Studien und Störungen. Berlin

1807

[214] Das Frühjahr trat mit starken Schritten ein, ohne für Halle günstigeres Geschick noch dem in Preußen fortwütenden Krieg eine erwünschte Wendung zu bringen; wir fühlten alle, daß ein längeres Abwarten der Dinge für uns unstatthaft sei und wir das beginnende Sommerhalbjahr wenigstens so gut als tunlich zu benutzen hätten. Steffens war bereits in Hamburg, Wolf aber und Schleiermacher wandten die Augen nach Berlin, und zu diesem Orte zogen auch unsre Verhältnisse und Studien uns am stärksten hin. Adolph Müller wollte in jedem Falle die medizinischen Anstalten dort benutzen, für mich boten diese reichlich dar, was ich am dringendsten bedurfte, und meinem und Neumanns philologischen und allgemein wissenschaftlichen Treiben war hier, besonders wenn Wolf und Schleiermacher folgten und ihre beabsichtigten Vorlesungen hielten, noch immer mehr bereitet als auf jeder andern uns bekannten Universität. Für uns waren Entschluß und Ausführung am leichtesten, und so fanden wir beide uns die ersten auf dem Wege, bei schönem Wetter um die Mitte des April, aus studentischer Vorliebe und aus Sparsamkeit diesmal zu Fuß, welches beides jedoch nur von Halle bis Dessau und von Potsdam bis Berlin vorhielt, denn zwischen Dessau und Potsdam übernahm uns die traurige Öde und mühsame Beschwerlichkeit der sandigen, damals noch ungebauten Landstraße zu sehr, und wir bestiegen den Postwagen, der schon lange neben uns fuhr und jetzt unsrer Reise zwar wenig Beschleunigung, aber doch einschläferndes Ausruhen gewährte.

Wir sahen in Berlin der Reihe nach unsre Freunde mit herzlichstem Willkommen. Leider entging uns nicht, daß der Druck des Krieges in der ganzen Stadt hart fühlbar war; überall zeigte sich Zerrüttung der Verhältnisse, Verringerung der Hülfsmittel, Einschränkung der Lebensweise,[215] dazu die unerschwinglichen Lasten der Kriegsabgaben und der Einquartierung und eine große Mutlosigkeit in betreff der Zukunft. Ein knappes und spärliches Wesen, das von jeher an dem Berliner Leben im Gegensatz üppigerer Hauptstädte bemerklich wurde, zog sich noch mehr ins Enge und Bange und stach nur um so widriger gegen das Wohlleben ab, welches die fremden Sieger auf Kosten des bezwungenen Landes führten. Auch für uns selbst wurde dieser Zustand unmittelbar empfindlich, denn so manche Hülfsquellen, auf die wir hoffen durften, blieben aus, besonders in Neumanns Verhältnissen trat völlige Ebbe ein, und wir waren beide geraume Zeit auf die Mittel beschränkt, welche mir von Hamburg zukamen und bei denen für zwei doch manches Behelfen nötig wurde; wir wohnten und lebten indes gemeinschaftlich, so gut es ging.

Mein Studieren war bald angeordnet. Ich warf mich bei den Unsicherheiten, die ich in unsrer deutschen Welt herrschen sah, nur um so ernstlicher auf die Medizin, als worin mir Stand und Waffe zum bedenklichen Kampfe des bürgerlichen Lebens vor allem gewonnen sein mußte, um demnächst womöglich auch andre Zwecke und Aussichten verfolgen zu können. Manche Zwischenstufe, zu welcher ich später zurückzukehren dachte, für jetzt überspringend, und im Grunde wirklich genugsam vorbereitet, eilte ich sogleich in die Mitte der ausübenden Heilkunde und machte den klinischen Lehrgang in dem Charité-Krankenhause mit, welchen der Professor Horn leitete; außerdem hörte ich bei Willdenow Botanik und Arzneimittellehre und, damit ich mir an Gründlichkeit nichts erließe, nochmals, ich glaube, zum siebenten oder achten Male, bei Kampe die Osteologie. In bestimmten Stunden trieb ich mit Theremin das Spanische, mit Eberty Englisch und Italienisch mit andern Freunden, und kein Tag verging, da ich nicht im Homer und in der »Griechischen Anthologie« gelesen und aus der letztern ein paar Stücke metrisch übersetzt hätte, welches letztere mir gewöhnlich schon zuerst am Morgen, beim Ankleiden[216] und Frühstücken, ohne Anstrengung gelang. Neumann unterdessen, für welchen es keine Vorlesungen gab, wandte sich mit angestrengtem Fleiß auf die Übersetzung der »Florentinischen Geschichte« des Machiavelli, wovon er sich gute Frucht versprach, besonders wenn Johann von Müller bewogen werden könnte, wie wir hofften, durch eine Vorrede und Anmerkungen das Buch empfehlend auszustatten.

Dieser Grund wirkte stark mit, daß ich mich beeilte, um auch die persönliche Bekanntschaft des großen Geschichtsschreibers, dem wenigstens damals die herrschende Meinung keinen Lebenden an die Seite stellte, mir nicht länger entgehen zu lassen. Die Verstimmung, welche sich mit seinem Namen verbunden hatte, war mir einigermaßen geschwunden, indem die Ersten und Besten der Nation, von denen ich nur Goethe, Wolf und Schleiermacher hier nennen will, fortwährend sein Verdienst hervorhoben und seine Schwäche entschuldigten. Ich beschloß, ihn zu besuchen, und zwar gradezu, ohne Empfehlung oder Anfrage, wie mir das schon immer am besten eingeschlagen war. Der Empfang konnte in der Tat nicht freundlicher sein, und wunderbarerweise fand ich mich, ohne es zu wissen, schon durch meinen eignen Namen empfohlen. Ich versäumte nicht, Müllern auch alsbald das Anliegen Neumanns zu eröffnen, und fand ihn bereitwillig genug, das Unternehmen zu fördern. Mit Innigkeit und Ehrerbietung sprach er von Alexander von der Marwitz, den er selbst früher an Wolf nach Halle empfohlen hatte. Eifrig und dringend begehrte er von meinen Studien und Absichten das Nähere zu wissen, bot mir alle seine Bücher an, und als ich ein Wort von der »Griechischen Anthologie« hatte fallenlassen, freute er sich über die Maßen, holte gleich Bruncks »Analekten« herbei, schlug mehreres auf, fragte mit Hast und Unruhe, wie ich denn die vielen schönen Sachen auf die Knabenliebe in meinen Übersetzungen zu behandeln dächte, und als ich erwiderte, ich gäbe sie unbefangen so wieder, wie sie dastünden, lobte[217] er diese Vorurteilslosigkeit übermäßig und hielt der ganzen Sache, in betreff ihrer Wirkungen auf die Freundschaft und Bildung der Jünglinge, eine überschwengliche Lobrede, die mich in ernstes Erstaunen setzte. Über seinen eignen, von manchen gutwilligen Seelen, die wohl gar auf ihre Bescheidengläubigkeit noch recht stolz sind, hart abgeleugneten Hang ließ er nicht die geringste Ungewißheit, so wenig wie über die schmutzige Richtung desselben noch ein Zweifel bleiben konnte, als er eines der ärgsten Epigramme, ein Rätsel von Straton, mit fröhlichem Wohlbehagen laut zu lesen sich erlaubte. Auch seine Freundschaftsbezeigungen, sein Händedrücken, Umarmen, seine Schmeichelworte und Blicke hatten etwas Ängstliches, bis etwa ein schroffer Ernst alles dies zurück scheuchte und unterdrückte, und dann ein verständiger Sinn, ein heitres Wohlwollen und ein unendliches Wissen in freiem ungetrübtem Gespräche sich würdig darlegen mochten und in dem Zuhörer die größte Befriedigung, nicht selten sogar Begeisterung, erweckten. Sein ganzes Äußere, die geschwächten entzündeten Augen, die bläßliche feine Haut, die fast kindischen Züge des Mundes, die unangenehme schweizerische, mit französischen Einschiebseln durchbrochene Sprache, die Unruhe der Glieder des nicht großen und ziemlich dicken Körpers, alles dieses war dann leicht zu vergessen, weil sein Innres von einem wahren Feuer des Wissens und der Gesinnung doch wirklich erglüht war und die Funken davon mit kräftiger Wirkung ausströmte. Meine Verehrung für diese Geisteswürde ließ mich über die bemitleidenswerten Unwürdigkeiten, die sich derselben angenistet, wie über Ungeziefer hinwegsehen.

