[110] 19. na ca smārtam, a-tad-dharma-abhilāpāt
nicht aber das Überlieferte, weil erwähnt wird was ihm nicht zukommt.

›Das mag ja sein‹, könnte man einwenden, ›aber die Eigenschaften der Unsichtbarkeit u.s.w. kommen doch auch der von der Smṛiti der Sā khya's angenommenen Urmaterie zu, indem auch diese von ihnen als ein von Gestalt u.s.w. Freies aufgefasst wird. Denn es heisst bei ihnen (Manu 1, 5):


»Unerforschbar und unerkennbar,

Gleichsam im Schlafe ganz und gar.«


Auf diese würde auch das innere Lenken passen, | weil sie die Ursache alles Erschaffenen ist. Somit könnte es also die Urmaterie sein, welche als »der innere Lenker« von der Schrift bezeichnet würde; und wennschon diese durch die Worte, »wegen des Erwägens nicht; schriftwidrig!« (Sūtram 1, 1, 5) abgewiesen worden ist, so könnte sie doch hier, weil die Bestimmungen der Unsichtbarkeit u.s.w. auf sie passen, wieder in Frage kommen.‹ – Hierauf dient zur Antwort, dass unter dem innern Lenker »nicht das Überlieferte«, d.h. die Urmaterie, verstanden werden kann; warum? »weil erwähnt wird, was ihm nicht zu kommt«. Denn wenn auch die Bezeichnungen als das Unsichtbare u.s.w. auf die Urmaterie passen, so doch nicht die [danebenstehenden] Bezeichnungen als der Sehende u.s.w., indem die Urmaterie, wie sie von jenen [Sā khyaphilosophen] aufgefasst wird, ein ungeistiges Wesen ist. Hier aber [bei der Darstellung des »innern Lenkers«] heisst es im weitern Verlaufe der Stelle: »er ist sehend nicht gesehen, hörend nicht gehört, verstehend nicht verstanden, erkennend nicht erkannt« (Bṛih. 3, 7, 23.) Und auch dass er »der Ātman« genannt wird, ist auf die Urmaterie [aus den zu Sūtram 1, 1, 6 entwickelten Gründen] nicht zutreffend.


›Aber wenn die Urmaterie nicht unter dem innern Lenker verstanden werden kann, weil ihr die Eigenschaften des Ātmanseins und des Sehens nicht zukommen, so ist vielleicht mit dem innern Lenker die verkörperte Seele gemeint; denn diese ist infolge ihrer Geistigkeit sehend, hörend, vorstehend und erkennend. Auch ist sie, als das Innere in uns, der Ātman und auch unsterblich, sofern sie [nach jedem Leben wieder aufs neue] die Vergeltung[110] für ihre guten und bösen Werke empfängt. Und auch die Eigenschaften der Unsichtbarkeit u.s.w. passen sehr gut auf die innere Seele, sofern es ein Widerspruch sein würde, dass die Thätigkeiten des Sehens u.s.w. sich auf den Thäter selbst bezögen, wie denn ja auch die Schrift sagt: »nicht sehen kannst du den Seher des Sehens« u.s.w. (Bṛih. 3, 4, 2.) Auch ist es die innere Seele, welcher, sofern sie der Geniesser ist, das Vermögen eigen ist, den Komplex der Organe des Wirkens von innen heraus zu regieren. Es ist somit die verkörperte Seele, welche hier unter dem »innern Lenker« verstanden werden muss.‹

Auf diese Behauptung antwortet [der Lehrer]:

Quelle:
Die Sūtra's des Vedānta oder die Ēārīraka-Mīmāṅsā des Bādarāyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 110-111.
Lizenz:
Kategorien: