convicte übrig ließen, gespeist wurden.

Was die anatomischen Studien betrifft, so hatte die erste. Gemahlin des Herzogs Albrecht, die sich für die Wissenschaften sehr interessirte und zur Stiftung der Universität viel beitrug, nach Angabe von Pisansky (Entwurf einer preußischen Literargeschichte S. 169) besonders für Anatomie und Botanik viel Liebhaberei »und sich solche Kenntniß darin erworben, daß sie davon gründlich zu urtheilen im Stande war.« Nach den Statuten sollte von den zwei ordentlichen Professoren der Medicin der Eine practia mit Einschluß der Chemie, der Andere isagogica, nämlich Physik und im Sommer Botanik, im Winter Anatomie lesen, wobei er in Ermangelung menschlicher Leichname auch Thiere, nur keine Hunde! zu seinen Demonstrationen benutzen durfte. 1581 war in einem Dorfe unweit Königsberg eine menschliche Mißgeburt vorgekommen, die aber nicht zum Gegenstande der Anatomie, sondern zu einem der Poesie gemacht wurde, indem Professor Limdarsen eine lange Elegie darüber dichtete, in welcher er Krieg, Hunger, Pest und obendrein den baldigen Einbruch des jüngsten Tages daraus weissagte (Pisansky a.a.O. S. 295). Im Jahre 1728 bat Prof. Boretius um Errichtung eines anatomischen Theaters, welches, wie er sagte, die Vorfahren des Königs bereits vor hundert Jahren versprochen hätten und schlug vor, falls keine Fonds dazu vorhanden wären, ein Local im Hospitale dafür einzurichten und Stipendiengelder dazu zu verwenden. Die Regierung verwarf diesen Vorschlag, da das Hospital für Kranke und die Stipendiengelder für Studenten bleiben müßten und forderte Bericht, ob nicht im Universitätsgebäude »eine Stube oder Kammer« zur Anatomie eingerichtet werden könne. In der That legte die medicinische Facultät einen solchen Plan vor; da jedoch der Pedell, dessen Wohnung dazu verwendet werden sollte, dagegen protestirte und der Inspector des Albertinums ihm beipflichtete, so ging die Regierung nicht darauf ein, sondern schlug »einen wüsten Thurm« (der nachmals unter dem Namen des blauen Thurms zum Gefängnisse eingerichtet wurde)[281] dazu vor und ließ es dabei bewenden. 1737 erbot sich Büttner, damals noch außerordentlicher Professor, ein Gebäude auf einem wüsten Platze aus eigenen Mitteln aufführen zu lassen und daselbst die Anatomie zu lehren, falls sein Nachfolger verpflichtet würde, die auf 500 Thaler angeschlagenen Kosten seinen Erben zu ersetzen. Dies wurde endlich genehmigt und Büttner erbaute 1745 ein anatomisches Gebäude auf dem Weidendamme mit einem Aufwande von 1077 Thalern. Nach seinem Tode trug die Universität 1776 darauf an, das Haus für 500 Thaler und die von Büttner hinterlassenen Präparate für ebenfalls 500 Thaler zu kaufen. Ersteres geschah, aber die Präparate, welche die Erben für 200 Thaler ablassen wollten, wurden, da Metzger ihren Werth nur auf 170 Thaler schätzte, späterhin nach Berlin verkauft, wo sie die Grundlage zu dem großen Wallerschen Museum bildeten. Metzger bat 1787 um Anstellung eines Prosectors; anfangs wurde nur für den nächsten Winter ein Student mit diesem Geschäfte beauftragt, indem man in jedem Jahre beurtheilen wollte, ob auch die Zahl der Studirenden einen Prosector erheische. Erst 1795 wurde Dr. Karl Metzger und nach dessen Tode 1799 Dr. Kelch als permanenter Prosector angestellt, und Letzterer verwaltete dieses Amt auch ferner, nachdem er 1805 Professor der Anatomie geworden war. Im Jahre 1809 erklärte das Ministerium seine Absicht, eine anatomische Anstalt zu errichten, sobald es die Verhältnisse des Staats gestatten würden.