Johann von Müller zeigte bei solchen Gelegenheiten eine stets belebte und stets sachenreiche Mitteilung. Ich stritt öfters mit ihm über die Angelegenheiten des Tages, und er suchte dann stets einer mildern Beurteilung der französischen Sachen Eingang zu verschaffen, für Napoleon aber sprach er unbedingte Bewunderung aus. Der Anlaß brachte ihn einesmals dazu, daß er seine bei dem Kaiser gehabte[218] Audienz ausführlich erzählte, ungefähr mit denselben Umständen, welche auch in den verschiedenen späterhin im Druck erschienenen Briefen angegeben sind. Eines Zuges jedoch erinnere ich mich, dessen ich nirgends erwähnt finde, und den ich als einen höchst bezeichnungsvollen hier aufbewahren will. Unter den Gegenständen des Gesprächs, erzählte Müller, kam auch Cäsar vor, in dessen Lob Napoleon eifrig einstimmte; Müller bemerkte dem Kaiser, es sei zweifelhaft, welchen Gebrauch Cäsar, wenn er nicht durch Meuchelmord übereilt worden wäre, von seiner errungenen Obergewalt zunächst würde gemacht haben, einige Andeutungen gingen darauf, daß er das Innere der Republik neu geordnet haben würde, andre hingegen, daß er die Parthen zu bekriegen im Sinne gehabt; bis dahin habe der Kaiser ruhig zugehört, dann aber sogleich rasch ausgerufen: »Il aurait fait la guerre aux Parthes!« und diese Worte mehrmals heftig wiederholt. Müller durfte uns diesen Zug, der allerdings die Stimmung und den Geist Napoleons sehr bedenklich zu erkennen gab, mündlich wohl anvertrauen, doch liegen auch die Gründe nahe genug, welche ihn abhalten konnten, dergleichen während des höchsten Schwebens jener Machtverhältnisse schriftlich in die Ferne mitzuteilen.

Bald kam auch Schleiermacher mit seiner Schwester und kurz darauf Wolf an, so daß der hallische Kreis in Berlin sich gleichsam neu anbaute. Nur Harscher und Bekker fehlten mir noch, aber auch sie wollten kommen, und aus Frankreich erwartete ich Chamisson. Die fortdauernden Kriegsunfälle und die steigende Verarmung störten den Drang und Sinn steigender Tätigkeit nicht, sie belebten ihn vielmehr. Wolf bereitete seine Zeitschrift der Altertumswissenschaft in heitrer, mitteilungsfroher Geschäftigkeit vor; Schleiermacher las einer ansehnlichen Zuhörerschaft von Jünglingen und Männern die Geschichte der griechischen Philosophie, ein geistreiches Kollegium, noch besonders merkwürdig durch den freien rednerischen Vortrag, der ohne Stocken in schönem Ebenmaße gebildeter Sprache klar[219] dahinfloß, ohne daß der Sprechende ein leitendes Heft oder auch nur, bei so vielen wörtlichen Zitaten griechischer Stellen, ein aushelfendes Blatt zur Hand gehabt hätte. Auch versäumte er nicht die Gelegenheit zu predigen, die sich bald in dieser Kirche, bald in jener darbot, und wozu wir uns gewissenhaft immer einfanden, wiewohl uns die frühere hallische Innigkeit und Klarheit in dem Redner oftmals zu mangeln schien. Ebensowenig versäumte ich die Predigten, welche Theremin damals zuweilen französisch hielt; von frommen Anregungen war hier wenig, desto mehr aber von rednerischer Wirkung, die er recht eigentlich studiert und für die er sogar manches von Talmas Gebärden und Intonationen sich angeeignet hatte.

Die nächsten Pfingstferien benutzte ich zu einem Besuch bei Fouqué in Nennhausen, einem bei Rathenow im Havellande gelegenen Gute seines Schwiegervaters, des Herrn von Briest, wohin ich schon längst eingeladen war und sehnlich verlangt hatte. In Gesellschaft Bernhardis, der trotz seiner außerordentlichen Dickleibigkeit sehr gut zu Fuße war, machte ich mich frühmorgens auf den Weg, und mit Hülfe einer für die letzten Meilen genommenen Postfuhre kamen wir noch bei guter Zeit daselbst an. Schon unterwegs hatte Bernhardi, der mehrmals dort gewesen und dem ganzen Hause vertraut war, mich mit den Personen und Verhältnissen vorläufig bekannt gemacht, und so dankenswert dies im Augenblicke selbst mir gelten mußte, so war es im Grunde doch eher das Gegenteil, denn mein Gefährte konnte sich in seiner satirischen Laune eines Zuges von Gemeinheit nicht wohl erwehren und pflegte neben weichlicher Empfindsamkeit seine Wahrnehmungen gern in das Grobsinnliche zu treiben, wobei nicht selten nur das Widrige und Schlechte übrigblieb. So war denn auch in betreff Nennhausens, noch ehe ich es betrat, meine Unbefangenheit schon gestört und meine Aufmerksamkeit unfreiwillig zu mißliebigen Gegenständen hinabgedrängt. Der Besitzer von Nennhausen war Herr von Briest, ein vortrefflicher, in jedem[220] Betracht ehrwürdiger Mann, von großer hagerer Gestalt, milder Freundlichkeit und wohltuendem Ernst. Er hatte noch im Siebenjährigen Kriege gedient, dann als Rittmeister seinen Abschied genommen und sich auf sein Land zurückgezogen, wo er in geistiger und wirtschaftlicher Beschäftigung ein edles Leben führte. Ein schöner Park war durch ihn entstanden, ausländische Bäume und Gesträuche hatte er angepflanzt und jeden Fortschritt im Landbau für sich und seine Dorfleute bestens zu benutzen gesucht. Die letztern liebten und ehrten ihn als einen väterlichen Herrn, bei welchem sie in allen Fällen guten Rates und wirksamer Hülfe versichert waren. »Von dem Mann«, sagte mir ein alter Bauer, »hab ich noch mein Lebtag nichts Ungeschicktes gehört.« Der Name von Briest lebte in diesen Gegenden schon von alten Zeiten her in bestem Ruhme; ein Landrat dieses Namens hatte bei des Großen Kurfürsten Überfall der Schweden in Rathenow zu dem Siege wesentlich mitgewirkt, wie dessen auch Friedrich der Große in den brandenburgischen Denkwürdigkeiten ehrend erwähnt. Jetzt war derselbe Namen auch mit den Vorzügen deutscher Wissenschaft verknüpft; in Fichtes und Niethammers philosophischer Zeitschrift hatte Hülsen, der eine Zeitlang in Nennhausen bei seinem Freunde gelebt, philosophische Briefe an Briest drucken lassen. Ein Augenblick von Schwäche nur, den er in seinen hohen Jahren für eine sein Hauswesen leitende Verwandte gehabt und in dessen Folge er diese geheiratet hatte, gab zu mancherlei Bemerkungen Anlaß, die besonders das Mißverhältnis betrafen, daß die Tochter des Hauses, Frau von Fouqué, in ihrer ehemaligen Dienerin nun ihre Stiefmutter anerkennen mußte. Ebenso erfuhr ich, daß Fouqué, nachdem er wegen Brustbeschwerden aus dem Kriegsdienste seinen Abschied genommen, sich von einer früheren Gattin mit Aufopferung von Hab und Gut eiligst habe scheiden lassen, um nur so schnell als möglich seine jetzige Frau zu ehelichen, die ihrerseits schon einem Rittmeister von Rochow verheiratet gewesen, aber[221] auch bereits wieder von ihm geschieden, und sich von dem zärtlichen Spiel des blonden Minnesängers in der Einsamkeit zu Nennhausen hatte rühren lassen. Früher hatte sie in Potsdam gelebt, in dem muntern und leichtsinnigen Kreise der Kameraden ihres Mannes, der späterhin wegen Zerrüttung seiner Umstände, und besonders, wie man sagte, wegen Spielschulden sich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Frau von Fouqué, groß und wohlgestaltet, schön von Gesicht, dessen edle Züge nur durch die überaus mächtigen Lippen gestört wurden, ihrer Reize wohlbewußt, wie sich denn ihr wunderschönes Bein mit natürlicher Kunst immerfort und reichlich dem Anschauen darbot, dabei höchst lebhaft und feurig in ihren Regungen und Ansprüchen, wurde als die Herrin des Hauses geschildert, die sich über Vater, Stiefmutter und Gemahl leicht hinwegsetzte, alles auf sich beziehe, für sich alles vorwegnehme, und ihre Person und ihre Zimmer viel höher ausgestattet und geschmückt zeige, als es dem übrigen Hause möglich sei. Der gute Fouqué erschien hierbei als ein argloses Kind, welches in den Spielen der Einbildungskraft sich mit aller Freiheit vergnügen dürfe, auch in Ehre und Ansehen keineswegs verkürzt werden solle, aber in allen Beziehungen der Wirklichkeit nicht mitzusprechen habe. Bernhardi lachte und meinte, ich solle mich nun entscheiden, ob ich es mit der Frau oder mit dem Manne halten wolle, in jedem der beiden Fälle würde ich es gut haben, nur beide vereinigen könne ich nicht, das sei nur ihm selber einigermaßen gelungen, als welcher den Mann aufrichtig liebe und dabei mit kluger Weltkunde sich dem Zutrauen der Frau nicht verschließe, die von ihm glücklicherweise auch weiter nichts verlange. Ich war ohne Bedenken für den guten Fouqué entschieden, der mir in dieser Lage schon gedrückt und bezwackt genug schien, um nicht auch noch den Ersatz, den die Freundschaft leisten kann, ihm verkümmern zu wollen. Das Vorurteil, mit welchem ich diesen Erörterungen zufolge den neuen Kreis betrat, war tüchtig eingerammt und hielt auch wirklich fest,[222] ungeachtet es im ersten Augenblick eine starke Prüfung zu bestehen hatte. Denn als ich mit Bernhardi, der uns gar nicht erst ankündigen ließ, die Gesellschaft in ihrem gewöhnlichen Beisammensein am Abend bei schon angezündeten Lichtern überrascht und nach den ersten Begrüßungen Platz und Umsicht genommen hatte, so konnte ich mich eines ungünstigen Eindrucks, den mir Fouqués kleine gedrückte Gestalt und piepende Stimme machte, so wenig wie des höchst günstigen erwehren, den ich von Frau von Fouqué empfing, deren Blicke und Reden bei jener ersten Bekanntschaft eine angeregte Teilnahme bezeigten und mir wider Willen eine gleiche abnötigten. Wer weiß auch, welches Geschick hier die Vorsätze im Spiele der Neigungen und der Umgangskünste gehabt hätten, wenn nicht Bernhardi, der mit mir in demselben Zimmer schlief, noch vor Schlafengehen unerbittlich den Mephistopheles gemacht und mir diese Baronin, wie Jarno dem Laërtes jene im »Wilhelm Meister«, durch die schlimmsten Bilder und Gleichnisse verleidet, in den folgenden Tagen aber sie selbst nicht so manches Abstoßende gezeigt hätte, besonders eine Art von berechnetem Eigennutz, der mir eine Frau häßlicher macht als körperlicher Schmutz, und daneben eine Plumpheit adeligen Stolzes, wogegen Fouqués Rittertum als ein artiges Spiel erschien. Sie merkte sehr bald, daß wir nichts zusammen gemein haben würden, und da ihr doch nicht entgangen sein konnte, daß der Stoff dazu in mir nicht völlig gemangelt habe, so stellte sich die Verneinung nur um so feindlicher zwischen uns, und in den ersten Tagen war eine Scheidewand gezogen, die auch in der Folge nie ganz wegfallen konnte. Wir nahmen voneinander nur im Dichterischen und Schriftstellerischen die nötige Kunde. Das Vorlesen der mitgebrachten Kapitel des Doppelromans regte großes Ergötzen und das Versprechen der Mitwirkung auf, persönlich aber blieben wir höflich und kalt oder vielmehr in schroffer Gleichgültigkeit, als lägen unübersteigliche Klüfte zwischen uns.[223]

