Das Salzburger Land

[206] Auf der hohen Gerlos schlug das Wetter um; wir gingen, es war am 9. Juni, eine Stunde lang in starkem Schneegestöber und kamen durchnäßt abends in Krimml an. Am andern Morgen besichtigten wir die großartigen Wasserfälle und gingen im Regen die Straße durch den Pinzgau herab. Dabei summten wir, um uns bei guter Stimmung zu erhalten, das schöne Lied vor uns hin, das wir so oft als Studenten gesungen, von der Pinzgauer Wallfahrt. Was uns früher unverständlich geblieben, begriffen wir jetzt beim Wandern, warum das Lied den Pinzgauern nachsagt:


»Sie taten gerne singen und kunnten's nit gar schön.«


Wir fanden wirklich bestätigt, was der Zillertäler Sänger bei der Hochzeit zwei Tage zuvor höhnend uns angedeutet hatte: die Bewohner des Gaus, Männer und Frauen, trugen sämtlich eine Last am Halse, die dem Wohllaut des Gesanges nicht förderlich ist.

Der Regen nahm so überhand, daß wir uns ein Fuhrwerk verschafften, um rascher vom Fleck zu kommen. Am Eingang der Rauris hellte sich der Himmel etwas auf. Wir besahen uns den Kitzlochfall und verglichen ihn sinnend mit dem Krimmlfall, als es eben wieder zu regnen begann; wir waren herzlich froh, unsere durchweichten Kleider in einer Mühle, wo wir ein[206] gutes Unterkommen fanden, am Herdfeuer getrocknet zu bekommen.

Am 11. Juni stiegen wir durch den Klammpaß hinauf ins Gasteiner Tal. Bei Hofgastein überraschte uns ein Schneegestöber wie drei Tage zuvor auf der Gerlos. Wir kehrten beim »Moser« ein und speisten recht gut an der Mittagstafel für 20 Kreuzer Münz. Mit uns teilten am Tisch das Mahl der kaiserliche Badearzt und einige kaiserliche Offiziere, die zur Kur hier verweilten.

Nach Tische zeigte uns der freundliche Herr Kollege die Badeeinrichtungen und belehrte uns über die Tugenden der Gasteiner Thermen. »Die chemische Analyse«, so schloß er seinen Vortrag, »findet in unsern Thermen nichts als warmes Wasser, aber die Herren Chemiker haben das feine Prinzip, was darin wirkt, den Brunnengeist, noch nicht erwischt. Er hält sich versteckt, doch kann man ihn deutlich wahrnehmen, wenn man gute Riechnerven besitzt. Belieben die Herren nur zu prüfen!« – Wir prüften; ein leichter, wenn auch kein feiner Geruch war in dem Badezimmer nicht zu verkennen.

Von Hofgastein gingen wir nachmittags nach Badgastein. Der »Straubinger« nahm uns nicht auf; für diesen vornehmen Gasthof war vermutlich unser Reisegepäck zu leicht. Man wies uns von da zum »Oberen Krämer«, der uns Obdach gab. Nachdem wir uns in dem schönen Kurort genügend umgesehen und durch ein Bad erquickt hatten, nahm uns am nächsten Tage nach Tisch ein Kutscher aus Salzburg als Rückfracht mit. Vor der Abfahrt meldete sich noch ein dritter Fahrgast in Gestalt eines hochwürdigen Herrn, eines Kuraten, mit dem wir uns gut unterhielten. Er war ein belesener Mann und warmer Verehrer der Professoren der Theologie Staudenmaier und Hirscher in Freiburg. – In seiner Gesellschaft kamen wir abends nach Werfen.

In diesem hübsch gelegenen Marktflecken stiegen wir am Gasthof zur Post ab. Wir bestellten ein Zimmer und setzten uns sogleich zu Tische. Auch der Kurat verlangte ein Zimmer, ging aber, ohne ins Haus zu treten, zunächst zu seinem Amtsbruder, dem Ortsgeistlichen, um wegen der Frühmesse am nächsten[207] Morgen Rücksprache zu nehmen. Während wir unsern Appetit stillten, kam der Wirt, um zu fragen, ob es uns störe, wenn der hochwürdige Herr über Nacht das Zimmer, das er uns versprochen habe, mit uns teile, es sei das einzige, das in dem stark besetzten Hause zur Verfügung stehe, und es habe drei Betten. Wir blickten uns verlegen an, doch faßte ich mich rasch und erwiderte: Der Herr Kurat werde uns nicht stören, wir aber ihn, wie ich fürchte, denn uns binde ein Gelübde, wir müßten alle Abend vor dem Schlafengehen Fandango tanzen. Der Wirt verzog keine Miene und ging. Als wir bald darauf nach unserem Zimmer verlangten, führte uns der Hausknecht über die Straße in ein Privathaus und schloß uns darin eine gute Stube mit zwei Betten auf. Ohne ein Wort zu wechseln, machten wir uns an die Erfüllung unseres Gelübdes. In einem Zimmer neben uns hörten wir laute Stimmen in lebhafter Unterhaltung, die sofort verstummten, als der Tanz begann. An diesem Abend übertraf mein Freund, der ungemein gelenkig war, die Lola und selbst die Taglioni. Unfähig, es ihm gleichzutun, warf ich mich, vor Lachen fast erstickt, in die Kissen; bald bestieg auch er, sehr befriedigt von seinen Leistungen in dem höheren Gebiet der Tanzkunst, das Lager. In dem Nebenzimmer war es wieder laut geworden, wir aber wurden stille und schliefen vortrefflich.

Bei Anbruch des Tages und prächtigem Wetter fuhren wir weiter nach Salzburg, kamen gegen Abend in der wunderschönen Stadt an, die der Welt den göttlichen Mozart beschert hat, und stiegen im Mohren ab. Die Küche dieses Gasthofs stand in großem Rufe, und wir fanden, es war Sonntag, das Speisezimmer mit Salzburger Bürgern und ihren schöneren Hälften dicht besetzt. Beim Mustern des Speisezettels fiel uns ein Gericht auf, das wir nicht kannten: »gebackene Äutern.« Mein Freund wandte sich an eine hübsche Frau, die ihm zur Seite saß, und erkundigte sich, was die Äutern bedeuteten, ob es vielleicht Fische seien. Aber die Schöne errötete sittsam und schwieg. Er geriet in Verlegenheit und fürchtete, eine unschickliche Frage gestellt zu haben. Der Gatte der Nachbarin, gerührt von des Fremden Unschuld, klärte ihn auf: Äutern seien gebackene Kuheutern und in Salzburg ein beliebtes[208] Essen. Bronner dankte und entschuldigte sich bei der Frau Nachbarin, sie schwieg noch immer, schien jedoch beruhigt, denn offenbar hatte der fremde Gast nicht daran gedacht, ihr zu nahe zu treten. Wir verzichteten übrigens auf die Äutern, und dieser Leckerbissen ist mir bis heute noch nicht zuteil geworden.

Nach Tisch gewährte uns der Mönchsberg das Schauspiel eines Sonnenuntergangs von unvergeßlicher Schönheit. Wir verweilten zwei Tage in Salzburg, besahen das Grabmal des großen medizinischen Kraftgenies, der sein Wanderleben hier beschlossen hat, des Theophrastus Bombastus Paracelsus ab Hohenheim, besuchten den Friedhof, wo Mozarts Constanze ruht, und machten einen Ausflug über Berchtesgaden nach dem Königssee.

Quelle:
Kussmaul, Adolf: Jugenderinnerungen eines alten Arztes. München 1960, S. 206-209.
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