So standen die Angelegenheiten, als ich nach Königsberg kam. Alles, was ich zur Anatomie gehörig vorfand, war ein dem Einsturze drohendes Gebäude mit zwei alten defecten Skeleten und einer zur Uebung im Bandagiren von den Ehirurgen geschenkten Puppe: im Erdgeschosse wohnte ein Schuster, der für freie Wohnung ohne Gehalt als Aufwärter diente.

Vor allen Dingen machte ich die zum Antritte meines Amtes nöthige Formalität ab. Aus diesem Gesichtspuncte die Angelegenheit betrachtend, schrieb ich in aller Eile eine Dissertation1,[282] die ich bereits am 11. April, vier Wochen nach meiner Ankunft in Königsberg der medicinischen Facultät im Manuscripte einreichte und am 2. Mai öffentlich vertheidigte. Ich betrachtete sie gleich von Anfang an als eine unzeitige Geburt, die dem Gesetze geopfert wurde, und habe sie, wenn ein auswärtiger Gelehrter sie verlangte, nicht ausgeliefert.

Hierauf reichte ich im Juni dem Ministerium einen ausführlichen Aufsatz über die Errichtung der anatomischen Anstalt ein. »Ich könnte glauben,« sagte ich in der Einleitung, »jetzt, unmittelbar nach einem die höchste Anstrengung fordernden Kriege, sei es noch zu früh, eine bedeutende Summe für das Institut zu verlangen. Allein mich dünkt, daß ich bei dieser Besorgniß die Aeußerungen eines hohen Departements des öffentlichen Unterrichts mißverstehen würde. Jene Erklärungen, daß die Errichtung eines neuen anatomischen Instituts für den Augenblick nicht thunlich sei, wurden in einer Zeit gegeben, wo der Staat von der Gefahr bedroht wurde, seine Selbstständigkeit zu verlieren; wo er alle seine Kräfte concentriren mußte, um die zu ihrer Sicherung nöthigen Mittel vorzubereiten; wo er endlich einen Kampf für seine Existenz gegen eine furchtbare Uebermacht begann. Jene Zögerung mußte daher dem Sinne jedes Vaterlandsfreundes entsprechen. – Aber jetzt, wo die Vorsehung die einmüthigen Anstrengungen des Monarchen und der Nation mit einem glücklichen Erfolge gesegnet hat, wo Preußen nach dem ruhmvollsten Kampfe unerschütterlich und groß dasteht, größer als je: jetzt ist gewiß die Zeit gekommen, wo ein bisher vernachlässigter Zweig der Wissenschaft seine Ansprüche auf die Unterstützung des Staats geltend machen kann. Und wenn dies in ähnlichem Falle von jedem Lande gelten würde, so gilt es doppelt von Preußen: Preußen überragt in Würdigung der Wissenschaft alle Staaten Europa's: es betrachtet dieselbe nicht als ein fremdes Gewächs, dessen Anbau der Staat erst nach Befriedigung aller materiellen Bedürfnisse[283] vom Ueberschusse seiner Kräfte als eine gleichgültige Zierde besorgen dürfe; es erkannte, daß der Geist es ist, weicher lebendig macht, daß die wahre Kraft des Staats in dem Sinne und der intellectuellen Bildung der Nation liegt; und dem gemäß verwendete es auch in jener verhängnißvollen, trüben Zeit, die vor uns vorübergegangen ist, was es vermochte, auf die Unterstützung der Wissenschaft. – So kann ich denn gar nicht wähnen, daß der Staat erst dann auf das meiner Leitung anvertraute Institut Rücksicht nehmen werde, nachdem alle für die Geldkräfte nachtheiligen Folgen des Krieges gänzlich beseitigt sind« u.s.w.

Der Plan, welchen ich vorlegte, wurde genehmigt, seine Ausführung aber vor der Hand noch aufgeschoben. Nicolovius schrieb mir in seiner freundlichen Weise: »ich hoffe, daß Sie auch ferner mit Nachsicht, Genügsamkeit und Geduld den Zeitpunct erwarten wollen, wo der Zustand der öffentlichen Cassen die Ausführung Ihrer Wünsche gestatten wird«. Inzwischen wurde das alte Anatomiegebäude verkauft und mir im Albertinum (dem Universitätsgebäude) ein Locale eingeräumt: das ehemalige Convictorium wurde mein Hörsaal, in welchem zugleich die anatomischen Präparate des Prof. Kelch aufgestellt wurden; in einem daneben befindlichen Stübchen, welches bisher der akademische Scriba (ein Student, welcher gegen Gewährung von Wohnung und Freitisch die Geschäfte eines Copisten für den akademischen Senat besorgte) inne hatte, wurden die Leichname secirt und demonstrirt; im Erdgeschosse wurde eine Wohnung für den Aufwärter eingerichtet. Drei Jahre lang mußte ich mich so behelfen und konnte für den anatomischen Unterricht nur das Nothdürftigste thun. Dabei bewies ich denn allerdings nicht die erwünschte Geduld, sondern bestürmte die vorgesetzten Behörden fortwährend mit Anträgen, die ich, da mir das Curatorium zu lau schien, meist unmittelbar an das Ministerium richtete, welches denn bei aller Humanität nicht unterließ, mich auf die Regelmäßigkeit des Geschäftsganges zu verweisen.

Da man eine Sternwarte hatte haben wollen, so war es unvermeidlich gewesen, eine solche zu bauen, aber den übrigen[284] neu errichteten Instituten waren nur bereits vorhandene Häuser eingeräumt worden: eigene Gebäude für sie auszuführen, war für die damaligen Verhältnisse von Königsberg ein zu kühner Gedanke, und so wurde auch mir angedeutet, daß ich entsprechende Vorschläge zu machen habe. Ich war zuerst dreist genug, ein königliches Gebäude, welches späterhin die Wohnung des commandirenden Generals geworden ist, für die Anatomie zu fordern, hatte jedoch die Vorsicht, diesen Wunsch nur dem Staatsrathe Nicolovius vorzutragen, der mir auf zarte Weise die Unmöglichkeit der Erfüllung bewies, indem er bemerkte, daß der zu diesem Grundstücke gehörige Garten ein Lieblingsaufenthalt der verstorbenen Königin gewesen wäre. Ich schlug ein für 12,000 Thaler käufliches Privatgebäude (das Schorlemmersche) vor, welches aber vom Baurathe für nicht dauerhaft erklärt wurde. Das Ministerium brachte hierauf einen früheren Plan zur Sprache, nach welchem ein Theil des Albertinums für die anatomische Anstalt ausgebaut werden sollte, wozu die Kosten auf 4000 Thaler angeschlagen worden waren; doch wurde dieser Plan aufgegeben, da ich die Unzweckmäßigkeit und Unzulänglichkeit desselben darzuthun mich bemühte. Nun schlug ich den Ankauf eines baufälligen Hauses (des Oyschen) vor, welches vorläufig benutzt werden könnte, während auf dem dazu gehörigen Raume ein neues Gebäude aufgeführt würde. Das Curatorium wollte jedoch ein anderes Grundstück (das Schafstädtische) gekauft wissen; ich widersetzte mich dem nach Kräften, stellte Anfang Juni's 1815 dem Ministerium vor, daß dieses Haus weder dauerhaft, noch auch so eingerichtet sei, daß es anders als einstweilen gebraucht werden könnte; bat zu Ende Juni's nochmals, dieses Grundstück nicht zu kaufen, sondern ein neues Gebäude aufführen zu lassen, da ein Privathaus für die anatomische Anstalt nicht brauchbar und ein Umbau in finanzieller Hinsicht ohne Vortheil sei. Dasselbe wiederholte ich im October und schrieb zugleich an Nicolovius: »Ihnen darf ich es wohl gestehen, daß ich bisweilen verzagen möchte, wenn ich bedenke, wie viel Schritte ich schon gethan habe, um der Anstalt, der ich vorstehen soll, eine Begründung zu verschaffen,[285] ohne etwas Anderes bewirkt zu haben, als daß mir Verweise wegen meiner Ungeduld ertheilt worden sind.« Allein der Kriegsrath Scheffner, der auf das Curatorium großen Einfluß hatte und für den Ankauf des (Schafstädtischen) Grundstücks wegen eines darauf stehenden Capitals sich sehr lebhaft interessirte, sagte mir im Vertrauen, daß, wenn ich darauf nicht einginge, ich auf die Erfüllung meiner Wünsche noch lange würde warten müssen. – So mußte ich mich denn fügen, jedoch nur unter der Bedingung, daß das Gebäude nach meinen Angaben zweckmäßig eingerichtet und ein Hörsaal angebaut würde, wie denn dies auch bewilligt und ausgeführt wurde.