Desto liebevoller und befriedigender stellte sich das Verhältnis mit Fouqué. Wer ihn bloß in späteren Jahren gekannt, wird ihm einen tiefen Grund von Edelsinn und Gutmütigkeit nicht absprechen dürfen, wenn auch diese schönen Eigenschaften und sogar seine dichterische Gabe, jetzt nur von vielem Dünkel und mancher Verbitterung, die ihm das Leben zugeführt, und von unleugbarer Narrheit getrübt, hervorleuchten. In jener Zeit aber waren diese Seiten noch völlig zugeschlossen, und der lebhafte, bescheidene, freisinnige und herzliche, von jedem besten Willen beseelte Mann das Bild der reinsten Liebenswürdigkeit. Er sah auf eine zum Teil schmerzvolle Vergangenheit so ergeben zurück, als hätte er nichts mehr zu hoffen, und hoffte so frisch und fröhlich von jedem neuen Tage das Beste, als hätte er noch gar nichts erlebt. Seine Dichtung stand auf der Höhe des genußreichsten Hervorbringens, mit jedem kleinen Erfolg um so leichter befriedigt, als es eigentlich auf allgemeinen Beifall nicht einmal abgesehen war; die üppigste Fruchtbarkeit und anmutigste Leichtigkeit ließen ihm alles zu Gedichten und Reimen werden, was er nur berührte, und diese Art von Stegreifdichten, die stete Gegenwart und Flüssigkeit dieser poetischen Regung und Äußerung, erhöhte für seine näheren Freunde, die das Hervorbringen mit ansahen, den Reiz und die Wärme seiner Dichtergebilde, welche, für sich allein und von ihrem Entstehen getrennt betrachtet, allerdings etwas zu stark in die grünen Blätter geschossen dünkten. Mich aber bezauberte dieser reiche Wachstum, der sich gleichsam unter meinen Augen entfaltete und mehrte; denn Fouqué hatte nicht nur ganze Schubladen mit schon abgeschlossenen Handschriften gefüllt, sondern in der kurzen Zeit unsrer Anwesenheit sahen wir den Vorrat um große und kleine Stücke bereichert; jeder Tag und jede Stunde, besonders aber regelmäßig der frühere Nachmittag, fand Fouquén zum Schreiben aufgelegt, und dann schrieb er seine Sachen, Lyrisches oder Dramatisches und gleicherweise epische Prosa, fast ohne[224] auszustreichen, ununterbrochen hin, so schnell die Feder laufen mochte. Viele Stunden wurden mit Vorlesen verbracht, andre mit Erzählungen, ein guter Teil des Tages auch mit Spazierengehen in dem herrlichen Park, welchen der alte Briest mit Einsicht gepflanzt hatte und noch täglich mit Liebe pflegte; ein Wald schloß sich an, ein dunkelblauer See breitete sich aus, die geringen Anhöhen waren wohlbenutzt, und so machte Nennhausen ordentlich den Eindruck einer schönen Gegend. Wir machten auch einigen Besuch in der Nachbarschaft, andrer kam, andrer fand sich ein. Die Abende verbrachte man gesellig bei Tee und Abendessen, zwischen welche für den alten Briest wohl eine Schachpartie sich eindrängte; zuweilen auch ergötzte man sich mit Pistolenschießen oder Kegeln, letzteres vorzüglich einem alten verkrüppelten Offizier aus dem Siebenjährigen Kriege, Herrn von Laßberg, zuliebe, der bei seinem Freunde Briest für den Rest seiner Lebenstage großmütige Aufnahme gefunden hatte und bei jenem Spiel besonderes Vergnügen und seinen kleinen Vorteil fand.

Das Unglück Preußens und die geringen Hoffnungen, die man von dem damals noch fortdauernden Kriege haben konnte, wurden reichlich durchgesprochen, wie im Gegensatz auch die glänzenden Zustände und Erscheinungen des preußischen Militärlebens vor dem ungeheuern Fall. Man faßte den eingetretenen Wechsel nicht, man sah die Folgen riesengroß vor sich und konnte nicht an sie glauben, man wußte in den Weiten der Welt kein Rettungsmittel mehr, denn auch an den Russen verzweifelte man schon und auf die Österreicher wollte man nicht rechnen; aber dennoch meinte man, es könne und müsse alles wieder umgewendet werden, und zwar jetzt und ganz; diese Aufgabe drückte sich der Empfindung mit tausend Stacheln unaufhörlich ein.