Meine zweite Sorge betraf die Gewinnung eines tüchtigen Prosectors. Ich verhandelte zuvörderst durch Rosenmüller mit dem Anatomen Bock in Leipzig und trug auf dessen Anstellung mit einem Gehalte von 500 Thalern nebst freier Wohnung, Heizung und einigen Nebeneinkünften beim Curatorium an, indem ich vorstellte, daß eine schon bestehende anatomische Anstalt sich ihren Prosector erziehen könne, eine neu zu errichtende aber eines bereits ausgebildeten Prosectors bedürfe, der nur bei einem ansehnlichen Gehalte zu gewinnen sei; allein diese Forderung wurde als extravagant zurückgewiesen, da mancher ordentliche Professor keinen größeren Gehalt bezöge. Bock erhielt in Leipzig eine Zulage von 200 Thalern und lehnte nun meine Anträge ab. Dr. Siegel, den mir Rosenmüller empfahl, konnte nicht berücksichtigt werden, da er 500 Thaler verlangte. Dasselbe war der Fall mit Herold in Marburg, der, durch Prochaska veranlaßt, sich dazu gemeldet hatte. Ich wirkte nur einen Gehalt von 300 Thalern für den Prosector aus, unterhandelte deßhalb durch Isfordink mit Hermann aus Straßburg, damaligem Custos am zoologischen Cabinet in Wien, gab dies aber auf, als er zur Annahme der Stelle nur für den Fall sich bereit erklärte, wenn er hauptsächlich mit Zoologie und Zootomie sich beschäftigen und nur nebenbei für Anthropotomie Arbeiten liefern dürfe. Durch den Dr. von Baer, der sich damals in Würzburg aufhielt, trat ich nun in Unterhandlung mit Hesselbach dem Sohne; dieser nahm auch die[286] angebotene Stelle an, kam um seinen Abschied bei der baierschen Regierung ein und bereitete sich, nachdem ich ihm Reisegeld geschickt hatte, zur Reise nach Königsberg vor, als plötzlich sein Vater starb und ihm dessen Stelle ertheilt wurde. Ich trug hierauf im August dem Dr. von Baer selbst das Prosectorat an. Er antwortete mir aus dem Hause von Nees v. Esenbeck in Sickershausen: »Ihre Worte müssen der Ausdruck Ihrer Liebe zu mir gewesen sein, denn sie drangen mir tief ins Herz; – und ehe ich auf Ihre Anfrage antworte, – bejahend oder verneinend – empfangen Sie aus dem Innersten meiner Seele meinen Dank – mehr noch für die Art und Weise Ihrer Aufforderung, als für diese selbst. Es konnte mich der Glaube nicht täuschen, daß, so wie ich gern an Ihrer Seite arbeiten möchte für die Wissenschaft, auch Sie gern dem jüngern Freunde die Hand bieten würden zu seinem Streben. Was kann schöner sein, als die länger und inniger fortgesetzten Verhältnisse des Lehrers und Schülers – Verhältnisse, um die ich die alten Völker, besonders die Griechen, schon oft beneidet habe und die den Deutschen durch ihr systematisches, ich möchte sagen starres Erziehungssystem so fremd sind.« Er bat sich noch Bedenkzeit aus, da er theils an eine Reise nach Frankreich und England, theils an eine Anstellung als russischer Feldarzt dachte und auch den Rath seines Vaters hören wollte. Im November sagte er nur zu. Sogleich trug ich auf seine Anstellung an, indem ich schrieb: »Dieser durch Talent und Kenntniß ausgezeichnete, die Naturforschung, namentlich den anatomischen und zootomischen Theil derselben, zum vorzüglichsten Gegenstand seines Studiums machende junge Mann würde nicht allein der anatomischen Anstalt, sondern auch der gesammten Universität in höherem Grade nützlich, er würde eine Zierde derselben sein.« Mein Antrag wurde genehmigt.