Ein andrer Gegenstand, der uns viel und ernsthaft beschäftigte, war Bernhardis Angelegenheit. Der bedeutende Kreis, in welchem er seine schönsten Jahre mitgelebt, hatte sich allmählich aufgelöst, Friedrich Schlegel war nach Paris[225] gezogen, Wilhelm Schlegel in der Schweiz, Ludwig Tieck in München; aber schlimmer als diese äußere Trennung hatte innerer Zwiespalt hier die scheinbar so tiefen Bande der Vereinigung zerstört. Bernhardi war mit der Schwester Tiecks verheiratet, und wie man sagte, hatte er sich diese Heirat durch Tieck aufschwatzen lassen, der sich der Schwester, nachdem sie ihn mit romantischer Zuneigung und durch unbequemes Anhängen lange gequält, auf diese gute Art zu entledigen gewußt. Sie selbst hatte auch nur mit Widerstreben eingewilligt und lebte nicht glücklich, der wohlbeleibte Gatte war ihr zu materiell, und obwohl er alles tat, ihrem ätherischen Wesen zu huldigen, so hatte er doch wenig Dank davon. Wilhelm Schlegel, der bei Bernhardi wohnte und aß, gefiel ihr besser, und es entstand große Vertraulichkeit, die in diesem Kreise, wo es fast eingeführt war, sich wechselseitig alles zu gönnen und zu gestatten, kaum auffallen konnte, um so weniger, als auch Bernhardi mit Schlegels Frau, der nachherigen Schelling, eine Zeit hindurch in gar gutem Vernehmen gestanden hatte. Wie aber das muntre und geistreiche Zusammenleben nach und nach einging, wuchs das Mißvergnügen und die Unruhe der Madame Bernhardi, sie wurde kränklich und sollte zu ihrer Zerstreuung nach Weimar reisen, wohin sie ihre beiden Knaben mit des Vaters Einwilligung mitnahm, ein livländischer Edelmann von Knorring aber, den sie mit ihren schwachen Reizen wunderbar gefesselt und zu ihrem Retter ersehen hatte, kam ihr heimlich nach und führte sie von Weimar nach Italien fort. Bernhardi erfuhr dies alles durch andre und fand dieses Betragen der Frau ganz unverschämt, den Raub seiner Kinder aber nimmermehr zu dulden. Seine Briefe, durch welche er die Rückgabe der letztern forderte, blieben unbeantwortet, und endlich schrieb Ludwig Tieck ihm kurzweg, seine Schwester habe es mit einem so schändlichen Menschen, wie er sei, nicht mehr aushalten können, habe ganz recht getan, von ihm wegzugehen, und auch die Kinder sollten nie zu ihm zurückkehren. Schlag auf Schlag[226] sagten auch Friedrich Tieck und Wilhelm Schlegel sich von ihm los, alle Sippschaft und Anhänger derselben feindeten ihn heftig an, und der hart getäuschte Mann stand plötzlich in schrecklicher Öde, von seinen Nächsten verraten und dabei belastet mit dem bittersten Hasse, den er um ihretwillen von allen ihren Widersachern nur allzu eifrig auf sich genommen. Als der Minderbegabte und Schwächere überall im Nachteil und grenzenloser Verleumdung ausgesetzt, sah er durch den vor Gericht anhängig gemachten Streit noch sogar seine bürgerliche Stellung bedroht, indem hier Dinge zur Sprache gebracht wurden, welche dem Schulmann allerdings nicht geziemten und, wenn sie unwiderlegt blieben, leicht zur Entsetzung von seinem Amte führen konnten. In dieser Not aber nahm sich der bedrängte Mann nur um so tapfrer zusammen; er schrieb an Knorring eine Ausforderung auf Pistolen, erklärte ihn für einen ehrlosen Schurken, wenn er sich nicht stellte, ließ auch beide Tieck und Wilhelm Schlegel wissen, was er von ihnen halte, und betrieb seine Sache vor Gericht mit klugem Eifer. Durch offene Darlegung aller Verhältnisse hatte er Fichten von seinem guten Rechte überzeugt, auch Fouqué und Wilhelm von Schütz für sich gewonnen, wie sehr auch beide sonst mit der andern Seite befreundet waren. Jedoch eines tätigeren Beistandes bedürftig, als diese ihm gewähren konnten, hatte Bernhardi auch mir, schon bei meiner vorjährigen Anwesenheit in Berlin, seine ganze Sache vertraut und mich zum Zeugen und Helfer seiner Maßregeln aufgefordert. Ein besserer wäre ihm auch nicht zu finden gewesen, denn ich war, nachdem ich einmal seine Sache für die bessere hielt, ebenso bereit, mit dem Degen als mit der Feder und dem Worte für ihn aufzutreten, obgleich ich sehr gut wußte, welchem großen und vielfachen Hasse ich mich bloßstellte. Ludwig Tieck schien seine ganze Dichterkraft jetzt zum Verderben Bernhardis aufzubieten und nahm sich des Prozesses mit nachdrücklicher Tätigkeit an. Er hatte dem Gericht eine ausführliche Schilderung seines Schwagers eingereicht, von[227] welcher dieser selbst gestand, sie sei ein Meisterstück von gewandter Darstellung, aber auch von teuflischer Bosheit, indem Sachen früheren Vertrauens, welche Bernhardin mit seinem Vater entzweien und noch sonst die ärgsten Mißdeutungen veranlassen mußten, mit großer Kunst darin verwebt waren, ohne daß sie eigentlich zur Sache gehört hätten. Hiergegen hatte nun auch Bernhardi scharfe Waffen, wie die Gegenseite sie nicht vermutete; die Mägde seiner Frau hatten sich das Vergnügen gemacht, mit Kreidestrichen die Zahl der Küsse anzumerken, welche sie im Nebenzimmer schallen hörten, wenn Madame Bernhardi mit Knorring so lange allein blieben, bis der besorgte Ehemann aus der Apotheke zurückkam, wohin er selber zu eilen pflegte, um die vorgeschriebenen Arzneimittel gegen die Krampfanfälle der Gattin herbeizuholen; der ehrwürdige Fichte bezeugte auf Verlangen gerichtlich, daß er bei Madame Bernhardi, als er unerwartet in deren Schlafzimmer getreten sei, den ältern Schlegel in sonderbarster Verfassung angetroffen habe, und was dergleichen Ärgernisse mehr waren. Wegen einer Liebelei, deren Bernhardi mit einer Verwandten Tiecks beschuldigt wurde, konnte er anführen, daß dieser ja selbst darin vorangegangen war und die lästig gewordene Liebschaft an den bequemen Schwager gleichsam abgesetzt hatte. Überhaupt schrieb nun Bernhardi seine Bekenntnisse und Denkwürdigkeiten, die er als letzte Notwehr wollte drucken lassen. Aber das war eben Gegenstand der Überlegung und Beratschlagung, was im gegebenen Augenblicke zu tun, welche Waffe zu gebrauchen, welche noch zurückzuhalten sei; denn hundert Rücksichten und Umstände bedingten einander, und Bernhardi wollte vor allem die Kinder wiederhaben, sonst aber nur im schlimmsten Falle gegen die andern das Äußerste tun, welches auch für ihn schlimm genug blieb, und nur wenn sein eignes Verderben durch die Gegner entschieden gewollt und unabwendbar herbeigeführt würde, auch seinerseits mit Überwindung eigner Scham jene rücksichtslos vernichten. Wir[228] lobten Bernhardin sehr wegen seiner Forderung der Gegner zum Zweikampf und bezeugten sie ihm gern, wiewohl wir uns hüten mußten, daß nicht durch Zeugnisse dem Schulmanne ein doppelt schlimmes Spiel vor Gericht bereitet würde, denn die Gegner wünschten grade dies. Wir rieten ihm, seine Denkwürdigkeiten wenigstens vollständig zu schreiben und bereitzuhalten, mit ihnen aber dann erst hervorzubrechen, wenn doch schon alles verloren wäre. In solch tiefe innere Zerrüttung scheinbar schöner und glücklicher Dichterverhältnisse hineinzuschauen war mir nicht wohltätig; eine Menge häßlicher Zustände und widriger Gebrechen enthüllten sich mir, auch auf der Seite des Freundes, der mir dadurch sehr verleidet wurde, obgleich seine nunmehrige Lage meinen ganzen Eifer erweckte und auch die obengenannten Ehrenmänner ganz für ihn Partei nehmen ließ. Daß diese Geschichten mir äußerlich schaden konnten und mir durch den weitverbreiteten Einfluß der Gegner wirklich schadeten, kam in keinen Betracht, daß sie mir aber auch innerlich schädlich wurden, indem sie mir einen traurigen Stoff zur wichtigen Beschäftigung gaben und durch letztere meine Schärfe wie durch erstere doch nur meine Unreinheit vermehrten, dies habe ich späterhin wohl erkennen dürfen.