Nicht minder war ich auf Anlegung einer anatomischen Sammlung bedacht. Ich hatte 1810 in Wien durch den Grafen Harrach bie Bekanntschaft des trefflichen Prochaska gemacht und seine ausgezeichneten mikroskopischen Injectionspräparate gesehen. In Dorpat verschrieb ich von ihm eine Sammlung[287] von solchen Präparaten für die dasige Universität, und da die Genehmigung ihres Ankaufs sich verzögert hatte, so bot ich sie bei meiner Berufung nach Königsberg dem dasigen Curatorium für die zu errichtende anatomische Anstalt an, wo sie denn auch für 154 Rubel Silber gekauft wurde. Auch brachte ich gegen 50, theils von Pietsch, theils von mir gefertigte Präparate aus Dorpat mit. Sodann wurde die vom Professor Kelch hinterlassene Sammlung von 880 Nummern für 1200 Thaler gekauft. Endlich wurde für einen gleichen Preis die Sammlung des verstorbenen Professors Senff in Halle erworben, die unter den 530 durchaus sehr saubern Präparaten auch 106 vom menschlichen Eie und Embryo enthielt, wobei ein schätzbarer, zum Theil räsonnirender Katalog sich fand. Noch erhielt ich einige pathologische Präparate von Remer und vom Medicinalrathe Hirsch. Die Regierung überwies mir einige vorgekommene anatomische Merkwürdigkeiten und versprach, die Physiker zu Einsendung von dergleichen aufzufordern, so wie den Abdeckern zu befehlen, mir die verlangten thierischen Körper verabfolgen zu lassen. Ich sicherte der Anatomie die Erlangung von Leichnamen aus den Krankenhäusern, verzichtete aber auf die Leichname von Delinquenten, um nicht dem Vorurtheile des Volkes gegen Leichenöffnungen Nahrung zu geben.

Außer den nicht unbedeutenden Baukosten wurden mir 1415 Thaler zu Ausstattung der Anstalt bewilligt, nämlich 420 Thaler zu Aufstellung und Aufbewahrung der Präparate, 141 Thlr. zu Hausgeräthe, 154 Thlr. für anatomische Geräthschaften, 200 Thlr. für Instrumente und 500 Thaler zu Gründung einer Bibliothek. Eben so wurde auf meinen Antrag der jährliche Etat der Anstalt auf 1150 Thlr. festgestellt, nämlich an Gehalt des Prosectors 300 und des Aufwärters 100 Thlr., zu Brennholz für die Anstalt, den Prosector und den Aufwärter 220, für Anfahren von Leichnamen und Ankauf von Thieren 60, für Präparate 200, zu Einspritzungen und dergleichen 50, zu Aufstellung und Aufbewahrung von Präparaten 100 und zum Ankaufe von Büchern 150 Thlr.

Nachdem Alles vorbereitet war, kündigte ich die neue Anstalt[288] durch ein Programm an2. Ich bin mit dem wissenschaftlichen Theile dieser kleinen Schrift noch heute ganz zufrieden und bekenne zu glauben, daß es gut wäre, wenn in den kommenden Jahrzehenden die Morphologie nach den hier dargelegten Principien bearbeitet würde. Im historischen Theile gab ich eine kurze Beschreibung von der Einrichtung des Gebäudes und von der Anordnung der Sammlung. Zum Schlusse fügte ich noch einige Worte über unsern Lehrplan hinzu.