Kaum waren wir von Nennhausen in Berlin zurück, so ergab sich daselbst für uns die Gelegenheit eines schönen Festes. Wolf konnte nicht in Berlin sein, ohne daß seine ehemaligen Zuhörer aus allen Kreisen der Hauptstadt ihn eifrig begrüßten und die eigentlichen Philologen sich fortwährend um ihn sammelten. Die verschiedenen Generationen seiner Schüler lagen zum Teil weit auseinander, Heindorf und Ideler zum Beispiel standen gegen uns Jüngste selbst wieder als Lehrer da. Unsre gemeinsame Huldigung ihm aber in dieser Mannigfaltigkeit vereinigt darzubringen, verabredeten wir ein Mittagsmahl im Tiergarten; Wolf wurde hingeführt, wie zu einem gelegentlichen Mittagessen von vier oder fünf Personen, und der treffliche Mann war[229] so überrascht als gerührt, eine so stattliche Versammlung von mehr als dreißig Gästen zu finden, worunter nur zwei oder drei, wie zum Beispiel Buttmann, nicht seine hallischen Schüler waren. Eine geistreiche Munterkeit, fern von jeder Pedanterei, durchströmte die ganze Gesellschaft; Wolfs heitrer Genius beherrschte die Gemüter, man fühlte sich von dem Hauche der gebildeten Vorwelt überall angeweht. Ich aber hatte im stillen noch eine andre Überraschung vorbereitet, zog nun Heindorf und Buttmann ins Vertrauen, und während unter sämtliche Gäste die Abdrücke eines Gedichts ausgeteilt wurden, forderten jene mich auf, dasselbe vorzutragen. Gleich das Motto aus Goethe: »Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen Homeros kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn«, wurde mit stürmischem Beifall und Klange der Gläser aufgenommen, dann las ich mit tiefer Bewegung und freudiger Kraft in die horchende Stille einen Dithyrambus in Galliamben, wie schon ehemals Voß einen an Wolf gedichtet hatte, wozu ich nun in Deutschland das erste Seitenstück lieferte. Nur ein so schwieriges Metrum, einst von Wolf selber als fast unnachahmbar Vossen zur Aufgabe gestellt, konnte dieser Gelegenheit würdig entsprechen, sein Schritt und Tanz trugen im Schwunge den nicht allzu klaren und festen Inhalt siegreich dahin und erregten die schon günstigen Hörer zu ausbrechendem Jubelruf. Ich war als Verfasser nicht genannt, aber niemand hatte darüber Zweifel, und Wolf richtete an mich, nachdem auf sein Wohlsein nochmals mit Begeisterung getrunken worden, zum Danke zwei Galliamben, die er aus dem Stegreif hersagte, auch hierin also unter seinen Jüngern sich als überragender Meister behauptend, denn Galliamben aus dem Stegreife, wem außer ihm hätte das nur einfallen dürfen! Lange suchte ich in meinen Papieren und in meinem Gedächtnis vergebens diese Verse wieder aufzufinden, erst in später Zeit kamen sie mir durch einen glücklichen Zufall wieder unverhofft vor Augen. Sie lauteten:
[230]

Wie gelehrt und kunstvoll wagst du, o du Zauberer des Gesangs,

In des Galliambus Taktschritt die begeisterte Melodie!


Die herrlichste Stimmung dauerte nun fort, vielheit res und wichtiges Philosophische kam zur Sprache, man verabredete fester die Herausgabe des »Museums der Altertumswissenschaft«, und ich weiß kaum ein zweites Fest, das durchgängig in so schönem Ausdruck geistiger Erregung verblieben wäre.

Der Zeitfolge nach muß ich nun einen Vorfall erzählen, der sich mir jetzt in der Erinnerung so unwillkommen aufdrängt wie damals in der Wirklichkeit. Die Eindrücke von Nennhausen und die fortwährende Verarbeitung der großen Verrätereien und Brüche, welche Bernhardi zu leiden hatte, trugen dazu bei, daß ich mich heftiger in dieser Sache benahm, als sie eigentlich erfordern mochte. Mein Freund Theremin hatte mir schon oft schmerzlich geklagt, daß die Launen seiner Freundin Sophie ihn unglücklich machten; immer fürchte sie Gefahr für ihr Verhältnis und wolle doch nichts tun, es zu befestigen; immer setzte sie voraus, er werde plötzlich enttäuscht werden und sie verlassen, ja der täglich wiederholte Zweifel, ob er wirklich bei ihr ein wahres Glück finden könne, raube ihm dasselbe mehr und mehr; besonders eifersüchtig sei sie auf mich, sie argwohne stets, ich tadle ihr Verhältnis, ich suche ihm die Augen darüber zu öffnen, und sie fühle sehr wohl, daß mich all ihr Schmeicheln und Zuvorkommen nicht habe gewinnen können. Sie verbot ihm sogar, mit mir umzugehen, und war doch die erste, mich immer freundlichst einzuladen, ja wenn es sich traf, daß wir einige Zeit allein blieben, so klagte sie mir wohl ihrerseits, daß Theremin von allen seinen Freunden geschieden sei, ich möchte ihn nur nicht auch verlassen, und was dergleichen Widersprüche mehr waren, die mir um so weniger entgehen konnten, als Theremin kein Geheimnis vor mir hatte. So standen die Sachen, als[231] eine Busenfreundin von Madame Sander, die verwitwete Hofrätin Spazier, Schwägerin Jean Paul Richters, aus Leipzig eintraf, welche als eine schriftstellernde, lebhafte, liebenswürdige, nicht gleichgültig lassende Frau durch vielfache Gespräche schon angekündigt war. Einige muntre Abende wurden hingebracht, der Dr. Mann, jetzt Superintendent, suchte sein Herz anzubringen und gab uns viel zu lachen; zur Steigerung unsres Vergnügens sollte er noch eifersüchtig gemacht werden, und dazu wurde ich ersehen; meine verabredete Bewerbung wurde mit verabredeter Gunst aufgenommen und Dr. Mann in große Wut gesetzt. Madame Sander hatte aber darauf gerechnet, meine Rolle würde nicht bloße Rolle bleiben, sie wünschte mich um jeden Preis in solche Verwickelung gebracht; Theremin sagte mir's, und wir lachten auch darüber. Mir mißfiel es jedoch sehr, als er mir ferner vertraute, er habe den Auftrag, mich zur Dreistigkeit zu ermuntern, es sei hier gar leicht gutes Glück zu haben; ich sah die fremde Dame wahrlich nicht in Freundschaftshänden, so wenig wie mich selbst. Ich ließ es mir indes gefallen, und schon glaubt ich das lose Spiel zu Ende, als ich entdeckte, die Hofrätin sei von meinen Verhältnissen in Hamburg genau unterrichtet, und leicht drang ich ihr das Bekenntnis ab, Madame Sander habe ihr alles gesagt, ja ich erfuhr in fernerem leidenschaftlichem Gespräch, die Freundin habe mich als eine gute Beute bezeichnet, welche der hamburgischen Dame entrissen werden müsse, und Theremin habe mit freudigem Lachen eingestimmt. Meine Entrüstung war grenzenlos; ich selbst also, mehr als der arme Dr. Mann, war der Genarrte, aber zugleich, was schlimmer war, der Verratene; meine zartesten und heiligsten Geheimnisse, welche Theremin versprochen hatte, sogar gegen seine Geliebte zu verschweigen, waren nicht nur dieser, sondern von beiden vereint einer ganz fremden Dame ausgeplaudert, und diese hatte man gegen mich zugleich mißgestimmt, indem man ihr gesagt, ich suche ihre Gunst zu gewinnen, um nachher damit zu[232] prahlen und ihrer zu spotten. Ich war außer mir über dies Gewebe von Arglist und Schwäche; ich forderte die Hofrätin auf, sogleich mit mir zu Madame Sander zu gehen, um alles nach der Wahrheit aufzuhellen, allein wir wurden nicht angenommen. Ich sprach dann Theremin, aber unsre Erklärungen halfen zu nichts, ebensowenig diejenigen, welche die beiden Frauen miteinander hatten. Es kamen immer ärgere Sachen an den Tag, ein völliger Bruch war unvermeidlich, und ich stellte dem Freunde nur den Ausweg, ohne Säumen mit derjenigen zu brechen, die uns so verhetzt und ihn wie mich unwürdig mißbraucht hatte. Er wies das weit von sich, und ich, dessen Blut von mehr als einem Feuer leider schon kochte, beging die Schwäche, ihm eine Herausforderung zu schicken, und als er diese nicht annahm, noch in besondern Zuschriften an ihn und seine Freundin meine jetzt hassenden und verachtenden Gesinnungen gegen sie nachdrücklich auszusprechen. Adolph Müller war dabei mein Besteller, und als er und Marwitz denn doch hinterher meinten, ein Prediger dürfe wohl eigentlich seinen Stand nicht vergessen und insofern hätte ich ihn nicht herausfordern dürfen, erwiderte ich nicht ohne Grund, er habe selber diesen Stand in betreff der Liebschaften und Ränke längst so sehr vergessen, daß ich ihn auch in betreff des Zweikampfes habe vergessen dürfen.

In der Sache selbst gaben mir die nahen und fernen Freunde sämtlich recht; nur Schleiermacher wollte mir übel deshalb, doch ohne je ein Wort zu äußern. Mir war der Verlust eines Freundes, den ich so geliebt und verehrt hatte, ein ungeheurer Schmerz, aber bereuen konnt ich es nicht, daß ich keinen Augenblick diese trüben Ränke und lügnerischen Verwirrungen hatte dulden wollen. Wäre es nur möglich gewesen, selber so ganz rein daraus hervorzugehen! Aber, wie gelöst auf der einen Seite, sah ich wider Willen auf der andern mich verknüpft. Die Hofrätin Spazier hatte in der Freundin auch den ganzen Reiz ihres Aufenthalts verloren, sie rechnete auf mich, ich hatte sie zu trösten, zu[233] führen und begleitete sie, als sie nach kurzer Zeit die Rückreise nach Leipzig antrat, bis Potsdam. Sie bekannte mir ihre ganze Lage, wie ihr Witwenstand sie dazu dränge, sich irgendwo wieder anzuschließen, wie sie einige Bande leichter Neigung festzuhalten gesucht, aber noch unentschieden zwischen mehreren schwanke, die einstweilen gleicherweise von ihr begünstigt würden; auch ich sollte diese Begünstigung erfahren und an solchem Band oder Bändchen mich gehalten fühlen, allein ich war durch so viele scharfe Geschichten abgehärtet genug, um diesmal ohne Zagen die noch schwachen Fäden gleich wieder abzureißen, obgleich mehr gebunden war und zerrissen wurde, als ich damals ahndete und nachher glauben wollte. Ich besuchte in Potsdam noch Hitzig, der als preußischer Regierungsrat infolge des von Napoleon erregten polnischen Aufstandes aus Warschau hatte weichen müssen, und kehrte verstimmt und mit mir selbst unzufrieden nach Berlin zurück.

Wenn nicht irgendeine schaffende Richtung sich damit verbindet, so lassen Fleiß und Eifer in den Studien nicht viel Besonderes von sich sagen, das bloße Erlernen stellt sich nur als einförmige Wiederholung dar. Letzteres war jetzt mein Fall; mir ging eigentlich nirgends ein neues Licht auf, ich suchte mir in schon bekannten Feldern nur immer größeres Material anzueignen, ich versäumte die Kollegia selten und eilte ihnen in meinen Vorbereitungen oft nur allzuweit voraus, was freilich nur um so leichter zur Folge hatte, daß sie gegen den Schluß mir unerträglich wurden und ich sie meist eine Zeit vorher schon aufgab. So viele Verhältnisse und Zwischenspiele störten mich in meinen Arbeiten zuweilen, diese bekamen aber auch neue Frische und Stärke durch die Anregungen, von denen ich ergriffen, aber nicht erfüllt wurde. Im Gegenteil, mit jedem Tage mehrte sich mir die Menge der Lebensverhältnisse und der Beschäftigungen. Der Oberbibliothekar Biester hatte mir den Gebrauch der Königlichen Bibliothek sehr liberal verstattet, ohne weitere Empfehlung und Bürgschaft, als daß ich mein[234] Begehren gleich persönlich bei ihm anbrachte und dabei von Literatur und Gelehrten mit ihm so frank und frei gesprochen, als wüßte ich gar nicht, daß er einer besondern und sehr bestimmten Partei in diesem Reiche angehöre und uns junge Poeten in seiner »Berliner Monatsschrift« bitter rezensiert habe; daß ich die Schlegel rühmte, Fichten bewunderte, Schleiermacher und Steffens pries, ließ ihn arge Gesichter schneiden, wenn ich dagegen Wolf hoch verehrte, erheiterten sich seine Züge wieder, und er schmunzelte vor Wohlgefallen, als ich über Zacharias Werner mich lustig machte; er schien zu glauben, in der neuen Schule gäbe es gar keine Unterschiede, wer ihr angehöre, müsse es mit Haut und Haar und jedes dumme Götzenbild gutheißen, das irgendwo in der äußern Übereinstimmung mit dieser Kirche vortrete; er schüttelte den Kopf, sprach aber nicht ungern mit mir und ließ mich in den Sälen der Bibliothek ungehindert umherstöbern. Ich verfiel unter andern auf die deutsche Literatur aus den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges und las mich bald mit großer Vorliebe hinein. Die Harsdörferschen Schriften eröffneten einen Wust halbverarbeiteten poetischen Stoffes, Paul Fleming, den ich schon früher teilweise gekannt, wurde für immer eines meiner Lieblingsbücher, unerschöpfliche Lust und Nahrung aber gaben mir die Geschichte des Philanders von Sittewald oder Moscherosch, wie der Autor eigentlich hieß, und daneben der bedeutende Roman vom abenteuerlichen Simplicissimus nebst seinen zahlreichen Anhangschriften in ähnlichem Sinne oder von demselben Verfasser, der noch jetzt seinem wahren Namen nach nicht bekannt ist, denn daß Samuel Greifenson von Hirschfeld nicht der wahre Namen für Germann Schleifheim von Sulzfort, sondern nur wieder ein erdichteter sei, war mir sogleich unzweifelhaft. Die schreckliche Verwilderung in den deutschen Zuständen jener Zeit hielt den Zeiten, die wir selbst erlebten, einen noch tröstlichen Spiegel vor. Die Lebhaftigkeit und völlig ungehinderte Derbheit der Darstellung tat einer Stimmung wohl,[235] die auch aus argen Wirklichkeiten hervorgetrieben war, und Sprache und Schreibart des Buches reizten ein starkes philosophisches Interesse auf. Feiner, höher und auch etwas altertümlicher sprach und schilderte Philander; die großen Vorzüge dieses Prosaisten ruhten auf gelehrtem Ertrag und frischem Leben zugleich. Über den Simplicissimus gedacht ich eine literarische Untersuchung auszuarbeiten; sie unterblieb wie so vieles andre, was im Augenblicke versäumt wird und wozu später die Gelegenheit sich nicht wiederfindet. Aber ich hatte die Freunde und Bekannte so viel und oft von den Eigenheiten und Ergötzlichkeiten dieser Autoren unterhalten, sie mit so häufigen Anführungen und Redensarten von dorther gequält, daß endlich beschlossen wurde, man wolle ein für allemal sehen, was an der Sache sei. Es wurde ein Abend beim Italiener festgesetzt; Schleiermacher, Reimer, Bernhardi, Adolph Müller, auch Marwitz und Schütz, wenn ich nicht irre, und noch einige andre kamen bei Thiermann zusammen; ich gab einige Worte zur Einleitung und las dann im »Simplicissimus« von Anfang ein tüchtiges Stück und darauf aus der Mitte sprungweise die würdigsten Kapitel, mit einer Wirkung und einem Beifall, den ich mir nicht vorgestellt hatte, oft mußt ich innehalten, um den Jubel und das Gelächter verbrausen zu lassen; man tat sich in florentinischen Weinen gütlich, aber noch mehr in Erschütterung des Zwerchfells, und besonders an Schleiermacher konnte man recht anschaulich wahrnehmen, was der deutsche Ausdruck »eine Lache aufschlagen« eigentlich bedeuten wolle. Mit gleicher Fröhlichkeit wurde auch dem Doppelroman ein solcher Abend gewidmet, und wenn manche Hörer, unter welchen auch notwendig Schleiermacher sein mußte, zu mehreren persönlichen Anspielungen eben nicht einstimmen wollten, so wurden sie doch unwiderstehlich in den ironischen Humor fortgerissen, welchen das Ganze gebot, und der volleste, lauteste Jubel wurde selbst den Stücken, die man mißbilligte, zuteil.[236]