Der 13. November 1817 war der Tag der feierlichen Einweihung der Anstalt. In Gegenwart des Curators, der übrigen obern Behörden und einer zahlreichen Versammlung aus den gebildeten Ständen Königsbergs hielt ich und nach mir von Baer eine Rede, woraus wir die Anwesenden einluden, die sämmtlichen Zimmer und die darin ausgestellte Sammlung in Augenschein zu nehmen. Das Ganze war so sauber und selbst geschmackvoll eingerichtet, daß es den günstigsten Eindruck machte. Mein Zweck, dem hiesigen Publikum die wissenschaftliche Bedeutung der Anatomie begreiflich zu machen und Interesse so wie eine gewisse Achtung für die ihrer Bearbeitung gewidmete Anstalt einzuflößen, blieb nicht unerreicht. Einer der Anwesenden, der Musiklehrer Kanter, ein vielseitig gebildeter Mann, wurde wenige Wochen darauf von einer auf einem Bruchschaden beruhenden Krankheit ergriffen und verordnete in seinem Testamente, daß sein Vermögen der hiesigen Freimaurerloge zu den drei Kronen zufallen, sein Leichnam aber in das Anatomiegebäude gebracht, zu einer öffentlichen Demonstration der Schenkel- und Leistenbrüche verwendet und dann mir zur Verfügung gestellt werden sollte. Er unterlag der Krankheit, und am Abende des 23. Dec. wurde der Leichnam in feierlichem Zuge nach dem Gebäude der anatomischen Anstalt gebracht und von den maurerischen Brüdern des Verstorbenen, die ihm in[289] achtzehn Wagen gefolgt waren, mir übergeben. Der folgende Morgen wurde von mir und Baer zur vorläufigen Präparation und Injection des Leichnams benutzt, worauf wir den heiligen Christabend mit dem frohen Bewußtsein des Gelingens unserer Bestrebungen in meiner Familie feiern konnten. Das Skelet, an welchem ein guter Theil der Muskeln und Nerven dargelegt ist und die Gefäßstämme injicirt sind, wurde in einem Glasschranke aufgestellt und ein Abdruck vom Gesichte des Verstorbenen dabei gelegt.

Nach Eröffnung der Anstalt begann nun eine heitere wissenschaftliche Regsamkeit, während der hergestellte Friede auch die Zahl der Zuhörer vermehrte. Ich las Anatomie mit einem Repetitorium verbunden, Physiologie, Propädeutik, die Lehre vom Fötusleben und gerichtliche Medicin. Als ich den Dr. von Baer zu Annahme des Prosectorats zu bestimmen suchte, hatte ich ihn theils auf die sich ihm dabei darbietende Gelegenheit zu eigenen Untersuchungen aufmerksam gemacht, theils aufgefordert, gleich von Anfang an Vorlesungen zu halten und folgende Antwort vom 6. December 1816 bekommen: »Freudig soll man jeden Abschnitt des Lebens beginnen, und doch auch kräftig gefaßt auf das Ungewünschte sein, was er bringen kann. So ist, glaube ich, gerade die Stimmung, mit der ich mein Engagement in Königsberg betrachte. Ihre mir bezeigte Freude macht mich stolz, da ich sie nicht nur auf den Prosector, sondern auch auf mein Ich beziehe. Eine schöne Zukunft lächelt mir entgegen, wenn ich mich an Ihrer Seite mit naturhistorischen Untersuchungen beschäftigt denke. Alles, was ich früher zu sehen, zu ergründen wünschte und aus Mangel an Zeit und Gelegenheit in die Vorrathskammer für künftige Arbeiten verweisen mußte, alles das ist ordentlich rebellisch geworden und zieht in wilder Unruhe vor meiner Phantasie vorüber. Wie würden Sie lachen, wenn Sie in diese Laterna magica schauen könnten. Da giebts Vivisectionen von Kaninchen, um den Arterien die Contraction abzusprechen, Eier werden ausgebrütet und Pflanzen ausgesäet, Infusionen gemacht und Eiter untersucht, Hunde werden verbrannt, um sie mit kaltem Wasser zu begießen, und Katzen müssen[290] Pupillen sich in die Sklerotika schneiden lassen; Elektrometer und Zambonische Säulen stehen wie Kommata und Gedankenstriche zwischen den einzelnen Bildern. Wenn aber der Fieberparoxysmus vorüber ist, hält mir Frau Besonnenheit das Fernglas vor und zeigt mir einen Prosector in Königsberg, der manche liebe Woche in seinem Kämmerlein sitzt und den nervus facilas präparirt, um zu zeigen, daß dieser heut zu Tage gerade so aussieht, wie er vor hundert und mehr Jahren aussah. Kaum kann ich mich des Lachens enthalten, wenn ich mich als Docenten denke. Bestimmen soll ich, was ich lesen werde? Als Prosector werde ich ja wohl anatomische Vorträge, entweder in cursorischer Kürze oder als Repetitorien halten müssen. Nächst diesen möchte ich am liebsten Zootomie, oder, wenn Sie wollen, Morphologie der thierischen Organismen, oder vielleicht noch besser Zoosomatologie demonstriren. Auch pathologische Anatomie, sobald das Museum nur einigen Vorrath an krankhaften Bildungen besitzt, wäre mir ein angenehmer Vortrag. Auf diese Weise käme ich ganz in Ihr Gehege; aber ich denke, vor einem solchen Rival wird Ihnen nicht bange sein« u.s.w. Ich behandelte ihn als einen werthen Collegen. Er las Zootomie, wobei ich selbst sein Zuhörer war, und neben mir Anatomie des Menschen und Physiologie des Fötus. Dabei nahm die Sammlung bedeutend zu und wurde in den ersten vier Jahren mit 490 Präparaten vermehrt. Ich gab Jahresberichte heraus3 und wollte, daß, wie überhaupt zwischen mir und Baer als wissenschaftlichen Genossen und Mitarbeitern, so weit als möglich Gleichheit in der Stellung statt finden sollte, wir wechselsweise die beizufügenden wissenschaftlichen Abhandlungen lieferten;[291] indeß ließ es Baer bei der zum zweiten Berichte bewenden.