Ich hatte während des Sommers eine rasche Reise nach Hamburg machen wollen; aber es waren dort einige Umstände grade zu dieser Zeit nicht günstig, und der Besuch wurde auf den Herbst hinaus verlegt. Dagegen erhielt ich eine freundliche Aufforderung, in der Nähe auf dem Lande ein paar Tage des heißen Sommers zuzubringen. Marwitz waltete in Friedersdorf, dem bedeutenden Rittergute seines Bruders, der selber fern in Preußen dem schon verzweifelten Kriege noch mit brennendem Eifer beiwohnte. Ungeachtet der Lasten und Leiden vom Feinde, unter welchen das ganze Land seufzte, war das herrschaftliche Leben auf dem Gute noch reichlich genug ausgestattet, und Marwitz entbot seine Freunde in seine gastliche Einsamkeit. Schleiermacher befand sich schon seit mehreren Tagen dort und zwischen Arbeit und ländlichem Vergnügen sehr behaglich. Nun machten auch Reimer, Adolph Müller und ich uns auf, um ebenfalls einige Tage dort zu bleiben und dann mit Schleiermacher zurückzukehren. Den größern Teil des Weges, soweit wir der Straße nach Frankfurt an der Oder folgten, fuhren wir, den übrigen Teil, links ab über Landwege hin, legten wir zu Fuß zurück und erreichten durch unerfreuliche Gegend und gewaltige Tageshitze noch früh genug, um durch ein nachträgliches Mittagsmahl uns erlaben zu können, den stattlichen Edelhof, der indes weniger durch seine Gebäude, Gärten und Lustanlagen sogleich in die Augen fiel als durch seine umliegenden, bis in den Oderbruch hinab sich erstreckenden und vortrefflich bewirtschafteten Ländereien seinen gründlichen Wert nach und nach zu erkennen gab. Marwitz bemühte sich, nach besten Kräften den Wirt zu machen, wir lernten seine ganze Liebenswürdigkeit kennen; die Hülfsmittel der Gegend, welche wirklich gegen den Oderbruch hin einigen Reiz gewann, des Bemerkenswerten, aus der in Bildern und Denkmalen vergegenwärtigten Geschichte des Hauses, die bestehenden grundherrlichen und landwirtschaftlichen Verhältnisse, alles wurde betrachtet, besprochen, was an Büchern und Kunstsachen[237] vorrätig war, daneben was Küche und Keller vermochte, mit Fröhlichkeit genossen. Nur hatten die ersten Stunden des Zusammenseins leider eine harte, schwere Verstimmung dazwischen zu verarbeiten. Wir brachten nämlich die »Berliner Zeitung« und mit ihr die erste zuverlässige Nachricht von den Bedingungen des am 9. Juli zu Tilsit geschlossenen Friedens mit. Wir hatten schon in Berlin die Sache genug verhandelt, unsren Schmerz und unsre Wut zur traurigen Fassung hinabgeredet. Nun fanden wir mit unsrer trostlosen Gewißheit uns noch mutigen Hoffnungen, gespannten Erwartungen gegenüber. Marwitz und Schleiermacher waren in Niedergeschlagenheit ganz betäubt, als sie diese schmachvollen Bedingungen der Reihe nach vernahmen; sie hatten keine Gunst des Siegers gehofft, sondern großen Verlust erwartet, aber auf diese Herabsetzung Preußens, auf so ungeheure Abtretungen und Verpflichtungen, in welche man willigen gemußt, auf solches Benehmen, wie das noch eben verbündete Rußland zeigte, waren sie nicht gefaßt. Alle Plane und Aussichten, die man für den schlimmsten Fall im Sinne gehabt, waren zerrüttet, man sah keinen Boden mehr; denn selbst das unbestimmte Verbleiben der Franzosen auch in den Ländern, welche der König zurückerhalten sollte, war schon ausgemacht und dem kläglichsten Zustande kein Ende abzusehen. Der Ein druck war bis zur Beschämung abschwächend und drängte sich zwischen allem Zerstreuenden immer wieder vor, für uns Ankömmlinge noch besonders peinlich, die wir uns das Mitgebrachte schon im voraus übel genug hatten schmecken lassen. Geisteskraft und Jugendmut setzten sich aber doch bald wieder so weit ins Freie, daß sinnvolle, forschende Gespräche mit den gewöhnlichen Tagesdarbietungen abwechseln und auch Scherzreden sich wieder einfinden konnten. Laue Abende der köstlichsten Art wurden bei Sternenflimmer im tiefen Schattendunkel hoher Bäume weit über die Mitternacht hinaus verlängert, und niemand mochte ans Schlafengehen denken, während die reinste Luft die Brust erfrischte und die[238] edelsten Gedanken über Natur, Welt, Geschichte, Wissenschaft und Poesie ausgesprochen wurden; denn Marwitz hatte den Willen und die Kraft, immer das Höchste und Größte zur Sprache zu bringen und auch Schleiermachers oft hartnäckige Schweigsamkeit in schönen Redefluß aufzutauen.

Als wir Gäste endlich wieder abziehen wollten, mußte ich dennoch einen tief verstimmenden Eindruck hinnehmen, den ich aber in mir verschloß. Wir hatten zum bestimmten Tag einen Wagen aus Berlin nach Müncheberg bestellt, bis dahin wollten wir zu Fuß wandern. Dies aber gab Marwitz nicht zu, sondern nötigte uns, für diesen Teil des Weges sein Fuhrwerk anzunehmen. Worin aber bestand dieses? Den Wagen freilich gab er selbst, den Vorspann aber mußten die Bauern liefern, vier Pferde wurden ebenso vielen Landleuten in der Zeit der dringendsten Feldarbeit zur Fronfuhre für die Herrschaft abgefordert, und als einige Beschwerde darüber und sogar eine halbdreiste Erkundigung, wieso diese offenbar nicht landwirtschaftliche Leistung jetzt von ihnen gefordert werde, unter den Bauern laut wurde, bedeutete man ihnen gebieterisch, sie sollten »zur Tanzfuhre« anspannen; denn allerdings waren sie durch ein altes Herkommen verbunden, wenn die Herrschaft zum Tanz fahre, sie mit vier Pferden hin- und zurückzuschaffen. Die herrschaftliche Berechtigung war schon drückend genug, in diesem Fall aber die Anwendung eine so ungerechte als unwahre, und die armen Leute, die doch klar vor Augen hatten, daß nicht die Herrschaft und ebensowenig zum Tanze gefahren wurde, mußten sich unter das Übergewicht des trotzig entgegengehaltenen Namens beugen, dessen sonstige Gültigkeit sie nicht bestreiten wollten, gegen dessen augenscheinlichen Mißbrauch hier aber sich zu empören ihnen jedes Hülfsmittel fehlte. So kamen wir also mit der Tanzfuhre, über die noch genug gescherzt wurde, nach Müncheberg, wo wir die guten Leute, die mit ihren Pferden einen ganzen Arbeitstag versäumt und dabei[239] möglichst knapp von Mitgenommenem gezehrt hatten, durch reichliches Trinkgeld einigermaßen schadlos hielten. Daß dergleichen drückende Verhältnisse und Mißbräuche, die auf dem armen Volke lasteten, zerstört würden, fand ich an diesem Beispiele wieder recht wünschenswert und pries im stillen die Französische Revolution, die solche verfaulte Überbleibsel am kräftigsten zu zertrümmern angefangen hatte und noch durch Napoleons Siege, in diesem Betracht heilsam, zu zertrümmern fortfuhr. Auch diese Bauern würden erleichtert, auch diese Edelleute gedemütigt werden, vertraute ich fest, und die hohe, feine Bildung eines edlen Rittertums, das freie, behagliche Dasein eines vornehmen Lebens, wie ich es doch mir selbst wünschte und als Element suchte, wurde mir zuwider, wenn ich mir denken sollte, daß ihm solche Mißverhältnisse zur Grundlage notwendig seien.