Was meine übrige akademische Wirksamkeit anlangt, so veranlaßte ich im Jahre 1816 als Decan die Abfassung eines Studienplans für Mediciner, die halbjährliche Berathung sämmtlicher medicinischer Docenten über die anzukündigenden Vorlesungen, die Uebertragung der Prüfung von Inauguraldissertationen an den Professor desjenigen Faches, zu welchem der Gegenstand gehört, und die Erlangung eines eigenen Zimmers im Albertinum für die medicinische Facultät. Anderweitige Anträge, als zu Anstellung eines Professors der Medicin bei der Universitätsbibliothek, zu besonderen Stipendien für Medicin Studirende und zu Gestattung, daß die sogenannte Staatsprüfung (wegen Befugniß zur ärztlichen Praxis) auch in Königsberg gehalten werden könne, gingen nicht durch.

Nachdem Remer im Jahre 1815 nach Breslau gegangen war, hatte Elsner, der Sohn, die Professur der Klinik vom Ministerium erhalten, ohne daß die Facultät deßhalb befragt worden war. Elsner hatte bei allen seinen Talenten und Kenntnissen sehr viel Barokkes und mehr Interesse für die Praxis, als für wissenschaftliche und akademische Thätigkeit, so daß die klinische Anstalt unter ihm sehr in Verfall gerieth und endlich 1817 von den Studirenden wegen einer ihnen zugefügten Beleidigung gar nicht mehr besucht wurde. Ich konnte dies unmöglich gleichgültig mit ansehen. Auf meine dem Staatsrathe Nicolovius deßhalb gemachte Vorstellung erhielt ich von diesem den Auftrag, Elsnern auf das, was dem Klinikum Noth thue, aufmerksam zu machen und die Differenz mit seinen Zuhörern zu heben, falls er aber resigniren wolle, einen andern Gelehrten in Vorschlag zu bringen. Die ersten Puncte ließ ich, als meiner Ueberzeugung nach unzureichend, ganz unberücksichtigt und hielt mich an den letzteren. Ich fragte zunächst Raimann in Wien, ob er einen Ruf nach Königsberg annehmen wolle, da ich seine persönlichen Verhältnisse nicht kannte. Elsner wollte wirklich resigniren, aber zuvor durch die zum Antritte seiner Professur erforderliche Dissertation beweisen, daß[292] er dieses Amtes würdig gewesen wäre. Er blieb bei diesem Vorsatze bis zum Jahre 1831, wo er starb, ohne die Dissertation geliefert zu haben und das Ministerium sah sich 1818 genöthigt, den Studirenden den Besuch seiner Klinik zur Bedingung der Promotion zu machen.

Im Jahre 1818 ernannte mich das Ministerium zum Mitgliede einer zu Entwerfung neuer Universitätsstatuten niedergesetzten Commission. Diese wich durch prompte Erfüllung ihres Auftrages von anderen Gesetzgebungs-Commissionen ab; allein die eintretenden Untersuchungen demagogischer Umtriebe hinderten das Ministerium, unsern Entwurf dem Könige zur Bestätigung vorzulegen. Späterhin wurden die 1843 sanctionirten Statuten ausgearbeitet, an denen ich keinen Theil zu haben mich rühmen kann.

Auch wurde ich zum Censor der in Königsberg erscheinenden medicinischen Schriften ernannt. Niemand hat durch mich Anlaß gefunden, über Preßzwang zu klagen.

Im J. 1815 wurde mir die durch Remers Abgang erledigte Stelle in der damals bestehenden »technischen Commission für das Medicinalwesen« bei einem Gehalte von 50 Thalern angetragen und von mir angenommen. Im folgenden Jahre wurde ich bei dem neu errichteten Medicinalcollegium mit 100 Thalern Gehalt angestellt. Ich habe dies Amt treulich verwaltet, und wenn ich auch die in meinem Patente mir auferlegte Pflicht, »die im Collegio vorkommenden Berathschlagungen, abgegebenen Vota, gefaßten Beschlüsse oder was sonst dazu gehört, zu verschweigen und bei mir zu behalten« nicht immer erfüllt habe, so kann ich mir unmöglich Vorwürfe deßhalb machen, da weder für die Amtsführung, noch auch für irgend ein Individuum ein Nachtheil daraus hat erwachsen können. – In der Geschäftsvertheilung fiel mir zu. 1) die Abfassung der von den Justizbehörden geforderten Superarbitrien; 2) die Bearbeitung der Sanitätsberichte nach den von den Physikern gelieferten Materialien; 3) die Sorge für chirurgische Lehranstalten; 4) Vorschläge zu Verbesserung der Medicinal- und Sanitätspolizei; 5) Theilnahme an den zu veranstaltenden Prüfungen.[293]

Für den ersten dieser Puncte habe ich das Meiste gethan; die Abfassung der Superarbitrien war mir ein in wissenschaftlicher Hinsicht interessantes und wegen des Einflusses auf die Rechtspflege dankbares Geschäft, dem ich auch noch als Dirigent, wo ich nicht mehr zu solchen Arbeiten verpflichtet war, mich gern unterzog; ich habe über 280 Superarbitrien geliefert.

Was den zweiten Punct betrifft, so bemerkte ich sehr bald, wie ungenügend und unzuverlässig die meisten von den Aerzten eingereichten Krankenlisten waren; ich fing daher an, meine eigenen, darauf sich stützenden Sanitätsberichte zu persifliren und es bemerklich zu machen, daß hier nur leeres Stroh gedroschen würde, um dieser Arbeit überhoben zu werden, was mir denn auch gelang. In der neuesten Zeit sind die Forderungen an die Aerzte zweckmäßiger und daher auch die Berichte gehaltreicher geworden.

Den dritten Punct anlangend, so reichte ich einen ausführlichen Aufsatz über eine in Königsberg zu errichtende chirurgische Schule ein. Späterhin interessirte sich Rust für einen solchen Plan, doch konnte er die dazu nöthigen Fonds nicht erlangen, und das Unternehmen blieb unausgeführt.

Für den vierten Punct habe ich gar nichts geleistet, denn da das Medicinalcollegium als eine rein consultative Behörde constituirt und von der administrativen (durch den Regierungs-Medicinalrath repräsentirten) ganz getrennt wurde, so habe ich mich mit solchen Vorschlägen nicht befaßt.

Fußnoten

1 Dissertatio de primis momentis formationis foetus. Auctore C.F. Burdach. Regiomonti 1814. 20 p. 4.


2 Ueber die Aufgabe der Morphologie. Bei Eröffnung der königlichen anatomischen Anstalt in Königsberg geschrieben und mit Nachrichten über diese Anstalt begleitet von K.F. Burdach. Leipzig, in der Dykschen Buchhandlung 1817. 64 S. 8.


3 Berichte von der königlichen anatomischen Anstalt zu Königsberg. Leipzig, in Commission der Dykschen Buchhandlung. Erster Bericht. Mit einer Beschreibung des unteren Endes des Rückenmarkes, von K.F. Burdach. 1818. 34 S. 8. – Zweiter Bericht. Mit Bemerkungen aus dem zootomischen Tagebuche, von K.E.v. Baer. 1819. 48 S. – Dritter Bericht. Mit Bemerkungen über den Mechanismus der Herzklappen, von K.F. Burdach. 1820. 45 S. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 294.
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