Berlin empfand von dem Frieden nichts. Eine teilweise versuchte Fensterbeleuchtung in mehreren Straßen der Stadt gab ein schlechtes Bild dürftiger Freude, wo in der Tat mehr Ursache zum tiefsten Schmerze vorhanden war. Einige preußische Offiziere hatten sich die Befriedigung nicht versagt, ihre bis dahin geächtete Uniform wieder anzulegen, allein schnell belehrte ein strenges Verbot des französischen Kommandanten die Voreiligen, daß hier noch niemand sich unterstehen dürfe, wieder ein Preuße zu sein. Französische Verwaltung, französische Besatzung, die letztere noch die wenigst feindliche, setzten ihr Wesen fort, als habe der Krieg noch nicht aufgehört; sie richteten sich auf längere Zeit nur noch bequemer und drückender ein und verhehlten es nicht, daß sie nun erst recht alle Hülfsmittel des Landes noch erschöpfen wollten. Vorstellungen der städtischen Behörden, der ständischen Körperschaften, der Gemeinden, nichts fruchtete, die Lasten stiegen ins ungeheure, der Baron Bignon wetteiferte in scharfer und unerbittlicher Ausübung seines Amtes mit dem Grafen Daru, mit beiden die Befehlshaber und die Verpflegungsbeamten[240] der Truppen, die zahlreich angehäuft und in beständiger Bewegung erhalten waren. In dieser Zeit des Jammers fühlte man sich gewaltsam auf das geistige Leben hingeworfen, man vereinte und ergötzte sich in Ideen und Empfindungen, welche das Gegenteil dieser Wirklichkeit sein wollten. Nicht wenig verstärkt wurde dieser Sinn durch das Wiedererscheinen Fichtes, der von Königsberg über Kopenhagen nach Berlin unerwartet gegen Ende des August zurückkam. Er hatte geglaubt, nach dem ausgesprochenen Frieden nicht länger schicklich bei der Königsberger Universität als Gast verweilen zu dürfen und seinen weitern Beruf jetzt auf der alten Stätte abwarten zu müssen. Eine öffentliche Tätigkeit freilich war für den Augenblick nicht abzusehen, auch schloß er sich gern in die Abgeschiedenheit einer mitten im Georgeschen Garten anmutig gelegenen Wohnung ein, nur bewährten Freunden zugänglich. Außerordentlich freuten wir uns seiner hellen, kräftigenden Gegenwart, seiner unerschütterlichen Denkart und seiner festen Zuversicht. Bernhardi, Wilhelm von Schütz und ich hielten uns treulich zu ihm. Fichte hatte viel von dem Königsberger Aufenthalte zu erzählen, unsre Ansichten und Urteile über Ereignisse und Personen empfingen neues Licht. Unter andern brachte er die Zeitschrift »Vesta« mit, welche von ihm selbst anziehende Aufsätze über den Machiavelli enthielt und uns in den Herausgebern von Schrötter und von Schenkendorf zwei eifrige Kämpfer kennen lehrte, von welchen die deutsche Sache sich noch manches versprechen durfte. Auch die Anfänge des nachher so berühmten Tugendbundes oder sittlich-wissenschaftlichen Vereins, wie er eigentlich hieß, lagen hier schon verknüpft, wurden aber in vorsichtiger Heimlichkeit nur dunkel angedeutet. Lebhafter und tagfreudiger strahlte uns ein Gedicht an, das Fichte gleichfalls mitgebracht hatte und mit seinem gewaltigen Nachdruck bedeutend vorlas. Es war eine dem russischen Kaiser bei seinem Einzug in Königsberg gedruckt überreichte Ode, worin der Geist Friedrichs des Großen die tröstlichsten Verheißungen[241] in den stärksten Bildern aussprach. Wenn wir Strophen hörten wie diese:


Doch trifft von niemals fehlendem Bogen, doch

Der Rache Pfeil die Ferse Napoleons,

Und wär er dreimal, wie sein frevelnd

Herz, in der stygischen Flut gebadet,


so fühlten wir die zwiefachen Schauer der poetischen Macht und der politischen Kühnheit und sahen die Poesie gleich einem Krieger zum Tode gerüstet die wirklichsten und unmittelbar nächsten Gefahren mutig durchwandern. Denn der unglückliche Palm war um nicht Größeres erschossen worden, und Napoleons Haß und Grimm sah in dem Feinde niemals einen Edeln, mit dem ein glimpflicheres Verfahren geboten sein könnte, sondern stets nur den gemeinen Gegner, dessen man sich möglichst rasch und kurz entledigt. Wir fragten begierig nach dem Verfasser und hörten, als solcher bekenne sich ohne Hehl der Geheime Oberfinanzrat Stägemann in Königsberg, bisher nur als Dichter in Scherz- und Liebesgesängen bekannt, jetzt aber in höherem Schwunge sein glückliches Talent dem Vaterlande weihend, ein Mann von unansehnlichem Äußern, auf zwei mißgestaltenen Füßen schwierig einhergehend, aber ein vortrefflicher Kopf, auch in Staatsgeschäften als solcher gerühmt. Wir riefen ihm Heil und Segen zu und gelobten es uns wechselsweise, wer von uns die Gelegenheit haben würde, ihn persönlich zu sehen, solle zu ihm gehen, ihm von dieser begeisterten Stunde sagen und ihm in unser aller Namen für die Freude danken, die wir durch sein Gedicht empfunden. Wir nahmen übrigens Abschrift von diesem und gaben ihm unter der Hand nah und fern möglichste Verbreitung.

Ein Kern wackrer Offiziere, die nur auf die Gelegenheit warteten, um für so viel erlittene und von ihnen selbst grade am wenigsten verdiente Schmach des preußischen Namens eine ruhmvolle Vergeltung zu nehmen, gestaltete sich unter den Einwirkungen des Tugendbundes immer[242] fester, und in dem Reimerschen Kreise konnte mir manches von diesem Streben nicht entgehen, ohne daß man mich unmittelbar hineinzuziehen versuchte. Auch in dem Ehegatten von Henriette Hübschmann, Herrn von Bardeleben, fand ich einen solchen Eiferer, der in anscheinender ländlichen Ruhe zu Charlottenburg, wo ich ihn ein paarmal besuchte, ganz in politischen und militärischen Gedanken lebte und sich großen Gefahren aussetzte, um den gemeinsamen Zweck zu verfolgen. Jede gute Gesinnung wurde herbeigezogen und befestigt, jeder gute Willen, jedes einst brauchbare Hülfsmittel sorgfältig wahrgenommen, dabei der Gang der großen Ereignisse aufmerksam beobachtet und jeder Nachteil des Feindes begierig hervorgehoben. Dieser vereinten, von so vielen Seiten mit unzerstörbarer Zuversicht und Beharrlichkeit fortgesetzten Arbeit, die in den engsten Schranken und mit den dürftigsten Mitteln gegen die Riesenmacht Napoleons zu wirken unternahm, diesen im stillen genährten und geweckten Kräften war es doch zu danken, daß die Flamme des Vaterlandes auch in der größten Verdunkelung nie ganz erlosch und ihre vorbereiteten Stoffe in der Folge sogleich erfassen konnte.

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 214-243.
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